Nordkirche will Missbrauchsfälle "umfassend aufarbeiten"
07. September 2012
Hamburg. Die Nordkirche will die Ahrensburger Missbrauchsfälle und ihre Folgen umfassend und präventiv aufarbeiten. Einstimmig habe die Vorläufige Kirchenleitung Ende August beschlossen, dafür eine unabhängige Expertenkommission einzusetzen, erklärte Bischöfin Kirsten Fehrs am Freitag vor Journalisten in Hamburg. Zugleich sei ein Verfahren beschlossen worden, das individuelle Unterstützungsleistungen für Missbrauchsopfer vorsieht. Damit stelle sich die Nordkirche ihrer Schuld und ihrer Verantwortung, sagte Fehrs.
Anselm Kohn, 1. Vorsitzender des Vereins "Missbrauch in Ahrensburg", begrüßte die Beschlüsse. Dies seien "Meilensteine der Aufarbeitung", sagte er. Zwar könne es keiner Kommission der Welt gelingen, alle Wahrheit ans Licht zu bringen. Er habe aber die Hoffnung, "dass ein Bild entsteht, das Verstehen ermöglicht".
Der Ahrensburger Pastor Dieter K. soll seit Anfang der 70er Jahre über Jahrzehnte hinweg Jugendliche missbraucht haben. 13 Opfer haben sich mittlerweile bei der Kirche gemeldet. Öffentlich bekannt wurden die Taten erst 2010, als ein Opfer einen Brief an die damalige Hamburger Bischöfin Maria Jepsen schickte. Pastor K. gestand die Taten und quittierte den Kirchendienst. Bischöfin Jepsen trat im Juli 2010 zurück.
Fehrs: "Wir wollen die Opfer um Verzeihung bitten"
"Eine traumatisierte Institution kann sich nicht selbst analysieren", sagte Bischöfin Fehrs weiter. Dafür brauche es Experten von außen. Zugleich wolle sich die Nordkirche "nicht distanzieren, sondern auseinandersetzen". Dies gelte auch für die Unterstützungsleistungen, die in einem zweistufigen Verfahren individuell auf Betroffene zugeschnitten werden sollen. "Wir wollen die Opfer um Verzeihung bitten, als tätige Reue", sagte Fehrs. Die Unterstützung könne Finanz- und Sachleistungen umschließen, konkrete Summen seien nicht festgelegt worden. Es stehe ein ausreichender Sonderfonds zur Verfügung.
Hauptpastorin und Pröpstin Ulrike Murmann begrüßte für den Kirchenkreis Hamburg-Ost die beiden Kirchenleitungs-Beschlüsse ausdrücklich. Damit sei es gelungen, den Betroffenen "eine angemessene Unterstützung für ihr erlittenes Leid eröffnen zu können". Von der Expertenkommission erhoffe sie sich wertvolle Hinweise auch für das eigene Präventionskonzept, an dem seit über einem Jahr intensiv gearbeitet werde.
Kirchengemeinden in den Fokus nehmen
Zur neuen Experten-Kommission gehören Ursula Enders (Mitbegründerin und langjährige Leiterin von "Zartbitter Köln" e.V.), Julia Zinsmeister (Professorin für Zivil- und Sozialrecht an der Fachhochschule Köln), die beiden Bonner Rechtsanwältinnen Petra Ladenburger und Martina Loersch sowie der Hamburger Erziehungswissenschaftler Dirk Bange.
Enders kündigte an, nicht nur die Missbrauchs-Opfer, sondern auch die Kirchengemeinden in den Fokus nehmen zu wollen. Es gelte, Präventiv-Konzepte zu erstellen und bei den Auswirkungen sexualisierter Gewalt nicht nur Einzelne, sondern "die ganze Institution Kirche" in den Blick zu nehmen. Dies sei "ein Novum für Deutschland", betonte sie.