15. November 2017 | Erlöserkirche Bad Godesberg

Zukunft auf gutem Grund

15. November 2017 von Kirsten Fehrs

Gottesdienst zum Abschluss der 4. Tagung der 12. Synode der EKD, Predigt zu Matthäus 7, 23-27

Predigttext Matthäus 7, 23-27

Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein, denn es war auf Fels gegründet.
Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun der Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.
Und es begab sich, als Jesus diese Rede vollendet hatte, dass sich das Volk entsetzte über seine Lehre, denn er lehrte sie mit Vollmacht und nicht wie ihre Schriftgelehrten. 

Zukunft auf gutem Grund - folgen wir dem Gleichnis am Ende der Bergpredigt, das wir vorhin gehört haben, liebe Schwestern und Brüder, ist dieser Grund eindeutig: Fels ist‘s. Wohlgemerkt, nicht der eine Fels, von dem schon in Grußworten die Rede war, sondern die stabile, unverrückbare, krisenbeständige Gottespräsenz, die meinem Lebenshaus und unserem Weltenhaus Grund gibt und Ziel.
„Das muss ich frei bekennen.“ Amen  -

So könnte ich es kurz machen und ab zum Donnerschwäh…
Zumal meine Predigt, die ich vergangenen Mittwoch im Gepäck hatte, im Laufe unserer gemeinsamen Tage immer reformbedürftiger wurde. Nicht, dass sie nicht auch den einen oder anderen richtigen Gedanken enthalten hätte, doch sie kam mir so entfernt vor – entfernt von dem aktuellen Erleben und von Euch. Mag sein, es lag daran, dass meine Gepäckpredigt in einem anderen Raum geschrieben war – mit anderem Tisch und Stuhl und mit deutlich weniger belebtem Teppich, vor allem aber nicht umgeben von dieser Fülle von Gedanken und Gefühlen, Bekenntnissen und Sympathien und von diesem mich in der Ehrlichkeit bewegenden Ringen um... ja was? Die Zukunft unserer Kirche nach einem erfolgreichen Reformationsjubiläum? Um die Wahrheit – von Zahlen, Wertungen, Werten? Oder geht es nicht eher viel tiefer um die Wahrheit des Glaubens inmitten einer Welt mit lauter Echobestätigung? Eine Wahrheit auf gutem, weil tieferen Grund?

Darum, wer diese meine Rede hört... So beginnt die Antwort heute. Hören, nicht senden. Nicht immer von sich geben, sondern aufhorchen. Auch auf sich selbst. Und ganz persönlich die Frage hineinnehmen: Wo findest du deinen Grund, für den du lebst? Worauf baust du? Wer ist dein Fels? Was leitet dich, Frau, Mann? Jesus fragt nach dem, was uns trägt, aber auch was uns treibt.

Denn wir mäandern ja inmitten unzähliger Dynamiken, gerade auf einer Synode, (erstaunlich eigentlich bei diesem ganzen Gesitze). Und wir erleben dabei, dass wir so komplett positiv überrascht werden können von einem guten Gedanken, selbst wenn er nicht von uns selbst kommt. Dass wir berührt werden von so schöner Musik wie eben, danke dafür, lieber Chor der Erlöserkirche!

Und auch dies (kleiner spontaner Exkurs): Dieser dichte Moment, als eben Klaus Eberl seinen Abschied bekannt gegeben hat – der ganze Raum voller, ehrlicher Zuneigung! Rührung auch und Achtung. Wir danken dir, lieber Klaus, für alles, was du unserer Kirche geschenkt hast – in deiner dir eigenen souveränen, kompetenten und unbeirrbar zugewandten Art! Bleib behütet, das wünschen wir dir von Herzen. Segen sei mit dir in Deinem Leben – mit den neuen Grenzen, aber ganz gewiss auch neuen Möglichkeiten! 
Was trägt und treibt uns inmitten der Dynamiken? Wenn uns von einem Moment auf den anderen etwas von den Beinen holt. Krankheit und Schwäche, Hinfallen, Müdigkeit. Getrennte Liebe. Schneller Tod. Gotteserschütterungen, wie sie in uns Spuren hinterlassen. Bilder auch, wie das des toten Flüchtlingsjungen am Strand. Rasende Lastwagen in feiernde Menschengruppen – was für ein Fundamentalirrsinn.

 „Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.“  Unser Predigttext trifft Stimmungen. Auch in der Großwetterlage: Hurrikans in Übersee und Sturmwind hierzulande. Steigende Meeresspiegel, die, wenn wir nicht endlich gegensteuern, Inseln, Häuser und Bewohner in vielen Küstenregionen unserer Erde wegspülen werden. Das Jahr 2017 wird – so die Weltklimakonferenz nebenan – das Jahr mit den weltweit größten Schäden durch Extremwetter werden, die jemals registriert wurden. Irgendwann fällt das Haus unserer Sicherheiten ein, warnen sie, und sein Fall wird groß sein.

Und auch sonst weht uns der Wind schneidend ins Gesicht, in einer Welt, deren alte Gewissheiten unterspült werden von den vielen Strömungen des Nationalismus und Populismus. Ein Klimawandel ganz anderer Art, und gar nicht weniger gefährlich.
Und? Zukunft auf gutem Grund?
Doch zu vermessen, dieses Thema? Oder unermesslich verrückt - vor Hoffnung? Liebe? Echte Begeisterung?

Wenn ihr doch nur meine Rede hören würdet...diese klaren, mutigen Worte der Seligkeit.
Über alle Zeiten hin hat man diese Worte Jesu auf dem Berg belacht, verhöhnt, verfremdet, entschärft. Vergessen aber hat man sie nie.
Denn sie sind wie bleibende Wahrheit.
Sie sind ein Fels im Orkan der Seele und in den Aufbrandungen der Welt.
Sie sind der Sand im Getriebe der Zerstörung.
Sie geben Trost und sagen: Gott ist der Stern, der deine Nacht durchbricht.
Gott ist der Himmel, der dich am Ende in die Arme schließt.
Gott ist die Sonne, die jeden Tag neu über deinem Zorn aufgeht, dass Du wieder gnädiger bist mit dir selbst.
Wer auf Gott traut, hat nicht auf Sand gebaut.
Er ist der Grund.
Das hat Menschen immer schon bewegt. Aufgerüttelt aus Erstarrungen. Weil unterhalb des Gesprochenen ein tragendes Fundament den Tiefgang erlaubt. Ungewohnt heutzutage. Und also oft verschüttet, dieses „eigentlich Tragende“, und unsichtbar.

Wir haben versucht, liebe Geschwister, dieses Fundament im Reformationsjubiläum auszugraben, neu auszumessen. Eine zehnjährige Baustelle mit Themenjahren, Martinstagen, ganz besonderen Gottesdiensten, Pop-Oratorien, Taizé-Nächten, mit Symposien, Ausstellungen, Denkschriften, Büchern – ach je, womöglich alles wieder mal ein wenig zu gründlich, so wie immer, wenn Protestanten am Werk sind und Dingen auf den Grund gehen.

So war es schon 1817, als der „Scout“ Johann Wolfgang von Goethe über das Reformationsjubiläum grantelte: „Pfaffen und Schulleute quälen unendlich, die Reformation soll durch hunderterley Schriften verherrlicht werden... Aber unter uns gesagt, ist an der ganzen Sache nichts interessant, als Luthers Charakter und es ist auch das einzige, was der Menge eigentlich imponirt. Alles übrige ist ein verworrener Quark.“

Er würde sich prima machen im heutigen Feuilleton, der alte Geheimrat. Verworrener Quark, also bitte. Da haben wir ja jede Menge gegenzuhalten, der Sonntagabend hat‘s gezeigt. Und dennoch, ganz so unrecht hat er nicht. Luther regt an und auf – samt seiner Intoleranz, die nicht zu tolerieren ist. Gut, dass wir uns hier so klar positioniert haben! Dieser Martin Luther stellt sich einem in den Weg, dass man sich an ihm reibt, stört, abarbeitet – und, ja selbst erkennt.

Selbst-erkenntnis. Heißt ja auch Selbstkritik – und die macht bekanntlich nicht dümmer. Unsere Scouts haben also Luthers alte Frage in diesem Sinne neu aufgerufen: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ Was haben wir nicht alles über diese arme Gnade gepredigt, vorgetragen und geredet – und uns vielleicht tatsächlich samt unserer Sprache erschöpft!? Und ich höre noch einmal neu. Auf ein anderes Wort. Drei Buchstaben: Ich. Wo bin ICH in diesem Weltenspiel? Mit meinem Glück und Unglück. Wie bekomme ICH einen gnädigen Gott?

Luther schreibt es 1522 so: „Wenn ich die Geschichte von Christus hörte, aber nicht glaubte, dass es für mich geschehen ist, dass er geboren ist, gelitten hat, gestorben ist, dann wäre mir’s nichts nütze.“ Für mich – ist er der Erlöser. Weil er mit seinem auch meinen Schmerz kennt, meine Angst. Er- löst die Not – für mich.
Für mich ist das fassbar geworden bei einem skurrilen Erlebnis, das mir Pastor Martin Paulekun aus (und auf!)  St. Pauli erzählte. Mit dieser kleinen Kirche, die einst die Lampedusas aufnahm und wo wirklich die Mühseligen und Beladenen ein- und ausgehen. Mit einem eindrucksvollen Kruzifix mit Corpus Christi. Nach dem Gottesdienst kommt ein Mann auf Bruder Martin zu und hat vier Nägel in der Hand. Man sieht sofort: Dem geht es nicht gut. Und der Mann sagt: Ich will ans Kreuz, Herr Pastor. Irritiert und intuitiv zeigt Martin nach oben:  „Weißt du...- da hängt schon einer.“

Oh, sagt der Mann. Deutlich erleichtert. Und dann ist er wieder gegangen. Einfach so. Erlöst, befreit – wenn auch bestimmt noch nicht vergnügt.

Dass ICH gemeint bin - diese Entdeckung  des Ich ist der Grundimpuls zur Veränderung. Zu erkennen: ich bin Subjekt, nicht mehr als Objekt. ICH bin so frei -  selber zu denken. Selber zu handeln. Zu würdigen. Zu lieben. Mauern einzureißen. Alles, was eng macht. Die Entdeckung des Ich ist die Energie! der Reformation.
Sollte sie doch damals auch auf ihren eigentlichen Grund kommen, die Kirche, die auf Sand gebaut war. Mit all den blutleeren, schwer verständlichen Formeln, einer starren Institution mit Regelsystemen. (Kommt Euch bekannt vor?) Was haben die mit MIR zu tun? Wie soll dies meine Trauer erreichen, meine ganz persönlichen Ängste verstehen? Meine Sehnsucht nach Zugehörigkeit stillen. Luthers Frage nach dem gnädigen Gott kommt allerorten entgegen: Die Jugendlichen: Wie werde ich glücklich? Sag, wie bleibt sie, die erste Liebe?  Arbeit, Arbeit, Arbeit?! Oder dies: Warum versteht ihr nicht, dass Gott für mich nicht existiert? Oder: Wer gibt mir Heimat in diesem Land, mit meiner Familie? fragt der junge Geflüchtete. Was geschieht mit mir, sag, wenn es so weit ist?! fragt die Sterbende. „Wo soll ich heute bleiben?“, rüttelt der Obdachlose mich auf. „Zukunft, wo die Welt so hoffnungslos zerstritten ist?!“ –

Es sind dies die Fragen der Christen und Nichtchristen unserer Zeit, gemeinsam in einer säkularen Welt. Es ist eben – der Montag war so erhellend! – eine der falschen Alternativen zwischen Innen und Außen, in das wir als Kirche zu gehen hätten, draußen, sogar aus dem Maritim heraus!, um dort unsere Sprache zur Übersetzung anzubieten, wem auch immer. Vielmehr sind doch auch wir, hier „Innen“, oft genauso säkular, und die „außen“ sind wie jede und jeder Ebenbild Gottes, mag sein, sogar religiös auf der Suche. Und das heißt: es ist eine gemeinsame, solidarische Frage nach Gnade in einer ungnädigen Welt.

„Ich stehe hier…“ und möcht‘ es anders! Luther mit seiner großen – auch leiblichen – IchStärke ist bis heute vielleicht  deshalb so faszinierend, weil er wie ein Fels deutlich erkennbar sein will als einzelner Mensch, der der Institution mit großer Distanz gegenüber steht. Sehr modern ist das. Denn ob in Kirche oder Parteien, in Gewerkschaften, Handelskammern, klassischen Medien, et cetera pp.: Nichts ist mehr selbstverständlich. Die Kluft zum Wähler, zur Zuschauerin, zum Mitglied - sie wird immer größer. Die Institution hat wohlmeinendste Absichten, aber sie erreicht die Menschen nicht mehr alle.

Doch wir brauchen Institutionen, liebe Geschwister, wenn nicht das Recht des Stärkeren herrschen soll. Zwischen Gott und Mensch braucht es außer Christus keinen Mittler, aber sehr wohl zwischen Mensch und Mensch. Luther wusste um die Gefahr des entfesselten Ich, das zu einem riesigen Ego zu werden droht. Selbst in seinen wüstesten Polemiken hat er deshalb niemals die Abschaffung der Kirche gefordert. Eben Reformation – nicht Revolution, aus gutem Grund.

So könnten wir doch den Reformationstag auch zukünftig dazu nutzen, um uns nicht allein als Kirche, sondern auch in allen anderen Institutionen gemeinsam zu fragen: Wie müssen wir uns verändern, um den Menschen nahe zu bleiben? Ein Reformationstag – gern auch als Feiertag, wie er im Norden von immer mehr Menschen aus Politik und Zivilgesellschaft gefordert wird – nicht zur konfessionellen Abgrenzung, sondern als Selbstbesinnung auf unser Fundament. Mit einem Ziel und Grund: Ein starkes Ich für ein neues Wir. In diesem Land. In Europa. Unserer Kirche, weltwärts natürlich, ausgerichtet auf den Einen: Christus.

Ein starkes Ich, das zum neuen Wir will – das ist mir in dieser Synode so vielfältig und klug begegnet. Lauter feine, attraktive Ichs, ernsthaft, gelassen, umfassend, erfreut, aufmerksam, (weg-)lächelnd, selbstkritisch, ernüchtert, detailgenau, streitbar, xenophil, kurz: predigtverändernd! Es war mir herzhaftes Vergnügen, liebe Geschwister.

So lässt es sich gehen. In die Zukunft. Wir selbst – erlöst. Befreit. Vergnügt. Und mit einem tiefen inneren Frieden. Höher als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

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