4. Oktober 2016 | Schlosskirche zu Schwerin

„Suchet der Stadt Bestes!“

04. Oktober 2016 von Hans-Jürgen Abromeit

Predigt im ökumenischen Gottesdienst anlässlich der Konstituierung des neugewählten Landtags, Jeremia 29, 4-12

Jeremia 29, 4-12:

4 So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels, zu den Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen:
5 Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte;
6 nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet.
7 Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's auch euch wohl.
8 Denn so spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels: Lasst euch durch die Propheten, die bei euch sind, und durch die Wahrsager nicht betrügen, und hört nicht auf die Träume, die sie träumen!
9 Denn sie weissagen euch Lüge in meinem Namen. Ich habe sie nicht gesandt, spricht der HERR.
10 Denn so spricht der HERR: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe.
11 Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe das Ende, des ihr wartet.
12 Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten und ich will euch erhören.

 

Liebe Gemeinde,

ist der demokratische Konsens noch vorhanden? Haben wir unter uns noch so viel gemeinsam, dass damit Staat zu machen ist? Es gibt Analytiker der geistig-kulturellen Situation, die meinen, die Polarisierung in unserer Gesellschaft habe schon Formen angenommen, die mit dem Ende der Weimarer Republik zu vergleichen wären. Das halte ich für übertrieben, aber wer die Berichterstattung über die gestrige Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Dresden verfolgt hat, die Berichte über den Gottesdienst in der Frauenkirche und die Feier in der Semperoper und die Proteste davor und danach, der fragt sich schon, ob beides sich auf das gleiche Land bezieht. Da wird in der Frauenkirche im Gottesdienst für die deutsche Einheit gedankt und draußen wird geschrien, geschimpft und ein ohrenbetäubender Lärm mit Trillerpfeifen verursacht. Der Mediziner Gerhard Ehninger, der auch in der Frauenkirche mitgefeiert hat, fragt auf Twitter: „Wann gab es das zuletzt, dass ein Gottesdienst mit Hass und Trillerpfeifen gestört wurde? Wann wurden zuletzt Gottesdienstbesucher beschimpft und angeschrien? Wann zuletzt wurden dunkelhäutige Gottesdienstbesucher aufs Schlimmste beschimpft und beleidigt?“ Da beschreibt der Bundestagspräsident im Festvortrag die Erfolgsgeschichte, die sich seit der deutschen Wiedervereinigung in Deutschland ereignet hat, während draußen Demonstranten das Ende Deutschlands befürchten.

Ist der demokratische Konsens noch vorhanden? Der Ton hat sich verschärft, Hass ist eingezogen in Demos und soziale Netzwerke. Ausländerfeindliche Straftaten haben zugenommen. Nun konstituiert sich in Mecklenburg-Vorpommern der neu gewählte Landtag. Hier soll nun über den weiteren Weg unseres Bundeslandes beraten und beschlossen werden. Reicht dazu der Grundkonsens, nachdem die NPD rausgewählt wurde, aber die AfD hineingewählt wurde? Kann die Bibel ein Ziel vorgeben für die notwendige, gemeinsame Arbeit des Landtages? Für die Arbeit an Gesetzgebung und Gestaltung in Mecklenburg-Vorpommern?

„Suchet der Stadt Bestes!“ heißt es im eben gelesenen Bibelwort aus dem Buch des Propheten Jeremia (29,7). Das ist so ein toller Slogan, den könnten sich alle Landtagsabgeordneten über die Tür ihres Büros hängen. „Suchet der Stadt Bestes!“ hat die Stadt Greifswald zum Motto der Stadt erklärt. Es wäre auch ein gutes Motto für die Arbeit im Landtag. Schon die frühe griechische Übersetzung des Alten Testamentes erweiterte – durchaus sachgemäß – diesen Satz auf: „Suchet das Beste des Landes!“ Denn auch wenn der Satz zuerst nur für eine Stadt galt (die Stadt Babylon), ist es durchaus im Sinne des Propheten, die Bedeutung auf jeden, von Gott zugewiesenen Lebensort zu erweitern.

Dieses 2500 Jahre alte Bibelwort taugt wahrhaftig als Motto für die Arbeit des Landtages. Es stammt aus der Feder des alttestamentlichen Propheten Jeremia. Wir wollen uns von seinen Worten anleiten lassen, was denn „der Stadt Bestes“ ist und was wir zu bedenken haben, wenn wir für die Stadt, das Land und die Zukunft dieses Beste wollen. Vor mehr als 2600 Jahren waren einige Tausend Juden vom babylonischen König Nebukadnezar ins Exil nach Babylon verschleppt worden. Babylon liegt im heutigen Irak. Für die aus dem Lande Israel kommenden Menschen war das die absolute Fremde. Es war für das Volk Israel nicht nur ein Leben im unbekannten Ausland, sondern auch ein Leben fern von Gott. Falsche Propheten versprachen ihnen die baldige Rückkehr in die Heimat. Es sei doch alles nicht so schlimm. Aber worauf konnte man sich wirklich verlassen? Sie „saßen an den Wassern zu Babel und weinten“ (Psalm137, 1). Da schreibt ihnen der Prophet Jeremia aus Jerusalem einen Brief. Er enthält eine erstaunliche Botschaft. Er fordert die Weggeführten im Namen Gottes auf, ihr Schicksal zu bejahen, sich in der Fremde einzurichten, Familien zu gründen und Häuser zu bauen. Es sind keine Flüchtlinge, es sind aus der Heimat Vertriebene. Sie sollen gemeinsam mit den Einheimischen das Land aufbauen. Integration ist das Ziel. Deswegen sollen sie das Beste suchen für die Stadt, ja sie sollen sogar für ihre Feinde beten.

Der Stadt „Bestes“ ist ihr – um das hebräische Wort zu benutzen – „Schalom“. Das meint die Ausgewogenheit aller Lebensumstände, Wohlergehen, Gesundheit, Glück, ungestörtes Zusammenleben, Frieden und Ruhe. Schalom, Salam, das ist bis heute in Israel und in den arabischen Ländern der alltägliche Gruß. Dahinter steht die Erfahrung: Man erreicht nichts, wenn man polarisiert, beleidigt, verletzt und Menschen beschädigt. Die Gestaltungskraft wächst, je größer das Gemeinsame ist. Das geistige Erbe des verstorbenen Bundespräsidenten Johannes Rau lässt sich in dem Satz zusammenfassen: „Versöhnen statt spalten.“ Er ist heute aktueller als ehedem.

Der Stadt Bestes zu suchen setzt zunächst voraus, sie als den von Gott zugewiesenen Lebensort anzunehmen

Zunächst fühlten sich die verschleppten Juden in Babel überhaupt nicht wohl. Sie hatten den Eindruck, sie waren hier am falschen Platz. Von ihrer Heimat im Lande Israel waren Sie gewohnt, dass Bürgergemeinde und Glaubensgemeinde übereinstimmten. Da konnte man von den gleichen Grundüberzeugungen ausgehen und so die Gesellschaft gestalten. Hier aber tritt zum ersten Mal eine Situation ein, die heute der Normalfall in einer pluralistischen Welt geworden ist: Wir müssen einen Diskurs über die uns tragenden Werte führen und versuchen, möglichst alle, wenigstens viele mitzunehmen. Keiner ist ausgeschlossen, solange der Diskurs zivilisiert geführt wird.

Der Prophet Jeremia schreibt an seine Landsleute in Babel: „Setzt euch für das Gemeinwesen ein. Entdeckt doch das Schöne und Positive. Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides.“ (V. 11.). Wir haben diese Zusage, dass Gott auf seine Weise seinen Leuten Zuversicht gibt. Der Gott, dessen sanfte und geschichtsumwälzende Kraft sowohl damals in Babylon, wie auch 1989 hier in Deutschland in der friedlichen Revolution erfahren wurde, dieser Gott liebt es, Zukunft und Hoffnung zu schenken.

Dabei geht Gott ganz behutsam seine Wege. In der Regel greift er nicht auf übernatürliche Weise ein, sondern er verändert zuerst unsere Einstellung, damit wir diese Welt im Licht des anbrechenden Gottesreiches sehen können. So hat er auch in Jesus Christus gehandelt. Man wartete auf einen Erlöser, auf einen Messias, der die Welt verändern sollte. Gott sollte die Welt durch diesen Retter wie durch ein Wunder umgestalten. Aber dann kam der Messias ganz anders. Er kam nicht herrlich und gewaltig, sondern als ein ganz normaler Mensch. Jesus Christus hat eine neue Gottesbeziehung und eine neue Menschenliebe verkündet und dadurch die Einstellung verändert. Durch diese Einstellungsänderung werden wir fähig, selbst Veränderungen zu bewirken und das Beste für unsere Stadt zu suchen. In Gottes Licht werden wir fähig, durch unser Tun einen Beitrag zum Aufbau des Landes zu leisten: „Häuser zu bauen, Gärten zu pflanzen, Familien zu gründen.“ So werden Gottes Gedanken des Friedens und nicht zerstörerische Gedanken von Rechtsextremen zum Zuge kommen. Gott braucht Menschen, die sich von seiner Wirklichkeit bestimmen lassen, damit er die Wirklichkeit dieser Welt verwandeln kann.

Der Stadt Bestes zu suchen, heißt, für das Wohlergehen der Gemeinschaft zu sorgen

Wir leben in einer Welt des großen Irrtums. Man hatte uns ja einreden wollen, Wirtschaft und Wohlstand funktionieren nur so, dass jeder seinen eigenen Nutzen suche, dann hätten alle das, was sie brauchten. Man nennt diese Wirtschaftsform „Kapitalismus“, „die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, deren treibende Kraft das Gewinnstreben Einzelner ist“ (Fremdwörterduden). Aber das ist zutiefst unchristlich. Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe gehören nämlich mit in das Wirtschaftssystem hinein. Deswegen sollten wir bewusst wieder von einer sozialen Marktwirtschaft reden. Es ist besser, 2 % Rendite und viele Arbeitsplätze zu haben, als 10 % Rendite und wenig Arbeitsplätze. Die Logik ist falsch. Sie lautet nicht: „Wenn es mir wohl geht, dann geht es auch der Stadt wohl.“, sondern umgekehrt: „Wenn es der Stadt wohl geht, dann wird es auch euch wohl gehen“ (V. 9). Christliche Ethik denkt für das Ganze. Wenn es dem Ganzen gut geht, dann wird es auch mir gut gehen.

Darum möchte ich an dieser Stelle einmal die nennen, die genau dies tun und sich um die Nächsten kümmern und für die Stadt, für die Polis, für das Allgemeinwohl einsetzen: in Kindergärten und in Schulen, in sozialen Einrichtungen, in den Bürgerschaften und Rathäusern, bei den Gerichten, in den Kreistagen und hier im Landtag. Es ist eine üble populistische Unterstellung, alle, die ein politisches Amt anstrebten, suchten nur ihr eigenes Wohl. Nein, ich kenne einige, die könnten in ihrem angestammten Beruf durchaus mehr Ansehen gewinnen und vielleicht auch mehr Geld verdienen, aber sie haben sich entschieden, unsere Gesellschaft und unseren Staat mitgestalten zu wollen. Dann sollten sie sich ausrichten an diesem wunderbar einfachen und doch so tiefsinnigen Wort Gottes: „Suchet der Stadt Bestes! Wenn es dem Land gut geht, dann werden alle davon profitieren. Und – darüber können wir im Rückblick auf 26 Jahre deutsche Einheit uns freuen - die Wirtschaft ist in den letzten Jahren nach schweren Zeiten so gewachsen, dass die Menschen in diesem Land es auch spüren. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Die Lebensverhältnisse haben sich verbessert. Trotzdem bleibt noch vieles zu tun. Es gibt Regionen in unserem Land, wo die Menschen sich nicht nur abgehängt fühlen, sondern etliche auch abgehängt sind. Um das in den Blick zu nehmen, gibt uns das Bibelwort die richtige Orientierung zu Beginn einer neuen Legislaturperiode: „Suchet der Stadt Bestes!“ Für alle.

Dazu kommt noch eine andere Dimension: 

Für die Stadt das Beste zu suchen, bedeutet, für sie zu beten

Hier begegnen wir einer neuen, vielleicht einigen unbekannte Dimension. Wir haben als Menschen die unglaubliche Möglichkeit, im Gebet und im Gottesdienst bei Gott für die uns anvertrauten Menschen einzutreten. Mit unseren Kräften allein ist es nicht getan. Gewiss, wir können wahrscheinlich mehr tun, als wir uns selber zutrauen. Wir können viel bewegen, wenn wir uns in Übereinstimmung mit dem Gotteswillen wissen, aber unsere Möglichkeiten kommen doch auch immer wieder an ihr Ende. Gott schenkt uns noch ein weiter gehendes Mittel. Er gibt uns Anschluss an seine ewigen Kräfte. Wir dürfen das, was uns bewegt, in Worte fassen und die Nöte und Sorgen, die uns auf dem Herzen liegen, Gott selbst vortragen.

Hier in diesem Bundesland ist unser gemeinsamer Lebensort, hier ist Heimat. Hierhin hat Gott euch als Abgeordnete und Mitarbeiter des Landes gestellt. Hier sollen wir gemeinsam für dieses Land und füreinander einstehen und beten. Dadurch will Gott uns und unser Miteinander verwandeln. Hier will er uns allen Zukunft und Hoffnung geben, weil ihr nicht euer Wohl, sondern das der Gemeinschaft an die erste Stelle setzt. Ganz in diesem Sinn formuliert unsere Landesverfassung in Artikel 5(2): „Das Land Mecklenburg-Vorpommern ist um des Menschen willen da; es hat die Würde aller in diesem Land lebenden oder sich hier aufhaltenden Menschen zu achten und zu schützen.“ „Suchet der Stadt Bestes!“ In der Ausrichtung auf dieses Ziel wächst der demokratische Grundkonsens.
Amen.

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