Kühnbaum-Schmidt: „Zur wahrhaftigen Erinnerung um folgender Generationen willen verpflichtet“

75 Jahre Kriegsende: Grußwort der Landesbischöfin zum Friedensgebet in Demmin

Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt
Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt© Marcelo Hernandez, Nordkirche

07. Mai 2020 von Pastorin Carola Scherf

Schwerin/Demmin. In der Kleinstadt Demmin (Vorpommern) lädt die dortige evangelische Kirchengemeinde am morgigen Freitag (8. Mai) am 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges zu einem Friedensgebet in die Kirche St. Bartholomaei ein. Gemeinsam soll der Auswirkungen der nationalsozialistischen Ideologie und der Toten des Massensuizids in Demmin vor 75 Jahren gedacht werden. In diesem Friedensgebet wird ein Grußwort der Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), Kristina Künhnbaum-Schmidt, verlesen.

In ihrem Grußwort schreibt sie:

„Für Menschen in der ganzen Welt, insbesondere in Europa, war dieser 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung: der Tag der Befreiung von nationalsozialistischer Gewalt- und Terrorherrschaft.“  „Ein Tag“, so die Landesbischöfin, „der auch die deutsche Bevölkerung von dem NS-System, in das viele aus Überzeugung und andere als Mitläufer zutiefst verstrickt waren, befreite – auch wenn das damals nur wenige Menschen in Deutschland so sehen konnten.“ An diesem Tag, so die Landesbischöfin, stünde auch das Gedenken an die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes, die Beteiligung daran oder deren billigende Inkaufnahme durch weite Teile der Bevölkerung, aber auch das Leid der Zivilbevölkerung während des Krieges, vor allem das Leid der Kinder, die Unaussprechliches in Verfolgung und Krieg am eigenen Leib erfahren oder mitangesehen haben, im Mittelpunkt.

Das Grußwort von Kristina Kühnbaum-Schmidt im Wortlaut finden Sie hier

Die Landesbischöfin gedachte auch des Leids, das viele Menschen während des Krieges und in den letzten Kriegstagen erlitten haben, und dessen Folgen sich bis heute auswirken: „Viele Deutsche, auch in Demmin, wussten um deutsche Kriegsverbrechen oder hatten von ihnen gehört. Das damit verbundene Schuldgefühl, die Angst vor Rache und Vergeltung, die nationalsozialistische Propaganda und die erlebten Gewalttaten der sowjetischen Soldaten – all das trieb Menschen in dieser Stadt massenhaft in den Selbstmord. Und hat sie auch dazu gebracht, selbst ihre eigenen Kinder mit in den Tod zu nehmen.“ Zugleich betonte sie: „Es wird auch immer wieder darum gehen, einer Instrumentalisierung und Vereinnahmung der damaligen Ereignisse und Opfer für gegenwärtige Interessen, insbesondere rechtspopulistischer und rechtsextremer Natur, klar entgegenzutreten.“

Die Landesbischöfin dankte den zivilgesellschaftlichen Organisationen, den politischen Institutionen und der Kirchengemeinde in Demmin, die zur Erinnerung an und zur Bearbeitung des Leids und der Folgen der Gewalttaten beigetragen haben. „Sie haben gemeinsam Aufklärung geleistet und Gesprächsräume eröffnet. Die Opfer von damals erfuhren öffentliche Würdigung. Es gab die späte, zum Teil posthume Anerkennung von erlittenem schweren Missbrauch und eine moralische Verurteilung der Taten der Peiniger. Das war und ist für das Zusammenleben aller in Demmin bis heute wichtig. Weit über Demmin hinaus macht es Menschen Mut, Wege eines solchen Erinnerns um der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft willen zu beschreiten.“ In diesem Zusammenhang würdigte sie auch das Projekt des Demminer Trauertuches: „Das bewegende Projekt des Demminer Trauertuches verleiht der Trauer um die Toten und der Würde jedes beendeten Menschenlebens sichtbaren Ausdruck.“

Die Landesbischöfin machte deutlich: „Die Erinnerung ist wichtig, weil wir sie den Opfern und ihren Hinterbliebenen schuldig sind – sie dient der Anerkenntnis und dem Gedenken dessen, was ihnen angetan wurde.“ Zur wahrhaftigen Erinnerung sei jede Generation um der folgenden Generation willen verpflichtet, damit sich die Geschichte nicht wiederhole. „Deshalb ist es ist wichtig, dass über erlebte Geschichte nicht geschwiegen, sondern gesprochen wird“, so Kühnbaum-Schmidt.

Im Rahmen des Friedensgebetes am Freitag, 8. Mai, um 16 Uhr in der Stadtkirche St. Bartholomaei-Kirche in Demmin, in dem das Grußwort der Landesbischöfin verlesen wird, wird der Öffentlichkeit durch die Kirchengemeinde auch das Ergebnis eines Projektes zur Trauerbewältigung und Erinnerung der Ereignisse in Demmin vorgestellt: Das Trauertuch von Demmin mit symbolischen 1.000 Kreuzen als Erinnerung an die Opfer des Massensuizids. Die Idee zur Anfertigung basiert auf dem Vorschlag des Traumaforschers Prof. Dr. Harald Freyberger, eine weltanschaulich neutrale Form der Trauerbewältigung zu finden. Seit Anfang 2019 hatten Gruppen der evangelischen Kirchengemeinde, lokale Vereine sowie Bürgerinnen und Bürger der Stadt Demmin das Trauertuch gemeinsam gefertigt.

Hintergrund

Zwischen dem 30. April und dem 4. Mai 1945 ereigneten sich in der Kleinstadt Demmin in Mecklenburg-Vorpommern mehrere Hundert Selbsttötungen und erweiterte Suizide, als die sowjetische Armee kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs den Ort einnahm.

Der 8. Mai wird in vielen europäischen Ländern als Gedenktag in Erinnerung an die Befreiung vom Nationalsozialismus und an das Ende des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 1945 nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Gewalt- und Terrorherrschaft mit unzähligen Toten und der Ermordung von Millionen Kindern, Frauen und Männern in von Deutschen errichteten Konzentrationslagern. begangen. 2020 jährt sich das Ereignis zum 75. Mal.

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