4. April 2012 - Trauergottesdienst für Paul Arthur Heinz Wunderlich
04. April 2012
Professor an der Hochschule für Musik, Kirchenmusikdirektor * 25.04.1919 Leipzig + 10.03.2012 Großhansdorf
Gnade sei mit uns von Gott, unserem Schöpfer,
Friede sei um uns von Jesus Christus, dem Erlöser,
Liebe und Trost seien spürbar in uns, kraft des Heiligen Geistes.
Amen
Liebe Trauergemeinde!
Paul Arthur Heinz Wunderlich ist tot. Geliebter Vater und Großvater, verehrter Musiker, bewunderter Lehrer, liebenswerter Mensch, Freund, uns Zugeneigter. Im gesegneten Alter von 92 Jahren ist er gestorben. So sind wir heute, am Mittwoch der stillen Woche hier an dem Ort seines jahrzehntelangen Wirkens in der Hauptkirche St Jacobi zusammen.
Sie, die Töchter und nächsten Familienangehörigen.
Sie, die Chor-Verbundenen von nah und fern.
Sie, die Schülerinnen und Schüler der Orgelkunst.
Sie die, Freundinnen und Freunde, Kollegen, Nachbarn und natürlich wir als Gemeinde an St Jacobi.
Große Gottesgnade leuchtet in dem langen Lebensweg von Heinz Wunderlich auf. Von der Musica Sacra war er geprägt und durchdrungen – und von einer unerschütterlichen Liebenswürdigkeit. Sein Leben war reich und voller Noten. Etliches daraus möchten wir in dieser Trauerfeier würdigen, ein Zusammenspiel von Wort und viel Musik. Ein Lebenskonzert zum Abschied eines großartigen Menschen und begnadeten Musikers.
Über allem steht, was Sie, liebe Töchter, über die Traueranzeige gesetzt und was wir eben gesungen haben:
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
Und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Ein Trostwort von Dietrich Bonhoeffer aus schwerer Zeit. Von guten Mächten - Heinz Wunderlich wusste sich auf anrührende Weise von Engeln bewahrt und behütet in schwerster Zeit, ja heraus gerettet vom gnädigen Gott aus dem Tod ins Leben. Es ist wie eine Lebensüberschrift. Unter dieser Überschrift nun halten wir inne. Denken zurück an gemeinsam Erlebtes. Bedenken wir Gutes und Schweres, Sinn und Segen seines, aber auch unseres Lebens. Und wir suchen Trost im Evangelium des christlichen Glaubens, dass Gott uns die Fülle des Lebens schenkt. Klangfülle auch, die unsere Traurigkeit aufnimmt und geborgen sein lässt.
Nach dieser Trauerfeier, liebe Gemeinde, wird Gelegenheit zum Beisammensein im Südschiff sein. Es wäre schön, wenn Sie noch bleiben und wir gemeinsam die Trauer teilen und Erinnerung.
Wir halten inne – und halten deshalb einen Moment still. Denn ohne Pause kein Rhythmus, ohne Stille kein Nachklang eines Lebens.
„Wenn sich die Stille nun tief um uns weitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet:
All deiner Kinder hohen Lobgesang.“ (Bonhoeffer)
Stille – Kerze wird entzündet
Predigt zu Psalm 139
Liebe Töchter und Familienangehörige,
liebe Musikschaffende, Freundinnen und Musikfreunde, liebe Trauergemeinde!
Die Kunst der Fuge ist eine hohe Kunst. Motive über Motive sind ineinander verschlungen, folgen Umkehrungen und Wendungen, und als Gesamtklang ist´s wie ein kleines Wunder, das immer wieder aufs Neue lebendig wird. Sehr viele Motive durchleuchten auch die Lebensfuge von ihm, Heinz Wunderlich. Es ist das Leben eines Menschen samt seiner Umkehrungen und Wendungen, alles gespielt mit hoher Kunst. Und wir alle, die wir hier sind, wissen: Es ein Segen gewesen, dieses 92- jährige Leben. Ein Leben, das er selbst bis ins hohe Alter von Gott, Engeln und guten Mächten getragen sah.
„Am Ende bin ich immer noch bei dir“- singt der Psalmist. Und vielleicht hat er Heinz Wunderlich gerade am Ende seines Lebens aus der Seele gesprochen. „Herr, wie sind deine Gedanken so viel, heißt es da im Psalm 139. Wie ist ihre Summe so groß? Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand. Am Ende bin ich noch immer bei dir.
So auch wir heute hier: Am Ende dieses Lebens mögen auch wir einstimmen ins: Soli Deo Gloria! In größter Dankbarkeit für das, was wir gehabt und erlebt haben. In Demut, wie ein Mensch behütet war und begnadet zugleich. In tiefer Trauer, Rührung und Anteilnahme - so viele Motive schwingen heute hier in diesem Raum. So viele Gedanken, die in ihrer Summe groß. So viel Verbundenheit, Zuneigung, Verehrung für einen großen Künstler, guten Lehrer und einen durch und durch liebenswerten Menschen.
Schauen wir auf seine Lebensfuge, seine Motive. Seine Verbundenheit mit uns. Und da höre ich zuerst, weil es das letzte war:
Kyrie.
Erbarme dich. Heinz Wunderlichs Tod schmerzt und sein Sterben rührt an. Denn so diszipliniert er sonst seinen Körper zu beherrschen verstand, in seinem Sterben hat der es ihm schwer gemacht. Die Atemnot, die Angst, die Unruhe. Kyrie eleison.
Sie, liebe Angehörige haben ihn bis zuletzt begleitet, sorgsam war immer jemand da. Und auch wenn Sie mitunter das Gefühl beschlich, mehr oder überhaupt etwas tun zu wollen, was die Not lindert – ich bin sicher, die Nähe zu ihm, auch die innere Nähe hat ihn erreicht und gehalten. Es war – und ist auch jetzt – eine tröstliche Nähe. Am Ende bin ich noch immer bei dir, haben sie ihm damit gesagt.
Bis fast zuletzt war Heinz Wunderlich im Besitz bewundernswerter Kräfte des Geistes und des Körpers. Wir alle haben uns gefreut, ihn hier zu sehen, Sonntag für Sonntag auf seinem Platz. Haben uns gefreut, ihn zu hören; tatsächlich spielt er daselbst noch Reger zu seinem 90. Geburtstag. Täglich hat er dafür geübt, stundenlang. Mit eiserner Disziplin. Sie hat ihn strukturiert. Aufrecht gehalten. Sie war ein wichtiges Lebensmotiv. Und wenn ich ihn dann mit seiner Disziplin und seiner Notentasche die Treppe zur Orgel hochsteigen sah, Tag für Tag, den Körper ein wenig nach vorn gebeugt, im „Organistengang“ balanciert, dann hat´s in meinem Herzen stets einen Wärmeschubs gegeben. Ich hätte gern mit ihm seinen 93. Geburtstag gefeiert. Gewiss hätte er in St. Petri Orgel gespielt, wäre es ihm möglich gewesen. Und wenn nicht, hätte er sich bescheiden als Zuhörer geehrt gefühlt.
Doch seine Kräfte waren am Ende, schwanden schon die letzten Monate rapide. Schließlich war da keine Luft mehr und kein Leben. Und so starb er am 10. März, letztlich dann doch friedlich den erlösenden Tod. „Wenn ich einmal soll scheiden“, so singt es der Choral dazu, „so scheide nicht von mir. Wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür. Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein.“
Gott hat uns seinen Sohn hingegeben, daran erinnern wir uns in dieser stillen Woche. So sehr hat er uns geliebt, dass er uns nahe ist auch im tiefsten Schmerz. Und also hat Gott auch ihn geliebt und seinen Engel befohlen, dass sie ihn behüten auf allen Wegen. Dass sie ihn aus der Not herausreißen und über die Schwelle geleiten.
Wie so oft in seinem Leben, das 1919 in Leipzig begann. Hinein geboren in eine hochmusikalische Familie wurde er als einziges Kind von den Eltern mit seiner herausragenden Begabung gefördert. Man stelle sich diese Kindheit und Jugend vor: Mit 13 Jahren sein erstes öffentliches Konzert. Mit sechzehn beginnt er zu studieren. Spielt gleichzeitig die Orgel an der Petrikirche in Leipzig. Mit 21 exzellenter Abschluss der A Prüfung. Er wird Kirchenmusiker an der Markuskirche, dann Moritzkirche in Halle/ Saale. Dies alles in dunkler Zeit. Deutschland war im Krieg. Mit einer Staatsideologie, die nicht nur kulturfeindlich, sondern offensichtlich menschenverachtend war und militaristisch. Wie überlebt man das als feinsinniger Mensch?
Mit Hilfe der Musik, musica sacra.
Sprache seines Glaubens.
Sprache von Engeln.
Sie hat ihn gehalten, auch nach der Einberufung zum Militärdienst. Sie hat ihn innerlich bewahrt in schwerer Krankheit. Und als er nach einem Luftangriff im Bunker zu ersticken droht, wird er gerettet. Es blieb die erschütternde Erinnerung für ihn: Da schien keine Luft mehr und kein Leben – und dann rettet ihn der Engel, der den Stein von seiner Brust genommen. Seither begleiten sie ihn, die Engel. Trugen ihn, den Michaelsbruder. Schützten ihn und: sangen für ihn: Gloria in excelsis deo. Gloria, ein durchgehendes Motiv der Lebensfuge.
„Anfang Mai, acht Tage nach unserer Befreiung durch die Amerikaner, gab ich ein Orgelkonzert mit über 1000 Zuhörern in der Moritzkirche.“ Heinz Wunderlich im O-Ton zu den Momenten des Gloria in seinem Leben. Das waren Orgelkonzerte wie dieses, aber ganz sicherlich auch sein erstes hier an St Jacobi zu Hamburg auf der weltberühmten Arp-Schnitger-Orgel, die kluge Menschen vor der Kriegszerstörung bewahrten und provisorisch wieder aufstellten. Klänge, die ihm nach aufgeregter Flucht aus der DDR wirklich vorgekommen sein mögen wie der Himmel auf Erden. Gloria. Dann war da auch sein erstes Konzert in USA. In Japan 1985, in der Sowjetunion 1989, eines seiner letzten hier in Hamburg vor 3 Jahren. Wo eigentlich auf der Welt war nicht, fragte ich mich? Welch umfassendes musikalisches Wirken (auch als Professor) in und trotz aller Zeitenläufe! Er spielte und spielte. Gott zur Ehre. Und dem Nächsten zur Erbauung, zum Trost, zur Freude. Er tat das, ich bin überzeugt, um seinen Glauben zu künden. Als Gottes Kind. Spielerisch. Dies Kind soll unverletzt sein, das war sein Credo.
Denn wie ein Kind es manchmal sagt, so sagte und tat er es auf seine Weise: „Ich muss doch noch spielen“, sagte er. Nicht arbeiten, komponieren, organisieren, akribisch, jede Minute einer Chorreise. Nein, ich muss noch spielen. Als wäre alles einfach Spiel. Und nicht auch Üben, Disziplin, Gnade, Mühe, Verzweiflung und Beglückung zugleich.
Ich muss doch noch spielen. Reger. Bach. Ach was, alle. Er hat kein großes Stück, kein großes Oratorium gescheut. Und er konnte das, weil er Rückhalt hatte. Zuerst in seiner Frau Charlotte, geborene Cierpka. Seit ihrer Heirat 1946 unterstützt sie ihn in seinem Tun, in klarer Aufteilung der Aufgaben. Sie assistiert ihm bei Konzerten und in der Organisation. In Liebe und gegenseitiger Achtung. Gloria, singt der Engel – auch und gerade am Michaelistag, an dem die Zwillingstöchter geboren werden und schließlich zwei Jahre später die Jüngste.
Man ist nun also Familie Wunderlich. Natürlich mit Musik, von klein auf. Eigentlich immer. Auch Sonntagsmorgens. Es wurde erwartet, stets musikalisch zu sein. Sie, liebe Familie, haben das neben allen schönen Facetten auch herausfordernd empfunden. Und es hat sie dazu geführt, in Auseinandersetzung mit dem sanften Vater einen eigenen Weg zu entdecken. Für ihn war es selbstverständlich, dass man seine Leistung erbringt. Und die Musik zu lieben hat. Und über das Wesen von Frauen hatte er manche, sagen wir: zeitbedingte Vorstellung. So haben Sie natürlich mit ihrem Vater auch kämpfen müssen, gerade in den 60-ern!, haben Kontrapunkte gesetzt, sich abgegrenzt und distanzierte Momente erlebt. Denn auch das gehört zum Gloria in excelsis: Dass der Himmel einem manchmal recht fern vorkommt. Dass der bewunderte Musiker manchmal fern blieb, fast wie in einer anderen Sphäre.
Es war dies ein Motiv seiner Lebensfuge: Das Konzentrierte, In-Sich-Gekehrte, verbunden mit einer fast schüchternen Zurückhaltung. Darum gingen Menschen gern auf ihn zu. Denn er strahlte eine unerschütterliche Freundlichkeit aus und eine Konzentration, der man nahe sein wollte. Als Chormitglied, Schüler und Studentin, Freunde – so viele hier unter uns verehrten und schätzten ihn. Schlicht weil man sich beschenkt fühlte mit so manchem Motiv für die eigene Lebensfuge. Und wenn es sein auf Chorreisen so geliebtes „Laurentia, liebe Laurentia mein“ war, es gab so ausgelassene Momente, Gloria.
Nach dem schmerzlichen Tode seiner Ehefrau Charlotte und seiner fast zeitgleichen Zurruhesetzung als Kirchenmusiker fand sich eine wunderbare Frau an seiner Seite. Professorin Nelly Söregi. Sie heiraten 1984 in Salzburg. Beide spielen für ihr Leben gern. Hinreißend miteinander. Und sie spielte dabei die erste Geige. Fast 20 Jahre lang Heinz und Nelly. Nein, Nelly und Heinz. Die Familie wird größer, das Leben auf einmal bunter, turbulenter. Ihr plötzlicher Tod war ihm ein schwerer Schock. Januar 2004, in seinem 85. Lebensjahr.
Ja, und so ist er ganz langsam älter geworden. Mit Disziplin. Musik. Orgelnoten. Und Engeln. Benedictus. Ein Segen, dieses Leben. Am Schluss ist beides so nah beisammen: dankbare Freude und tiefe Traurigkeit. Besonders als Sie, liebe Familie, im Januar dieses Jahres den Enkel, Thilo, beerdigen müssen. Von guten Mächten wunderbar geborgen, so stand es auch über Thilos Traueranzeige. Von guten Mächten – Überschrift über eine Lebensfuge, deren Gesamtklang wie ein Wunderlich ist.
Und am Ende bin ich noch immer bei dir, spricht Gott. Er ist mit uns an diesem Morgen bis zum Lebensabend. Wir können gewiss sein, dass Gott uns kennt, liebt, mit Namen nennt und um uns weiß. Unser Tun und Dichten erscheint uns manchmal verworren. Und doch wissen wir uns eingeschrieben in den großen Komponisten und Dirigenten unserer Lebensmelodie.
Ihm sei Lob und Ehre!
Und ihm sei unser Gebet anvertraut und unsere Stille.
So halten wir inne und beten für Arthur Paul Heinz Wunderlich:
Ruhe im Frieden Gottes –
Jetzt und in Ewigkeit.
Dona nobis pacem.
Amen
Engelgedicht zum Abschied (Pierre Georges Pouthier)
Verzweifle nicht!
Ich bin Wort Lächeln Zärtlichkeit
Für dich
In meinen Flügeln singt Licht –
Hörst du?
…
Ich bin dir Freund In dieser finstren Qual
In diesem einsamen Dunkel
Steh ich dir zu.
Zweifle nicht!
Mit Zärtlichkeit Lächeln
Wort führe ich dich
Zurück zum Gartengrund
Früher Freude.
Gib mir die Hand!