Flüchtlingshilfe

Schutz in der kalten Jahreszeit: Hamburg beschließt Beschlagnahme-Gesetz

06. Oktober 2015 von Simone Viere

Hamburg. Es ist ein Tabubruch. Hamburg nimmt sich das Recht, leere Immobilien für eine begrenzte Zeit zu beschlagnahmen. Anders sei die Unterbringung der vielen Flüchtlinge nicht möglich. Rechtsexperten sind sich uneins, ob der Staat das darf.

Die Idee scheint bestechend: Der Staat beschlagnahmt leerstehende Immobilien und gibt darin Flüchtlingen eine neue Heimat. Als erstes Bundesland hat Hamburg am Donnerstag, 1. Oktober,  ein Gesetz beschlossen, leere Gewerbeimmobilien zumindest zeitweise zu beschlagnahmen, um dort Flüchtlinge unterzubringen. Schließlicht steht der Winter vor der Tür, die Unterbringung in Zelten ist da zu kalt und menschenunwürdig. Der starke Zustrom von Flüchtlingen habe außerdem dazu geführt, dass Container und Zelte kaum noch zu bekommen seien, heißt es zur Begründung. Noch dramatischer sei die Marktlage bei Sanitärcontainern. Das Gesetz soll bis zum 31. März 2017 befristet sein. Auch Bremen plant ein ähnliches Gesetz.

"Wir halten es für angemessen und richtig, Gewerbe-Immobilien sicherzustellen", sagte Anjes Tjarks, Fraktionschefin der Grünen. Die Beschlagnahmung sei zudem an klare Bedingungen geboten: Es müsse eine große Immobilie sein und sie müsse leerstehen. Darüber hinaus müsse zuerst versucht werden, mit dem Eigentümer eine Einigung zu erzielen, und er müsse mit einer ortsüblichen Miete entschädigt werden.

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) begrüßte die Verschärfung des bisherigen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. "Der Senat ist gut beraten, die soziale Verpflichtung von Wohneigentum einzufordern", sagte SoVD-Landesvorsitzender Klaus Wicher. Angesichts des Büro-Leerstandes von 1,2 Millionen Quadratmetern müssten auch Büroflächen in die Planungen einbezogen werden. Auch das Hamburger Wohnraumschutzgesetz enthalte Handlungsmöglichkeiten: Eigentümer müssten Leerstand melden, der mindestens drei Monate dauert, sagte Wicher. Behörden können eine Zwischennutzung, Zwangsvermietung oder ein Bußgeld verfügen. 

Was darf der Staat?

Die baden-württembergische Kleinstadt Eschbach bei Freiburg ging einen anderen Weg. Sie kündigte einer Mieterin einer Gemeindewohnung, um dort Flüchtlinge unterzubringen. Beschlagnahme von leerstehenden Immobilien und Kündigung von Mietwohnungen zur Unterbringung von Flüchtlingen. Darf der Staat das?

"Auch in kleinen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen gibt es Einzelfälle, wo kommunale Mietwohnungen gekündigt wurden", sagte Ulrich Ropertz, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes. Nach seiner Auffassung ist dies rechtswidrig. Kommunen könnten für ihre vermieteten Wohnungen keinen Eigenbedarf geltend machen. Dies sei nur natürlichen Personen erlaubt. So bleibe ihnen nur noch das Argument, "aus berechtigtem Interesse" zu kündigen. Hier lägen die Hürden für eine Mietkündigung aber sehr hoch, zumal ja auch die bestehenden Mieter ein Recht auf ein Dach über dem Kopf hätten, sagte Ropertz.

"Es gibt schließlich den Grundsatz, Mietverträge einzuhalten", erklärte der Mietrechtsexperte. Der Bund versäume es seit Jahren, bezahlbaren Wohnungsbau angemessen zu fördern. Nun sei die Misere angesichts des Zustroms von Flüchtlingen besonders groß.

Dies bestätigte auch Franz-Reinhard Habbel, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. "Der Bund hat jetzt 500 Millionen Euro für den Wohnungsbau zur Verfügung gestellt", sagte Habbel. Gebraucht würden jedoch zwei Milliarden Euro. In den nächsten fünf Jahren würden jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen benötigt.

Zwangsweise Einquartierung von Flüchtlingen nicht zu befürchten

Der Schritt Hamburgs, durch ein neues Gesetz leere Immobilien befristet für die Unterbringung von Flüchtlingen beschlagnahmen zu können, begrüßte Habbel. "Ich glaube schon, dass das etwas bringen wird." So könnten Kommunen im Notfall auf Lagerhallen oder Baumärkte ausweichen. Die zwangsweise Einquartierung von Flüchtlingen in Privatwohnungen sei nach seiner Überzeugung jedoch nicht zu befürchten.

Der Hauseigentümerverband "Haus und Grund" erklärte Beschlagnahmeaktionen von leerstehenden Immobilien als "kontraproduktiv". "Wir setzen vielmehr auf Freiwilligkeit", sagte Haus-und-Grund-Sprecher Alexander Wiech. Viele Eigentümer würden von sich aus leerstehenden Wohnraum oder größere Immobilien zur Unterbringung von Flüchtlingen anbieten.

Mit der Androhung von Zwangsmaßnahmen bestehe die Gefahr, dass die Hilfsbereitschaft vieler Menschen zurückgeht. Hilfreich wäre es, wenn Kommunen sich als Mieter und damit als Vertragspartner anbieten, um die Flüchtlinge in leerstehenden Immobilien unterbringen zu können, sagte Wiech.

Was ist wichtiger? Schutz des Einzelnen oder das Eigentumsrecht

Die Beschlagnahmung von Wohnraum sei nach dem Polizei- und Ordnungsrecht nur im Einzelfall bei einer Gefährdungssituation und nur als letztes Mittel möglich, so Wiech. Dabei müssten Kommunen abwägen zwischen dem Schutz des Einzelnen vor Obdachlosigkeit und dem im Grundgesetz geschützten Eigentumsrecht. Hamburgs neues Gesetz ist für den Vertreter des Hausbesitzerverbandes "ein Eingriff in das Eigentumsgrundrecht". Wiech befürchtet, dass es nicht bei der Beschlagnahmung von gewerblichen Immobilien bleiben wird.

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