1. Januar 2018 | Hauptkirche St. Michaelis

Wasser unser Element

01. Januar 2018 von Kirsten Fehrs

Krippenandacht Neujahr, Predigt zur Jahreslosung – Offb 21,6

„Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle lebendigen Wassers umsonst.“

 

Liebe Neujahrsgemeinde,

wir Küsten- und Hafenmenschen hier im Norden wissen wahrlich etwas von Wasser. Wasser ist unser Element. Elbewasser, Nordseewasser, Hochwasser, Niedrigwasser (gab‘s leider immer, wenn wir in der Nordsee schwimmen wollten)… und überhaupt als Kind: unzählige Sturmfluten mit Wasser gefühlt von überall her, Wasser auf den Weiden, fast immer Wasser von oben und irgendwann auch im Keller unseres tief liegenden Hauses. Kurz: Wasser und meine Kindheit – das ist quasi eins.

Es ist in uns Nordlichtern tief verankert, dass Wasser ein Element mit vielen Seiten ist. Wir kennen die lebensspendende Seite und die Anschmiegsamkeit – was trägt einen schon so wie Wasser? – aber auch, hautnah, wie beängstigend zerstörerisch diese Naturgewalt sein kann.  Und so ist wohl das erste Gefühl zu Wasser „Ehrfurcht“. Aber Durst? „Durst nach lebendigen Wasser“, wie es in der Jahreslosung heißt? Durst – nein, jedenfalls keinen, der nicht immer schnell hätte gestillt werden können.

Dass allein dies ein unerhörter Reichtum heutzutage istweltweit gesehen, aber auch fürs persönliche Leben – wird immer mehr Menschen bewusst. Wasser ist buchstäblich unser Lebenselixier. Zu mehr als der Hälfte in unseren Zellen und Blutbahnen bestehen wir aus Wasser. Ohne Wasser wären wir nicht. Verrückt, wenn man sich vorstellt, dass unsere ja durchaus manchmal stabile Leiblichkeit aus einer so beweglichen Materie besteht…

Und dass die Kostbarkeit des Wassers rasenden Gewinn macht, das ist nun schon fast eine absurde Seite unserer Gesellschaft, in der ganz viele durchweg eine Wasserflasche mit sich herumtragen, als wäre der Durst übermächtig. Unstillbar. Manchmal kommt mir diese Wasserflasche vor wie ein Fetisch – und das lässt man sich auch etwas kosten! Oje, 5 Euro für einen Liter Edelwasser, vielleicht gar aus Hamburgs Wasserleitung…

Gott dagegen spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Umsonst ist für mich heute das wichtigste Wort in der Jahreslosung. Es stört so schön positiv.

Denn „umsonst“ – das heißt: Es ist wirklich ein Geschenk. Ohne Gegenleistung. Versprechungen. Schuldgefühl. Mal ehrlich: Ein solches Geschenk wirklich anzunehmen, ist doch für viele eine verloren gegangene Kunst?! Annehmen, und nicht geben!, zum Beispiel Hilfe, Zuneigung, Lob – gar nicht so leicht für viele.

Doch genau dazu ermutigt die Jahreslosung. Und räumt überhaupt auf mit den Mechanismen, nach denen unser Leben funktioniert. Mechanismen des Marktes allen voran. Denn gratis, umsonst bekommt man, was man braucht. Heißt folglich: Leistung – unnötig. Selbstoptimierung – braucht´s nicht. Das Laufen im alltäglichen Hamsterrad – vergeblich!

Pech übrigens auch für die Gier, die ja vom „Umsonst“ so gar nichts hält. Die es meisterhaft versteht, Menschen gegeneinander aufzubringen. Sie wird ausgetrocknet. Mitsamt all ihrer Unmenschlichkeit. Nicht mehr und immer mehr gibt‘s, sondern umsonst. Nichts Geringeres. Schön, dieses Umsonst!

Das lebendige Wasser gratis, aus Gottes Gnaden – mit dieser Botschaft Jesu, wie sie als Offenbarung mit Achtergewicht in der Bibel steht, ist die Welt nie gut zurecht gekommen. Zu provokativ war dieses Gottvertrauen damals schon in einem Heiligen Land, in dem seit Menschengedenken nur zu klar ist, was Wüstenleben heißt und Wassernot. Was es heißt, wirklich zu dürsten und kraftlos und malade zu werden. Die römischen Machthaber damals spielten mit der existentiellen Angst der Menschen, dass man ihnen buchstäblich das Wasser abgräbt. Furchtbar aktuell, wenn man sieht, dass Wasser nach wie vor die am härtesten umkämpfte Ressource – nicht nur dort! – ist.

Und in mir steigen unwillkürlich die aktuellen Bilder aus Ostafrika auf. Durch die schlimmste Dürre seit 50 Jahren droht über 20 Millionen Menschen der Hungertod. Besonders betroffen sind wie immer die Kinder. Die Helfer beschreiben, wie furchtbar es ist, dass sie Wasser gar nicht mehr aufnehmen können, allenfalls tropfenweise.

Und auf die ganze Welt gesehen haben 10% der Bevölkerung,  850 Millionen (!) Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser. Zu sanitären Anlagen. Zu Hygiene. Alle 20 Sekunden stirbt ein Kind wegen Mangels an sauberem Trinkwasser. Dass die Kriege der Zukunft Kriege um Wasser sein werden – das ist weltweit glasklar.

Wasser ist nicht nur kostbares Lebensmittel, liebe Gemeinde, sondern Menschenrecht. Und so dürsten die Menschen in zahllosen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas eben nicht allein nach dem Wasser des Lebens, sondern nach Gerechtigkeit. Denn es ist nicht gerecht, dass den Klimawandel die bezahlen, die ihn nicht verursacht haben. Und es ist geradezu absurd, wenn ein Nestlekonzern wasserreiches Land in Äthiopien kauft und die Bevölkerung keinen Zugang mehr zu ihren Brunnen hat und stattdessen Nestlewasser aus Plastikflaschen kaufen muss. Es ist nicht gerecht, dass Wasser an den Börsen der Industrienationen zu Spekulationsobjekten geworden sind. Es ist nicht gerecht, dass 80% der Kapitalströme an den 100 ärmsten Ländern vorbei fließen.

Wir tragen hier Verantwortung für dort, liebe Gemeinde. Und ich sage das jetzt nicht, um just am Neujahrsabend dem schlechten Gewissen für das ganze kommende Jahr aufzuhelfen, und uns dann auch noch als Kirche moralisch zu überhöhen. Ausnahmslos alle leben wir in dieser merkwürdigen Spannung zwischen den Tragödien dort und dem Überfluss hier: Und so viele sind sich dessen bewusst, zum Glück!, dass wir unverdient in einem reichen Land und in einer – auch an Wasser – reichen Stadt wohnen. Und so tut unser Land und tun gerade auch die Menschen in dieser Stadt viel. Wir sind noch immer die spendenfreudigste Nation in Europa. Der Entwicklungshilfedienst und ebenso Brot für die Welt arbeiten zudem in großartigen Projekten mit aufopferungsvollen Leuten. Dies einmal deutlich mit Dank zu sagen, gehört mit hierher. Aber zugleich, das kleine Aber – wir dürfen nicht nachlassen darin! Eine Spendenaktion für Ostafrika etwa wie die hier im Michel darf und muss weitergehen und braucht unser Mitgehen und Solidarität.

Umsonst – ist das sicher nicht. Aber es ist eben überhaupt nicht vergeblich. Und unwillkürlich kommen wir selbst ins Spiel. Denn ist das nicht genau unser Durst? Der Durst weniger des Körpers, sondern vielmehr der Seele. Dieses Bedürfnis, ein erfülltes Leben zu leben? Erfüllt mit Sinn. Liebesgeschenken. Musik. Einer Aufgabe, für die es sich lohnt, umsonst zu arbeiten. Es gibt, das ist ja die Erfahrung ganz vieler Ehrenamtlicher auch hier im Michel, einem eine neue innere Aus- und Aufrichtung, wenn man merkt, was man tatsächlich alles geben kann: Zeit, Deutschunterricht, Freundschaft, Trost, einen Rat. Anerkennung auch und Verständnis.

Ich glaube, wir sind eine sehr durstige Gesellschaft. Auch wenn wir manchmal nicht richtig wissen, wonach uns dürstet. Oder so tun, als hätten wir keinen Durst (was ja bekanntlich nicht gesund ist). Aber an Tagen wie diesen, wo das Alte nicht mehr ist und das Neue werden will, spüren wir doch besonders diese Sehnsucht nach dem ganz anderen. Nach der Idee von einer Wirklichkeit, die das Heute in den Horizont von etwas Größerem setzt. Eine Verheißung von Fülle, die jedem Menschen und allen Völkern gilt. Eine Hoffnung, die dich nie aufgibt sondern erfrischt wie Quellwasser die Seele.

Der Seher Johannes, der die Offenbarung ca.100 n. Chr. schrieb, hatte diese Idee, eine großartige Vision von einem Friedensreich. Inmitten einer Zeit, die in ihrer Verunsicherung durchaus vergleichbar ist mit heute. Mit Mächtigen, die im Nahen Osten so wie heute auch in Moskau, Washington, Ankara oder Pjöngjang die Menschen in Atem halten. In diese Machtwillkür und Unterdrückung – damals wie heute ja auch von Christenmenschen – hinein, spricht Johannes: „Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde …Denn das Erste ist vergangen.“ Und die tröstlichen und hoffnungsinnigen Worte, die dann folgen, gehören zu den schönsten der Weltliteratur: „Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein. …Siehe, ich mache alles neu!“

Vielleicht ist diese Andacht an der Krippe heute, liebe Gemeinde, genau so ein neuer Anfang? Für uns alle? So wie ich das in ganz besondere Weise von Herrn Schröder geschenkt bekommen habe, ganz umsonst. Von ihm, der sich eigentlich schon wähnte, am Ende des Lebens angekommen zu sein. Ich bin Herrn Schröder, nennen wir ihn so, Heiligabend im Hospiz begegnet. Ein wunderbares Hospiz! Lauter aufmerksame liebevolle Menschen, die sich darauf verstehen – haupt- oder ehrenamtlich –, dass man dem Leben nicht nur Tage schenkt, sondern den Tagen Leben.

Herr Schröder empfängt mich in seinem besten Anzug. Der sitzt schon recht locker wie die Worte, die aus ihm herausperlen. Charmant, interessiert und unglaublich wach fragt er mich, wie es mir geht. Ich erzähle, was alles heute an Heiligabend zu tun ist, achja. Und ich halte inne und denke: Das ist doch hier verkehrte Welt. Und frage meinerseits: Wie geht es Ihnen? Und er sagt: „Hier ist ein so lebendiger, ja fast heiterer Ort. Seit November bin ich hier und es war wie ein neuer Anfang. Denn, wissen Sie, natürlich sitzt einem der Tod im Nacken. Das weiß man. Nur: hier fühlt man es nicht mehr.“

Und mir wurde seltsam leicht zumute. Worte waren das wie lebendiges Wasser. Diese Dankbarkeit für das neu geschenkte Leben, jeden Tag – sie kam mir vor wie eine Echo-Arie auf das Ja Gottes zu uns Menschen. Einem Gott, der bei uns wohnen will in unseren Hospizzimmern und Hochhäusern und der uns tiefe Hoffnung ins Herz senkt – für alle Zeiten: Denn er wird einst abwischen alle Tränen von unseren Augen – und kein Schmerz wird mehr sein. Denn siehe, er macht alles neu.

Ich wünsche Ihnen ein wirklich neues, gesegnetes Jahr 2018. Erfüllt von Frieden, höher als alle Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

Datum
01.01.2018
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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