Gottes Einladung gilt für alle
14. Juni 2015
2. Sonntag nach Trinitatis, Predigt über Lukas 14.15-24
Liebe Gemeinde!
„Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!“
Das sagt Jesus seinen Zuhörerinnen und Zuhörern, nachdem er eine klare Empfehlung für eine Gästeliste gegeben hat, wenn es darum geht, an Gottes Tisch zu sitzen, aus der Fülle zu schöpfen, die Gott bereit stellt und auftischt:
„Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl machst, so lade weder deine Freunde noch deine Brüder noch deine Verwandten noch reiche Nachbarn ein, damit sie dich nicht etwa wieder einladen und dir vergolten wird.
Sondern wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein,
dann wirst du selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten; es wird dir aber vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.“
Wie gerne würden sie dazugehören: die Flüchtlinge z.B., die zu Millionen ihre Heimatländer verlassen, die fliehen vor Angst und Schrecken, vor Hass und Gewalt, vor Völkermord und Bürgerkrieg. Die aus ihren Dörfern und Städten fliehen müssen, weil dort die einzige Perspektive Unterdrückung oder Tod ist. Und auch viele unserer Mitbürger wären gerne dabei, statt abgedrängt in der Parallelgesellschaft der Hartz IV Empfänger leben zu müssen: Jene, für die die Ansprüche einer Gesellschaft, die stets nach Leistung und Erfolg fragt, zu hoch sind; die das, was man normalerweise erwartet, nicht bringen können. Die Mühseligen und Beladenen, die Jesus zu sich ruft: Wie gern wären sie dabei! Aber wer fragt nach ihnen, wer sucht sie? Wer braucht ihre Gegenwart?
Jesus, erzählt der Evangelist Lukas, ist bei einem führenden Pharisäer zu Gast. Er sitzt an einem Tisch mit Schriftgelehrten und Gesetzeslehrern, mit frommen und gescheiten Männern. Leute, die sich auskennen in Glaubens- und Lebensfragen. Und die deshalb dafür verantwortlich sind, dass die Regeln eingehalten werden. Die Glaubens- und die Lebensregeln. Gott erwartet das, sagen sie. Ein exklusiver Kreis. Andere haben in diesem Kreis nichts zu suchen. Leute, die die Gebote nicht erfüllen. Die nicht leben, wie sie sich das vorstellen. Die nicht sind, wie sie sie haben wollen.
Wo sind diese anderen Leute? - fragt Jesus seine Tischgenossen. Warum habt ihr sie nicht eingeladen?
Glaubt ihr allen Ernstes, fragt Jesus, diese Ausgeschlossenen hätten Gott nichts zu bieten? Dass Gott von ihnen nichts wissen will? Wenn Gott ein Fest feiert, wird er sie als erste einladen, sie werden seine Ehrengäste sein, an der Stirnseite des Tisches sitzen, an seiner Seite. Und ihr, die ihr euch eures Gottes so sicher glaubt: vielleicht geht es euch einmal so wie den Leuten in der Geschichte vom Großen Abendmahl. – Das tut doch gut, nicht wahr, dass Jesus so klar redet, da weiß man, woran man ist: wer nicht will, der hat schon.
Liebe Gemeinde, es ist die Radikalität in dieser Erzählung Jesu, die mich immer wieder fesselt. Es ist diese Radikalität des Zorns, der Jesu Zuhörer damals wie heute erschrickt: warum erzählt er uns das? Sind wir nicht die falschen Adressaten? Sind wir nicht jene, die die Einladung des Herrn annehmen, die kommen, seiner freundlichen Einladung folgen: kommt, denn es ist alles bereit?
Einer bereitet ein Fest. Für sich und andere. Wer ein Fest feiern will, bereitet sich gut vor. Der will vielleicht gern liebe Menschen aus seiner Nähe um sich haben. Ihnen und sich selbst etwas Gutes gönnen: eine erfüllte Zeit miteinander. Will vielleicht mit dem Anlass seines Festes, mit der Freude nicht allein bleiben, will teilen, was er hat.
Kommt, denn es ist alles bereit, sagt der Herr. Ich bin bereit für euch. Mein Haus ist euch offen. Kommt: macht euch auf den Weg, öffnet eure Sinne für mich. Dann werdet ihr erfüllte Zeit erleben. Mit einander. Mit mir.
Aber dann: lauter Entschuldigungen. Alle sehr triftig.
Wie immer, wenn Jesus im Bild vom Fest spricht, dann meint er mehr und anderes als eine einmalige Feier. Dann geht es immer um das Bild Gottes von seinem Reich, um Gottes Bild von der Welt, wie er sie will: alle an einem, an seinem Tisch. Lebend von dem, was er gibt. Teilend das, was er schenkt. Es geht um das, was uns unmittelbar angeht, was unser Leben wirklich trägt und hält. Es geht um das, was wir brauchen, wessen wir bedürfen: Nähe zu Gott; Freude, Speise, Gemeinschaft bei ihm.
Das Judentum mit seinen Festen und Feiern, seinem Sabbat mit dem gemeinsamen Essen und Trinken – das ist eine „kulinarische Religion“, so hat jemand einmal gesagt. Von daher kommt Jesus: Sein Reich ist ein großes Gastmahl, bei dem alle mit Ihm zusammenliegen. Alle. Nicht nur die Frommen und Fitten. Und der irdische Jesus, von dem das Neue Testament erzählt, ist stets der Gastgeber bei freudigen Mahlzeiten. Er feiert sie mit seinen Anhängern und sie spüren: Das Reich Gottes ist schon da. Klein, heimlich. Doch wirksam und real. Gott in Jesus, konkret und anfassbar - das ist der einladender Gott.
Folgen wir seiner Einladung? Machen wir uns auf den Weg: Kommt, es ist alles bereit? Nichts müsst ihr hinzutun oder mitbringen: ihr seid Gäste, euch gilt die Ehre, dazuzugehören.
Kommt - die Einladung Gottes in sein Reich, an seinen gedeckten Tisch ist eine Zumutung. Er erwartet, dass wir uns auf den Weg machen, dass wir uns bewegen, hinter uns lassen, was uns bindet sonst. Er erwartet, dass wir nichts Besseres, Dringenderes vorhaben. Aufbrechen aus dem Vertrauten.
Wer dieser Einladung folgt, findet sich wieder in einer Gemeinschaft, die alles das übersteigt und auch in Frage stellt, was wir an Gemeinschaft und Zugehörigkeit uns ausrechnen können. Wer dieser Einladung folgt, kann nicht ausrechnen, was ihn oder sie erwartet. Und das ist es vielleicht, was das Zögern hervorruft.
Das Zögern der Eingeladenen ist programmatisch. Den Alltag, das Vertraute, lässt man schwer nur los.
Auch der Zorn des Herrn, von dem Jesus erzählt, zielt tiefer, zielt auf die Welt, die andere Prioritäten setzt. Der Gastgeber spürt, dass im Katalog der Prioritäten der Hausvater erst an zweiter Stelle steht. Da werden andere Bindungen wichtiger genommen als seine Einladung. Auf der Strecke bleibt das Fest, die Gemeinschaft bei ihm.
Und wenn ich genau hinsehe, entdecke ich auch Verständnis für die vorgebrachten Entschuldigungen. Da ist die Sorge, sich einzulassen ganz und gar, in Bewegung zu geraten. Ich kenne das: es gelingt mir immer wieder unterschiedlich gut, auf Gottes gute Botschaft hin mich in Bewegung zu setzen. Und immer wieder erlebe ich, dass das, was mir vertraut ist, was mir täglich auferlegt ist, mich stärker bindet und meine Kräfte bindet als der Ruf Gottes an seinen Tisch. Wenn ich gesegnet bin mit Beziehungen, mit Zuwendung, mit Anerkennung, dann ist der Blick auf die Einzigartigkeit der göttlichen Einladung schwerer klar zu bekommen, als wenn mir die Bedürftigkeit, die Mühsal vor Augen stehen und mich bedrängen.
Kommt, denn es ist alles bereit - da braucht es schon Festigkeit im Vertrauen auf Gott, Gewissheit des Glaubens, dass wir die Einladung verstehen können als Befreiung, als Chance ergreifen können, dass das Leben neu werde bei ihm.
Gott lässt nicht locker.
Es ergeht eine zweite Einladung: „Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein...“
Der Evangelist Lukas beschreibt mit dieser Stelle die Ausweitung der Einladung Gottes über alle Grenzen hinaus. Hinaus über die Grenzen von Volk, Nation, Geschlecht, Leistungsfähigkeit, Hautfarbe und welche Begrenzungs- und Ausgrenzungsideologien es noch gibt. Sein Haus wird nicht leer bleiben. Es ist genug Raum bei ihm für alle Menschen. Ohne Vorbedingungen. Jeder gehört dazu. Der neue Bund gilt unterschiedslos allen. Ohne Kleiderordnung oder Vorprüfung. Nicht nur den Frommen, denen, die immer schon wissen, wo es langgehen muss. Nein, allen voran den Ausgegrenzten, Mühseligen und Beladenen. Inklusion statt Exklusion. Was viel später in den Denkschriften unserer Kirchen „Die Option für die Armen“ genannt wird, hat hier in Jesus Grund und Maßstab. Und wenn er gefragt wird, warum er das tut, antwortet er: „Die Kranken bedürfen des Arztes, nicht die Gesunden.“ Keiner ist ausgeschlossen. Nicht die Gesunden, die Leistungsfähigen, die Frommen. Und erst recht nicht die Ausgegrenzten und Aussortieren, die für den ersten Arbeitsmarkt nicht Fitten, die, die keinen qualifizierten Schulabschluss hinbekommen, die Flüchtlinge und Migranten.
Das ist ein Bild, ein starkes Bild für einen Begriff, der in dieser Zeit bei uns die Runde macht: „Willkommens-Kultur“! Das ist es, was wir brauchen in dieser brennenden, sehnsuchtsgefüllten Welt, die hungert nach Frieden und Gewissheit. Und Gemeinde in der Nachfolge Jesu, Kirchengemeinde auf Jesu Spuren: das ist gelebte Willkommens-Kultur, das ist ihre Stärke, die wiederentdeckt gehört, weil sie gebraucht wird. Nicht, weil es sich eben mal anbietet, weil Kirchengemeinden überall vor Ort, Gemeindehäuser groß sind und die Diakonie eh präsent ist. Nein, weil es zu unserem Auftrag, unserem Innersten gehört, weil wir uns so buchstabieren. Bei Paulus im Römerbrief heißt es: „Wir aber, die wir stark sind, wollen das Unvermögen der Schwachen tragen und nicht Gefallen haben an uns selber. Jeder von uns lebe so, dass er seinem Nächsten gefalle zum Guten und zur Erbauung…“ (Römer 15,1f)
Da, wo das Wort Gottes verkündigt wird, wächst die Dynamis, die Kraft des Evangeliums; da entsteht eine Sozialform, die Fremde aufnimmt, sie beheimatet, die integrativ ist – weil sie diesen Auftrag zur Inklusion um Gottes Willen lebt. Da sind wir als christliche Gemeinde gebunden an Gottes Wort und nicht frei, Fremde nicht aufzunehmen – aber wir sind befreit, sie zu schützen. Und anders herum verrät die Gemeinde den Leib Christi und den Herrn selbst, wenn sie sich weigert, Herzen und Türen zu öffnen oder andere Prioritäten setzt und nicht teilt die Fülle, aus der wir leben! Darum geht es Gott: dass alle teilhaben an der Fülle, damit das Leben ein Fest ist!
Nicht nur für Paulus geht es darum, diese Stärke in der Welt zu leben – um sie, die Welt, stark zu machen! Und wenn wir unsere Stärke so leben, dann werden die Schwachen ermächtigt – dann wächst Freude am Leben in Fülle! Dann bleiben wir Volks-Kirche, auch als Minderheit, weil wir dem ganzen Volk dienen, allen, die hier sind, hier ankommen – oft als Gestrandete. Das ist unsere Dienst-Leistung, unser Dienst an Jesu statt. Den wir so tun, dass er Menschen erreicht, sie berührt. Das ist die Leistung, die das Gleichnis, die Jesus von uns will, egal ob wir einen, zwei oder 100 Menschen erreichen.
Ja, er fordert uns: In Jesus ruft Gott uns in die Entscheidung. Er lädt ein, offen und unbegrenzt. Gehen müssen wir selbst. Uns auf den Weg machen.
Natürlich: Wer dem Ruf folgt, ist gerufen, sich zu trennen, Zugehörigkeiten aufzugeben. Neue Beziehungen einzugehen. Mit allen anderen, die gerufen sind. Auch mit denen von den Hecken und Zäunen, zu denen ich mich doch nicht zähle.
Unser Leben ausrichten an seiner Einladung für alle: das mutet er uns zu, das traut er uns zu. Und darin liegt der Trost in diesem strengen Text, die Gnade, die Liebe: Gott will nicht, dass wir ihm etwas Besonderes bieten. Er will unser Ja zu ihm, unser Antworten mit unserem Leben. Die Tür zu Gottes Haus steht offen denen, die arm sind im Geist; denen, die schwach sind im Glauben; denen, die an den Hecken und Zäunen ihr Leben fristen. Uns allen.
„...es ist aber noch Raum da“, meldet der Knecht dem Herrn. „geh hinaus an die Hecken und Zäune und nötige sie, hereinzukommen, dass mein Haus voll werde.“ Gott ist es ernst mit seiner Einladung. Wir gehören nicht nur zu denen, die die Einladung hören, sondern sind auch Gottes Knechte, gesandt auf die Gassen und Straßen, an die Hecken und Zäune, seine Einladung weiterzugeben. Nicht nur einfach so beiläufig, sondern: nötige sie. Das ist unsere Aufgabe: Menschen willkommen zu heißen, die bedürftig sind der Liebe Gottes, die Mühseligen und Beladenen, dass das Haus voll werde
Weil Gott selbst einlädt, gehört auch ihm allein die Entscheidung, wer dazugehört. Wir haben die Einladung zu hören. Wir dürfen sie annehmen. Und weitergeben. Aber wir haben nicht zu entscheiden, wer an Gottes Tisch gehört und wer nicht.
Wo wir glauben, Gott mehr gehorchen als den Menschen, weitersagen, was wir empfangen haben, da können wir uns locken lassen an seinen Tisch mit vielen anderen zusammen. Da werden wir schmecken nicht den Zorn, sondern die Seligkeit: „Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes“.
Amen.