Die Ewigkeit im Hier und Jetzt
08. November 2009
Kanzeltausch zwischen Pastorinnen und Pastoren aus Nordelbien, Mecklenburg und Pommern mit einer Predigt zu Lk 17, 20-24: Wie lange noch? Sind wir bald da? Mir ist so langweilig. Fragen, die jeder kennt, wenn die Kleinen auf dem Rücksitz nerven. Ungeduld auch im Großen. Börsenfieber, Datenrausch, Beschleunigungswahn. Ungeduldig waren auch die Alten. Wann kommt denn endlich die große Wende, die neue Zeit, das Reich, das versprochene Paradies? Im Evangelium haben wir es gehört. Führende Männer des Volkes, von der frommen und strengen Richtung der Pharisäer - sie kommen zu Christus und machen aus ihrer Ungeduld keinen Hehl.
Liebe Gemeinde,
der Predigttext für den heutigen Sonntag steht bei Lukas im 17. Kapitel:
Lukas 17,20 Als Jesus aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes? antwortete er ihnen und sprach: (a) Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man's beobachten kann; 17,21 man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch. 17,22 Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen. 17,23 Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da! oder: Siehe, hier! Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach! 17,24 Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.
Wie lange noch? Sind wir bald da? Mir ist so langweilig. Fragen, die jeder kennt, wenn die Kleinen auf dem Rücksitz nerven.
Ungeduld auch im Großen. Börsenfieber, Datenrausch, Beschleunigungswahn.
Ungeduldig waren auch die Alten. Wann kommt denn endlich die große Wende, die neue Zeit, das Reich, das versprochene Paradies? Im Evangelium haben wir es gehört. Führende Männer des Volkes, von der frommen und strengen Richtung der Pharisäer - sie kommen zu Christus und machen aus ihrer Ungeduld keinen Hehl.
Wann kommt Gott denn endlich? Wie lange noch will er das ansehen? Sind wir bald da, in seinem Reich? Der Hintergrund war ein besetztes Land, ein unterdrücktes Volk. Ungläubige, Heiden hatten das Sagen. Keine Freiheit, nicht im Glauben und nicht im Leben. Sie hofften auf die Wende. Veränderung, neue Zeiten. Und diese Hoffnung wuchs, auch wenn sie immer aufs Neue enttäuscht wurde. Falsche Propheten endeten am Kreuz, Aufstände wurden von den Römern blutig erstickt. Ungeduld, Fragen, Hoffen - wie lange noch? Wann kommt er endlich?
Wir blicken in diesen Tagen zurück auf Mauerfall und Wende. Unblutig, gewaltlos damals – gottlob und Gott sei Dank. „Wir sind das Volk!“ So haben wir es gehört und Sie vielleicht leise oder laut mitgesprochen - Dann diese abendliche Pressekonferenz. Irgendwie war es wie ein Wunder, irgendwie unfassbar, unwirklich wie ein Traum.
Wie ein Blitz in der Nacht, der aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum anderen. Im Ernst gerechnet hatte wohl niemand damit. Die Verhältnisse schienen versteinert. „Vertraut den neuen Wegen - Die Tore stehen offen, das Land ist hell und weit“ - so hatte Klaus-Peter Hertzsch im Frühjahr 1989 gedichtet. Er ahnte nicht, dass diese Verse in diesem Sinn wenige Monate später Wirklichkeit sein würden.
War es auf unserer Seite der Mauer, war es im Westen anders? Auf alles waren wir vorbereitet, nur nicht auf den Fall der Mauer – so könnte man ein geflügeltes Wort abwandeln. Auf alles waren wir vorbereitet, aber doch nicht darauf. In der Nacht kam diese Nachricht über den Äther, wie der Blitz, der aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum anderen.
In den 20 Jahren bis heute hat sich viel verändert – im Osten und im Westen. Bei Ihnen vermutlich mehr als bei uns. Jeder wird in diesen Tagen der Erinnerung für sich beantworten, wie stark die positiven Empfindungen und die Dankbarkeit ist. Natürlich, es gibt auch eine Kälte der Freiheit, die manchen frösteln ließ und lässt. Ich zitiere eine Stimme aus dem Gemeindebrief Ihrer Gemeinde: „Mit dem Fall der Mauer wurde keine Tür zum Paradies geöffnet. Wir haben uns befreit aus der Zwangsherrschaft der Funktionäre und landeten in einer Gesellschaft, in der Gutes und Schlechtes passierte. Wir leben freier und unsicherer. Wir können diese Gesellschaft lebenswerter gestalten oder unmenschlich verkommen lassen.“
Ich bin froh und dankbar über die Einladung, hier mit Ihnen Gottesdienst feiern zu dürfen. Der Kanzeltausch heute ist ein sichtbarer Brückenschlag zwischen unseren drei evangelischen Kirchen im Norden – auch wenn das Wort vielleicht missverständlich ist, denn die Kanzeln blieben ja an ihren Plätzen, aber die Prediger machen sich auf den Weg. Ein Brückenschlag, ein sichtbares Zeichen: auch für unsere drei Kirchen gilt: „Vertraut den neuen Wegen, die Tore stehen offen, das Land ist hell und weit.“ Eine gemeinsame evangelische Kirche im Norden ist auf dem Weg - . Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer haben wir die große Chance, unsere Kräfte zu bündeln, von unseren Erfahrungen gegenseitig zu profitieren und die Lasten gemeinsam zu tragen. Dass mir die bischöflichen Aufgaben im Sprengel Schleswig und Holstein für einen Zeitraum von gut 3 Jahren übertragen wurden, hat unmittelbar mit der Nordkirche zu tun. Gleiches gilt für Ihren Superintendenten Ulrich Tetzlaff, der ab Januar 2010 mein Nachfolger im Kirchenamt in Kiel als Personaldezernent sein wird. Zur Einführung in meine neue Aufgabe bekam ich von Ihrem Bischof einen Bildband mit dem Untertitel: „Schätze der Pommerschen Ev. Kirche“. Als ich diese vielen wunderbaren architektonische Schätze sah dachte ich, wir sollten auf dem Weg zur Nordkirche im weiteren Sinn auf die Suche nach den Schätzen in unserem kirchlichen Leben gehen!
Die Entscheidung unserer drei Synoden für eine gemeinsame evangelische Kirche in Norddeutschland war ein mutiger und zukunftsweisender Entschluss. Sicher, die Vorbehalte und Bedenken haben Gewicht. Doch ich glaube, es ist eine kluge und weitsichtige Entscheidung, diesen Weg jetzt zu gehen. Gemeinsam können wir stärker sein. Gemeinsam, davon bin ich überzeugt, können wir uns neu und besser den Herausforderungen stellen. Ich denke etwa an den alltäglichen Gewohnheitsatheismus, der ja kein Phänomen nur der neuen Bundesländer ist. Die Nordkirche wird die erste große und wirklich gesamtdeutsche evangelische Landeskirche sein. Die Aufgaben sind groß, es braucht einen langem Atem: Viel guter Wille, viel Fingerspitzengefühl, und ganz sicher sehr viel Geduld ist erforderlich, damit wir zu einer Kirche zusammenwachsen.
Geduld also: Wo liegt der Schlüssel dazu?
Gehen wir näher heran an unseren Predigttext.
Als Jesus gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten kann; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Die Geschichte kennt unzählige Beispiele für diese Ungeduld der Menschen mit der Verbesserung der Welt, und sie liefert täglich neues Anschauungsmaterial. Nicht immer sind es Unmenschlichkeit und Fanatismus. Aber leider sind die Menschen, die mit dem Zustand der Welt am ungeduldigsten sind, in der Regel auch am stärksten von ihrer eigenen Rechtgläubigkeit überzeugt.
Aber braucht die Welt denn keine Verbesserung? Ist es nicht verständlich, dass angesichts unseres jetzigen Weltzustandes unzählige Menschen auf ein besseres Leben, auf eine neue und gerechtere Ordnung der Dinge hoffen?
In der Tat, auch Christus gesteht das im Evangelium zu. Er spricht ja auch vom Reich Gottes. Er kann dem Volk, kann den Pharisäern und seinen Jüngern durchaus folgen, wenn sie den großen Umsturz herbeisehnen.
Aber – er kehrt ihre Vorstellungen um. Stellt sie vom Kopf auf die Füße. Stellt den Glauben an das Reich Gottes dahin, wo er tatsächlich hingehört. Das Reich Gottes ist nicht etwas, was ihr erst in der Zukunft erwarten sollt. Morgen, übermorgen, am Ende aller Tage. Das Reich Gottes ist nicht etwas, das sich woanders befindet, drüben, in der Ferne, also immer dort, wo ihr selbst gerade nicht seid. Nein. Das Reich Gottes ist nahe, mitten unter euch. Hier und heute, hier und jetzt. „Denn es verhält sich so, dass das Reich Gottes in dem Raum ist, der der Eure ist.“ - So versuchen die Bibelwissenschaftler heute den entscheidenden Satz buchstäblich zu übersetzen.
Und sie erinnern daran, dass Jesus hier einen urbiblischen Gedanken aufgreift. Hatte nicht schon Mose ganz Ähnliches gesagt? „Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete,“ heißt es in seiner Abschiedsrede an das Volk, „es ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, daß wir's hören und tun? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir's hören und tun? Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.“ (5. Buch Mose, 30,11-14)
Vielleicht kennen Sie die alte Parabel von den zwei Mönchen, die in einem alten Buch gelesen hatten, am Ende der Welt gäbe es einen Ort, an dem Himmel und Erde sich berührten und das Reich Gottes begänne. Sie beschlossen, ihn zu suchen und nicht umzukehren, ehe sie ihn gefunden hätten. Sie durchwanderten die Welt, bestanden unzählige Gefahren, erlitten alle Entbehrungen, die eine Wanderung durch die ganze Welt fordert, und alle Versuchungen, die einen Menschen von seinem Ziel abbringen können. Eine Tür sei dort, so hatten sie gelesen. Man brauchte nur anzuklopfen und befände sich im Reiche Gottes. — Schließlich fanden sie, was sie suchten. Sie klopften an die Tür, bebenden Herzens sahen sie, wie sie sich öffnete. Und als sie eintraten, standen sie zu Hause in ihrer Klosterzelle und sahen sich gegenseitig an. Da begriffen sie: Der Ort, an dem das Reich Gottes beginnt, befindet sich auf der Erde, an der Stelle, die Gott uns zugewiesen hat.
Genauso verstehe ich unseren Predigttext. Christus folgt den Zeitgenossen nicht, die über das Kommen des Reiches spekulieren und alle möglichen und unmöglichen Berechnungen anstellen. ER will nichts wissen von einem letzten Gefecht zwischen den Mächten des Lichts und der Finsternis, das vorher noch ausgefochten werden muss, damit die Welt endlich besser wird.
Christus will uns einweisen in das Hier und Jetzt unseres Lebens. Hier, ganz nahe, an der Stelle, die Gott Dir zugewiesen hat – da ist die Tür zum Leben. Warte nicht. Öffne sie, geh hindurch. Das Hier und Jetzt enthält alle Zeit und alle Ewigkeit. Das ist der Weg zu Gott, und das ist auch der Weg zur Verbesserung von Welt und Kirche. Anders geht es nicht: Denn nur was angenommen ist, kann auch verändert werden.
Christus lebte offen für die Gegenwart - ohne vom Gestern gehalten zu werden oder in das Morgen zu flüchten. Also keine Ungeduld, auch keine Panik im Blick auf das Kommende. Auch kein Beschleunigungswahn, kein Utopismus. Aber auch keine Nostalgie, kein Heimweh nach den angeblich guten, alten Zeiten, als alles angeblich besser war.
Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen;
mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen.
Der Augenblick ist mein, und nehm' ich den in acht,
so ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht. (Andreas Gryphius)
Heute wird der neue Gemeindekirchenrat eingeführt: Auch in Nordelbien wurden im Januar diesen Jahres alle Kirchenvorstände in ihr neues Amt eingeführt. Sie werden diese Haltung der konzentrierten Gelassenheit brauchen. In unseren Kirchen werden diese Ämter hoch geschätzt, weil wir in solchen Menschen das Wirken unseres Gottes sehen, der seine Jünger und Jüngerinnen beruft und zum Dienst und Amt in unserer Kirche befähigt. Er ist es ja, der uns unsere Gaben schenkt, die wichtig werden für den Aufbau seiner Gemeinde. Und indem er Menschen begabt und beauftragt, die durch sein Wort berufen werden und dann diesem Ruf folgen und irgendwo in seinem Reich einen Dienst tun, breitet sich sein Reich unter uns aus. Und so kommt Gott uns nahe.
Amen