Ein neues Flüchtlingsheim sorgt in der vorpommerschen Kleinstadt für Diskussionen

Die zwei Gesichter von Wolgast

Der Hafen von Wolgast.
Der Hafen von Wolgast.© wikipedia, Dennis Myts

05. Oktober 2012 von Simone Viere

Wolgast. Nach einem TV-Bericht über drohende Gewalt gegen Asylbewerber in Wolgast, sorgt sich die Stadt um ihr Image. Während die Politik wegen Fehler der Vergangenheit auf Tauchstation geht, knüpfen Bewohner und Flüchtlinge erste Kontakte.

"Na Benji, hast du die Ausländer endlich akzeptiert?" ruft eine blonde Frau mit Kinderwagen einem Mann entgegen, der mit seinem Hund den Weg hinunter schlendert. Die Szene vor dem Wolgaster Asylbewerberheim könnte Integrationsbeauftragten Freudentränen in die Augen treiben. Ein paar Ghanaer spielen mit Wolgaster Jungs Fußball, andere sitzen auf der Bank. Man hört Schulenglisch, die Afrikaner probieren ihre ersten deutschen Worte. Zwei Mädchen aus Russland üben Fahrradfahren zwischen den Wohnblocks.

Erinnerungen an Rostock-Lichtenhagen

Seit einigen Wochen hat der Mann namens Benji in Wolgast unfreiwillig Berühmtheit erlangt. Mitte September strahlte die ARD einen Beitrag über Wolgast Nord aus, ein Plattenbauviertel, in dem vor kurzem ein Asylbewerberheim entstand. Die Fernsehbilder zeigten fast ein Klischee: Heruntergekommene Häuser, davor übergewichtige Menschen in Jogginghosen, Bierflaschen, Armut. Und die Reporter legten den Finger dahin, wo es weh tut: Sie filmten Fremdenfeindlichkeit, Wut und Gewaltpotential. In dem Beitrag befürworten Bewohner des Viertels sogar offen einen Brandanschlag gegen das Heim. Schnell wurden Erinnerungen an Rostock-Lichtenhagen wach, wo vor 20 Jahren wie auch andernorts ein Asylbewerberheim lichterloh in Flammen stand.

Die TV-Reporter hatten die Einrichtung der Flüchtlingsunterkunft begleitet. Sie sprachen mit dem Bürgermeister und Verantwortlichen aus dem Landkreis, mit Nachbarn und Menschen aus dem Viertel. Auch Benji war darunter. Er äußerte sich kaum, das Reden überließ er seiner Frau. "Die Kanacken" sollten dorthin zurückgehen, wo sie hergekommen sind, sagte sie.

Die Geschichte hat viel Staub aufgewirbelt. In einer Stellungnahme bezeichnet der  parteilose Bürgermeister Stefan Weigler den Beitrag als einseitige, verzerrte, wirklichkeitsfremde, falsche, verletzende und beschämende Darstellung . Der Greifswalder evangelische Bischof Hans-Jürgen Abromeit findet die Darstellung zumindest "tendenziös".

Solidaritätsinitiative mit prominenten Unterstützern

Ein offener Brief einer Solidaritätsinitiative hat derweil prominente Unterstützer gefunden. Neben Claudia Roth und Renate Künast stehen grüne und linke Landespolitiker aus Schwerin, Flüchtlingsräte, Vereine, und Verbände aus ganz Norddeutschland auf der Liste der Erstunterzeichner.

Die Stadtverwaltung und der Landkreis Vorpommern-Greifswald lehnten dazu auch auf Nachfrage eine Reaktion ab. Dabei gäbe es durchaus Gründe sich zu äußern. Die Behörden glänzten bei der Einrichtung des Heims nicht gerade mit Sensibilität. Um den Flüchtlingen einen kompletten Block zur Verfügung zu stellen, siedelte man bisherige Bewohner einfach um.

Die Verantwortlichen fragten zudem weder den Schweriner Flüchtlingsrat noch andere Beratungsstellen im Land um Unterstützung. "In anderen Landkreisen werden wir in die Sozialausschüsse eingeladen und können unsere Erfahrungen einbringen", so die Sprecherin des Flüchtlingsrats Ulrike Seemann-Katz. Auch Informationsveranstaltungen für die zukünftigen Nachbarn, öffentliche Besichtigungen der Gemeinschaftsunterkünfte und die frühzeitige Einbindung von Kirchen und Vereinen vor Ort hätten Unmut und Hass in Wolgast abfedern können. "Der Prozess war nicht transparent genug."

Mit Transparenz ist es im Pasewalker Landratsamt noch immer nicht weit her. Journalisten werden im Asylbewerberheim nicht mehr geduldet, das sei leider die Konsequenz aus "Anfragen und Vorhaben der abenteuerlichsten Art", begründet die Behörde ihr Vorgehen.

Erntedankgottesdienst mit Asylbewerbern

Dabei hat gerade der Beitrag des ARD-Magazins "Panorama" einiges bewegt. Anwohner wollen die Anschuldigungen nicht auf sich sitzen lassen und bringen den Flüchtlingen Äpfel aus ihren Gärten. Die Wolgaster Kirchengemeinde plant am Sonntag ihren Erntedankgottesdienst zusammen mit einigen Asylbewerbern. Die Polizei patrouilliert derweil nachts halbstündlich vor dem Heim. Und der 33-jährige Frederik Norley aus Ghana berichtet von einem Freund, dem Gewalt angedroht wurde, bis sich ein anderer Wolgaster schützend vor ihn stellte.

Auf der Grünanlage vor dem Asylbewerberheim nähert sich der Mann namens Benji langsam der gemischten Gruppe. "Das sind alles ganz normale Männer und Frauen", ruft ihm die blonde Frau mit dem Kinderwagen ihm zu. Er bleibt neben zwei Ghanaern stehen. Eines der russischen Mädchen auf dem Fahrrad bückt sich, um seinen Hund zu streicheln. In diesem Moment scheint Rostock-Lichtenhagen Lichtjahre entfernt zu sein.

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