25. Mai 2025 | St. Petri-Dom zu Schleswig

Predigt am Sonntag Rogate

25. Mai 2025 von Nora Steen

Joh 16, 23b-29,33

Beten.

Das intimste Thema unseres persönlichen Glaubens. Beten ist quasi der Pulsschlag unserer Gottesbeziehung.

Deshalb wäre es nicht genug, wenn ich Ihnen hier in der Predigt einige Dinge über das Beten erzähle. Es wäre nicht genug, weil es nicht funktionieren kann, über das Beten einfach so zu reden, als wäre es ein Thema wie andere.

Wenn wir über das Beten sprechen, dann sprechen wir notwendigerweise auch über uns selbst. Denn beten ist kein abstrakter Akt. Beten setzt erst einmal voraus, dass ich mich selber frage: Bin ich bereit, mich darauf einzulassen, auf diese so ganz andere Art von Kommunikation?

Wie steht's damit. Bei Ihnen?

Gehört das Beten bei Ihnen dazu? Haben Sie bestimmte Rituale, Tageszeiten, Anlässe?

Und wenn ja - haben Sie feste Worte oder beten Sie frei? Allein oder auch mal mit anderen?

Viele Menschen sagen heute: Ich kann nicht beten. Das ist mir fremd und fern. Ich kann mich da nicht irgendwo hinsetzen und anfangen zu sprechen. Da komme ich mir ganz seltsam vor. Das passt doch nicht mehr in diese Zeit.

Und diese Menschen haben Recht. Zu beten bedeutet tatsächlich, sich auf eine ganz andere Wirklichkeit einzulassen. Zumindest anzunehmen, dass es sein könnte, dass da ein Gott ist, der mit mir in Beziehung treten möchte.

Und zugleich haben diese Menschen nicht Recht. Beten ist nötiger denn je.

Dass wir der Kraft des Gebets nicht mehr trauen, ist möglicherweise eine der größten Fahrlässigkeiten, die auch wir als evangelische Kirche in Deutschland begehen. Man könnte dabei auch von dem wichtigsten Symptom einer tiefgreifenden geistlichen Krise sprechen, in der wir stehen.

Deshalb. Ich lade Sie ein, heute mit mir nicht nur über das Beten nachzudenken, sondern sich auch selber zu fragen – wie stehe ich eigentlich zum Beten. Bin ich bereit, die Zellentür meines Herzens zu öffnen, damit Gott eintreten kann?

Ich lese den Predigttext aus dem Johannes-Evangelium im 16. Kapitel:

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben. Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei. Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater. Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Dieser Text gehört zu den so genannten Abschiedsreden Jesu. Ist also sozusagen sein „Vermächtnis" an die, die zurückbleiben und die noch gar nicht wissen, wie sie eigentlich leben und glauben sollen ohne den gekreuzigten Auferstandenen.

Jesus ermutigt seine Jünger, den Schritt zu wagen. Gott um das bitten, was sie brauchen. Und zwar im Namen Jesu.

Wir werden hier also mit hineingenommen in die besonders bei Johannes ganz innige und unauflösliche Verbindung zwischen Jesus, dem Sohn, und dem Vater. Einige Dinge über das Beten können wir aus diesem Text lernen. Drei greife ich heraus:

1. Gott ist ein klares, personales Gegenüber. Keine diffuse, amorphe Masse. Es gibt ein klares Du, das auf mich wartet und antwortet.

Dieser Punkt hebt das christliche Gebet fundamental ab von jeglichen Formen der Meditation, einem eher naturalistischen Gottesbild, das Gott überall findet.

Genau diese Verbindlichkeit aber zeigt die Stärke des christlichen Gebets. Und das lesen wir auch aus allen Gebetstexten heraus, die uns in der Bibel und aus der Alten Kirche übermittelt sind. Ein Gebet ist ein Ringen, manchmal sogar ein Kampf. Es ist keine seichte Angelegenheit, bei der ich dem „lieben Gott" einfach mal berichte, was bei mir so los ist. Denn das, da können wir gewiss sein, weiß Gott sowieso. Beten geht also wesentlich über eine eher kindliche Vorstellung hinaus, das Gebet wäre eine Einbahnstraße – einmal von mir in den Himmel. Nein. Beten ist die intensivste, intimste Form des in Beziehungstretens mit Gott, die vorstellbar ist.

2. Seit Jesus gestorben und auferstanden ist, können wir ganz direkt in diese Beziehung zu Gott, dem Vater, eintreten.

Dass Jesus seine Jünger hier ganz deutlich ermutigt, selbst zu beten, ist ein Zeichen dafür, dass hier der Glaube erwachsen wird. Es braucht keine Vermittlung mehr, keine Sprachhilfe.

Hier stehen mündige Menschen und sie dürfen, ja sollen, selber reden, selber fühlen. Selber in ein Ringen mit Gott eintreten. Das dürfen wir alle. Jederzeit.

3. In Gott haben wir Frieden. Egal, wieviel Angst wir in der Welt haben.

Dieses Versprechen Jesu steht am Schluss: Ich sage euch das alles, damit ihr Frieden habt! Heißt im Umkehrschluss: Jesus weiß, wie sehr die Angst seine Jünger bestimmt. Wie sehr sie hin und hergerissen sind, was nun zu glauben ist. Wie sehr sie daran zweifeln, ob der Glaube an Gott überhaupt tragbar ist.

Deshalb: Frieden ist euch verheißen. Wenn ihr euch einlasst auf diesen engen Kontakt.

Lassen Sie uns nun noch einen Schritt weitergehen und schauen: Was machen wir jetzt mit diesen Gedanken. Was machen wir mit dem Gebet. Heute?

Der Theologe Dietrich Bonhoeffer hat mal geschrieben: „Die Kraft des Menschen ist das Gebet. Beten ist Atemholen aus Gott; beten heißt sich Gott anvertrauen."

Mir gefällt dieser Gedanke sehr. Das Gebet ist kein Eingeständnis von Schwäche oder von Weltflucht, sondern in Gegenteil: von Stärke.

Weil wir im Beten anerkennen, dass es eine Wirklichkeit gibt, die unsere vorfindbare um ein Vielfaches übersteigt. Weil wir damit anerkennen, dass unser menschlicher Handlungsspielraum begrenzt ist. Dass ich selbst mitnichten das Zentrum des Universums bin.

Ich bin davon überzeugt, dass diese Anerkenntnis, dass gerade darin – im Atemholen aus Gott, im mich Gott Anvertrauen – die größte Stärke verborgen ist, die wir als Christinnen und Christen auch in diese Zeit einzutragen haben.

Von daher, und ich komme zurück zum Anfang, ist das verloren gegangene Vertrauen in das Gebet tatsächlich ein Ausweis einer geistlichen Krise, der wir als Kirche mit keiner Strukturreform der Welt begegnen können und auch nicht mit politischem oder sozialem Engagement, so wichtig beides ist. All das aber verliert seinen Sinn und Zweck, wenn wir gar nicht mehr wissen, was eigentlich der Urgrund unseres Glaubens ist. Wieso wir tun, was wir tun.

Dieser Frage aber müssen wir uns stellen. Dringend. Und das nicht von oben, weil es irgendeine Bischöfin sagt, sondern weil es das Fundament christlichen Lebens und christlicher

Gemeinschaft ist – in jeder Kirchengemeinde, in jeder Gemeinschaft.

Da ich selber bereits einige Jahre in verschiedenen anderen Kulturen gelebt habe, kann ich mit großer Klarheit sagen: Uns ist hier in Deutschland eine Sprachfähigkeit für den Glauben abhanden gekommen, die sich vor allem in einem geringen Zutrauen ins Gebet zeigt. Hätte ich nicht im Zusammenleben mit Glaubensgeschwistern aus Afrika, Asien oder auch Südeuropa gelernt, mit was für einer Selbstverständlichkeit gemeinsam oder allein gebetet wird, würde mir dieser Punkt wahrscheinlich hier gar nicht so auffallen. So aber wird mir immer wieder deutlich: Es ist fatal, dass wir diese Kraft nicht nutzen. Dass wir die Gottesbeziehung nicht als lebendige Beziehung verstehen, in der wir ringen, streiten, lieben können – und das eben auch mit Worten.

Insofern, liebe Geschwister, hängt das alles miteinander zusammen. Die Kraft des Gebets und die Strahlkraft christlichen Glaubens gerade in Zeiten wie diesen. Und ich möchte Sie bitten: Lassen Sie uns das Gebet nicht aufgeben. Vertrauen wir auf die Kraft dieser so zarten, so intimen und zugleich wirkmächtigen Beziehung zu Gott, die uns Jesus als Vermächtnis hinterlassen hat.

Probieren Sie aus. Allein. Gemeinsam. Wie es gehen kann, zu beten. Mit alten Worten oder mit neuen.

Schließen möchte ich mit einem Auszug aus einem Gebet von Sr. Silja Walter. Denn bessere Worte dafür, wieso es so dringend notwendig ist, da zu sein und zu beten, kann ich nicht finden:

Gebet des Klosters am Rande der Stadt.

Jemand muss zuhause sein,
Herr,
wenn du kommst.
Jemand Muss dich erwarten,
unten am Fluss
vor der Stadt.
Jemand muss nach dir
Ausschau halten,
Tag und Nacht.
Wer weiss denn,
wann du kommst?

Herr, jemand muss dich
kommen sehen
durch die Gitter
seines Hauses,
durch die Gitter -
durch die Gitter deiner Worte,
deiner Werke,
durch die Gitter der Geschichte,
durch die Gitter des Geschehens
immer jetzt und heute
in der Welt.

Jemand muss wachen,
unten an der Brücke,
um deine Ankunft zu melden,
Herr,
du kommst ja doch in der Nacht,
wie ein Dieb.
Wachen ist unser Dienst.
Wachen.
Auch für die Welt.
Sie ist oft so leichtsinnig,
läuft draussen herum
und nachts ist sie auch nicht zuhause.
Denkt sie daran,
dass du kommst?
Dass du ihr Herr bist
und sicher kommst?

Jemand muss es glauben,
zuhause sein um Mitternacht,
um dir das Tor zu öffnen
und dich einzulassen,
wo du immer kommst.
Herr, durch meine Zellentüre
kommst du in die Welt
und durch mein Herz
zum Menschen.
Was glaubst du, täten wir sonst?
Wir bleiben, weil wir glauben.
Zu glauben und zu bleiben
sind wir da, -
draussen,
am Rand der Stadt.

Herr,
und jemand muss dich aushalten,
dich ertragen,
ohne davonzulaufen.
Deine Abwesenheit aushalten
ohne an deinem Kommen
zu zweifeln.
Dein Schweigen aushalten
und trotzdem singen.
Dein Leiden, deinen Tod
mitaushalten und daraus leben.
Das muss immer jemand tun
mit allen anderen
und für sie.

Und jemand muss singen,
Herr,
wenn du kommst!
Das ist unser Dienst:
Dich kommen sehen und singen.
Weil du Gott bist.
Weil du die grossen Werke tust,
die keiner wirkt als du.
Und weil du herrlich bist und wunderbar,
wie keiner.

Komm, Herr!
Hinter unsern Mauern unten am Fluss wartet die Stadt
auf dich. Amen.

Silja Walter OSB

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