Grenzverletzungen

Unabhängige Ansprechstelle: Beratung und Hilfe für Betroffene sexualisierter Gewalt

Diplom-Pädagoge Sascha Niemann berät seit drei Jahren Betroffene sexualisierter Gewalt bei der UNA.
Diplom-Pädagoge Sascha Niemann berät seit drei Jahren Betroffene sexualisierter Gewalt bei der UNA.© Simone Viere, Nordkirche

16. September 2021 von Simone Viere

Die Unabhängige Ansprechstelle (UNA) des Vereins "Wendepunkt e.V." ist eine kirchenunabhängige Beratungsstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt in der Nordkirche. Menschen, die sexualisierter Gewalt in der Nordkirche erlebt haben oder davon erfahren haben, können sich anonym von der UNA beraten lassen. Diplompädagoge Sascha Niemann ist Leiter der UNA. Im Interview erklärt er, wie seine Stelle hilft und was jeder Einzelne zur Prävention von Grenzüberschreitungen beitragen kann.

Kontakt:
Tel. 0800 – 0220099 
(kostenfrei)
Mail: una (at) wendepunkt-ev.de
montags 9–11 Uhr, mittwochs 15–17 Uhrwww.wendepunkt-ev.de/una

Die UNA wurde 2014 ins Leben gerufen. Gemeinsam mit einer Kollegin betreut Niemann die telefonischen Sprechzeiten montags und mittwochs. Seit mittlerweile drei Jahren ist der Familienvater als Berater an Bord. Der 46-jährige hat Zusatzausbildungen in Traumapädagogik und Familientherapie. Beim Verein Wendepunkt hat er die Fachbereichsleitung im Traumazentrum. 

nordkirche.de: Was ist die Aufgabe der UNA?

Sascha Niemann:  Wir haben eine Lotsenfunktion. Die meisten unserer Anrufer wissen nicht so genau, an wen sie sich bei der Kirche wenden sollen. Mit den Anrufenden sortieren und besprechen wir erstmal, was war. Wir können durch unsere Erfahrung ganz gut helfen, die Anrufenden erstmal zu stabilisieren. Es hat in dem Moment viel damit zu tun, sich selber zu ordnen und eine Idee davon zu haben, wie es vielleicht besser wird. Wir schauen dann gemeinsam, was gebraucht wird. Soll es einen Kontakt zur Kirche geben?  Welche Beratungsstellen gibt es vor Ort? Soll Kontakt zu den Präventionsbeauftragten hergestellt werden? Auch wenn Anrufer eine Tat anzeigen möchten, stehen wir beratend zur Seite.

Wo fängt sexualisierte Gewalt an?

Es geht mit Grenzüberschreitungen los, auch mit Grenzüberschreitung körperlicher Nähe. Dazu gehören Beziehungsangebote die nicht wahrgenommen werden, wo es schwer ist eine Grenze zu ziehen. Dazwischen ist – bis zu der Steigerung zum direkten körperlichen Übergriff – alles möglich.

Im ersten Schritt geht es häufig um das Missachten von persönlichen Grenzen. Wann wird eine Nähe hergestellt, die vom Gegenüber nicht gewünscht wird? Ab da wird es schon schwierig. Es ist nicht unbedingt ein sexuelles Motiv bei der Person die grenzüberschreitend ist, aber es kann von der Person gegenüber so empfunden werden.

Was ist ihrer Meinung nach die größte Hürde bei Betroffenen, sich überhaupt an eine Beratungsstelle wie die UNA zu wenden und zum Hörer zu greifen?

Ein großer Punkt ist die Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird. Das spielt eine große Rolle. Auch mit Schamgefühl hat es viel zu tun. Überhaupt über das Thema sexualisierte Gewalt zu sprechen, ist für viele äußerst schwierig. Oftmals gibt es nach Übergriffen auch eine depressive Reaktion. Die Betroffen gehen erst eimal sehr in sich, haben dann große Anlaufschwierigkeiten, etwas zu unternehmen.

Haben es Täter und Täterinnen ihrer Meinung nach in Institutionen wie der Kirche besonders leicht, wo es in vielen Bereichen ja gerade um zwischenmenschliche Beziehungen, Vertrauen und Nähe geht?

Ich glaube, dass es in allen Bereiche die von zwischenmenschlicher Nähe leben, immer schwierig ist und es eine besondere Gefahr von Grenzüberschreitungen mit sich bringt. In den vergangenen Jahren ist ja in der Kirche ganz viel passiert. Die Aufklärung der Missbrauchsfälle in Ahrensburg waren ein besonderer Wendepunkt. Damit hat sich ganz viel verändert.  Früher war das Thema nicht so sehr im gesellschaftlichen Fokus. Da fehlte es an einer klaren Haltung dazu und auch an klaren Strukturen, wie damit umgegangen wird. Gerade in Situationen, in denen man zusammenarbeitet und sich gar nicht vorstellen kann, dass jemand Täter oder Täterin wird, muss es einfach ganz klare Verfahrensabläufe und Strukturen geben.

Wir haben ein Team vom Verein, das Institutionen wie Kirche begleiten kann bei der Erarbeitung von Schutzkonzepten, was die Prävention betrifft.

Wie kann jeder Einzelne aktiv werden, um sich und andere zu schützen?

Es beginnt schon mit einer klaren Haltung und einer klaren Positionierung gegen Sexismus und Grenzüberschreitungen. Man muss davon wegkommen, dass ein "nein" als "vielleicht" verstanden wird. Ich brauche auch keine Angst haben, zu sagen, "mir geht etwas zu nah". Dann bin ich nicht komisch, sondern das Empfinden hat seine Berechtigung.

Es hilft, wenn man das im Blick hat und zudem auch die Empörung teilt, wenn man etwas beobachtet hat. Aktiv damit umzugehen kann ganz viel bedeuten und viel verhindern – neben der eigenen Haltung, die natürlich grundlegend für alles ist. Zu sagen, "das ist nicht ok, das ist nicht in Ordnung", davon hängt sehr viel ab.

Der Wendepunkt e.V.

Der Wendepunkt e.V. engagiert sich seit 1991 für Respekt und Gewaltfreiheit in Erziehung, Partnerschaft und Sexualität im Kreis Pinneberg und darüber hinaus. Als gewaltpräventive Einrichtung bietet er eine Vielzahl an Maßnahmen und Angeboten, um körperliche, psychische und sexuelle Grenzverletzungen früh zu erkennen, kompetent einzugreifen und für die Zukunft verhindern zu helfen.

Mehr: www.wendepunkt-ev.de

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