Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt, Beauftragte des Rates der EKD für Schöpfungsverantwortung

Vortrag beim Kongress: „Die Zeit zu handeln ist jetzt! Halbzeitbilanz zur Umsetzung der Agenda 2030 in Gesellschaft, Kirche und Diakonie“

19. Juni 2023 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

„… dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung“ (Jeremia 29,11) – Was gibt uns Resilienz und Hoffnung trotz Erfahrungen des Scheiterns?“, Friedrichstadtkirche zu Berlin, 19. Juni 2023

I
„Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“ - Klimaveränderungen

1975, ich war elf Jahre alt, gab es in unserem Land einen Sommerhit, der damals vielen Menschen geradezu aus der Seele sang. „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer, ein Sommer, wie er früher einmal war? Ja, mit Sonnenschein von Juni bis September und nicht so nass und so verregnet wie im letzten Jahr?“ Als ich heute Morgen von Schwerin hier nach Berlin fuhr, ging mir dieses Lied von Rudi Carrell durch den Kopf. Vor allem wohl deshalb, weil das Sommerwetter in meiner Kindheit so ganz anders war als heute. Während damals Sonnenschein und Wärme geradezu herbei gesungen werden sollten, sehnen wir uns wenige Jahrzehnte später im Sommer nach regelmäßigen Regenfällen und die Bundesregierung erstellt einen Hitzeplan. Der Klimawandel ist nichts, was über viele Jahrhunderte allein für langzeitbeobachtende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen erkennbar wäre, sondern er ist auch im eigenen Erleben evident.

Und wie sich das im Alltagsbewusstsein auch bei den Menschen in Europa niederschlägt,  die von den Folgen der Klimakrise im weltweiten Vergleich noch immer relativ gering betroffen sind, konnte ich vergangene Woche unmittelbar erfahren. Während in Mecklenburg-Vorpommern Hitze und Trockenheit herrschten, Feuerwehren Waldbrände bekämpften und Ortschaften vorFeuer schützten, habe ich zur selben Zeitwährend eines Besuchs in Rom und im Vatikan täglich Gewitter mit heftigen Regenfällen erlebt. Das wäre dort, so dachte ich, ungewöhnlich für diese Jahreszeit. Aber eine Frau aus der Gemeinschaft von Sant‘Egidio sagte zu mir: „So ungewöhnlich ist das nicht - jedenfalls nicht mehr. Denn das Wetter bei uns wird zunehmend tropisch - sehr warm, schwül und dann einmal am Tag, oft gegen Mittag ein Gewitter und/oder ordentlich Regen.“

All das nach einer langen Dürreperiode in Italien, bei der anschließende heftige Regenfälle zu schweren Überschwemmungen mit all den Folgen führten, die wir in Fernsehberichten sehen konnten. Als am Freitag nach meiner Rückkehr aus Rom auch bei uns im so sonnig-warmen Schwerin endlich einmal wieder Regen fiel, nicht all zu viel, aber die Regentonnen sind wieder gefüllt, war ich erleichtert und dankbar. Dankbar und erleichtert über Regen im Sommer- noch in meiner Kindheit wäre eine solcheEinstellung für viele wohl eher merkwürdig gewesen.

II
Menschengemachte Klimakrise - menschengemachte Auswege aus der Klimakrise?

Nicht nur in meinem persönlichen Leben ist also schon längst Alltagserfahrung, worauf Wissenschaftler:innen uns seit Jahren und Jahrzehnten hinweisen und was doch immer wieder, jedenfalls in der breiten Öffentlichkeit, überhört wurde und lange Zeitohne konkrete Folgen blieb: 44 Jahre nach der ersten UN-Weltklimakonferenz 1979 in Genf befinden wir uns inmitten einer globalen Klimakrise, die menschengemacht ist und alles Leben auf unserem Planeten bedroht. Heute, hier im Französischen Dom, haben wir versucht, für unserer Handlungsumfeld und unseren Einflussbereich Strategien gegen diese Bedrohung zu entwickeln. Sie alle zielen nicht nur auf eine nicht allein an menschlichen Bedürfnissen orientierte nachhaltige Nutzung von Natur und Umwelt, sondern vielmehr auf die weitere Bewohnbarkeit unseres Planeten. Der in Chicago lehrende Historiker Dipesh Chakrabarty[1] begründet das so:  Menschen stehen „nicht im Zentrum des Bewohnbarkeitsproblems…  aber Bewohnbarkeit [ist] zentral für menschliche Existenz.“[2] Es geht dabei auch, so der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Amartya Sen, um menschliche Verantwortung gegenüber nichtmenschlichem Leben: „In Anbetracht unserer Verantwortung für Arten, die vom Untergang bedroht sind, dürfen wir dem Erhalt dieser Arten nicht bloß Bedeutung beimessen, weil ihr Vorhandensein auf der Welt unseren eigenen Lebensstandard in manchen Fällen verbessern könnte […] In Bezug auf die Umwelt kann man argumentieren, […] dass wir treuhänderische Verantwortung für andere Geschöpfe übernehmen, deren Leben wir stark zu beeinflussen vermögen.“[3]

Dipesh Chakrabarty zieht das Fazit: Menschen sind mittlerweile „zu einer geophysischen Kraft geworden, die imstande wäre, das Klimasystem des Planeten insgesamt auf furchterregende Weise zu verändern“[4]. Wahrscheinlich stimmen die meisten oder alle von uns heute hier dieser Einschätzung zu. Und vermutlich sehen es viele hier wie er, wenn er weiter feststellt: wir Menschen haben zwar „die Fähigkeit erlangt, in planetarische Prozesse einzugreifen“, sind „aber nicht unbedingt … in der Lage, sie wieder in Ordnung zu bringen.“[5]

Die Zweifel daran, die schon jetzt weltweiten Folgen der Klimakrise „wieder in Ordnung bringen“ zu können, teilen immer mehr Menschen. Hunger und Migrationsbewegungen, Krieg um Ressourcen, um Zugang zu Wasser und Nahrung oder zu Orten, an denen es überhaupt langfristige Lebensperspektiven gibt, verbunden mit den Folgen des Krieges gegen die Ukraine und den Auswirkungen der Corona-Pandemie - sie alle zeigen uns unsere Verletzlichkeit wie unsere Verbundenheit und gegenseitige Abhängigkeit in einer globalisierten Welt. Angesichts der Größe dieser Aufgabeempfinden nicht wenige Mutlosigkeit wie auchVerzweiflung, wenn die Schritte zu ihrer Bewältigung viel zu spät gemacht werden oder viel zu klein ausfallen. Dabei scheint unsere derzeitige Situation zugleich so fundamental neu zu sein, dass es schwer fällt, sich als Menschheit überhauptschnell und klug darauf einzustellen zu können.

Dass aberVerbundenheit und gegenseitige Abhängigkeit auch über weite Entfernungen hinweg nicht erst ein Thema unserer Zeit sind, sondern die Geschichte der Menschheit schon lange prägen, machen die Erkenntnisse der modernen Globalgeschichte deutlich. Komplexe Vernetzungen und Kommunikationsgemeinschaften, „die Räume erheblichen Umfangs gebildet haben“[6], sind nicht so neu wie zuweilen angenommen. Verbindungen und Abhängigkeiten gehörten zur Geschichte der Menschheit schon immer dazu - aber deren Ausmaß und Bedeutung ist über die Jahrtausende beständig so sehr gewachsen, dass sich die gegenwärtige Situation zutreffend mit dem vom Wirtschaftshistoriker Adam Tooze entlehntenBegriff der „Polykrise“ bezeichnen lässt:  Demnach existieren „ die einzelnen Krisen (…) nicht einfach nebeneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig. Sie sind über vielfältige Wirkungskanäle miteinander verbunden.“[7] Auf eine solche Polykrisezu reagieren, stellt weltweit vor neue Herausforderungen - zugleich aber verbieten sich angesichts der Komplexität einfache Antworten und simple Gewissheiten.Krisen lassen sich, auch wegen ihrer Komplexität und gegenseitigen Beeinflussung, zunehmend weniger generell verhindern. „Der Krisenmodus muss jetzt zum allgemeinen Bewusstsein dazugehören, wir müssen lernen, dass die Krise zum Alltag gehört", sagte der Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Ralph Tiesler, im Juli vergangenen Jahres vor dem Hintergrund des Jahrestages der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen.[8]

III
Klimaänderungen - Haltungen, Mentalitäten, Glaube und Resilienz

Wenn der Krisenzustand aber kein Ausnahmezustand mehr ist, wird es darum gehen, die eigene Resilienz gegenüber Krisen entsprechend zu stärken- als Gemeinschaft, als Staat, als Institution und Organisation und damit auch: als Kirche. Resilienz meint in diesem Zusammenhang „die Erhöhung der Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit individueller, sozialer oder ökologischer Systeme.“[9] Dabei steht „nicht die Erhaltung eines bestimmten Systemzustands“ im Vordergrund, sondern „ein prozesshaft-dynamisches Bestandskonzept, das Lern-, Anpassungs- und Transformationsprozesse mit einschließt.“[10] Es läuft auf die paradoxe Aufgabe hinaus, „Nichterwartbares erwarten zu können“[11].

Es geht also im Blick auf Resilienz nicht nur um das, was wir tun, sondern auch und vor allen darum, warum wir so handeln, wie wir es tun. Vor rund 30 Jahren wies der Philosoph Robert Spaemann in diesem Zusammenhang darauf hin: „… solange der Mensch die Natur ausschließlich funktional auf seine Bedürfnisse hin interpretiert und seinen Schutz der Natur an diesem Gesichtspunkt ausrichtet, wird er sukzessive in der Zerstörung fortfahren. Er wird das Problem ständig als ein Problem der Güterabwägung behandeln und jeweils von der Natur nur das übrig lassen, was bei einer solchen Abwägung noch ungeschoren davonkommt.“[12]

Es geht also um Einstellungsfragen, um Haltungen, um Mentalitäten und damit auch - um Fragen des Glaubens. Denn wie wir uns zur Bewahrung des Lebens auf unserer Erde verhalten, ist entscheidend auch eine Frage unseres christlichen Glaubens und einer sich daran orientierenden Lebensweise. Es ist eine Frage des christlichen Menschenbildes - wie verstehen wir unser Menschsein, wie verstehen wir uns selbst, oder besser: wie sehen und verstehen wir uns angesichts des Glaubens an Gott als Schöpfer, der uns als Menschen als Geschöpf unter Geschöpfen das Leben schenkt? Dessen schöpferische Macht kontinuierlich wirkt und der alles Leben erhält und liebt? Es ist eine Frage weltweiter geschwisterlicher Verantwortung - wie verstehen wir uns in einer weltweiten Gemeinschaft, in der Menschen in anderen Regionen der Erde unter den Folgen unseres Handelns oder Nicht-Handelns leiden? Wie verstehen wir unsere Mit-Verantwortung für das Leben auf diesem Planeten, für Frieden und Gerechtigkeit?

Und wie einerseits unser Glaube beeinflusst, wie wir uns als Menschen verstehen und inmitten allen Lebens auf dieser Erde handeln, wie wir das Klima im engeren wie weiteren Sinne beeinflussen, so haben andersherum Klimawandel und Klimakrise auch Einfluss auf Glauben und Glaubenseinstellungen. Beispielsweise erlebten bereits dieMenschen im Mittelalter höchst dramatische, aber noch nicht menschengemachte Klimaveränderungen und deren Folgen in der sog. „kleinen Eiszeit“. Und das hatte deutliche Auswirkungen auf ihre Frömmigkeit und ihr Glaubensleben: Endzeit- und Weltuntergangsvorstellungen, Bußbewegungen, aber auch Verfolgung von Menschen, die man als Schuldige und Sündenböcke an Missernten und Hunger brandmarkte, wie Juden- und Hexenverfolgung, waren damals Reaktionen, die in engem Zusammenhang stehen mit den Auswirkungen der damaligen deutlichen Abkühlung des Klimas: Missernten, Hunger, Pest und Krieg.[13] Und wer in alten Kirchenliedern sucht, wird schnell fündig, wie sich all das in der Alltagsfrömmigkeit niederschlug.

So etwa in Paul Gerhardts Lied „Bei großer und unzeitiger Nässe“: „O Herrscher in dem Himmelszelt,/ was ist es doch, das unser Feld,/ und was es uns hervorgebracht,/ so ungestalt und traurig macht?“ Die Antwort des Liederdichters damals ist klar: schuld sind die Menschen und ihr nicht dem christlichen Glauben entsprechendes Leben: „Man zankt noch immer fort und fort,/ es bleibet Krieg an allem Ort,/ in allen Winkeln Haß und Neid,/ in allen Ständen Streitigkeit.// Drum strecken auch all Element/ hier wider uns aus ihre Händ,/ Angst kommt uns aus der Tief und See,/ Angst kommt aus der Luft und Höh.“ Rettung in dieser Situation verspricht sich Paul Gerhardt allein dann, wenn Menschen Buße tun und sich Gott anvertrauen: „Lass deine Augen freundlich sein,/ und nimm mit gnädigen Ohren ein,/ das Angstgeschrei, das von der Erd,/ aus unsern Herzen zu dir fährt. // Reiß weg das schwarze Zorngewand,/ erquicke uns und unser Land/und der so schönen Früchte Kranz/ mit süßem warmen Sonnenglanz.“

Paul Gerhardt findet Kraft, mit der für ihn unerklärlichen Veränderung der klimatischen Bedingungen umzugehen, indem er Zuflucht in seinem christlichen Glauben sucht. Er reflektiert selbstkritisch die Rolle und die Lebensführung der Menschen seiner Zeit, setzt sein Vertrauen auf Gott, auf dessen „freundliche Augen“ und „gnädigen Ohren“ und entfaltet in einem anderen Lied, einem „Danklied für einen gnädigen Sonnenschein“ seine fast schon paradiesische Hoffnung: „Die Bäume werden schön,/ in ihrer Fülle stehn,/ die Berge werden fließen,/ und Wein und Öle gießen,/ das Bienlein wird wohl tragen/ bei warmen, stillen Tagen.“

Paul Gerhardts theologische Deutung des veränderten Klimas als Reaktion Gottes auf menschliches (Fehl)Verhalten und die eintretende Wetterbesserung als alleinige Konsequenz der Gnade Gottes ist sicher nicht mehr die unsere. Aber sie weist darauf hin, wie der Glaube auch damals Menschen Kraft und Bilder geschenkt hat, um mit Unerklärlichem, mit Schrecken und Gefahr umgehen zu können, dennoch weiter zu leben, nicht zu verzweifeln und ihr Leben zu gestalten. Mithilfe des Glaubens war es Paul Gerhardt wie vielen Menschen durch die Jahrtausende hindurch möglich, Erlebtes, Widerfahrnisse, zu verarbeiten, sie zu versprachlichen, sie, wie Adorno sagen würde „auf den Begriff zu bringen“ und so daraus Erfahrungen, gedeutetes und verarbeitetes Erleben, werden zu lassen. Erfahrungen, die besprochen werden und aus denen gelernt werden kann, und die an andere weitergegeben werden konnten.

Der christliche Glaube und seine Deutungen in der jeweiligen Zeit und ihren Lebensumständen konnte dabei höchst ambivalente Auswirkungen haben - selbstkritische Anfragen an den eigenen Lebensstil und damit verbunden Umkehr und Neuanfang, aber auch vehemente Schuldzuweisungen an andere und damit einhergehend derAusschluss von für schuldig angesehenen Menschengruppen aus der Gemeinschaft bis hin zu ihrerVerfolgung und Ermordung. Für Gegenwart und Zukunft bedeutet das aus meiner Sicht, theologische Deutungen der Klimakrise und ihrer Folgen auch im weltweiten ökumenischen Kontext sorgsam zu beobachten und kritisch zu diskutieren, welche Auswirkungen sie auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen ggf. haben oder haben könnten.

IV
„…dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung“ (Jer 29,11)

Was also stärkt Resilienz und schenkt Hoffnung? Was hilft dabei, Nichterwartbares erwarten und vor allem: damit leben zu können?

Beim Propheten Jeremia heißt es: „Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“  (Jer 29,11)Entlastende,  befreiende Worte sind das. Sie wiesen darauf hin: Nicht allein in unserer Hand steht es, Perspektiven zu finden und zu entwickeln. Nicht allein unsere Gedanken sind es, um die es geht. Und was auch immer wir denken, was auch immer wir von Gott denken mögen - Gott will Zukunft und Hoffnung schenken. Damit steht Gott, der Schöpfer allen Lebens, im Mittelpunkt, nicht der Mensch oder die Menschheit. Ohne Gottes Liebe, von deren schöpferischer Kraft alles Leben, das der Tiere, der Pflanzen, der Menschen gleichermaßen abhängt, und die alles am Leben erhält, die Zukunft und Hoffnung schenkt - ohne diese Liebe Gottes wäre alles nichts. Ich lese die Worte des Propheten als eine grundsätzliche Ansage, die menschliche Ängste wie menschliche Überheblichkeit relativiert. Aber, um Missverständnissen vorzubeugen, ich lese sie nicht als eine Aussage, die uns Menschen von verantwortlichem Handeln suspendiert. Darauf komme ich gleich zurück.

Hören wir die Worte des Propheten Jeremia deshalb zunächst als Worte, die einer anthropozentrischen, einer allein auf den Menschen konzentrierten Sichtweise und Lebenshaltung diametral entgegenstehen. Hier zunächst heraus aus der Verhältnisbestimmung Gott - Mensch. Fragt man darüber hinausgehend jedochweiter, was die Infragestellung der anthropozentrischen Sichtweise noch implizieren könnte, weitet sich der Blick. Weg von der Konzentration auf uns Menschen und allein unsere Bedürfnisse hin auf die Verbundenheit allen Lebens. Was heutige Wissenschaft unter das Stichwort: „interconnectedness“ fasst - alles Leben ist miteinander verbunden, ist voneinander abhängig - fassen Texte der Bibel schon vor Tausenden von Jahren in ein Loblied voller Staunen und Freude über das Zusammenspiel der Natur. „Du, Gott, hast alles weise geordnet…du lässt Brunnen quellen in den Tälern, dass sie zwischen den Bergen dahinfließen, dass alle Tiere des Feldes trinken und die Wildesel ihren Durst löschen. Darüber sitzen die Vögel des Himmels und singen in den Zweigen. Du tränkst die Berge von oben her und machst das Land voll Früchte, die du schaffest. Du lässt Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen“, heißt es im 104. Psalm. Was wie eine Idylle klingt, bedeutet vor allem: Alles Leben greift ineinander. So sagen es heutige Wissenschaft wie alte Psalmworte, alles Leben hat seinen Platz und seine Bedeutung - und wir Menschen stehen nicht außerhalb, sondern sind von Anfang an verbunden mit allemLebendigen. Noch vor aller Frage nach der daraus folgenden Verantwortung ist das, so finde ich, Anlass zu Freude, zu Staunen und Dankbarkeit - es erinnert uns daran, was unser Leben so wunderbar macht, was daran liebenswert ist, was wir davon erhalten und weitergeben möchten und woraus wir Kraft schöpfen können. Also kurz: Es ist eine Quelle für Resilienz. Ebenso wie der Bundesschluss Gottes nach der großen Flut mit allem Lebendigen, der leider oft verkürzt als Bund Gottes mit Noah oder den Menschen dargestellt wird. „Siehe“, heißt es dort im Buch Genesis, „siehe, ich richte mit euch einen Bund auf und mit euren Nachkommen und mit allem lebendigen Getier bei euch, an Vögeln, an Vieh und an allen Tieren auf Erden bei euch, von allem, was aus der Arche gegangen ist, was für Tiere es sind auf Erden.“ (Gen 9, 8-10)

Was Resilienz, Zuversicht und Hoffnung zu schenken und zu stärkenvermag, ist aber nicht nur der Blick der biblischen Texte zurück, zu den Anfängen. Sondern ebenso der Blick nach vorn, in die Zukunft. In die Zukunft aus Gottes Hand. Ich beschränke mich hier auf die Perspektive des Kolosserbriefes und seines Christushymnus: durch Christus, heißt es da, „wurde alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbares seien es Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten, es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen. Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm... Denn es hat Gott gefallen, alle Fülle in ihm wohnen zu lassen und durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.“ (Kol 1,16-17.20) Was für eine machtvolle, was für eine ermutigende Hoffnung - alles Leben, die ganze Schöpfung, wird durch Christus versöhnt, ist in Christus versöhnt!

Und die Apokalypse, das Buch der Offenbarung, mit seinen Visionen von Untergang und Vernichtung, bevor alles mündet in der friedlichen Stadt ohne Tod und Schmerz, ohne Tränen und Leid, im himmlischen Jerusalem? Es fehlt mir die Zeit, hier näher auf die Apokalypse einzugehen. Deshalb nur ein knapper Hinweis: das Buch der Offenbarung legt offen, so die Wortbedeutung von Apokalypse, es lässt zu Tage treten, wie die gegenwärtigen Verhältnisse wirklich sind und wie sie nach Gottes Willen ausgehen werden. Um es kurz zu sagen: im Buch der Offenbarung geht es um das Ende der damaligen Weltordnung und der bestehenden Machtverhältnisse, also damals des römischen Imperiums und seiner unterdrückerischen Herrschaft. Es geht aber nicht um das Ende der Welt an und für sich.[14]

V
Leben aus Gottes Möglichkeiten

Resilienz und Hoffnung - für den christlichen Glauben speisen sie sich aus dem Vertrauen auf Gottes von Anbeginn der Zeit bis in Ewigkeit wirkende unbeirrbare Liebe, aus der Hoffnung, die das mit der Taufe beginnende, neue Leben in Christus schenkt, aus der Energie und Kreativität, die die Kraft des Heiligen Geistes immer wieder vermittelt. Gegen alle Rückschläge und alles Scheitern steht die Auferstehungshoffnung: nichts, gar nichts, nicht einmal der Tod wird Gottes unbeirrbarer Liebe zum Leben widerstehen können. Aus radikaler Hoffnung, aus einer Gott von Grund auf vertrauenden Hoffnung, lebt deshalb, wer sich als Geschöpf unter Geschöpfen und als Teil von Gottes Schöpfung versteht.

Und wer sich so versteht, wird frei zur Verantwortung an Gottes Seite - für Andere, für die Nächsten, für die Mitgeschöpfe, für unser Zusammenleben, für diese Welt. Nimmt aus dieser Freiheit heraus Verantwortung dafür wahr, dem Leben mit anderen und der gesamten Schöpfung zu dienen. Denn, mit Worten des Theologen Ingolf Dalferth: „Die Welt muss sich ändern, nicht Gott, und die Welt ändert sich dann zum Guten, wenn sie zum Spiegel von Gottes Güte wird.“[15] Dabei aber bleibt die österliche Erfahrung zentral, dass es letztlich allein Gott ist, der Leben, neue Perspektiven und neue Möglichkeiten zu schenken vermag, wo wir Menschen nicht oder nicht mehr damit rechnen.

Wer das Leben so als Gabe, als Geschenk aus der Hand Gottes des Schöpfers glaubt und erlebt, wird alles in seiner oder ihrer Macht stehende tun, um dieses Geschenk liebevoll zu behüten und es achtsam im Blick auf die anderen Geschöpfe zu leben. Genau darum geht es heute und morgen hier in Berlin, genau darum geht es an allen Orten und unser Leben lang: Unter Gottes Segen verantwortungsvoll in seiner Schöpfung leben - als Geschöpf unter Geschöpfen. Und es geht darum, in all unserem Tun und Lassen darauf zu vertrauen, dass Gott alle seine Geschöpfe, seine ganze Schöpfung ins Leben liebt - in sein Leben.[16] Noch einmal mit dem Propheten Jeremia: „Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“  (Jer 29,11)

 


[1] Vgl. dazu Dipesh Chakrabarty, Das Klima der Geschichte im planetarischen Zeitalter, Berlin 2022.

[2] Chakrabarty, aaO., 147.

[3] Amartya Sen, Energy, Environment and Freedom. Why we must think about more than climate change, in: The New Republic, 25.8.2014, 39; zitiert nach Chakrabarty, 251.

[4] Chakrabarty, aaO., 12.

[5] Chakrabarty, 16.

[6]Michael Borgolte, Die Welten des Mittelalters. Globalgeschichte eines Jahrtausends, München 2022, 15.

[7] Adam Tooze, Kawumm! Die Krisen dieser Zeit überlagern und verstärken sich gegenseitig. Das stellt die Politik vor neue Herausforderungen, in: DIE ZEIT, Nr. 29, 15.7.2022.

[9] Karl-Werner Brand, Nachhaltigkeitsperspektiven in der (Post-)Corona Welt. Globale Umbrüche und die Herausbildung neuer Resilienzregime, in: Soziologie und Nachhaltigkeit. Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung, Sonderband II: Die sozial-ökologische Transformation in der Corona-Krise, Münster 2020, 9-20, 17.

[10] Brand, Nachhaltigkeitsperspektiven, 18.

[11] So Ulrich Bröckling, Resilienz. Über einen Schlüsselbegriff des 21. Jahrhunderts. Essay auf Soziopolis vom 24.7.2017, https://www.soziopolis.de/resilienz.html (letzter Zugriff: 12.8.2022)

[12] Robert Spaemann, Technische Eingriffe in die Natur als Problem der politischen Ethik, in: Dieter Birnbacher (Hg.), Ökologie und Ethik, Stuttgart 1980, 180-206, 197.

[13] Vgl. dazu Philip Jenkins, Climate, catastrophe, and faith. How changes in climate drive religious upheaval, Oxford 2021.

[14] Vgl. dazu N.T. Wright, The New Testament and the People of God, London 1992, 299: „The kingdom of God has nothing to do with the world itself coming to an end“. Stattdessen geht es um „an end to the present world order“, nicht um „the end of the space-time world.“

[15] Ingolf Dalferth, Malum. Theologische Hermeneutik des Bösen, Tübingen 2008, 545.

[16] Angelehnt an eine Formulierung bei Ulrich Dalferth, Malum, aaO., 547: „Gott liebt das Geschöpf ins Leben - in sein Leben. Und daraus kann es durch kein Übel, das es betrifft, und kein Böses, das es zu vernichten scheint, herausfallen.“

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