Hoffnungsleuchten

Der Mitternachtsbus hilft allen ohne feste Bleibe

Unbürokratisches Nothilfe: Für einen symbolischen Betrag erhalten Frierende eine Decke, Isomatte oder Schlafsack.
Unbürokratisches Nothilfe: Für einen symbolischen Betrag erhalten Frierende eine Decke, Isomatte oder Schlafsack. © André Lenthe
Gabriele Steinhoff ist alle vier Wochen im "Dienstagsteam" des Mitternachtsbusses im Einsatz. Die Intensivkrankenschwester wünscht sich, dass die Corona-Krise den Menschen die Augen für die Situation anderer öffnet.
Gabriele Steinhoff ist alle vier Wochen im "Dienstagsteam" des Mitternachtsbusses im Einsatz. Die Intensivkrankenschwester wünscht sich, dass die Corona-Krise den Menschen die Augen für die Situation anderer öffnet. © André Lenthe
Raphael Bergoint und Gabriele Steinhoff arbeiten normalerweise in einem Team aus vier Personen. Corona-bedingt sind sie momentan nur zu zweit unterwegs.
Raphael Bergoint und Gabriele Steinhoff arbeiten normalerweise in einem Team aus vier Personen. Corona-bedingt sind sie momentan nur zu zweit unterwegs. © André Lenthe

22. Dezember 2020 von Julia Krause

Er ist 365 Nächte im Jahr on Tour: Der Mitternachtsbus der Diakonie Hamburg. In diesem Corona-Winter sind die Ehrenamtlichen, die mit ihm jeden Abend Essen und Kleidung zu wohnungslosen Menschen bringen, besonders gefordert. Während das Wirtschaftsleben stockt, spenden sie Trost und Wärme in einer sehr besonderen Zeit.

Auf dem Gehweg neben dem Saturn-Laden am Hamburger Hauptbahnhof ist es voll: Eine lange Schlange wartender Menschen steht neben der Busspur. Im Gepäck haben sie Rucksäcke, Isomatten, Plastiktüten. Es ist Dienstag, 20.20 Uhr. Zur dieser Zeit beginnt der Mitternachtsbus der Diakonie seine Tour.

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Raphael Bergoint arbeitet seit 15 Jahren als Ehrenamtlicher beim Projekt Mitternachtsbus. Nach etwa einer Stunde Vorbereitungszeit, in der der Bus beladen und die Essenspenden eingesammelt werden, steuert er ihn zu den Schlafplätzen der Wohnungslosen. © André Lenthe

Voller Einsatz mit halber Mannschaft

An der ersten Station sei immer am meisten los, sagt Gabriele Steinhoff. Die Intensivkrankenschwester steht hinter einem Klapptisch vor der geöffneten Tür des grünen Kleintransporters und verteilt Brötchen, Kuchen, heiße Getränke, warme Brühe und Taschentücher an die Wartenden.

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Kaffee, Tee, Decken, Isomatten und ein kleiner Vorrat an warmer Kleidung: All das bringt der Bus jede Nacht zu denen, die kein Dach über dem Kopf haben. © André Lenthe

Alle vier Wochen ist sie ehrenamtlich zusammen mit Raphael Bergoint im Einsatz. Normalerweise gehören zum "Dienstagsteam" noch zwei freiwillige Helfer mehr. In der Corona-Krise haben sie die Mannschaft halbieren müssen, um den Abstand im Bus wahren zu können.

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Zwei Hamburger Bäckereifilialen spenden am Abend Kuchen und Brötchen, die am Tag nicht verkauft wurden. Manchmal reicht es für alle Wartenden, manchmal nicht. © André Lenthe

Jetzt erledigen vier Hände den Job von acht. Das heißt: die Spenden abholen, Bus beladen, Stationen anfahren, Getränke zubereiten, Essen ausgeben und Protokoll darüber führen, wie die Nacht verlaufen ist. Namen werden dabei nicht notiert, es gehe eher darum zu schauen, wie die Nachfrage an den Stationen ist, erläutert Raphael Bergoint. "Oft hat es nicht gereicht" , erklärt seine Kollegin mit Blick auf die vergangenen Monate. 

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An der ersten Station am Hauptbahnhof ist immer besonders viel los, berichten die Ehrenamtlichen. Durch die Corona-Auflagen können sie nur zu zweit im Einsatz sein. Sie arbeiten schnell, um niemanden länger als nötig warten zu lassen.© André Lenthe

Hamburger Initiativen, die Obdachlosen eine Hotelübernachtung ermöglichen: Hotels for HomelessBündnis für Wohnngslose 

Und das liegt auch an der Corona-Pandemie: So mussten zwei Bäckerei-Filialen, von denen der Mitternachtsbus bislang Brötchen- und Kuchenspenden bezog, infolge der Krise schließen. Zwar sprang die Sozialbehörde ein und stellte fertige Lunchpakete zur Verfügung. Doch bis neue Filialen gefunden waren, klaffte dennoch eine Lücke. "Da war sonst wirklich viel abzuholen. Und nichts davon musste weggeschmissen werden", sagt die freiwillige Helferin. Manchmal hätte sie nach der letzten Station in Altona noch etwas in die Übernachtungsstätte Pik As bringen können. 

Die Sehnsucht nach Nähe ist groß

In dieser Nacht liegen auf dem Campingtisch vor dem Bus auch einige Hoffnungssterne der Nordkirche. Zögernd nehmen sich einige der Gäste einen. "Weihnachten? Da bin ich allein", sagt eine Frau achselzuckend. Mit dem Begriff Hoffnung kann sie zunächst nicht viel anfangen. Doch ganz konkret nach ihren Wünschen gefragt, sagt sie rasch: "Besseres Wetter!", um dann zu ergänzen: "Und das man endlich mal wieder zusammenkommen kann." 

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Was bedeutet Hoffnung, wenn man auf der Straße lebt? Viele wünschen sich ein Wiedersehen mit der Familie. Der Kontakt zu den Ehrenamtlichen hilft, die Einsamkeit kurz zu vergessen. © André Lenthe

Neben der Einsamkeit bedeutet die Corona-Krise für viele auch schlicht keine Einnahmen zu haben: "Schau her, hier ist nichts los", sagt Stefan und deutet auf die leere Mönckebergstraße. Zusammen mit Manuel hat er sich in einem Ladeneingang ein Lager aus Isomatten und Decken gebaut. Davor stehen ein Windlicht, ein paar Weihnachtskugeln und ein Schild mit der Bitte um Kleingeld. Es komme kaum etwas zusammen, weil einfach weniger Leute unterwegs seien, erzählen sie. 

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Durch die Corona-Pandemie sind kaum Leute auf der Straße, die Geld spenden. Mit dem erneuten Lockdown werden es noch weniger. © André Lenthe

Materielles steht dennoch nicht ganz oben auf ihrer Wunschliste. Stattdessen sagt Stefan: "Ich will die Entgiftung schaffen. Dass mein Leben wieder normal wird." Manuel hofft dagegen auf ein Wiedersehen mit seinen Kindern.

Plausch am Bus wird zum Ritual

Es ist ein Wunsch, mit dem er nicht alleine dasteht. Viele der Gäste des Mitternachtsbusses sind seit Jahren auf der Straße unterwegs ohne Kontakt zu ihren Familien. Nicht selten kommen einige von ihnen mehrmals pro Nacht zum Bus, erzählt Raphael Bergoint – für ein heißes Getränk, aber auch, um sich wenigstens kurz unterhalten zu können.

Oft versuchen die Helfer dann auch auf weitere Angebote der Diakonie wie etwa den Tagestreff in der Bundesstraße 101 hinzuweisen. "Der Bus ist ein bewusst niedrigschwelliges Angebot", sagt Projektleiterin Sonja Norgall. Er soll die Hemmungen nehmen, weitere Hilfen anzusteuern. 

Neben warmen Getränken und Snacks hat der Bus eine Art Notfall-Kleiderkammer an Bord. Wer sich vor der Kälte schützen muss, kann zudem gegen einen symbolischen Betrag von 1 bis 2,50 Euro eine Decke, Isomatte oder Schlafsack bekommen.

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Kalte Füße sind für alle, die ohne ein Dach über dem Kopf leben, ein Problem. Der Mitternachtsbus hat einen Grundstock an warmer Kleidung an Bord, und frierende Gäste zu versorgen. © André Lenthe

Kann jemand nicht bezahlen, wird der Betrag aufgeschrieben – fürs nächste Mal. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dies gut funktioniert", erläutert Norgall. Der kleine Beitrag soll dabei helfen, der Sache einen gewissen Wert zu geben, "um sich auch darum zu kümmern und es nicht einfach am nächsten Morgen liegen zu lassen", erklärt die Projektleiterin und ergänzt: "Außerdem entsteht so auch eine Beziehung auf Augenhöhe, wenn der Gast eine Decke kaufen kann und nicht auf ein Almosen angewiesen ist."

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In der Corona-Pandemie wird das Essen in Plastikbeuteln gereicht. Zurzeit werden jede Nacht 120 Stück ausgegeben.© André Lenthe

Der Weg in die Obdachlosigkeit kann schnell gehen

Unter denen, die in dieser Nacht um eine Isomatte bitten, ist auch ein hochgewachsener Mann mit norddeutschem Slang. Er ist einer der wenigen, der nicht allein Platte macht. "Der Hamburger Jung", wie er sich selbst nennt, lebt zusammen mit seiner Frau auf der Straße und zeigt stolz seinen Ehering. Einst hatten sie ein festes Einkommen und eine Wohnung. Doch dann verloren sie ihr Kind und mit ihm ihren Halt, so erzählt er es. Aus der Wohnung zogen sie erst ins Hostel, dann auf die Straße.

Doch hier ist seine Frau nicht sicher – immer wieder gebe es Prügeleien mit anderen Männern, die seine Frau belästigten, sagt er. Eigentlich hätte er es deswegen lieber, wenn sie in ein Wohnheim für Frauen ziehe. Doch bislang konnten sich beide nicht dazu durchringen, sich räumlich voneinander zu trennen. 

Etwa 70 bis 80 Prozent der Gäste des Mitternachtsbusses sind Männer, erzählen die Helfer. Viele davon haben ihre Heimat verlassen und sind seitdem ohne festen Wohnsitz. So auch Serban aus Rumänien.

Ständig auf Achse und doch allein

Das ganze Jahr schon ist er herumgereist, bis er in Hamburg ankam. Hier schläft er "auf einem Platz, der ein Mittelding zwischen Park und Wald ist", sagt er auf Englisch. Auf die Frage, wie er das im Dezember bei Temperaturen kurz über null Grad aushalte, lacht er und antwortet "Ich habe einen Schlafsack! Und so kalt wie in Norwegen ist es nun auch wieder nicht." 

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Auch am Hamburger Michel hält der Mitternachtsbus, um wartende Menschen zu versorgen. An Weihnachten und allen anderen Nächten des Jahres. © André Lenthe

"Die Leute sollten weniger um sich selbst kreisen" 

Für das neue Jahr wünscht er sich, dass er als Dichter endlich Erfolg hat. Und was erhoffen sich die Ehrenamtlichen, die ihm und bis zu 159 weiteren Menschen pro Nacht mit einem warmen Kaffee Trost spenden?

"Wir haben gedacht, die Corona-Zeit macht uns alle freundlicher, hilfsbereiter. Ich finde nicht, dass es bislang so ist. Aber es ist mein größter Wunsch: Dass die Leute nicht mehr so engstirnig sind und weniger um sich selbst kreisen", sagt Helferin Gabriele Steinbach, als sie am Hamburger Michel Essen austeilt. Dann treibt sie zur Eile an. "Wir müssen jetzt weiter, unsere Gäste warten schon."

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"Ein normales Leben" oder auch "meine Familie wiedersehen", "nach Hause können" – das sind die Hoffnungen, mit denen einige der Wartenden in das neue Jahr gehen. © André Lenthe

Seit fast 25 Jahren ist der Mitternachtsbus nun im Einsatz. An Heiligabend und jeder anderen Nacht – selbst in Pandemiezeiten. 

Der Mitternachtsbus

Zum ersten Mal rollte der Bus 1996 durch Hamburgs Straßen. Oberste Priorität war und ist es, den Tod durch erfrieren zu verhindern. Gleichzeitig sollen durch das Projekt weitere Hilfen wie etwa die ärztliche Sprechstunde der Diakonie vermittelt werden. Finanziert wird er zu 100 Prozent durch Spenden, viele davon kommen auch von Hamburger Firmen. Um das Projekt am Laufen zu halten, fallen pro Jahr inklusive Koordination, Verwaltung, Versicherung und Werkstattbesuchen rund 140.000 Euro an. Insgesamt arbeiten in dem Projekt 140 Ehrenamtliche. Zurzeit geben sie jeden Abend 120 fertige Lunchpakete eines Caterers aus, daneben verteilen sie die Spenden einiger Bäckereien. 

 

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