24. Dezember 2016 | Dom St. Nikolai zu Greifswald

Weihnachten macht das Dunkel hell

24. Dezember 2016 von Hans-Jürgen Abromeit

Predigt zu Lukas 2,1-20 am Heiligen Abend 2016 anhand des Bildes von Gerrit van Honthorst 'Die Anbetung der Hirten' (1622, Wallraf-Richartz-Museum, Köln)

Liebe Gemeinde,

es ist Nacht, als Gott auf die Erde kommt. Die meisten Kinder werden nachts geboren. Nach einer langen und beschwerlichen Wanderung kommt die Hochschwangere in der Nacht zur Ruhe und darnieder. ln der Bibel wird nur gesagt, dass es Nacht war, als die Engel die Geburt des Heilands verkündet haben. So ist es auch Nacht, als die Hirten Gott begegnen. Das können wir zeichenhaft nehmen. Für Menschen in der Dunkelheit ist Gott gekommen.

Nachts ist vieles unheimlich. Die Dunkelheit macht uns Angst. Was uns tagsüber nicht beunruhigen würde, das lässt in der Nacht unser Herz schneller schlagen: das Knacken und Knistern in der Wohnung, wenn alles ganz dunkel ist. Manche Geräusche, die ich nur in der Nacht vernehme, bereiten Furcht. Was einen Tags völlig ruhig lassen würde, kann einen Nachts in Angst und Schrecken versetzen.

Viele auch unter uns sind gegenwärtig erschrocken. Eine Bekannte schreibt: "Angesichts der Ereignisse in Berlin kann doch von Ruhe und ‚Stiller Nacht‘ keine Rede sein." Es ist Nacht in Deutschland nach dem Attentat in Berlin am 19. Dezember. Gewiss, Experten und Politiker hatten schon längst darauf hingewiesen, dass Deutschland keine Insel der Seligen sein wird, sondern dass der weltweite islamistische Terror auch uns treffen würde. Und nun sind es ein Dutzend Tote und viele Verletzte. Das was passiert ist, ist furchtbar und durch nichts zu entschuldigen. Aber die Dunkelheit scheint noch finsterer zu werden, weil wir darüber erschrocken sind, dass unser Mitgefühl ausgenutzt worden ist. Da sucht einer bei uns um Asyl nach, benutzt acht verschiedene ldentitäten, ist wiederholt straffällig geworden und konnte am Ende nicht abgeschoben werden, weil nicht klar war, aus welchem Land er wirklich kam. Zorn und Wut machen die Nacht noch unheimlicher.

Aber wir wissen natürlich auch, dass dies nicht die einzigen Ursachen der Dunkelheit sind, die uns bedrücken. Auch schon unter uns sieht es oft genug finster aus ohne Asylbewerber und die großen Weltprobleme. Da machen uns die Beziehungen, in denen wir leben, zu schaffen. Der Segen zwischen Eltern und Kindern hängt schief, Geschwister sind zerstritten. Und die beiden, die vor gar nicht so langer Zeit füreinander entflammt und ein Herz und eine Seele waren, sprechen nun kein gutes Wort miteinander. Ja, wenn es im zwischenmenschlichen Bereich häufig schon so schwer ist, wie sollen dann Staaten miteinander auskommen und Völker harmonisch miteinander leben. So hat es auch Europa schwer. Es ist Nacht in uns und um uns.

Auf dem Bild, das Sie mit dem Liederzettel bekommen haben, sehen Sie, wie der Maler Gerrit van Honthorst sich diese Nacht vorgestellt hat. ,Anbetung der Hirten' heißt das Bild, das er 1622 - übrigens in verschiedenen Fassungen - gemalt hat. Ein Bild hängt heute in den Uffizien in Florenz, eins im Wallraf­ Richartz-Museum in Köln und eins hier bei uns in Greifswald im Pommerschen Landesmuseum. Ich habe Ihnen die Fassung aus Köln austeilen lassen. (Sie können sie ja bei Gelegenheit einmal mit der hier in Greifswald vergleichen.) Auch Honthorst hat übrigens in seinem Leben viel Dunkelheit erfahren. Als er diese Bilder malt, tobt der Dreißigjährige Krieg in Europa. Ein Drittel der Bevölkerung Europas wird er niedermetzeln. Die Grausamkeit dieses Krieges war unsäglich und steht den Szenen von Aleppo, die wir gerade gesehen haben, in nichts nach. Leider waren es damals christliche Staaten und Nationen, die sich im 17. Jahrhundert gegenseitig bekämpften. Es ist Nacht um uns und in uns!

Vielleicht malt Honthorst deswegen so viel Dunkelheit. Denn es ist dunkel auf dem Bild, offensichtlich mitten in der Nacht. Hinter den drei Hirten, die links im Bild. zu erkennen sind, und hinter Maria und Josef und dem Ochsen, die die rechte Bildhälfte füllen, ist es finster. Von dem Stall kann man so gut wie nichts erkennen, so dunkel ist es.

Aber das ganze Bild konzentriert sich auf das Kind. Die Hirten sind, man sieht es ihren Gesichtern an, erfreut, begeistert, völlig ausgerichtet auf das Kind in der Mitte. Genau wie sie sind auch Maria und Josef versunken in den Anblick des Kindes. Die Hirten sind begeistert und andächtig zugleich. Einer nimmt ehrfürchtig seinen Hut ab. Ein anderer kniet vor der Krippe und hat seine Hände zum Gebet gefaltet. Der dritte schließlich zeigt mit den Fingern auf das Gotteskind, als ob er sagen wollte: "Da liegt es, von dem der Engel gesprochen hat, da ist es!" Selbst der Ochse, auf dem sich Josef abstützt, will schauen, woher denn dieses wunderbare Licht herkommt.

Der Maler hat im Kontrast zur umgebenden Dunkelheit das Licht, das vom Kinde ausgeht, so hell gemacht, dass es in die Augen sticht. Dieses Licht spiegelt sich auch auf den Gesichtern der Eltern, der Hirten und sogar des Ochsen wider. Wir werden als Betrachter regelrecht in dieses Bild hineingezogen. Das Bild öffnet sich uns und wir sehen das Kind, das in dieser mit Stroh befüllten Krippe auf einem durch das Kind blendend weiß gewordenen Tuch liegt.

Und wir merken, wie Maria und Josef als Eltern es wohl gemerkt haben: Dieses Kind ist kein normales Baby. Natürlich haben Eltern und natürlich hatten auch Maria und Josef ihre eigenen Wünsche, was aus dem Jungen werden sollte. Welchen Weg wird der Sohn gehen? Väter haben immer Vorstellungen, was ihre Söhne tun sollten. Werde ich noch erleben, wie er groß wird, werde ich ihm eine gute Ausstattung für sein Leben mitgeben?

Was denkt wohl Maria? Ihr Gesicht zeigt, dass sie offensichtlich noch sehr jung ist. Ich weiß nicht, ob es Honthorst gewusst hat, dass in der Regel in Palästina zur Zeit Jesu die Frauen sehr jung, fast noch als Kinder, geheiratet haben und selbst Kinder bekamen. ln ihrem Blick scheint auch etwas Sorge zu liegen. "Reicht es, was ich für ihn tun kann? Kann ich ihm alles geben, was er braucht, Muttermilch, Liebe, Unterstützung?" Die Hirten sind in diesen Stall gegangen, weil der Engel ihnen mitgeteilt hatte, dass in dieser Nacht in Bethlehem der Messias, der Retter Israels und der Herr der Welt, geboren worden ist. Jahrhundertelang hatte Israel auf diesen verheißenen Messias gewartet. Israel war ein kleines und unterdrücktes Volk. Immer wieder hatte es in der Auseinandersetzung mit seinen _Nachbarn den Kürzeren gezogen. Die Großmächte Babylon, Ägypten, die Griechen und schließlich die Römer waren über es hinweggezogen und hatten es zu einem besetzten Land gemacht. Durfte Israel noch einmal frei sein? Darum freuen sich die Hirten auf dem Bilde so, weil sie in diesem kleinen Kind den Anfang einer großen Freiheit sehen, die Gott schenkt. Nur noch Gott verantwortlich sein und ansonsten sein eigener Herr sein dürfen. Das war die Erwartung Israels. Die Hirten wissen: Dieses Kind in der Krippe wird einmal der Herr der Welt sein. Durch dieses Kind wird sich die Welt verändern. So sagt sich der Hirte ganz links im Bild: "Hut ab! Habe die Ehre, du Kind Gottes." Mag es in uns und um uns auch finster sein, das Kind und das Licht, das von ihm ausgeht, machen diese Welt hell. Selbst die Hirten, Maria und Josef, vielleicht der Ochse, sie vergessen für einen Moment, dass die Welt da draußen immer noch finster ist. Das Licht, das von dem Kind ausgeht, verändert   alles. Ja, es macht sogar möglich, dass die Gesichter derer, die vom Jesuskind beleuchtet werden, den Glanz widerspiegeln, der von Jesus ausgeht.

Alle drei Bilder Honthorsts, die die Anbetung der Hirten malen, haben dieses leuchtende Jesuskind im Zentrum. Damit sagt uns der Maler: Von der Krippe, vom Kind, geht ein Glanz aus. Dieser Glanz lässt auch alles andere in einem neuen Licht erscheinen. Im Schein dieses Glanzes spiegeln wir das Licht wider. Die Nacht verschwindet, je näher wir diesem Kind kommen. Die Nacht in uns und um uns weicht, wenn das Kind da ist.

So bekomme ich dieser Tage ganz unterschiedliche Grüße zum Weihnachtsfest. Einen, der sehr sorgenvoll in die Zukunft schaut, habe ich Ihnen vorgelesen. Ja, es steht so viel Unberechenbares vor unserer Tür. Wir wissen nicht, wie sich alles weiter entwickelt. Eine Andere schreibt: "Wir sagen Danke für das tolle Jahr!". Offensichtlich kann man die gleiche Wirklichkeit sehr unterschiedlich aufnehmen. Von welcher Wirklichkeit lassen wir uns bestimmen? Von der Nacht in uns und um uns oder von dem hellen Licht, das in Jesus Christus jetzt schon da ist, aber erst anfängt seine Wirkung zu entfalten, wenn wir diesen Glanz in unserem Leben und in unserer Welt widerspiegeln? Weil die Macht der Liebe da ist, weil durch Jesus Christus, den Sohn Gottes, die Menschenfreundlichkeit Gottes sich in dieser Welt eingenistet hat, deswegen muss keiner von uns verzweifelt sein. Selbst in die festgefahrensten Beziehungen kann, wenn wir etwas von der Liebe Gottes und von dem Licht des Christuskindes in unserem Leben widerspiegeln, noch Bewegung kommen. Dem Terror in unserem Lande und in der Welt werden wir ohne Panik, aber mit beherzten Taten eine Grenze setzen. Dabei werden wir nicht vergessen, von wem das Licht kommt.

Jesus hat Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Wahrheit unserer Kultur zu Grunde gelegt. Wir werden gut daran tun, wenn wir in seiner Spur daran festhalten, in Europa auf dieser Basis gemeinsam nach Lösungen aus der Bedrohung zu suchen. ln Jesus, dem Christuskind, finden wir so viel Orientierung, dass wir keine fertigen Lösungen, aber Klarheit für den nächsten Schritt finden. Das gilt gewiss im Großen wie im Kleinen. Weihnachten mit seinen vielen Lichtern und Kerzen erinnert uns an diese Grundlage für unser Leben. Ja, Weihnachten ist Gefühl. Aber Weihnachten ist mehr. Weihnachten legt die Grundlage unserer Kultur. Wir können uns freuen an dem Glanz des Christkindes. Aber wenn wir uns seinem Glanz aussetzen, dann werden wir etwas von der bei ihm gesehenen Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Wahrheit in unserem Leben widerspiegeln. Liebe Gemeinde, in diesem Sinn brauchen wir mehr Weihnachten. Wir brauchen diese Zeit der geistlichen Inspiration. Mehr Weihnachten heißt mehr Menschlichkeit in dieser Welt. Auch mehr Freude und Hoffnung. Weihnachten macht das Leben lebenswert - auch und gerade in diesen Tagen. Nichts und niemand kann uns diese urchristliche Botschaft der Liebe Gottes zu allen seinen Geschöpfen aus dem Herzen reißen.
Amen.

 


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