7. September 2014 - Evangelische Messe am 12. Sonntag nach Trinitatis
07. September 2014
Jesaja 29, 17-25
- Es gilt das gesprochene Wort -
Liebe Gemeinde!
Vor einigen Jahren schickte mir eine Freundin eine Ansichtskarte. Oder besser: eine Angesichtskarte. Darauf sieht man einen hinreißend schönen Asiaten mit einem spontanen offenen Lachen. Er strahlt Lebensfreude pur aus und Zuneigung. Darüber steht der Text: Have a nice day – ohne Mullen und Knullen. Hab einen schönen Tag ohne Murren und Knurren, könnte man es bedauerlich akzentfrei übersetzen ...
Auch wenn´s vielleicht nicht ganz political correct ist (– bitte sehen Sie es mir heute nach!) – diese Karte hat mir einfach gute Laune gemacht. Das Herz wird leichter mit einer Prise Humor, die einen ermutigt, in Distanz zu sich selbst zu treten und sich selbst nicht allzu wichtig zu nehmen. Einschließlich der eigenen Unzufriedenheiten. Also – have a nice day, ohne Mullen und Knullen!
Wissen wir ja durchaus, dass das Murren und Knurren durchaus auf sehr hohem Niveau gang und gäbe ist. Und dass Mitmenschen in manchmal unerfreulich langatmiger Weise von ihrem Recht auf unzufriedene Meinungsäußerung Gebrauch machen.
Das war offenkundig schon im alten Israel so.
Das murrende Volk – Jesaja kennt es zur Genüge. Und auch, wenn man wissen muss, dass es für die Israeliten viel auszuhalten gab in Wüstenzeit und Exil, dass es also Grund gab, sehr unzufrieden zu sein – Jesaja hält gegen.
„Die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen und die, welche murren, werden sich belehren lassen.“ So heißt es am Schluss unseres Predigttextes. Jesaja hält gegen mit Belehrung im Sinne von Bildung. Bildung des Verstandes und Bildung des Herzens, all dies zugunsten eines lichten Charakters. Und diese Bildung geschieht in ganz besonderer Weise: Nämlich durch eine Verheißung. Durch den Traum von einer besseren Welt. „Nur noch eine kleine Weile. Dann werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben und die Ärmsten unter den Menschen werden wieder fröhlich sein. – Wunderschöne Bilder des Lebens sind das, die er in unser aller Herz versenken will. Mit einem Ziel: Damit der Mensch herauskommt aus der totalen Ichbezogenheit. Die nämlich macht ihn taub und blind und elend – und mürrisch. Das Bild vom Leben hingegen sagt: Mensch, du kannst sehen. Kannst fühlen, hören, zärtlich sein. Du hast Kluges zu sagen und so viel Liebe zu geben. Du kannst irren in deinem Geist, aber du kannst auch wieder Verstand annehmen. Doch zu all dem brauchst du den anderen. Das Antlitz eines anderen Menschen voller Lebensfreude und Zuneigung. Frieden, auch mit dir selbst, gelingt nur im Blick auf das Du; ja im Angesicht des Nächsten begegnet dir Gott, sagt jüdische Lehre. Beharrst du auf dem Ego, deiner alleinigen Wahrheit in dir selbst, gibt es Krieg. Wir aber sollen das Leben lernen, nicht den Krieg!
Was für ein Predigttext heute. Fast unheimlich die Aktualität. Verstärkt durch die Kantate eben: Es erhub sich ein Streit. Und wahrlich nicht nur einer.
Ich vermute, es geht Ihnen ähnlich, liebe Gemeinde, unmittelbar steigen die furchtbaren Bilder auf, die aus der Ukraine, aus Syrien, dem Irak, aus Gaza derzeit auf uns einstürmen. Und gleichzeitig ist man so angestrengt davon. Allerorten ist man damit konfrontiert, gerade in diesem Sommer 2014. 100 Jahre nach Beginn des Ersten und 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges hat die Welt, so scheint es, nichts vom Frieden gelernt. In blindem Hass und taub gegenüber jeder Initiative zum Frieden agieren Milizen, Terroristen, Soldaten – wer vermag sie überhaupt noch zu unterscheiden? Schwieriger denn je ist es, jetzt Gut und Böse auszumachen. Und nicht fern liegt der Gedanke, der auch die Kantate um und um treibt: Gäbe es nicht Frieden, wenn ein Engel vom Himmel käme und dieser Not ein Ende machte? Ein starker Engel mit einem großen Schwert, so wie der Michael draußen über mit dem Hauptportal, hinter ihm die versammelten himmlischen Heerscharen, vor ihm der fliehende Feind, „die rasende Schlange, der höllische Drache“?
Doch Halt. Ich merke, wie ich schon in einsteige in eine gefährliche Spirale: Die Verbindung von Gewalt und Religion. Für mich ist diese religiöse Rechtfertigung oder sogar Motivation des Mordens absolut abgründig. Die Islamisten des IS nehmen Gott für ihr Tun in Anspruch, sprechen von göttlich inspiriertem Tun. Schreckensstarr machen mich solche Worte. Religion wird zum Brandbeschleuniger ethnischer und sozialer Konflikte.
Ich will nun nicht einstimmen in den Chor derjenigen, die jetzt einen weltweiten Kulturkampf zwischen Christentum und Islam ausrufen. Nein, sie sollen belehrt werden, die irren. So haben jüngst über 60 Islamkundige, Forscherinnen und Forscher aus ganz Deutschland sich für Frieden und gegen ein gewaltzentriertes Verständnis des Islam ausgesprochen. Sie bestätigen: Wer sich in solch gewalttätiger Weise als Vollstrecker göttlicher Macht versteht, hat nichts von Gott, Allah, dem Unaussprechlichen verstanden. Im Gegenteil: Die Terroristen und ihre Anführer sind nicht einen Deut an Theologie oder an den wahren Fundamenten ihrer Religion interessiert. Sie speisen vielmehr ihre psychisch gestörten Gewaltphantasien mit herausgerissenen Worten aus dem Koran (oder, denken wir an Breivighs Attentat in Norwegen, der Bibel), und tun auch ihnen Gewalt an. Aus den Heiligen Schriften wird heiliger Krieg. Aus dem Wort des Lebens Hasspredigt und Tod.
„Wohlan, nur noch eine kleine Weile….“ Unser Predigttext hält gegen. Mit dem wahren Fundament. Mit Widerwort und Widerstand, der dem Hass das Leben nehmen will. Jesaja prophezeit: „Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, und es wird ein Ende haben mit den Tyrannen, und es wird mit den Spöttern aus sein, …..“ Propheten wie er träumen ihrer Zeit voraus. Und sind damit allemal die besseren Realisten.
Ich habe in diesen Tagen manches Mal an den 11. September gedacht, dessen Jahrestag ja auch wieder naht. Bestürzend, immer noch, dass die Attentäter hier bei uns in Hamburg lebten, studierten – und sich zum Massenmord verschworen. Bestürzend aber auch, welche Spirale sie letztlich in Gang gesetzt haben. Ohne 11. September kein Afghanistankrieg und vielleicht auch kein Krieg im Irak. Ohne diesen Krieg im Irak kein Terror des IS. Sicher ist das sehr verkürzt und stark vereinfacht – aber ich erinnere mich dabei an die Worte von Barbara Lee, einer Abgeordneten des US-Kongresses, die sich am 14. September 2001 als einzige gegen eine militärische Vergeltung aussprach. „Unsere tiefsten Ängste verfolgen uns jetzt“, sagte die demokratische Abgeordnete, „doch ich bin überzeugt, dass militärische Aktionen weitere Akte des Terrorismus nicht werden verhindern können. Unsere Antwort muss viele Facetten haben.“ Das hatte, wie wir heute sehen, geradezu prophetische Qualität. Und dann zitierte sie einen Geistlichen: „Lasst uns bei unserem Handeln nicht zu dem Übel werden, das wir beklagen.“
Denn wir haben einen Traum! 2300 Jahre ist er alt und noch lange nicht ausgeträumt. Es ist der Traum eines Realisten, der genau sieht, was um ihn ist: Terror, Verfolgung, Flüchtlingsnot. Schon, ich habe all das Unheil gesehen, sagt Jesaja, doch: Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden ...; und die Elenden werden wieder Freude haben. Es wird einen Wandel zum Guten geben, sagt er. Nicht „es könnte geben, wenn …“, sondern: es wird.
Sprache schafft Gestalt.
Zum Bösen, wie wir wissen.
Zum Guten – lasst es uns hoffen! Danach drängen! Es tun. Um Gottes Willen.
Jesajas Worte hatten, sie haben Kraft. Weil sie das Gute eröffnen, ohne das Böse zu verleugnen. Sie haben Kraft, weil jemand laut davon spricht, was er glaubt. Man braucht im Leben Menschen, Propheten müssen‘s gar nicht sein, die uns eine Vorstellung geben von Gottes Möglichkeiten. Ohne sie bleibt ein Traum unrealistisch. Und so treibt es Jesaja Strophe um Arie um Choral, dass wir neue Aussichten gewinnen. Bitte nicht der Ohnmacht stattgeben, fleht er damit! Denn wir haben doch einen Grund, der nicht zu erschüttern ist. Einen Grund, der uns trägt. Mit einem Horizont, der über unser Jetzt hinausweist! Da ist Gottes Nähe. Erbarmen. Segen. Gnadensonne. Da ist kein Albtraum ohne Widerwort.
Träumerei! Sind das nicht alles theologische Gedanken, die schön klingen, aber nichts ausrichten? fragen manche. Ich halte gegen: Traumes Wort ist Widerwort, Widerwort gegen die sogenannten Realisten, die meinen, berechnen zu können, was passiert. Es ist Widerwort gegen diesen Trugschluss, das Leben sichern, es zementieren zu können. Als würde dieses unser Leben uns nicht ständig in Bewegung bringen. Herauslieben und herausreißen aus Planung und fester Meinung. Als würde es uns nicht erschüttern durch Krankheit, Scheitern, oder das „Ich liebe dich nicht mehr“, irgendwann leise gesagt an der Grenze zwischen Tag und Nacht. Nein, du wirst wieder Freude haben. Traumes Wort ist Widerwort zur Resignation. Traumes Wort ist Lebenswort – und es wird auch heute gesprochen.
Hier im Michel zum Beispiel mit diesem vielsprachigen interreligiösen Friedensprojekt, das Menschen allen Alters und aller Couleur zusammen bringt zum Dialog, wochenlang und konsequent – ich finde dieses Projekt wirklich phantastisch! Oder heute Nachmittag: Da wird Hauptpastor Röder gemeinsam mit Weihbischof Jaschke und Imam Rad ein Friedensgebet auf dem Gestüt von Albrecht Darboven halten. „Hoffentlich können wir im Kleinen etwas Sinnvolles anstoßen“, sagt der. Oder gestern Abend bei der Nacht der Kirchen: Tausende haben in diesem besonderen Jahr 2014 gemeinsam und beherzt für den Frieden gebetet, gesungen, gestanden, regelrecht ein Konzert der Sehnsüchtigen. Oder schließlich vor sieben Wochen – in Gaza waren an dem Tag Kinder beim Spielen erschossen worden – haben wir Religionsführenden in der Stadt vor der Blauen Moschee ein Friedensgebet initiiert. Anwesend u.a. der jüdische Landesrabbiner, der sunnitische Imam, der schiitische Ayatollah. Und wir haben gemerkt, wie sensibel das ist. Die richtigen Gesten und Worte zu finden. Wir waren alle Suchende. Voller Ernst und Aufrichtigkeit. Und so betroffen wir waren, machte es uns nahbar. Es braucht, liebe Gemeinde, diese Nähe zwischen uns, zwischen den Religionen und allen Menschen, die so besorgt sind in dieser Zeit. Und deshalb sind all diese Friedensgebete ein nötiges und wichtiges Zeichen, auch wenn es innerlich anstrengt und uns immer tief betrifft. Nur so lernen wir den Frieden, konkret, hier in Hamburg, heute: Indem wir gemeinsam, auch als Religionen zusammenstehen gegen Hass und Gewalt. Indem wir versuchen, die erhitzten Gemüter abzukühlen, statt Öl ins Feuer zu gießen.
Wäre nicht heute ein guter Anlass, liebe Gemeinde, das Träumen wieder zu lernen? Denn wenn wir nicht in Worte fassen, was sich ändern soll, wie sollen wir wissen, was zu tun ist? Wohlan, lernen wir wieder zu sagen:
Eine kleine Weile noch,
da wird auf zerbombtem Land das Feld bestellt und die Minenfelder im Libanon und im Irak und in Syrien werden Ackerland.
In der Welt wird eine klangvolle Stille sein, gefüllt bis an den Rand.
Damit das Ohr, taub geworden vom Toben des Krieges, sich wieder der Poesie des Lebens öffnet.
Das Auge senkt nicht mehr furchtsam den Blick, sondern schaut den Menschen neben dir, auch den Fremden offen an.
Jedes Kind erhält drei nahrhafte Mahlzeiten am Tag.
Volksverhetzer werden ausgelacht.
Nörgler umarmt.
Junge Menschen suchen soziale Aufgaben – und finden sie.
Die Menschen des Glaubens ermutigen sich in friedlichem Dialog.
Und die, welche irren im ihrem Geiste, werden Verstand annehmen …
Traumeswort ist rettendes Wort. Es gibt Sinn. Und der heißt – so alt wie neu:
Schalom. Salam.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.