Seemannsgarn unterm Feigenbaum - Helgoland hat viel zu bieten
22. Juli 2013
Helgoland hat viel zu bieten - ungewöhnliche Natur, Hochseeklima und außergewöhnliche Geschichten. Das meiste stimmt, aber vieles ist auch gut gesponnenes Seemannsgarn.
"Unseren Kirchturm fahren wir ab Windstärke acht automatisch ein", erzählt Pamela Hansen (41), die evangelische Pastorin auf Helgoland staunenden Touristen. "Und als wir das einmal vergessen haben, ist uns auch prompt die Wetterfahne runtergeweht." Die Wetterfahne ist tatsächlich vom Turm gefallen. Doch seit Hansen als Pastorin auf der Nordseeinsel ist, weiß sie, dass die Geschichte mit dem Turm, der bei Sturm eingefahren wird, reines Seemannsgarn ist. Doch es sollen schon Tagesgäste eigens angereist sein, dieses angebliche Wunderwerk der Technik zu bestaunen.
Die Insel hat viele Überraschungen zu bieten
"Grün ist das Land, rot ist die Kant, weiß ist der Strand" - so beschreiben die Helgoländer die Farben ihrer Insel. Gerade mal einen Quadratkilometer groß ist ihr felsiges Eiland inmitten der Nordsee. Helgoland hat eine bewegte Geschichte: Im 19. Jahrhundert war sie britische Kolonie, im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurde sie evakuiert; 1945 als Bombenziel der britischen Luftwaffe beinahe dem Erdboden gleichgemacht. Heute hat die Insel einiges zu bieten, was man auf den ersten Blick gar nicht vermutet.
So leben in den beiden Süßwasserseen auf der Düne wahre Exoten wie die rotwangigen Schildkröten. Diese gehören hier ursprünglich allerdings nicht hin. Sie wurden ausgesetzt und überleben dank der milden Winter, denn die Seen frieren nie ganz zu. Das Golfstrom-Klima lässt auch Feigen im Pastoratsgarten gedeihen. Wenige Meter entfernt wächst ein Maulbeerbaum. Die höchste Erhebung des zuständigen Kreises Pinneberg befindet sich mit 61,3 Metern auch hier.
Wahre Exoten leben auf der Insel inmitten der Nordsee
Helgoland besteht genau genommen aus zwei Inseln: 1720 wurde die natürliche Verbindung zwischen Hauptinsel und Düne durch eine Sturmflut zerstört. Das Eiland besteht heute aus der roten Buntsandsteinscholle mit Steilküste, die rund 61 Meter hoch aus dem Meer ragt mit dem berühmten Wahrzeichen "Lange Anna". Daneben liegt die kleinere "Düne" mit dem Flugplatz. Wahr ist, dass auf Helgoland die Kegelrobbe heimisch ist - dass es sich dabei um Deutschlands größtes Raubtier handelt auch. Auf der Düne dürfen sich Touristen den neugierigen Tieren nur bis auf 30 Meter nähern, denn Robben können auch zubeißen.
Wahr ist auch, dass sich die Helgoländer zur Begrüßung und Verabschiedung fast nie die Hand geben. "Das ist typisch helgoländisch - sicherlich hat es damit zu tun, weil man sich so oft begegnet. Wahrscheinlich aber auch, damit man sich auf der kleinen Insel nicht mit Krankheiten ansteckt", sagt Hansen.
Und doch hat die Wahrheit hier oft einen schweren Stand. So stimmt es nicht, dass der große futuristisch anmutende silberne Turm am Helgoländer Südhafen die Kaffeerösterei der Insel ist. Hansen: "Wir erzählen unseren Gästen gerne, dass wir die Bohnen direkt aus Jamaika importieren." In Wahrheit ist der Turm aber der Wasserspeicher der Biologischen Anstalt, wo der Nachwuchs der Helgoländer Hummer gezüchtet wird.
Helgoland-Hummer werden in der Biologischen Anstalt nachgezüchtet
Im Februar 2012 hatte Hansen ihren Dienst auf dem Eiland angetreten. Mittlerweile fühlt sie sich auf der Insel heimisch. Heute kann sie gut unterscheiden, welche Geschichten wahr sind und mit welchen die alteingesessenen "Halunder" die Neu-Insulaner und Feriengäste liebevoll verschaukeln.
So stimmt es genau genommen auch nicht, dass Helgoland Deutschlands einzige Hochseeinsel ist. "Ich habe mich schlau gemacht. Politisch liegt die Insel nicht auf 'Hoher See': Die Zwölf-Meilen-Zonen der Festlandküste und anderer Nordseeinseln einerseits und um Helgoland andererseits überlappen sich so, dass Helgoland nicht durch internationales Gewässer vom Festland getrennt ist", erklärt Pastorin Hansen. Und auch geografisch gesehen braucht man Tiefsee, um eine Hochseeinsel zu sein. Die hat Helgoland aber nicht, denn die Insel liegt noch auf dem Festlandsockel. Hansen: "Aber es fühlt sich an wie eine Hochseeinsel."
Dass die Gäste in Helgoland dennoch zollfrei einkaufen dürfen, liegt nicht an der großen Entfernung vom Festland. Es ist ein Privileg, das die Briten der Insel zubilligten, bevor sie 1890 an Deutschland zurückgegeben wurde.
Weil viele Gäste von der Flunkerei der Helgoländer schon gehört haben, wollen sie auch nicht mehr alles glauben. Als eine Touristin einen örtlichen Feuerwehrmann nach den nahezu unbeweglich erscheinenden Containerschiffen am Horizont fragte, wollte sie sich mit der richtigen Antwort "Das sind Schiffe" nicht zufrieden geben. In seiner Not sagte er dann: "Na gut, Sie haben recht: da vorne liegt die Insel Malta".