3. April 2022 | Christuskirche Hamburg-Wandsbek

Gottesdienst zur Beauftragung der Prädikantinnen und Prädikanten

03. April 2022 von Kirsten Fehrs

Sonntag Judika, Predigt über Markus 10,35-45

Liebe Gemeinde,

es ist immer etwas ganz Besonderes für mich, Prädikantinnen und Prädikanten mit so einem feierlichen Gottesdienst offiziell zu beauftragen. So vieles ist besonders: Dass es Menschen wie Sie gibt, die sich ehrenamtlich einbringen möchten. Weil Sie es immer schon sinnvoll fanden oder weil Sie gerne singen, oder weil Sie die Pastorin angesprochen hat oder weil Sie selbst schon lange auf der Suche waren nach dem Glauben im Leben. Wie auch immer – Sie haben sich drei Jahre lang ausbilden lassen mit viel persönlichem Einsatz und Zeitaufwand. Einfach weil Sie – oder Gott – es so wollten. Welches Geschenk für die Nordkirche!

Ganz besonders ist es für mich auch immer, Sie als Menschen kennenzulernen, zu erleben, wie verschieden Sie auf das Amt der Prädikantin, des Prädikanten zugehen, was Sie alles mitbringen. Da wird so ein Reichtum sichtbar! Reichtum an Erfahrung und an Lebensgeschichte, Lachen, Weinen, Erfolge, Scheitern, Suchen, Finden und zitternde Knie – geballte Vielfalt eben. Und alle haben Sie Ihre Geschichte mit der Kirche, mit dem Glauben, Ihre Geschichte mit Gott. Oder umgekehrt: Gott hat seine Geschichte mit Ihnen, ganz verschiedene Segensgeschichten, die sich nun fortsetzen sollen. Segen, der sich verbreiten will. Über Sie. Indem Sie Menschen auf die Spur des Glaubens bringen und ihnen Augen, Ohren und Herzen öffnen für dieses so wertvolle und lebenswichtige Wunder, dass Gott (auch in unserem Predigttext) sagt: Du gehörst zu mir. Du bist unverzichtbar, wertvoll – besonders eben.

Menschen, klein wie groß, brauchen solche Segensmomente, in denen sie ihre Bedeutsamkeit spüren. Auch deshalb haben wir gelernt zu predigen. Damit dieses ganz persönliche Versprechen Gottes tief in der Seele ankommt: Du bist mein geliebter Sohn! Du bist meine geliebte Tochter! Eben etwas ganz Besonderes. Das ist nicht allein ein Glaubenssatz. Das ist das Grundnahrungsmittel für die Seele. Das ist Trost, der durch schwere Zeiten trägt, und Frieden, der aufgewühlte Seelen zur Ruhe kommen lässt.

Ach, wie sie das jetzt brauchen, die Jünger. Die Zeiten sind ja nicht leicht – es liegt Gewalt in der Luft. Täglich werden Menschen erniedrigt. Geschlagen. Angezählt. „Auch mich werden sie verurteilen und töten“, hat Jesus gesagt. Dieses Unheil liegt in der Luft. Abschied. Angst. Ihre Knie zittern; sie brauchen Sicherheit. Und Nähe. Ach, gib doch, offenbaren sich Jakobus und Johannes ihrem geliebten Jesus, dass wir beide „sitzen einer zur Rechten und einer zu Linken in deiner Herrlichkeit.“ Sicherheit mit Sitzplatzreservierung. Die „Donnersöhne“, wie Jesus die Brüder nennt, wollen ganz nah bei Jesus sein. Sie haben es sich doch verdient? Sie waren immer begeistert von Jesu Worten und Wundern! Von seiner Bewegung der Gerechtigkeit und Liebe haben sie mit Treue, ja Hingabe gepredigt auf den Plätzen und Märkten. Sind sie nicht bedeutend genug, um ganz nah bei Jesus zu sein? Sie sind ein bisschen wie Kinder, die beim Vorlesen ganz dicht neben der Erzieherin sitzen wollen. Dann ist alles gut. Tröstlich und sicher.

Und ich denke an die Kinder in der Ukraine, für die gar nichts mehr gut ist und sicher. Die sich verängstigt in den U-Bahnschächten und auf den Bahnhöfen an ihre Mütter und Großmütter klammern. All die Menschen, die in den Ruinen abgeriegelter Städte zu überleben versuchen. Ich denke an jene, die auf der Flucht sind, einen Platz zum Überleben suchen oder gerade dabei sind, sich in der Fremde zu orientieren. Heimatlos an einem Ort, an dem sie nie sein wollten. Ich denke an Menschen, die Angehörige verloren haben, Väter, Mütter, Kinder. Menschen, denen dieser sinnlose, verbrecherische Krieg das Liebste genommen hat. Ob sie so ein Bild tröstlich erreicht? Ob sie sich daran festhalten können, dass ihre Liebsten die so erbarmungslos aus dem Leben gerissen wurden, wenigstens jetzt, in der Herrlichkeit, gut und liebevoll aufgehoben sind?

Der ganze Schmerz, die ganze Ohnmacht, auch die Wut und Verzweiflung sind, davon bin ich überzeugt, aufgenommen in diesen religiösen Bildern, die Menschen von Generation zu Generation weitergegeben haben. Sie sagen: Du verschwindest nicht im Nichts. Du behältst deinen Platz im Leben. Ganz nah bei Gott. Zu seiner Rechten. Zu seiner Linken. Wer den Schmerz und die Friedenssehnsucht der Menschen spürt, versteht doch solche Bilder noch einmal neu, oder?

„Sie geben uns unsere Würde zurück“, sagte die ukrainische Generalkonsulin jüngst, als wir über die Kraft der Friedensgebete in den Kirchen sprachen. „Betet, dass wir unsere Würde behalten“, sagte sie, „auch wenn sie ein Diktator versucht zu zertreten. Betet für uns um Kraft zum Widerstand. Dass wir nicht vor lauter Angst trostlos werden.“

Und ja, ich bete, wir beten. Wenn es denn das ist, was wir auch tun können. Und ich frage mich, wie ich mit dieser ständigen Angst, diesem Ausgeliefertsein umgehen würde. Wenn ich einen Kelch trinken müsste, auf den ich auch verzichten könnte. Ob es das Herz erreicht, wenn ich, wenn wir jetzt gemeinsam predigen, dass wir geliebte Geschöpfe Gottes sind, ihm ganz nah?

Offenkundig ist das so eine Sache mit dem Predigen. Wenn es das Leben erreichen soll und nicht allein den Kopf. Vieles ist ja so richtig. Aber ist es auch klug für mein Leben? Oder dein Leben? Wenn alles so furchtbar bedroht ist, Leib und Leben. Wenn du Angst hast, nicht zu genügen. Wenn die Liebe nicht reicht. Wenn einem verloren gegangen ist, wer man ist. Und wie besonders. Und so löst die Frage von den Donnersöhnen schon eine kleine Explosion bei den anderen Jüngern aus: Wie? Wenn die beiden da schon sitzen, ganz nah, wo ist dann mein Platz? Was bleibt für uns? Wo bleibt unsere Bedeutsamkeit?

Und dann entsteht so etwas wie ein Nationalismus im Kleinen. Und der im Großen, der erhebt sich dann über andere, überzieht sie mit einem Angriffskrieg. Wir erleben derzeit einen Größenwahn, der mit brutaler Gewalt andere kleinmacht, ihnen ihre Freiheit nimmt, ihr Leben den eigenen Machtbedürfnissen unterordnet. „Ihr wisst“, sagt Jesus, „die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.“ Wie bitter aktuell sind diese Worte!

„Aber so ist es unter euch nicht“, fährt er fort. Und es lohnt sich, das genau zu hören. Er sagt nicht: So soll es unter euch nicht sein. Er sagt: So ist es unter euch nicht. Ihr dürft alle etwas Besonderes sein wollen. Ihr dürft euch sehnen nach diesem besonderen Platz in Gottes Nähe. Denn bei euch ist es so: Wenn jemand von Gott besonders geliebt wird, dann geht das nicht auf Kosten anderer. Dann wird niemandem etwas weggenommen. Gott ist doch viel größer als unsere Gedanken. Da ist genug für alle da. Genug Anerkennung und genug Menschenwürde für ausnahmslos alle. Für die, die sicher wohnen. Für die, die vom Krieg innerlich und äußerlich entwurzelt werden. Und auch für jene Menschen, die niemand sieht, weil sie nicht aus der Ukraine kommen, sondern im Jemen verhungern oder am Dulsberg ihre Miete nicht mehr zahlen können.

Der Menschensohn ist gekommen, dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele. Und das heißt doch: als ein Leidender für Leidende. Als einer, der dorthin geht, wo es wehtut. Wo es gefährlich ist. Das erzählt die Passionszeit: dass Jesus an der Seite aller Leidenden ist, dass er mitgeht bis zum bitteren Ende. Weil eben die Menschenwürde unzerstörbar bleibt. Dafür stehen wir ein, liebe Geschwister. Und ich bin dankbar, dass Sie dafür nun eine Sprache finden. Gesten. Gebete. Dass Sie trösten, halten, taufen, dass Sie das Brot teilen und den Segen.

Mit eigener Sprache einstehen für die Wahrheit und den Frieden – für mich hat dies Marina Owsjannikowa mit unfassbarem Mut im russische Fernsehen gezeigt. Sie hat beeindruckend ins Bild gesetzt, was Jesus gemeint hat: Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein. Sie ist eine Große. Weil sie mit höchstem persönlichen Risiko eingetreten ist für das, was allen dient. Sie hat sich in den Dienst des Friedens gestellt. Ich kann es mir nicht anders vorstellen, als dass in ihrem Herzen ganz fest und tief dieses unverbrüchliche Versprechen verankert ist: Du bist meine geliebte Tochter! Eine ganz Besondere. Niemand kann dir das nehmen. Und deswegen kannst du dich riskieren, wenn es sein muss.

Liebe Geschwister, wir sind nicht in der Situation, dass wir solche Heldinnengeschichten brauchen. Aber wir sind in einer Situation, in der wir solch unzerstörbare Hoffnungskraft brauchen, die sich tragen lässt von Gottes Willen zum Leben und zur Menschenliebe. Wir brauchen Menschen, die diese Kraft der Liebe in sich haben, für andere gleich mit, die Sehnsucht haben nach einem guten Platz an jenem gedeckten Tisch, an dem dereinst die Völker friedlich versammelt sein werden und sich satt essen und taumelig trinken werden. Für diesen Traum, der Kraft gibt in schwierigen Zeiten – dafür brauchen wir Sie. Nicht allein als Prädikant:innen, sondern als Menschen, die so viel in sich tragen, die besonders sind, durch und durch. Als Botschafter des Friedens, unbeirrt, des Friedens, höher als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

Datum
03.04.2022
Quelle
Kommunikationswerk der Nordkirche
Von
Kirsten Fehrs
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