8. Juli 2018 | Ev. Johanneskirchengemeinde, Greifswald

Spricht etwas gegen die Taufe?

08. Juli 2018 von Hans-Jürgen Abromeit

Predigt zu Apostelgeschichte 8, 26-40, anlässlich des ERF-Fernsehgottesdienstes am 1. Juli 2018 (für den 6. Sonntag nach Trinitatis, 8. Juli 2018)

Liebe Gemeinde!

„Spricht etwas gegen die Taufe?“ Ja, meinten die Eltern von[1] Verena Friederike Hasel. Das Selbstbestimmungsrecht ihres Kindes. Die Autorin erzählt in einem sehr persönlichen Artikel in der Wochenzeitung die Zeit davon. Wie so viele Eltern seit den 1970er Jahren meinten auch ihre, sie solle sich einmal selbst entscheiden. Doch Verena konnte sich nicht entscheiden – dazu hätte sie Menschen gebraucht, die ihr vom liebenden Gott erzählen. Sie wurde also nicht getauft. Nun hat sie eigene Töchter. Die Fünfjährige rechnet ganz selbstverständlich mit Gott. Da beginnt die Mutter, mit ihnen den christlichen Glauben zu entdecken. Für ihre Töchter ist Gott ganz real. Aber die Mutter hat noch einen inneren Vorbehalt.

Mich hat dieser Artikel bewegt. Er zeigt, dass auch in unserem ziemlich weltlich ausgerichtetem Land Gott nicht abzuschreiben ist. Nur sind die Wege zu ihm heute andere als früher, eben ganz individuell. Denken Sie an die Drei, die eben von ihrem Weg zu Gott berichtet haben. Bei jedem war es anders. Doch alle Wege führten über die Taufe. Von Cynthia haben wir gehört, wie ihre Taufe als Kind ihr heute hilft, mit Jesus zu leben. Der neunjährige Mattis hat selbst entschieden, dass er sich taufen lassen will, weil er „gerne zu Gottes Familie gehören“ möchte. Akbar war Moslem. Er hatte gedacht, Christen seien seine Feinde. Da erlebt er, wie in einem evangelischen Gottesdienst für sein Land und für die Muslime gebetet wird. Das hat ihn so bewegt, dass er nachgefragt hat. Was ist das für ein Gott, der alle Menschen liebt und auch will, dass die Menschen sich untereinander lieben? Er hat viele Gespräche geführt, einen Glaubenskurs besucht und sich dann entschieden, „dass Jesus Christus sein Herr sein soll“.

„Spricht etwas gegen die Taufe?“ Nein, es spricht nichts gegen die Taufe, wenn ein Mensch von Gott angerührt ist und mit Jesus leben will. Aber wie das geschieht, das ist bei jedem anders. Gott führt Menschen zum Glauben, aber je auf seine Weise.

Als Predigttext haben Sie die Geschichte eines Finanzministers gehört. Hier, in dem Abschnitt aus der Apostelgeschichte, ist es die Bekehrungsgeschichte eines Menschen aus der High Society. Diese Geschichte hat eine Tiefenperspektive.

Er hatte etwas erreicht in seinem Leben, aber dafür hatte er auch bezahlen müssen. Er war der Finanzminister der Kandake, damals nannte man so die Königin des Landes, das wir heute Sudan nennen. Wer bei ihr etwas werden wollte, musste seine Zeugungsfähigkeit opfern. Die Traditionen schrieben es vor, damit nur kein Untergebener sich in einer falschen Weise der Königin nähern konnte. Wer hoch hinaus wollte, musste vorher einen harten Schnitt erleiden. Nur Kastraten konnten solche Ämter erhalten. Aber alles, so dachte sich der Minister, kann man im Leben nicht auf einmal haben.

Die Sudanesen glaubten damals an einen letzten Urheber. Das gehörte zu ihrer Tradition. Sie wussten: Von nichts kommt nichts. In ihrer Umgebung lebten Juden, bei denen der Urheber der Welt einen Namen hatte. Und sie glaubten, dass dieser Gott die Menschen noch immer begleitet und erhält. Darüber wollte der Finanzminister mehr wissen. Er hörte vom Zentrum des jüdischen Glaubens, von Jerusalem und seinem Heiligen Tempel und bekam mit, wie jüdische Menschen und Gottesfürchtige sich auf den weiten Weg nach Jerusalem machten, um dort einmal eines der großen Feste des Judentums mitzufeiern.

Dann war er im Tempel gewesen. Das hatte ihn berührt, wie die Menschenmassen dort zusammenkamen, um Gott zu feiern. Was ihn am meisten anrührte, war der Tempelgottesdienst, bei dem täglich Opfer gebracht wurden. Er sah es nur von weitem. Auf einem Altar brachten Priester Gott Opfer dar. Man konnte etwas bezahlen und dann war das Opfer mein Opfer. Dadurch sollte Schuld vergeben und die Brüche im Leben erträglicher werden. Konnte das Opfer auf dem Tempelaltar diesen Abstand zwischen Mensch und Gott verringern? Konnte man dadurch wieder mehr Selbstachtung gewinnen? Galt das auch für ihn, der sich nur als halber Mensch fühlte? Vielleicht war es so, auf jeden Fall war es aber nichts für ihn. Denn da standen ja im Tempelhof diese Schilder, die ihm ein Weitergehen unmöglich machten: „Kein Entmannter oder Verschnittener soll in die Gemeinde des Herrn kommen.“ (5.Mose 23, 2)

Und so fuhr er angerührt, aber auch traurig wieder nach Hause. Als Andenken hatte er sich eine Schriftrolle gekauft. Nun saß er in seinem Reisewagen und las Worte des 2. Jesaja. Das, was er las, erfreute den Finanzminister. Er empfand Wärme und ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Als er in Jesaja 56, 3 lesen durfte: „Und der Fremde, der sich dem Herrn zugewandt hat, soll nicht sagen: Der Herr wird mich getrennt halten von seinem Volk. Und der Verschnittene soll nicht sagen: Siehe, ich bin ein dürrer Baum. Denn so spricht der Herr: Den Verschnittenen, die meine Sabbate halten und erwählen, was mir wohl gefällt, und an meinem Bund festhalten, denen will ich in meinem Hause und in meinen Mauern ein Denkmal und einen Namen geben; das ist besser als Söhne und Töchter.“

Gab es also doch noch eine Hoffnung, eine Perspektive für ihn? Dann gab es ja noch eine Art von Glauben, die selbst in Jerusalem noch nicht realisiert war. Konnte es eine Erfüllung des Lebens geben, die besser war „als Söhne und Töchter“ in einer Kultur, in der Nachkommenschaft das höchste Gut war?

Und er liest weiter. Und er liest laut – denn so las man damals, wenn man verstehen wollte. Und er liest immer wieder die Schriftrolle, die er in Jerusalem erstanden hatte. Und er liest in dieser Schriftrolle auch etwas von einem Gottesknecht, der Gott ganz treu war – und von Treue wusste unser Finanzminister auch etwas – der erniedrigt wurde – und von Erniedrigung wusste der Afrikaner sehr viel – und den Gott als sein Werkzeug benutzt hat. Er liest, wie dieser Gottesknecht stellvertretend für andere Schuld übernimmt, damit die Vielen das Leben haben. Und als er bei ihm liest: „Der Gottesknecht wurde erniedrigt und all seiner Rechte beraubt. Niemand wird über Nachkommen über ihn berichten können …“, da spricht ihn plötzlich jemand an. Woher kam diese Stimme? Er saß doch alleine in seinem Wagen. Und die Stimme fragt ihn: „Verstehst du denn, was du da liest?“ Und er sieht, wie diese Stimme zu einem Mann gehört, der neben dem Wagen herging und seinem lauten Lesen zugehört hatte. „Verstehst du denn, was du da liest?“ Der Finanzminister antwortete schlagfertig: “Wie kann ich es verstehen, wenn niemand es mir erklärt?“ Und dann bittet er unseren Philippus aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.

Heute fahren die Wagen zu schnell. Die Leute lesen auch nicht mehr laut. Aber doch gibt es unter uns etliche Gottsucher. Zumindest gibt es viele, die von sich sagen: „Ich bin ein gelernter DDR-Bürger und habe all die Sachen über den Glauben nicht gelernt.“ Oder wie die Autorin des Zeitungsartikels schreibt: „Ich selbst glaube nicht, mir ist aber die Schönheit des christlichen Glaubens bewusst geworden.“ Ich höre hier eine Sehnsucht. Wer so redet, wähnt sich noch weit von Gott entfernt. Dabei ist er ihm in Wirklichkeit schon ganz nah. Darum werden heute in vielen Gemeinden Glaubenskurse angeboten, die in den christlichen Glauben einführen. Unter den Gleichgültigen und den Verächtern der Religion gibt es etliche, denen einfach bisher die Gelegenheit gefehlt hat, sich mit den Inhalten des christlichen Glaubens auseinanderzusetzen. Die Gottsucher und die Glaubensinteressierten sind unter uns.

Das Geheimnis des Finanzministers war, dass er als mächtiger Mann sich so schwach fühlte. Manchmal konnte er sich selbst im Spiegel nicht anschauen. Hätte er nicht doch lieber ein anderes Leben gelebt? Darum war ihm dieses Bibelwort so wichtig. Da war von einem Erniedrigten die Rede, dessen Leben wegen der Erniedrigung Sinn empfangen hatte. Von wem redete der Prophet, wer ist dieser Gottesknecht? Redete der Prophet von sich selber oder von jemand anderem? Aber wieso waren in seiner Rede auch Züge, die der Afrikaner bei sich selbst wiederfand? Überstieg das Schicksal dieses Gottesknechtes nicht alles, was sich in der Biographie eines einzigen Menschen ereignen konnte?

Philippus wusste, das war die ihm von Gott geschenkte Gelegenheit. Solche Situationen sind selten. Und er nutzte sie. Philippus predigte die gute Botschaft, wie unser Leben wertvoll wird, weil ein anderer, Jesus, es wieder wertvoll macht. Und er hat wohl auch berichtet, dass der Einstieg in ein solches Leben die Taufe ist, denn sonst wäre die Rückfrage des Afrikaners kaum zu erklären: „Spricht etwas dagegen, dass ich mich taufen lasse?“ In dieser einen Frage sind alle Komplexe dieses Mannes, alle Zurückweisungen, die er erlebt hat, sein nagendes Gefühl, nicht zu genügen, enthalten. Und sie enthält die ganze Sehnsucht des Mannes, endlich dazuzugehören. Nicht auch noch von Gott Schilder lesen zu müssen: „Du bist hier unerwünscht“.
Er spürt, dass die Antwort in Jesus liegt. Er hat das Bedürfnis, zu diesem Jesus zu gehören. Denn er hat verstanden, nirgendwo auf dieser Welt kann ich Gott so nah kommen, als wenn ich auf Jesus schaue und sein Leben, Sterben und Auferstehen betrachte und dadurch mein Leben verwandelt wird. In der Sprache der Alten wird Jesus deswegen Gottes Sohn genannt. Das meint: Wer Jesus sieht, sieht Gott. Und umgekehrt: Wer Gott kennenlernen will, der muss auf Jesus sehen. Darum ist der spätere Eintrag im Text der Apostelgeschichte sachgemäß, in dem Philippus sagt: „Wenn du mit ganzem Herzen glaubst, kannst du getauft werden“, und der Afrikaner antwortet: „Ich glaube, dass Jesus Gottes Sohn ist.“

Die Taufe findet dann draußen statt – weil da gerade ein Fluss ist. Der afrikanische Finanzminister hat sich immer gewünscht, dass sein Leben wieder kostbar sein möge. Als er verstanden hatte, dieser Weg führt über die Taufe, da wollte er nur noch dies eine – getauft werden.

Im Weg zum Glauben und zur Taufe ist eine neue Gemeinschaft entstanden. Zwei bisher Unbekannte haben sich kennengelernt. Der Jude Philippus und der Afrikaner waren nun miteinander verbunden. Cynthia aus Amerika, Mattis aus Greifswald und Akbar aus dem Iran gehören – wie Mattis gesagt hat – zur „Familie Gottes“ und zu einer Gemeinde hier in Greifswald, zur Johanneskirchengemeinde. Der Glaube an Jesus Christus und die Taufe schaffen eine neue Beziehung, die menschliche Unterscheidungen übersteigt. Menschen aus verschiedenen Völkern, Kulturen und sogar Religionen werden zu einer neuen Gemeinschaft zusammengefügt. Vor Jahren schon kritisierte ein rechtsextremes Netzwerk diese von mir vertretene Aussage als „hoffnungslos international“. Der pommersche Bischof hätte kein Verständnis für eine „Moral, die aus Blut und Boden“ erwächst.

Nein, dafür können wir auch kein Verständnis haben, denn Gott hat uns zu einer neuen Familie, seiner Familie, quer zu allen menschlichen Unterscheidungen von Völkern, Sippen, Kulturen und Religionen zusammengefügt. Wer getauft ist, gehört zu dieser neuen Gemeinschaft. Immer wieder wird dieses Verständnis der Kirche in Frage gestellt, heute bei Entscheidungen über das Bleiberecht von Flüchtlingen, auch von staatlicher Seite. Dem muss ich als Christ und als Bischof widersprechen.

Damit ist die Geschichte so gut wie zu Ende. Auf Philippus warten an anderer Stelle weitere Aufgaben. Der Afrikaner ist mit Freude erfüllt. Er zieht nun seine Straße fröhlich. Und wir? Auch wir können heute Gott begegnen. In der Verbindung zu Jesus Christus liegt eine große Kraft. Wir haben es bei dem Finanzminister aus dem Sudan gesehen. Es kommt darauf an, die persönliche Lebensgeschichte mit der Geschichte Jesu Christi zu verweben. Wir bejahen unser eigenes bruchstückhaftes Leben oder das zerbrechliche und offene Leben unserer Kinder. Wir stürzen uns in die Liebe Gottes wie in einen Fluss. Das geschieht in der Taufe. Wer getauft ist, hat Anlass, seine Straße fröhlich zu ziehen. Also: „Spricht etwas dagegen, dass ich mich taufen lasse?“ Nein, es spricht alles dafür. Ob als Kind oder als Erwachsener, es ist immer gut, sein Leben in Gottes Hand zu legen. Damit Sie auch am Ende Ihre Straße fröhlich ziehen.
Amen.

[1] Vgl. Die ZEIT 14/2018, S. 58.

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