„Wir können doch nicht nur die Toten zählen”
10. Oktober 2013
Mit einer Schweigeminute für die vor Lampedusa ertrunkenen afrikanischen Flüchtlinge begann beim Filmfest Hamburg die Filmpremiere „Lampedusa auf St. Pauli”. Der Hamburger Filmemacher Rasmus Gerlach stellte hier seine jüngste Arbeit vor: Es geht um den Alltag der Flüchtlinge, die Arbeit der Kiezpastoren Sieghard Wilm und Martin Paulekun und die Unterstützung der zahlreichen Ehrenamtlichen aus der Gemeinde und der Nachbarschaft. Nachbar der St. Pauli Kirche ist auch Filmemacher Gerlach. Seit die Afrikaner im Juni zum Schlafen in die Kirche kamen, begleitet er sie mit seiner Kamera.
"Die Geschichte der Flüchtlinge hat mich einfach berührt", so der 50-Jährige. Für seine Dokumentation "Apple Stories" war Gerlach vor kurzem nach Afrika gereist. "Ich habe die Lebensbedingungen vor Ort, die Menschen dazu bewegen, sich auf das Mittelmeer zu begeben, gesehen", so Gerlach.
"Wir können doch nicht nur die Toten zählen und den Überlebenden nichts geben", sagte Pastor Wilm in der Diskussionsrunde anlässlich der Filmpremiere. Kritik äußerte er an der politischen Situation in der Stadt: "Ich fühle Ohnmacht und Wut. Ist das noch Sozialdemokratie? So ein kaltes Gesicht das uns da entgegenscheint, fröstelt mich", so der Pastor weiter.
„Es geht nicht, Schicksale von Menschen auf Schreibtischen hin und her zu schieben”
Kazim Abaci, Sprecher für Integration der SPD in Altona, der ebenfalls ins Kino gekommen war, entgegnete: "Wir leben in einem Rechtsstaat. Die Menschen sollen sagen, wer sie sind und woher sie kommen". Einzelfallprüfungen seien ein Muß bei den Lampedusa-Flüchtlingen, es gelte Bundes- und Europarecht. "Vielleicht kann Hamburg ja das erste Bundesland sein, das voran geht. Uns bleibt die tägliche Arbeit und Sorge um die Flüchtlinge. Es geht nicht, Schicksale von Menschen auf Schreibtischen hin und her zu schieben", so Pastor Wilms Bitte an die Politik.
Flüchtlinge brauchen einen geeigneten Ort für den Winter
Filmemacher Gerlach hat während seiner Dreharbeiten viele Freundschaften geschlossen, mit Flüchtlingen und Ehrenamtlichen: "'Lampedusa auf St. Pauli' ist ein Film, den ich selber gerne gemacht habe. Ich habe den Sommer genossen, ich habe die Freundschaften genossen".
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Doch jetzt werden die Tage kürzer, die Nächte kälter - nicht nur Gerlach wünscht sich für die Flüchtlinge einen geeigneten Ort für den Winter, der im Gegensatz zur Kirche beheizbar ist. "Und auch eine Arbeitsgenehmigung. Bisher sind sie zur vollkommenen Untätigkeit verdammt".
Das Schicksal der Menschen geht ihm nahe, dennoch sieht er es auch professionell: "Als Dokumentarfilmer braucht man starke Nerven", so Gerlach, der seit 26 Jahren freiberuflich im Geschäft ist.
Wer sind diese Männer? - Gerlach fragt nicht nach Papieren, sondern nach Menschen
Für sein Projekt will er jetzt auch die Verantwortlichen der Stadt zur Rede stellen und den Fokus verstärkt auf die Kultur und Herkunft der Flüchtlinge legen. "Ich will zeigen, wer diese Männer eigentlich sind. Auch wenn ihre Schicksale alle sehr verschieden sind. Einzelne Biografien zu zeigen - dadurch kann man filmisch einem Menschen nahe sein", weiß der St. Paulianer. Bezahlt wird Gerlach für seine Arbeit nicht, und obwohl sein Film jetzt Premiere gefeiert hat, ist er noch lange nicht zu Ende. "Ich werde so lange dabei bleiben, bis das Schicksal der Flüchtlinge geklärt ist. So lange gehen mein Film und die Geschichte weiter".
Kinofilm "Lampedusa auf St. Pauli"
Dienstag, 26. November | 20 Uhr
Lichtmeß-Kino in Hamburg-Altona, Gaußstraße 25 und
Freitag, 13. Dezember | 21 Uhr
Zinnschmelze in Barmbek, Maurienstr. 19