Landesbischöfin: „Menschen so stärken, dass sie ihr Leben bejahen können”
04. März 2021
„Was Sterbende brauchen, ist unsere Solidarität, nicht das todbringende Medikament”, so fasste Prof. Dr. Körtner gestern in der Veranstaltungsreihe der Nordkirche zum assistierten Suizid die Positionen zusammen.
Ziel müsse jetzt sein, geschwisterlich zu klären, wie Sterbenskranke auch in Grenzfällen gut begleitet werden können bis zuletzt, so Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt.
Mehr zur Reihe:
Vortrag mit Jurist Professor Michael Germann (Halle)Vortrag mit Theologe Professor Dietrich Korsch (Marburg)Vortrag mit Diakonikerin Professor Annette Noller (Stuttgart).
Nach Auffassung von Kristina Kühnbaum-Schmidt, Landesbischöfin der Nordkirche, sollte die Möglichkeit einer assistierten Sterbehilfe in kirchlichen Einrichtungen „in besonderen Grenzfällen” nicht prinzipiell ausgeschlossen werden. Zugleich müsse die Kirche aber dem regelhaften Angebot der Suizidbeihilfe in ihren Pflegeheimen und Krankenhäusern entgegentreten, sagte Kühnbaum-Schmidt zum Abschluss einer Veranstaltungsreihe der Nordkirche in Schwerin. Kirchliche Einrichtungen dürften sich nicht zu einem Teil geschäftsmäßiger Suizidhilfe machen.
Menschen stärken
Gott trete für das Leben ein und eröffne auch am Ende des Lebens - „und darüber hinaus” - immer noch Perspektiven, so Kühnbaum-Schmidt. Aufgabe der Kirche sei es daher, Menschen so zu stärken, dass sie ihr Leben bejahen können. Konkret seien dies praktische Unterstützung im Alltag, seelsorgerische und psychologische Beratung sowie palliativmedizinische Begleitung.
Suche nach einer Position zum assistierten Suizid
Mit einer Weitung des Blicks auf die europäischen Nachbarn und die Ökumene ging die Veranstaltungsreihe der Nordkirche gestern (3. März) zum assistierten Suizid in kirchlichen Einrichtungen zu Ende. Das Ziel der Landesbischöfin: Im geschwisterlichen Gespräch eine Position zum assistierten Suizid zu finden.
Vor einem Bild der ehemaligen Wiener Spitalskapelle sprach Professor Ulrich Körtner zu rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Das Gebäude, das heute das Institut für Ethik und Recht in der Medizin beherbergt, hatte er als Hintergrund für die digitale Veranstaltung ausgewählt. Ulrich Körtner ist Vorstand dieses Instituts und Ordinarius für Systematische Theologie und Religionswissenschaft an der Universität Wien.
Wie ist die Lage in den Nachbarländern?
Der Theologieprofessor nahm in seinem Vortrag eine Weitung des Blicks vor: Er verglich die deutsche Rechtsprechung mit der der Nachbarländer. So ist Suizidbeihilfe in Österreich strikt verboten und in der Schweiz erlaubt, solange dies nicht aus „selbstsüchtigen Motiven” geschieht. Statt eines Alleingangs der Protestanten mahnte Körtner die ökumenische Dimension an: Katholiken und Orthodoxe etwa lehnen eine Beihilfe zum Suizid und Tötung auf Verlangen uneingeschränkt ab.
Assistierter Suizid, das machte Körtner klar, findet immer in einem Beziehungsgeflecht statt und hat weitreichende Folgen in die Gesellschaft hinein. „Medizinisches Handeln und pflegerisches Handeln sind in Organisationen hochgradig arbeitsteilig”, erläuterte der Theologe, „weitere Akteure sind Angehörige, Seelsorgerinnen, Führungskräfte und Juristen. Wir müssen also die jeweiligen Perspektiven all dieser Menschen in den Blick nehmen.”
Diskussion: „Die Kirche darf Position beziehen”
In der an den Vortrag anschließenden Diskussion hielt der Hallenser Verfassungsrechtler Michael Germann ein Plädoyer, als Kirche auf den gerade anlaufenden Gesetzgebungsprozess Einfluss zu nehmen: „Seit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil gibt es in Deutschland überhaupt keine Beschränkungen für die geschäftsmäßige Suizidhilfe. Deswegen stellt sich die Frage, was in den Einrichtungen geschieht, sehr aktuell. Ich ermutige dazu, die Klärung der Rechtsfragen und die Gesetzgebung nicht nur als etwas zu betrachten, was man einfach abwarten muss. Die Kirche darf Position beziehen, ihre Sichtweisen in die öffentliche Diskussion einbringen und von ihrer Freiheit Gebrauch machen, selbst danach zu handeln.”