15. Juni 2022

Predigt zum Sonntag Kantate im Berliner Dom

Der Berliner Dom
Der Berliner Dom© Pixabay

15. Mai 2022 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Predigttext: Kolosser 3,12-17

So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar. Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.

Liebe Gemeinde,

Izabelas Gesicht leuchtet. Und auch das Gesicht von Halina.

Zusammen mit sieben weiteren Frauen stehen sie im Halbkreis vor dem Altar in einer Kirche. Ihre Blicke gehen in die Gemeinde. 

Dort stehe auch ich, zusammen mit vielen anderen. Die neun Frauen sehen uns an, aufrecht und klar. Einige von ihnen haben Tränen in den Augen. Aber alle Frauen lächeln, nein, sie strahlen. 

Vor einer Woche habe ich das erlebt. In einer Kirche in Warschau. Zum ersten Mal in der Geschichte der evangelischen Kirche Polens wurden dort Frauen zu Pastorinnen ordiniert. Frauen, die zuvor schon das Amt einer Diakonin bekleidet, die gepredigt, getauft, unterrichtet, beerdigt hatten. Was sie nicht durften: eine Gemeinde verantwortlich leiten. Das durften nur Männer. 

Am vergangenen Sonnabend ist diese Zeit zu Ende gegangen. Die polnische evangelische Kirche feierte ihre erste Frauenordination. Die Frauen, die dort zu Pastorinnen ordiniert wurden, zogen im schwarzen Talar in die Kirche ein. Bei der Ordination wurde jeder von ihnen über ihren schwarzen Talar ein weißes, weites Chorhemd angezogen, wie es bisher nur die ordinierten Männer, die Pastoren, tragen durften.

Damit wurde auch äußerlich sichtbar: Der Status dieser Frauen hat sich geändert. Sie sind jetzt Pastorinnen. Gleichberechtigt in allen Aufgaben, Rechten und Pflichten. In der Kirche in Warschau brandete Jubel auf, stehender Applaus, minutenlanger Beifall. All das ließ spüren: Neues ist geworden. Und das Anziehen des weißen Chorhemdes steht zeichenhaft genau dafür.

So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, 
als die Heiligen und Geliebten,
herzliches Erbarmen, Freundlichkeit,
Demut, Sanftmut, Geduld; 
und ertrage einer den andern 
und vergebt euch untereinander, 
wenn jemand Klage hat gegen den andern; 
wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!

II

Zwölf lange Wochen dauert er nun schon. Der Überfall der russischen Armee auf die Ukraine. Er hat für die Menschen in der Ukraine so vieles Verändert. Hat Millionen von ihnen zu Flüchtlingen, Kinder zu Waisen, Männer zu Soldaten, Frauen zu Opfern männlicher Gewalt gemacht. Dieser Aggressionskrieg hat sie und ihr Leben in einer Weise verändert, wie wir es uns kaum vorstellen können.

Auch uns, weit weg von diesem brutalen Überfall Russlands und doch so nah dem Krieg in der Mitte Europas, auch uns und unser Leben verändert dieser Akt der Aggression. Viele zeigen Hilfsbereitschaft und Solidarität mit den Geflüchteten aus der Ukraine, von denen etliche zuerst hier in Berlin ankommen.

In der Politik wird von einer Zeitenwende gesprochen. Im Alltag steigen Lebensmittelpreise und Lebenshaltungskosten. Und die Sorge wird größer, wie wir in all dem auch noch der Klimakrise als wohl größter globalen Herausforderung unserer Zeit begegnen können.

All das verändert uns. Die einen sehen ängstlicher und sorgenvoller in die Zukunft, andere sehen die Erwartung auf einen endlich leichten und unbeschwerten, von den Belastungen der Pandemie endlich relativ befreiten Sommer zerrinnen wie das Eis auf den Polkappen. Und in all dem hält die Sprache des Krieges Einzug in unseren Alltag. Wie selbstverständlich diskutiert die Öffentlichkeit über die Vor- und Nachteile von Waffensystemen, von denen schon die Namen bisher nur Insidern bekannt waren. Zeitungen dokumentieren Frontverläufe. Und in Talkshows werden militärische Strategien diskutiert, als wäre das alles eine schon jahrelang vertraute und traurige Praxis.

Wer jetzt mit Angehörigen des Militärs spricht, hört auch von deren Wissen und Sorge um die Ansteckungskraft von Gewalt, die sich in Windeseile von einem zum anderen verbreiten kann. Die Sprache des Krieges hat Einzug gehalten in unser Leben. Mit ihr soll die neue Realität erfasst und beschrieben werden. Wer jetzt, inmitten einer Sprache des Krieges, von Vergebung und Liebe spricht, kann entweder, so scheint es, nur weltfremder Phantast oder mitleidlose Zynikerin sein. 

Über alles zieht an die Liebe? Der Friede Christi regiere in euren Herzen -  was sollen diese Worte jetzt bedeuten?

III

„Si vis pacem, para bellum - willst du den Frieden, bereite den Krieg vor”.

Oft zitierte Worte in diesen Tagen. „Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.“ Und, so möchte man ergänzen: Steh denen bei, die Opfer des Krieges werden. Die überfallen, verwundet, missbraucht werden. Die der Gewalt schutzlos ausgeliefert sind. Im vergangenen Wochenende in den Straßen von Warschau bin ich immer wieder auf Spuren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und ihrer Vernichtung von Menschenleben getroffen. Spuren, die sich tief ins Gedächtnis der Menschen und der Stadt eingegraben haben.

„Nie wieder“, sagt mir ein Mann, „nie wieder wollen wir Opfer von Gewaltherrschaft, Terror und Diktatur werden. Mehrfach haben wir unsere Freiheit erkämpft, Wie geben sie nie wieder her. Nie wieder. Auch deshalb darf die russische Aggression keinen Erfolg haben. Nicht bei unseren Nachbarn in der Ukraine und nirgendwo.“

Die Synode meiner Landeskirche, der Nordkirche, hat im Blick auf die Situation in der Ukraine vor wenigen Tagen erklärt:

„Die Lieferung von Waffen zur völkerrechtlich legitimierten Selbstverteidigung ist aus Sicht der Synode vertretbar.“

Und zugleich, so hat es unsere Nordkirchen-Synode betont, geht es darum, Formen des gewaltfreien und zivilgesellschaftlichen Widerstands und auch schon jetzt die Entwicklung von Friedensperspektiven zu fördern. Dabei gilt es, auf Gerechtigkeit zu achten und marginalisierte Gruppen wie Frauen und Kinder einzubeziehen. Wenn Krieg geführt wird, gilt es also zugleich, den Frieden vorzubereiten und daran mitzuwirken.

„Dialektik” nannte man das einmal: bei jedem Gegenstand sein Gegenteil Mitzudenken, zur These auch die Antithese aufzustellen und beide zur Synthese zu führen. Doch wie soll das gelingen, wenn man Zeugin eines Geschehens wird, in dem das Gegenüber nicht gesprächsbereit ist?

Dialektik setzt ein Gespräch voraus. Wo es kein Gespräch gibt, steht man mit seiner Dialektik allein da.

Die Worte des Predigttextes, eines Liedes vom Frieden in Zeiten des Krieges, legen uns heute noch eine andere Haltung nahe. Mit einem Ausdruck der Organisationsentwicklung könnte man sie Ambidextrie” nennen - Beidhändigkeit. Während die eine Hand robust behandschuht und so gut geschützt die Aggression abwehrt und den Aggressor klar und bestimmt in seine Schranken weist, hält sich die andere Hand bereit, alles zu tun, was Erbarmen, FReundlichkeit, Demut, Sanftmut und Geduld ausmacht.

Wie sollte es auch anders sein? Haben Christenmenschen doch, wie Paulus es formuliert und worauf der Kolosserbrief anspielt, in der Taufe Christus angezogen. Mit ihm sind wir bekleidet wie mit einer zweiten Haut. Eine zweite Haut, die unsere Dellen, unsere Fehler und Unzulänglichkeiten in die Schönheit der Kinder Gottes verwandelt. Diese Schönheit soll nicht gestört, gar zerstört werden. Darum gilt es, die passende Kleidung zu wählen:

“Herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld”.

Mit schöner Kleidung, schönen Worten allein wird man Gewalttäter nicht aufhalten. Wenn man ihnen gegenübertritt, kann es unvermeidbar sein, sich zwischen Schuld und Schuld zu positionieren.

IV

Neun Frauen wurden in Warschau ordiniert. Als Bischöfin aus Deutschland durfte ich dabei zu Gast sein und diesen so besonderen Tag in Polen mitfeiern.

All das einen Tag vor dem 8. Mai im Jahr 2022. Und auch eines von vielen Zeichen dafür, dass seit dem 8. Mai 1945 von Menschen in Polen und Deutschland viele Schritte der Versöhnung gegangen wurden, dass Deutsche um Vergebung gebeten haben und Menschen aus Polen uns Hände gereicht haben und dass dieser Weg noch immer ein Weg ist. In der Kirche in Warschau standen auch mir Tränen in den Augen. Sie schmeckten nach Freude und Dankbarkeit.

V

Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar.

In Zeiten des Krieges erinnert uns das biblische Lied vom Frieden bildhaft daran, auf uns zu achten. Es erinnert uns daran, uns nicht gänzlich Hereinnahmen zu lassen von der Diktion des Krieges. Es hält uns offen für das Vertrauen darauf, dass der Friede Christi das Ziel aller Geschichte ist. 

Und lässt uns die Hoffnung nicht aufgeben, dass über uns und unserer Welt als Ende und Ziel nicht Kriegsgeschrei ertönt, sondern dass Lobgesang erklingt, weil letztlich nicht Hass und Gewalt uns beherrschen werden, sondern der Friede Christ unsere Herzen regiert.

Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.

Amen.

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