11. März 2018 | Frauenkirche zu Dresden

Sehnsucht nach Trost

11. März 2018 von Kirsten Fehrs

4. Sonntag in der Passionszeit – Lätare, Predigt zu 2 Kor 1, 3-7

Liebe Gemeinde,

er musste diesen Brief schreiben. Soviel Feindseligkeit hat er gerade erst erlebt, dort in Asia, der heutigen Türkei. So viele Konflikte hatte er zu bestehen. Wer Positionen hat, hat Gegner. Und er merkt: Das geht nicht spurlos an ihm vorüber. Und auch an seiner Familie – seinen Geschwistern in Christus – nicht. Also schreibt er den Brief wie eine Art Glaubensvergewisserung. Woran sich zu halten ist in dieser schwierigen Zeit. Denn diesen Christus zu bekennen, das ist mehr als wohl formulierte Richtigkeit. Christus zu bekennen ist eine Haltung. Eine Hoffnungshaltung. Inmitten der oft so hoffnungslos irrsinnigen, streitbaren Welt.

Und so schreibt Paulus seinen wohl emotionalsten Brief. Ich lese aus dem 1. Kapitel des zweiten Briefes an die Korinther:

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis, damit wir auch trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus.  Werden wir aber bedrängt, so geschieht es euch zu Trost und Heil; werden wir getröstet, so geschieht es euch zum Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden.  Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: Wie ihr an den Leiden teilhabt, so habt ihr auch am Trost teil. (2. Korinther 1, 3-7)

Trost ist heute das entscheidende Wort. Elfmal hören wir es in vier Versen. Sehnsüchtig fast. Trostsehnsucht – sie ist so präsent an Lätare, dem kleinen Ostern. Denn ebenso oft hören wir vom Schmerz. Vom Leiden. Wir sind verwundbare Menschen, sagt Paulus damit. Und schon, dass er das zugibt, auch von sich selbst, hat etwas Tröstliches.   

Das „kleine Ostern“ sieht schon ganz deutlich über das Leid hinaus. Getröstet (!) - kann es weitergehen, sagt es. Getröstet kann ich aufstehen, immer wieder. Und ich erinnere mich, wie oft ich als Kind hingefallen bin, weil ich halt ungeduldig war und neugierig, ein „Wippsteert“ wie man in Dithmarschen so sagt. Wie oft habe ich mich mit erschrockenem Schmerz zur Mutter geflüchtet, die mich in den Armen gehalten und gesagt hat: Alles wird gut. Und dann – letzter Schluchzer – geht es tatsächlich. Man kann aufstehen. Lächeln. Krönchen richten. Ok, nächste Etappe. Die Welt will nicht unerforscht bleiben. Man ist ja schließlich bei Trost. Also fort von der Mutter, auf eigene Wege.

Trost hat etwas enorm Stärkendes und Zartes zugleich. Trost ist zugewandt, nah,  sehr privat. Trost im öffentlichen Raum hingegen wirkt doch einigermaßen fremd. Ein Chef, der seine Angestellten tröstet? Vielleicht  gibt es das, eher noch eine Lehrerin, die ihre Schüler tröstet. Aber im politischen Raum? Kaum vorstellbar ist ein Politiker, der von anderen öffentlich getröstet wird (nebenbei gefragt: Wo bekommen sie dann aber Trost, die Rund-um-die-Uhr-Verhandler, die Verantwortungsträger, aber auch die Wahlverlierer?). Oder dies: Ist heutzutage vorstellbar, dass ein Politiker sein Volk tröstet?

Wobei ja hinzukommt, dass keiner gern trostbedürftig ist. Trost verbindet sich sofort mit Verlust. Es klingt nach Trostpreis, Trostpflaster, ja auch nach vertrösten. Wer will schon gern verlieren – oder Schwäche zeigen? Und niemand doch will auf ein besseres Morgen vertröstet werden, obwohl man doch heute so wütend ist und sich zurückgesetzt fühlt und klein gemacht.

Auch Paulus will das nicht. Bloß nicht dies: vertrösten! Er weiß nämlich genau, wie sich das anfühlt: zurückgesetzt zu sein und klein gemacht, verspottet, mit Steinen beworfen. Ist er doch, der tatsächlich Kleingewachsene, mit seiner großen Botschaft überall angeeckt, zuletzt dort in Kleinasien: Jesus Christus, der wie ein Verbrecher hingerichtet wurde, ist von Gott selbst auferweckt worden, sagt er. Um die Menschen aller Zeiten zu trösten und zu retten, sagt er. Die, die am Boden liegen, wird Gott aufheben. So wie er es schon mit dem Volk Israel getan hat, wieder und wieder. Das ist der Gott allen Trostes! Er, der seinen Sohn nicht im Stich gelassen hat, lässt auch dich nicht im Stich. Deshalb, liebe Geschwister in Korinth – und in Dresden – : „Wie ihr jetzt am Leiden teilhabt, so habt ihr dann auch am Trost teil.“

Der ist doch verrückt, schelten Paulus damals so viele und schütteln den Kopf. Und wir? Verstehen wir das für uns?  Dass wir reichlich teilhaben am Leid und ebenso reichlich am Trost?  Wie kann das anschaulich werden?

Ich erinnere ein Erlebnis, von dem ein Pastor auf  St. Pauli mir erzählte. St. Pauli, Sie wissen, das ist direkt an der Reeperbahn, wo viel Herz wohnt und schräge Typen. In der kleinen Kirche, die nach unserem Paulus benannt ist, gehen täglich viele Mühselige und Beladene ein- und aus. Nach einem Gottesdienst nun kommt ein Mann auf den Pastor zu und hat vier Nägel in der Hand. Man sieht sofort: Dem geht es nicht gut. Und der Mann sagt: Ich will ans Kreuz, Herr Pastor. Irritiert und intuitiv zeigt der nach oben auf das lebensgroße Kruzifix und sagt:  „Weißt du...- da hängt schon einer.“ Oh, sagt der Mann. Deutlich erleichtert. Und dann ist er wieder gegangen. Einfach so. Getröstet, mag sein, vielleicht sogar erlöst.

So viele Menschen brauchen unseren Trost, liebe Geschwister! Sie brauchen Gesten und Worte, die etwas davon sagen, dass es hinter dem Horizont weitergeht. Dass hinter der Dunkelheit auch wieder das Leben wartet. Dass Gott da ist. Ewig. Unerkannt vielleicht. Und fremd geworden. Als einer, den man anklagen kann – wo soll man sonst auch hin mit diesem Schmerz?!  Aber auch als einer, der dir antwortet.

Wie sehr dieses Klagen und Antworten Not wenden kann, wird mir jedes Jahr am 22. März bewusst. An diesem Tag der Kriminalitätsopfer gestalte ich gemeinsam mit Betroffenen in Hamburg einen Gottesdienst. Schon die Vorbereitung darauf berührt mich jedes Mal zutiefst. Da ist so viel Leid, ja Untröstlichkeit im Raum, und zugleich diese Sehnsucht, wieder ins Leben zu kommen und so etwas wie Normalität. Das Ehepaar, dessen Tochter ermordet wurde. Oder der junge Mann, der auf offener Straße  „zum Krüppel“ geschlagen wurde, wie er selbst es nennt. Oder auch die türkische Familie, deren Sohn und Bruder von den Terroristen des sogenannten NSU erschossen wurde. Aus heiterem Himmel wurden Leben vernichtet und Zukunft zerstört.

Wenn ich etwas gelernt habe in diesen Gesprächen, dann dass sie alle eine Herberge suchen, in der das Leid sein darf. Und dass der Trost sie erst erreicht, wenn dieses Leid in der Beziehung mit getragen wird. Trost ist Beziehung in Gegenseitigkeit. Dabei ist es meine Aufgabe als Seelsorgerin, mich in die verwundete Seele einzufühlen. Und das heißt: still werden. Hören. Nicht immer gleich zutexten. Wegreden. Seelsorge als Muttersprache unserer Kirche kennt die Wortlosigkeit. Aushalten, schweigend, gemeinsam, was unaushaltbar ist. Aushalten auch die Untröstlichkeit.

So ist Trost die Sprache der Liebe. Und die vertröstet nicht und sagt, indem sie wegschaut, „das Leben geht weiter“. Sondern sie schaut auf die Traurigkeit. Um zu finden, was tröstet: Das Gebet, für dich gesprochen. Ein Kyrie, das so dynamisch ist, dass es dich anspornt mit seiner Kraft. Die Umarmung, die wie früher, als du Kind warst, sagt: Es wird schon wieder gut. Das alles ist der Gott des Trostes – hebräisch heißt das übersetzt: die Geborgenheit vom Mutterschoß immer wieder zu empfinden.

Wie ihr an den Leiden teilhabt, so habt ihr auch am Trost teil.  Und das heißt ja, dass beides wahr ist. Einmal, dass wir natürlich in einer Welt leben, über die sich beim besten Willen nicht sagen lässt, dass in ihr alles gut wäre. Jeder Schmerz, der uns durchfährt, beweist es. Aber auch das andere ist wahr: dass die Tür des Trostes manchmal vor uns und für uns aufgeschlossen wird. Dass wir schauen, etwa hier in der Frauenkirche, wie weit sich der Raum des Trostes und Lichtes tatsächlich vor uns öffnet. Eine Trostherberge, diese Kirche, auch weil sie an einst so verwundetem Ort ein Zeichen der Versöhnung zwischen den Völkern setzt. Sie steht für eben diese Haltung der Hoffnung, dass es anders wird, besser, in dieser aufgewühlten Welt. Weil wir uns nicht abfinden mit dem Leid, mit Gewalt, Terror und Krieg!

Unsere Gesellschaft braucht mehr denn je diese Hoffnung und sie braucht diesen Trost, ich bin sicher. Denn es gibt, warum auch genau immer, eine so tiefe Verunsicherung. Vielleicht auch, weil so viele nicht mehr wissen, wie und wo sie Trost finden können. Was sie stärken kann oder gar retten, im Leben und beim Sterben erst recht. Und so fragen sie im Internet, wie das geht: mitzugehen, wenn jemand trauert und furchtbar stirbt. Und was man macht, wenn man gar nichts mehr machen kann?!

Glücklicherweise gibt es sie, die Trostherbergen. Herbergen für die Zuneigung zum Leben. In Kirchen, Wohnzimmern, Flüchtlings-Cafés und in besonderer Weise auch in Hospizen, derer es viel mehr geben sollte. Denn hier, am Ende des Lebens, wird geredet, geschwiegen, oft gelacht, es wird das gelebte Leben gewürdigt, der Abschiedsschmerz geteilt. Hier wird einem beim Aufstehen geholfen, jeden neuen Morgen, und mit ausgehalten, dass man eben nicht weiß wie es ist, wenn es soweit ist.

Heiligabend, vor all den Gottesdiensten, war ich in einer dieser Trostherbergen. Ich wollte bei denen sein, die wohl ihr letztes Weihnachtsfest erlebten, ja – und auch Trost spenden. Als erstes begegne ich Herrn Schröder. Er hat schon auf mich gewartet und empfängt mich in seinem besten Anzug. Der sitzt schon recht locker wie die Worte, die aus ihm herausperlen. Charmant, interessiert und unglaublich wach fragt er mich, wie es mir geht. Ich erzähle, was alles heute an Heiligabend zu tun ist, so viel, achja. Und ich halte inne und denke: Das ist doch hier verkehrte Welt. Und frage meinerseits: Wie geht es Ihnen? Und er sagt: „Hier ist ein so lebendiger, ja fast heiterer Ort. Seit November bin ich hier und es war wie ein neuer Anfang. Denn, wissen Sie, natürlich sitzt einem der Tod im Nacken. Das weiß man. Nur: hier fühlt man es nicht mehr.“  ….

Und mir wurde seltsam leicht zumute. Ich fühlte mich so getröstet. Gestärkt für das, was kam. Es war fast, als würden Weihnachten und Ostern zusammen fallen…

Ich wünsche Ihnen, liebe Gemeinde, von Herzen eine lichtvolle Zeit, mit vielen Menschen, die sich auf den Trost verstehen , eben: -

Gesegnete kleine Ostern! Voller Frieden, höher als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Datum
11.03.2018
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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