KIEL, 6. NOVEMBER 2009

Predigt anlässlich des Einführungsgottesdienstes in der Kieler Nikolaikirche

19. Oktober 2009 von Gothart Magaard

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch! Liebe Gemeinde, am Reformationstag habe ich eine kleine Gemeinde besucht, die eine schöne Idee hatte: Im Dorf hatte man Türanhänger verteilt mit der Aufschrift: „Süßes gibt’s im Pastorat, Saueres gibt’s wo anders“, und gleichzeitig Kinder und Erwachsene ins Pastorat und Gemeindehaus eingeladen. Dort bekamen die bisweilen angsteinflößend verkleideten Kinder für jede beantwortete Frage zu Martin Luther Süßigkeiten. Gleichzeitig versammelten sich viele Erwachsene am gleichen Ort, um sich mit den Fragen zu beschäftigen und sich bei einer köstlichen Kürbissuppe, gekocht vom Pfarrmann (!) zu wärmen und zu stärken. Ein Gemeindefest als ein Beispiel für viele Initiativen, Andachten und Gottesdienste am Reformationstag. 



Meine Aufgabe bestand darin, zum Nachtisch die frischen Lutherkekse zu verteilen und kurz etwas zu sagen. Das gehört ja auch zu meinen neuen Herausforderungen, das Wesentliche auf den Punkt zu bringen, manchmal in einem Satz und möglichst verständlich. Ich habe es mit folgendem Satz versucht: „Wir erinnern uns an Martin Luther, weil er für uns ein Beispiel für Gottvertrauen, Ich-Stärke und Zivilcourage ist.“ Natürlich habe ich diesen Satz kurz erläutert… aber ich fragte mich schon: Sind das wirklich die entscheidende Stichworte?

  Hören wir auf einen der Predigttexte des Reformationstages aus dem 1. Korintherbrief Kap. 1, Verse 10 – 18:  

„Ich ermahne euch aber, lieber Brüder, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass Ihr alle mit einer Stimme rede, und lasst keine Spaltungen unter euch sein, sondern haltet aneinander fest in einem Sinn und in einer Meinung. Denn es ist mir bekannt geworden über euch, liebe Brüder, durch die Leute der Chloé, dass Streit unter euch ist. Ich meine aber dies, dass unter euch der eine sagt: Ich gehöre zu Paulus, der andere: ich zu Apollos, der dritte: ich zu Kephas, der vierte: ich zu Christus. Wie? Ist Christus etwa zerteilt? Ist denn Paulus für euch gekreuzigt?
Oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft? Ich danke euch, dass ich niemanden unter euch getauft habe außer Krispus und Gajus, damit niemand sagen kann, ihr währet auf meinen Namen getauft. Ich habe aber auch Stephanus und sein Haus getauft; sonst weiß ich nicht, ob ich noch jemand getauft habe. Denn Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu predigen – nicht mit klugen Worten, damit nicht das Kreuz Christi zunichte werde. Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist’s eine Gotteskraft.“  

Ein Briefabschnitt mit mahnendem Grundton, ein wahrer Hirtenbrief. Offenbar gibt es erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Paulus sieht diese aufblühende Gemeinde gefährdet. 18 Monate hatte er in dem wichtigsten Handelszentrum der griechischen Halbinsel verbracht, wo es wie heute in Hamburg oder Kiel ganz unterschiedliche Bevölkerungsgruppen gab, in einer Stadt mit zwei Häfen, viel Kommerz, Rotlichtviertel und vielen religiösen Gruppen. Nach ihm kamen weitere Missionare mit eigenen Schwerpunkten in die junge christliche Gemeinde. Apollos war der bedeutendste: Philosophisch geschult aus Alexandria, erreichte er mit seiner Redegewandtheit und Gelehrsamkeit vor allem die gebildete Oberschicht. Zur Kephasgruppe gehörten Menschen, die in Frage stellten, ob Paulus überhaupt rechtmäßig Apostel wäre. Mit der Zeit entstanden in der Gemeinde „Personalgemeinden“:  Neben einer Paulusgruppe, eine Apollosgruppe, eine Kephasgruppe und möglicherweise eine Christusgruppe. Dazu konnte Paulus nicht schweigen!

Interessant ist nun, wie Paulus mit den Nachrichten über die Entwicklungen umgeht: Zunächst nennt er seine Quelle: Die Leute um Chloe haben ihn informiert, und er hält die Information für zutreffend.  Daher fragt er nicht lange nach, er schickt auch keinen Gemeindeberater, sondern beginnt leidenschaftlich zu argumentieren. Und dabei spüren wir, wie erregt er ist.
Was bringt ihn so in Rage, was hat er gegen diese Gruppenbildung? Auch wir kennen das  z.B.  in Synoden, auch in Gemeinden, auch in der Politik, wenn Gesichter oder  Positionen wichtiger werden als Themen und Programme. „Das sind doch die Leute von…“ Mit einem solchen Satz versuchen wir Menschen einzuordnen und bauen häufig Abstand auf. Die größte Gefahr aus der Sicht des Paulus ist aber diese:  

Das Wesentliche gerät aus dem Blick: Und das Wesentliche erschließt sich nicht von selbst; „denn – so schreibt Paulus - das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden, uns aber, die wir selig werden, ist’s eine Gotteskraft.“
Was nach den Vorstellungen der Welt und ihrer Weisheit eine Niederlage, ein Schandmal ist, wird im christlichen Bekenntnis zum zentralen Symbol des Heilshandelns Gottes. Das kehrt unsere Maßstäbe um. Inwiefern aber wird das Wort vom Kreuz zu einer Gotteskraft für uns? Drei Antworten:  

Im Kreuz zeigt Gott: Du bist mir recht, auch mit deinen Fehlern und deinen Schwächen und auch mit deiner Schuld. Weil: Ich liebe dich. Ich weiche nicht zurück. Ich bin dein – in welcher Verzweiflung, welcher Verlorenheit, welchem Verstummen immer du bist.  

Das selber schon sagt: Gott ist solidarisch mit allen Leidenden.  Er zeigt, wo er steht, auf der Seite der Schwachen. Die Kraft der Liebe Gottes zeigt sich darin, dass sie Ohnmacht aushält. Wo ein Mensch nicht mehr kann, da ist Gott. Wo ein Mensch nicht mehr aus  noch ein weiß, da ist Gott. Im Leiden und Sterben Jesu zeigt Gott,  dass er da ist bei den Leidenden.  Und dieser Gott, der zu den Leidenden hält, gibt uns die Kraft, uns einzusetzen für die, die unter die Räder gekommen sind. Und das ist , in erster Linie die Sendung der Kirchen. Und es ist Maßstab des Handelns im Zeichen des Kreuzes – wie für die Einzelnen, so für die Menschen in Netzwerken, Verbänden, Gewerkschaften und Parteien.  Das Wort vom Kreuz ist eine Gotteskraft, die uns Mut macht zum klaren Wort, und die Kraft zur hilfreichen Tat.    

Im Zeichen des Kreuzes steht die Gewissheit, dass der Tod überwunden ist. Kreuz und Auferstehung gehören zusammen und werfen ein neues Licht auf unser Leben. Die scheinbar endgültige Macht des Todes ist gebrochen – wieder eine Umkehrung unserer Bilder und Werte. Nicht dass sie uns nicht mehr ängstigen würden. Aber standhalten können wir ihnen.  

Das Wort vom Kreuz kann uns auch deshalb zur Kraft werden, weil wir durch die Taufe mit Christus, dem gekreuzigten und auferstandenen verbunden sind. Mit ihm durch den Tod zum Leben  gekommen. Denn diese Bindung ist unverbrüchlich und macht uns frei zum Handeln.      

 

Das ist der Grund, der mich trägt. Und aus diesem Grund will ich mich in meinem neuen Dienst einsetzen für eine Kirche, die offen ist, beweglich, reich an Gaben und parteilich.

Offen, weil sie sich nicht abschließt, nicht heraushält, sondern als Volkskirche ein Ort ist, um über Fragen des Glaubens und des Lebens mit allen im Gespräch zu bleiben. Das gilt auch für das Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern gesellschaftlicher Gruppen und Parteien.

Beweglich sei unsere Kirche.  Sie befindet sich in ständiger Veränderung. Indem sie ihre Strukturen verändert, gewinnt sie Freiraum für ihre eigentliche Aufgabe: das Evangelium in Wort und Tat zu verkündigen. Sie hört dabei auf die Christinnen und Christen aus anderen Ländern dieser Erde. Wenn der Lutherische Weltbund im kommenden Jahr in Stuttgart die Brotbitte „Unser tägliches Brot gib uns heute“ konkretisieren wird und damit auch das Recht auf Nahrung, dann wird diese Beratung auch uns in einem Land mit Überfluss und Kinderarmut verändern.  

Reich an Gaben ist unsere Kirche.  Das gehört zu den stärksten Eindrücken aus den ersten Wochen: Die große Zahl engagierter Menschen, die sehr viel Zeit und Kompetenz und ihre Fragen einbringen: Bei einer Fachtagung über die Frage, wie man mit Kindern über den Tod sprechen könne… bei der Begegnung Landwirtschaft und Kirche, bei einer VIP-Gala für engagierte Jugendliche, bei der Ehrung einzelner Ehrenamtlicher  mit der Bugenhagenmedaille, beim 750-Jährigem Jubiläum einer kleinen Gemeinde, wo liebevoll ein festlicher Gottesdienst gefeiert wird.…Ich empfinde das als großes Privileg, von der Lebendigkeit unserer Kirche so viel zu erleben. Und nicht zu vergessen, diejenigen, die in den Kirchenvorständen und Gremien mit großem Einsatz mitarbeiten.  

Parteilich muss sie sein, unsere Kirche, weil sie Kirche ist unter dem Kreuz,  weil niemand von dem ausgeschlossen werden darf, was Gott uns in seiner Welt und Schöpfung geschenkt hat. Die Qualität einer Gesellschaft ermisst sich daran, wie es den Armen und Schwachen, den Fremdlingen, Jugendlichen und  Kindern wirklich geht.  

Wenn wir Kirche sein wollen mit diesem Gesicht – offen, beweglich, reich an Gaben und parteilich – dann wird es an Streit und Konflikten nicht fehlen, dann wird es schnell zu Gruppenbildungen kommen.  Aber es kommt auf das Zeichen, das Vorzeichen an, unter dem wir einander begegnen, unter dem wir um den rechten Weg ringen. Und deshalb versammeln wir uns immer wieder unter dem Zeichen des Kreuzes, damit es uns eine Gotteskraft werde.    

So halten wir aneinander fest – wie es Paulus schreibt – auch dann, wenn wir uns auseinandersetzen.  

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