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Kirchenzeitung: Chefredakteur Tilman Baier geht in den Ruhestand

Tilman Baier hat die Kirchenzeitung durch viele Umbrüche geführt, sagte Landesbischöfin Kühnbaum-Schmidt im Schweriner Dom zu seiner Verabschiedung nach rund 30 Jahren im Amt. "Der Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen und die Zusammenarbeit mit einem hochmotivierten Team" haben ihm am meisten Spaß gemacht, so Baier im Gespräch.
Tilman Baier hat die Kirchenzeitung durch viele Umbrüche geführt, sagte Landesbischöfin Kühnbaum-Schmidt im Schweriner Dom zu seiner Verabschiedung nach rund 30 Jahren im Amt. "Der Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen und die Zusammenarbeit mit einem hochmotivierten Team" haben ihm am meisten Spaß gemacht, so Baier im Gespräch.© Annette Klinkhardt

10. Juli 2023 von Annette Klinkhardt

Tilman Baier (64), seit 1993 Chefredakteur der Mecklenburgischen Kirchenzeitung in Schwerin, wurde am Sonntag (9. Juli) in einem Gottesdienst im Schweriner Dom von Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt in den Ruhestand verabschiedet.

Baier habe die heutige Zeitung "zu einer wichtigen Informationsquelle und Inspiration gemacht", sagte Landesbischöfin Kühnbaum-Schmidt. Für diese Lebensleistung gebühren ihm "tiefer Respekt und allergrößter Dank".

Gespräch: Kirche braucht kritischen und liebevollen Blick

Im Interview mit Annette Klinkhardt blickt Tilman Baier auf seine Zeit als Chefredakteur zurück und betont die Notwendigkeit der christlichen Publizistik in der heutigen Zeit:

Annette Klinkhardt: Warum brauchen wir weiterhin Kirchenzeitungen?

Kirche braucht eine freie christliche Publizistik — als solidarische Begleitung mit einem kritischen Blick. Ich finde es toll, dass sich die meisten Landeskirchen so eine unabhängige Kirchenzeitung leisten und nicht nur die offizielle Öffentlichkeitsarbeit einer Institution. Denn Kirche ist viel mehr als eine Institution, ist auch viel bunter, als es die offiziellen Verlautbarungen wiedergeben können.

Ich wünsche mir sehr, dass sich darum die Institution Kirche diesen kritisch liebevollen Blick aus einem Abstand zu den Leitungsgremien erhält, ob als Zeitung auf Papier oder in digitaler Form. So können Kirchenzeitungen ein Fenster in die Kirche hinein für eine breitere, interessierte  Öffentlichkeit sein — ohne im Verdacht zu stehen, Lobbyarbeit zu betreiben.

Wir haben die Gemeinden an der Basis mit ihren Freuden und Nöten im Blick und sind Anwälte für die Meinungen und Fragen unserer Leserschaft. Als Kirchenzeitung zeigen wir, dass evangelische Kirche eine Kirche der Vielfalt ist, indem wir Diskussionen spiegeln und auch führen.

Das Forum dafür sind Leserzuschriften. Zu welchem Thema gab es in den letzten Jahrzehnten die meisten Leserbriefe?

Über die Jahre verteilt gab es die meisten Leserbriefe zur sexuellen Orientierung von Menschen. Das begann mit der Diskussion um die Akzeptanz von gelebter Homosexualität, dann um die Segnung und später die Trauung schwuler Paare. Dann auch zum dritten Geschlecht. Da mussten wir ein paarmal Leserbriefdiskussionen abbrechen, weil sich die jeweiligen Meinungen nur noch wiederholten.

In der Entstehungsphase der Nordkirche gab es auch lebhafte Auseinandersetzungen, ob ein Zusammengehen von Pommern, Mecklenburg und Nordelbien gut ist oder nicht. Und in den 90er-Jahren wurde in den ostdeutschen Kirchenzeitungen auch in den Leserdiskussionen um die sachgemäße Aufarbeitung der DDR-Zeit gerungen. Und In den letzten zwei Jahren war dann wieder eine heftige Debatte um eine christliche Friedensethik aufgebrochen.

Wie oft mussten Sie sich im Laufe der Jahre als Chefredakteur für kritische Berichterstattung rechtfertigen?

Ich habe in all den Jahren einen hohen Grad an Unabhängigkeit genossen. Aus den oberen Etagen der Institution Kirche gab es zwar ab und zu ein Grummeln, wenn die Kirchenzeitung schon wieder mit einer kritischen Nachfrage genervt und dann auch kritisch berichtet hatte. Aber es gab auch dort immer wieder Menschen, die sich vor uns gestellt und die Freiheit der Kirchenzeitung verteidigt haben.

Problematischer war eine kritische Berichterstattung von der Basis, aus den Gemeinden, wenn es dazu Anlass gab. Zwar wurde von dort oft eine kritische Haltung der Kirchenzeitung angemahnt. Aber wenn es sie selbst traf, wurde schnell mit Abbestellung gedroht oder tatsächlich das Abonnement beendet. Denn dort, wo viel Arbeit ehrenamtlich gemacht wird, werden die Seelen bei Kritik viel schneller wund als bei den Profis in leitenden Ämtern.

Werdegang 

Baier machte zunächst eine Lehre als Nachrichtentechniker und studierte im Anschluss von 1981 bis 1986 Evangelische Theologie an der Universität Rostock.

Nach fünf Jahren als wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Uni Rostock und einem Journalismuskurs an der Henry-Nannen-Schule in Hamburg wurde der gebürtige Schweriner am 1. März 1993 zum Pastor ordiniert. Zugleich übernahm er die Chefredaktion der Kirchenzeitung, die seit 1998 als „Mecklenburgische & Pommersche Kirchenzeitung“ erscheint. Seit einigen Jahren hat Baier zudem die Redaktionen der Evangelischen Zeitung in Hamburg, Kiel und Hannover geleitet. Er ist verheiratet und Vater einer Tochter.

Einmal wurde ich sogar für einen, wie ich fand, sehr positiven Artikel von einem Kirchengemeinderat vorgeladen. Ich war begeistert, wie es einer der mecklenburgischen Vorzeigegemeinden zu DDR-Zeiten, der Petrusgemeinde auf dem Schweriner Großen Dreesch, gelungen waren, in den 90er-Jahren auf den sozialen Wandel der Bewohnerschaft zu reagieren. Aus der gehobenen Mittelstandsgemeinde mit viel technischer Intelligenz, wie das damals hieß, war eine Gemeinde geworden, in der nun auch russlanddeutsche Mütterchen mit Kopftuch saßen und soziale Problemfälle anklopften.

Doch einige im Kirchgemeinderat, die den alten Zeiten nachtrauerten, fanden eine Berichterstattung darüber nicht attraktiv, sondern geradezu abstoßend. Das war das einzige Mal, dass ich irgendwo wegen eines Artikels einbestellt worden bin. Ich habe mich auch nur darauf eingelassen, weil ich die Menschen aus meiner Zeit als Vikar dort kannte. Ich habe die Geschichte natürlich nicht zurückgenommen.

Angefangen haben Sie als Chefredakteur der Mecklenburgischen Kirchenzeitung, die seit 1998 als Mecklenburgische & Pommersche Kirchenzeitung erscheint. In den letzten Jahren kam noch die Chefredaktion für die Ausgaben der Evangelischen Zeitung in Hamburg und Schleswig Holstein sowie im Bereich der Landeskirchen Hannovers, Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe dazu. Beobachten Sie einen Unterschied zwischen Leserinnen im Osten und Westen?

Nach jeder Erweiterung unseres Verbreitungsgebietes kam es darauf an, die unterschiedlichen Zeitungskulturen zusammenzuführen. Also, dass die jeweiligen Ausgaben in ihrer Regionalität weitergeführt werden, nun aber mit gemeinsamen Seiten zu überregional interessanten Themen. Das ging nicht ohne eine Erweiterung des Umfangs der Zeitung. Darauf haben wir immer wieder von ostdeutschen Lesern gehört, die Zeitung sei zu dick geworden (lacht). Aus dem Westen haben wir dagegen schon mal nach Verringerung des Umfangs wegen der Papierknappheit in der Pandemie gehört: Ich bezahle so viel wie immer – und bekomme nun weniger Seiten!

Im Osten ist es immer noch ‚unsere Kirchenzeitung‘. Diese hohe Verbundenheit weckt die Erwartung, dass dort die Meinung drinsteht, die man selbst hat. Das begegnet uns im Westen nicht so ausgeprägt. Das spiegelt sich auch darin wider, dass die Leserbriefdiskussionen viel stärker im Osten verankert sind.

Bei der in der DDR sozialisierten Leserschaft ist noch immer das Lesen zwischen den Zeilen weit verbreitet – eine Reaktion darauf, dass auch in den Kirchenzeitungen als einzigen ‚Oppositionsblättern‘ manche Kritik am Staat nur angedeutet werden konnte. Das führt heute manchmal zu Missverständnissen, wenn in einen Satz zu viel hineingeheimnisst wird.

Eine Frage, die vor allem etliche ältere Abonnenten im Osten immer mal wieder stellen und die im Westen fast gar kein Thema ist: Gehört Werbung in die Kirchenzeitung? Und wenn ja, bürgt die Redaktion für die Seriösität für das, was da beworben wird? Nein, das tut sie nicht. Sie kann auch nur Werbung ablehnen, wenn sie offenkundig gegen Gesetze verstößt oder der Ausrichtung als christliche Zeitung entgegenstehen. Ebenso sorgt die von der Militärseelsorge verantwortete und bezahlte Sonderseite bei unseren Leserinnen und Lesern im Osten regelmäßig für kritische Diskussionen.

Einen Unterschied zwischen der Leserschaft in den Städten oder im eher ländlichen Raum beobachte ich dagegen nicht so sehr. Natürlich haben Kirchengemeinden in der Fläche manche anderen Probleme als Stadtgemeinden. Doch dass beispielsweise das Thema Gendern Menschen auf dem Land mehr aufregt als in Städten, kann ich nicht bestätigen.

Im Gottesdienst im Schweriner Dom wurden Sie von der Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt nach 30 Jahren als Chefredakteur verabschiedet. Gleichzeitig wurden Sie als Pastor entpflichtet und gesegnet. Was hat es für Sie als Chefredakteur einer Zeitung bedeutet, gleichzeitig Pastor zu sein?

Das war mir immer Hilfe und Herausforderung zugleich: Dass ich durch mein Ordination zum Pastor immer wieder darauf verwiesen worden bin, warum und wofür ich diese Kirchenzeitung verantworte. So habe ich immer daran festgehalten, dass der geistliche Impuls zum Predigttext des jeweiligen Sonntags  auf der Titelseite steht. Praktisch als Einleitung und Grundlegung für all das, was wir dann berichten oder kommentieren.

Sehr profitiert habe ich auch davon, Pfarrmann  gewesen zu sein. Meine Frau Ariane war Pastorin in Dorfgemeinden und einer Kleinstadt, zuletzt Domprdigerin in Schwerin. Dadurch war ich immer in einer Gemeinde verortet. Das half dabei, nicht abzuheben.

Auch im Umgang miteinander in der Redaktion habe ich wohl eher wie ein Pastor als wie ein typischer Chefredakteur in einem säkularen Medienbetrieb agiert. Mir war wichtig, dass bei dieser kreativen Arbeit alle ihre Talente einbringen konnten und habe uns als Mitarbeiter- und Leserschaft als eine, wenn auch sehr spezielle, Gemeinde gesehen.

Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft der Kirchenzeitung aus?

Seit längerem schon geistert das böse Wort von einer Krise der Kirchengebietspresseherum. Das liegt zum einen an der Krise der Institution Kirche in unserer Gesellschaft. Aber auch am veränderten Umgang mit redaktionell verantworteten Medien generell, ob Zeitung, Fernsehen oder Rundfunk. Diese müssen momentan stark ihre Relevanz im Vergleich zu den sozialen Medien gegenüber beweisen. Ich bin mir sicher, dass sie auch wieder an Bedeutung gewinnen, wenn die Leute keine Lust mehr haben auf tausend Tiktok-Videos und sich wieder eine stärkere redaktionelle Begleitung wünschen. Aber was bis dahin weg ist, ist weg. Deshalb mein Appell: Leute, bewahrt euch diese Möglichkeit, innerhalb der Kirche und in die Gesellschaft hinein zu kommunizieren.

"Ein Hoch auf Till" sang ein Chor aus Redakteurinnen der Kirchenzeitung für Mecklenburg und Pommern, Bischof Tilman Jeremias, dem emeritierten Rostocker Professor Michael Niemann und Johannes Pilgrim, ehemaliger Leiter des Barther Bibelzentrums (v.l.).
"Ein Hoch auf Till" sang ein Chor aus Redakteurinnen der Kirchenzeitung für Mecklenburg und Pommern, Bischof Tilman Jeremias, dem emeritierten Rostocker Professor Michael Niemann und Johannes Pilgrim, ehemaliger Leiter des Barther Bibelzentrums (v.l.).© Annette Klinkhardt/Nordkirche

 

 

 

 

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