13. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Krakau

Predigt bei der Vollversammlung des LWB in der Dreifaltigkeitskirche in Skoczów der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen

17. September 2023 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Predigt zu 1. Kor 12, 1-12

Liebe Schwestern und Brüder, drodzy siostry i bracia,

der Heilige Geist bringt Menschen in Bewegung. Wir sehen es heute und hier - wir alle haben uns in Bewegung gesetzt, - aus der Nähe, aus der Ferne, um in dieser beeindruckenden und schönen Kirche in Skoczów gemeinsam Gottesdienst zu feiern. Ich freue mich sehr und bin tief geehrt, gemeinsam mit lutherischen Christinnen und Christen aus der ganzen Welt hier bei Ihnen zu Gast zu sein. Wir sind heute hier und wir sind eine ganze Woche zu Gast in Krakau, bei der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes. Und die Evangelisch-Augsburgische Kirche in Polen ist eine so großzügige und wunderbare Gastgeberin, dass mir die Zeit in Ihrem Land auf immer tief im Herzen und im Gedächtnis bleiben wird. Danke für diese herzliche Gastfreundschaft - danke für alles Miteinander, für alles, was wir in diesen Tagen teilen - Worte der Heiligen Schrift, Lieder und Gebete, Diskussionen und Beschlüsse, Glauben und Hoffnung, Fragen und Sehnsüchte.

Der Heilige Geist bringt in Bewegung - das feiern wir in diesen Tagen unserer Vollversammlung. Immer wenn in der Bibel vom Heiligen Geist erzählt wird, setzt dieser Geist Gottes etwas in Bewegung. Schon in der Schöpfungsgeschichte ist das so: Als der erste Lichtstrahl am Schöpfungsmorgen auf die noch kalte, wüste und leere Welt trifft, ist der Hauch des Lebens, Gottes Geist, bereits da. Schwebt über den Wassern, bringt Bewegung und Lebendigkeit in alles Leben. Setzt alles, was dann kommt, in Gang.

Der Heilige Geist bringt Menschen in Bewegung. So wie heute, so wie bei unserer Vollversammlung. Wir gehen aufeinander zu, sehen einander an, wir sprechen miteinander. Wir erzählen von unserem Leben und unserem Glauben. All das weckt unser Verständnis füreinander. Aus vielen verschiedenen Menschen mit vielen verschiedenen Gaben wird so ein ganzes - die eine Gemeinde Jesu Christi, seine Kirche.

In der Bibel wird das so beschrieben: Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist. Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr. Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen. … Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist und teilt einem jeden das Seine zu, wie er will. Denn wie der Leib einer ist und hat doch viele Glieder, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus.

Viele Gaben - ein Geist. Schon vor fast 2000 Jahren hat die Menschen eine Frage beschäftigt, die auch heute sehr wichtig ist. Nicht nur für Christinnen und Christen. Nicht nur hier bei der Vollversammlung. Sondern sie ist wichtig in allen Ländern, aus denen wir hier zur Vollversammlung gekommen sind. Sie ist wichtig für die ganze Welt. Es ist die Frage, wie verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, mit unterschiedlichem sozialem Status, mit unterschiedlicher geschlechtlicher Identität, mit unterschiedlichen Glaubenserfahrungen, mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen und auch mit unterschiedlichen Ansichten in ethischen Fragen gut zusammen leben können. Es ist die Frage, wie ein friedliches Miteinander in einer Gesellschaft, in der einen großen Welt gelingen kann.

Diese Frage des Miteinanders und der Zusammengehörigkeit über alle Verschiedenheit und Unterschiede hinweg ist heute aktueller denn je. Denn wenn wir auf unsere Welt sehen, müssen wir erkennen: wir stehen als Weltgemeinschaft, als Menschen in der ganzen Welt vor großen Fragen und Herausforderungen, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Zugleich aber sehen wir starke Polarisierungen. Erschüttert sehen wir Kriege und Konflikte. Besorgt sehen und erleben wir, wie Menschen einander feindlich gegenüberstehen oder einander herabsetzen. Wir hören mit Schmerz die lauten Stimmen von Populisten, die eine solche Stimmung anheizen und verstärken. Entsetzt sehen wir Rassismus und Diskriminierung. Wir hören die Schreie der Glieder des Leibes Christi nach Gerechtigkeit und Frieden. Wir hören die Schreie von Gottes Schöpfung, die unter ihrer rücksichtsloser Ausbeutung seufzt und leidet.

Damals wie heute ist es schwer, gemeinsame konkrete Antworten auf diese herausfordernde Situation zu finden. Wie schwer es ist, erleben wir alle sicher immer wieder - in unserer jeweiligen Gemeinde oder Kirche vor Ort. Denn Krisen, Probleme und Sorgen machen vor keiner Grenze halt: vor keiner nationalen, keiner ideologischen und auch nicht vor der eigenen Haustür. Und wir spüren es deutlich: die Bedrängnis der einen ist auch die Not der anderen. Wir Menschen sind alle voneinander abhängig und aufeinander angewiesen. Weltweit. Wir sind voneinander abhängig, und wir sind abhängig von der Natur, von Gottes Schöpfung. Nur gemeinsam können wir uns stark machen für Gerechtigkeit und Frieden. Nur gemeinsam können wir so leben, dass wir Gottes Schöpfung bewahren.

Wie gut, dass wir darüber in diesen Tagen in der Weltgemeinschaft lutherischer Christen und Christinnen zusammen diskutieren und beten, zusammen auf Gottes verbindenden Geist vertrauen. Denn ich bin überzeugt: Wir Christenmenschen können einen wichtigen Beitrag zu Fragen des Miteinanders sehr unterschiedlicher Menschen mit sehr unterschiedlichen Gaben leisten. Dieser wichtige Beitrag speist sich aus unserem Glauben an Jesus Christus, an Gottes Schöpfermacht, an die bewegende Kraft des Heiligen Geistes.

Denn dieser Geist bewirkt wunderbares: Unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Gaben erleben, dass sie zusammen gehören. Weil sie alle eines Geistes Kinder sind. Weil sie alle etwas beizutragen haben, eine besondere Gabe, eine besondere Kraft, mit der Gottes Geist sie beseelt. Das heißt nicht, dass alle gleiche denken oder in gleicher Weise leben. Aber wer von Gottes Geist erfüllt ist, lernt, voneinander Verschiedene als Geschwister anzusehen. Als Geistes-Verwandte. Gotteskinder und Menschengeschwister sind wir - mit Ängsten und Fragen, mit Hoffnungen und Träumen. Mit Glauben und Zweifeln. Und alle sind wir auf der Suche nach Liebe, Gerechtigkeit, Frieden, nach Anerkennung und Verbundenheit. Und dabei untereinander verbunden durch den Glauben an Christus.

Dass wir einander so sehen, als Schwestern und Brüder um Christi willen, das ist ein Werk des Heiligen Geistes. Wo dieser Geist Gottes uns geschenkt wird und uns beseelt, da sehen wir andere wie uns selbst: Als Gottes Geschöpfe, wie wir selbst es sind. Als Schwestern und Brüder. Das verbindet uns. Und deshalb treten wir füreinander ein. Über Sprachbarrieren und soziale Unterschiede hinweg. Hinweg über Ländergrenzen und kulturelle Verschiedenheiten. Verbunden durch den Heiligem Geist lernen wir, einander barmherzig anzusehen. Und im anderen begegnen wir uns selbst - einem Geschöpf Gottes, einer Schwester, einem Bruder.

Und so geben wir uns Anteil an dem, was uns bewegt, beschäftigt, was uns freut und was uns Sorgen macht. Wir lernen, einander besser zu verstehen. In der weltweiten Ökumene, sagen wir dazu: „sharing“ - teilen. „Sharing“ meint das Teilen von Besitz und Geld, aber auch noch mehr: Es meint „teilhaben, einander teilhaben lassen“. Einander teilhaben lassen an Lebenserfahrungen, an Erfahrungen des Glaubens wie des Zweifels, an Trauer und Leid ebenso wie an Glück und Freude, an Hoffnungen. „Sharing“ bedeutet auch: Jede und jeder hat mit der eigenen Erfahrung, der eigenen Lebens- und Glaubensgeschichte, den eigenen Gaben und Begabungen etwas Wichtiges beizutragen. Etwas wichtiges für das Miteinander in unserer Gemeinschaft, in unserer Welt. Diesen liebevollen Blick auf Vielfalt und Verschiedenheit, diese offene Neugier auf Unterschiedlichkeit, diese Freude über verschiedenen Gaben und Begabungen - all das können Christenmenschen beitragen für das Miteinander in der Welt, in der Nähe wie in der Ferne. Denn all diese unterschiedlichen Gaben und Begabungen sind Geschenke Gottes an uns Menschen - seine Geschöpfe. Jede und jeder hat mit den eigenen Gaben und Begabungen, mit dem eigenen Glauben und den eigenen Zweifeln etwas zu geben. Wenn eine oder einer fehlen würde, wäre unsere ganze Kirche, wäre unsere ganze Kirchengemeinschaft ärmer, ja, sie wäre unvollständig. Ich bin deshalb von Herzen dankbar für die vielen unterschiedlichen Menschen mit ihren wunderbaren Gaben, die weltweit der Leib Christi sind. Die Vielfalt und die Verschiedenheit sind ein Grund zur Freude, sind eine gegenseitige Bereicherung. Im alltäglichen Zusammenleben ist eine solche Sicht der Dinge immer auch eine Aufgabe. Denn auch in christlichen Gemeinden kommt es zu Streit und Auseinandersetzungen. Und zuweilen fällt es schwer, alle Gaben und Begabungen als gegenseitige Bereicherung zu sehen. Aber wir sind gemeinsam unterwegs zu einer immer tiefer werdenden Gemeinschaft. Weil wir glauben: In den Augen Christi, sind wir schon längst eine auf ihn bezogene und so untereinander verbundene Gemeinschaft. Über alle Unterschiede in unserer Frömmigkeit, über alle Nationalitäten und sozialen Unterschiede hinweg. Ein Geist - viele Gaben. Ein Leib - eine Kirche. Durch Zerrissenheit und Streit, durch Schmerz und Schuld, immer wieder geeint und versöhnt durch die Kraft des Heiligen Geistes, die Liebe Gottes, die Vergebung und Versöhnung Christi.

Über ein Werk dieser Versöhnung möchte ich heute sprechen. Ich spreche darüber als eine Bischöfin aus Deutschland. Ich spreche darüber in Polen, hier bei Ihnen in Skoczów. Als Delegierte der Vollversammlung waren wir am Mittwoch in der Gedenkstätte des ehemaligen deutschen nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Das schreckliche Lager, in dem Millionen Menschen, meist jüdischen Glaubens, ermordet wurden, hatte mehrere Außenstellen. Eine nicht weit von hier, in Goleszów. Allein dort wurden über 1000 Menschen, auch sie zumeist jüdischen Glaubens, ausgebeutet, misshandelt, etliche von ihnen wurden ermordet. Ich war am Mittwoch nicht zum ersten Mal in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, aber erneut hat mich erschüttert, wie unfassbar und wie tief die deutsche Schuld insbesondere gegenüber Menschen jüdischen Glaubens ist. Mich bewegt ebenso, wie sehr die Geschichte von Polen und Deutschen von dieser deutschen Schuld geprägt ist. Trotz dieser unfassbar großen deutschen Schuld ist die Geschichte von Polen und Deutschen aber auch eine Geschichte von Verständigung und Versöhnung geworden. Zuerst und vor allem anderen musste und muss auch weiterhin diese deutsche Schuld ausgesprochen und bekannt werden. Täter mussten und müssen für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Zugleich waren hier in Polen Menschen nach dem 2. Weltkrieg bereit zur Versöhnung. Menschen, denen unermessliches Leid zugefügt worden war, besaßen den Willen, einen langen Weg zur Aussöhnung zu gehen. Das hat nach dem Zweiten Weltkrieg und der Nazi-Herrschaft entscheidend beigetragen zum Neuanfang in Europa, zur Versöhnung zwischen Ost und West. Einer der Orte, an denen dies geschah, war das Dorf Krzyżowa, knapp dreihundert Kilometer von hier entfernt. Heute hat dort die Stiftung „Kreisau für Europäische Verständigung“ ihr Zentrum. Die Evangelisch-Augsburgische Kirche in Polen ist aktiv daran beteiligt. Allen, die den Weg der Verständigung und Versöhnung miteinander gegangen sind und weiterhin gehen, bin ich von Herzen dankbar. Ich bitte aus tiefstem Herzen Gott darum, dass er uns auch in Zukunft solche Wege führen möge. Und mich bewegt ebenso die Hoffnung, dass wir als Vollversammlung klar und deutlich dafür eintreten, dass alle Menschen Geschöpfe Gottes mit angeborener und gleicher Würde sind. Dass wir laut und vernehmlich widersprechen, wenn Menschen Gewalt angetan wird, wenn sie missbraucht, diskriminiert oder ausgegrenzt werden. Dass wir unverbrüchlich an ihrer Seite stehen.

Und ich bitte und bete darum, dass der Heilige Geist uns schenken möge, dass wir einander teilhaben lassen an dem, was uns bewegt, worunter wir leiden, was wir glauben, was wir hoffen. Ich bitte und bete darum, dass der Heilige Geist uns wachsen lasse im Verständnis füreinander und in der Verbundenheit untereinander. Dass er uns mutig und frei mache, mit offenem und weitem Herzen auf unterschiedliche Menschen zuzugehen, damit wir einander gegenseitig willkommen heißen als geliebte Geschöpfe Gottes in dieser Welt. Und ich bitte und bete darum, dass wir so am Dienst der Versöhnung mitarbeiten, den Christus uns aufgetragen hat. Dazu möge uns der Heilige Geist immer wieder in Bewegung setzen - mit Hand und Fuß, mit Wort und Tat.

Gottes Frieden, die Liebe Christi und die Kraft des Heiligen Geistes sei mit euch allen - hier in Skoczów und überall unter Gottes weitem Himmel. Pokój Boży, miłość Chrystusa i moc Ducha Świętego niech będą z wami wszystkimi - tu w Skoczowie i wszędzie pod szerokim Bożym niebem.
Amen.
 

 

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