„Selbstbestimmtes Leben ist verantwortungsvolles Leben“

Ulrich Körtner bei Veranstaltungsreihe der Landesbischöfin zu assistiertem Suizid

Professor Dr. DDr. h.c. Ulrich Körtner
Professor Dr. DDr. h.c. Ulrich Körtner© Hans Hochstöger/Ulrich Körtner

04. März 2021 von Annette Klinkhardt

Schwerin/Wien. Mit einer Weitung des Blicks auf die europäischen Nachbarn und die Ökumene ging gestern (3. März) die Veranstaltungsreihe zum assistierten Suizid in kirchlichen Einrichtungen von Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt zu Ende. Das Ziel der Landesbischöfin der Nordkirche: Im geschwisterlichen Gespräch eine Position zum assistierten Suizid zu finden.

Dazu sprachen in den letzten Wochen der Jurist Professor Michael Germann (Halle), der Theologe Professor Dietrich Korsch (Marburg) und die Diakonikerin Professor Annette Noller (Stuttgart). Sämtliche Vorträge werden auf www.nordkirche.de nachzuhören sein.

Landesbischöfin: Gott hat auch am Ende des Lebens noch Perspektiven für uns

Zum Abschluss der Reihe betonte die Landesbischöfin: „Unsere Aufgabe ist es, an der Seite der Menschen zu sein, im Auftrag Gottes, der für das Leben eintritt und immer noch Perspektiven hat – auch am Ende des Lebens und darüber hinaus. Dazu gehört aus meiner Sicht, mit Angeboten von alltagspraktischer Unterstützung über seelsorgerische und psychologische Beratung bis hin zur palliativmedizinischen Begleitung Menschen so zu stärken, dass sie ihr Leben bejahen können. Meiner Meinung nach sollte die Möglichkeit einer assistierten Sterbehilfe im Rahmen kirchlicher Einrichtungen in besonderen Grenzfällen nicht prinzipiell ausgeschlossen werden - zugleich aber halte ich es für nötig, als Kirche dem regelhaften Angebot der Suizidbeihilfe in kirchlichen Einrichtungen entgegenzutreten und sich nicht zu einem Teil geschäftsmäßiger Suizidhilfe zu machen. So würde ich den Rahmen beschreiben, innerhalb dessen sich zu positionieren die gegenwärtige Herausforderung für uns als Kirche ist.“

Zoom macht's möglich: Referent in Wien

Vor der ehemaligen Wiener Spitalskapelle sprach Professor Ulrich Körtner zu rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Das Gebäude, das heute das Institut für Ethik und Recht in der Medizin beherbergt, hatte er als Hintergrundbild für die digitale Veranstaltung ausgewählt. Ulrich Körtner ist Vorstand dieses Instituts und Ordinarius für Systematische Theologie und Religionswissenschaft an der Universität Wien.

Der Theologieprofessor nahm in seinem Vortrag eine Weitung des Blicks vor: Er verglich die deutsche Rechtsprechung mit der der Nachbarländer. So ist Suizidbeihilfe in Österreich strikt verboten und in der Schweiz erlaubt, solange dies nicht aus „selbstsüchtigen Motiven“ geschieht. Statt eines Alleingangs der Protestanten mahnte Körtner die ökumenische Dimension an: Katholiken und Orthodoxe etwa lehnen eine Beihilfe zum Suizid und Tötung auf Verlangen uneingeschränkt ab.

Körtner: Suizid findet immer in einem Beziehungsgeflecht statt

Assistierter Suizid, das machte Körtner klar, findet immer in einem Beziehungsgeflecht statt und hat weitreichende Folgen in die Gesellschaft hinein. „Medizinisches Handeln und pflegerisches Handeln sind in Organisationen hochgradig arbeitsteilig“, erläuterte der Theologe, „weitere Akteure sind Angehörige, Seelsorgerinnen, Führungskräfte und Juristen. Wir müssen also die jeweiligen Perspektiven all dieser Menschen in den Blick nehmen.“ Für Kirche und Diakonie schließe das folgende Fragen ein: „Was bedeutet das für die Einrichtung? Was würde ein assistierter Suizid im Nebenzimmer für die anderen Bewohner bedeuten? Was bedeutet das für das Vertrauensverhältnis zu den Pflegekräften?“

Mit dieser Sichtweise könne man ein gewichtiges Argument der Befürworter des geschäftsmäßigen assistierten Suizids auch in diakonischen Einrichtungen aushebeln. Ulrich Körtner: „Es heißt oft, es sei besser, Sterbewilligen in ‚geschützten Räumen‘ zu helfen, als sie allein zu lassen. Doch inwieweit lässt man dann die anderen Bewohner mit dem Geschehen allein? Kann das für sie nicht auch eine Traumatisierung bedeuten? Auch das Vertrauensverhältnis zu den Pflegekräften einer Einrichtung kann dadurch leiden.“

Sterbehilfe kann für Umgebung traumatisierend sein

Wenn Sterbehilfe nicht als ein Grenzfall gesehen werde, sondern als institutionalisiertes Handeln, dann habe das auch Auswirkungen auf die gesellschaftliche Einschätzung von Sterben und Tod, betonte der Ethiker. „Wenn die Pflegerin zu einem Bewohner des Seniorenheims sagt, die Nachbarin hätte es ‚geschafft‘ – was vermitteln wir da für ein Bild von Leiden und Sterben?“

Doch nicht nur die Einrichtungen tragen laut Körtner eine große Verantwortung. Auch den Menschen mit Todeswunsch könne man nicht davon freisprechen. „Weil der Mensch ein Beziehungswesen ist, bedeutet selbstbestimmtes Leben, verantwortungsvoll zu leben. Die Verantwortung besteht nicht nur allein uns selbst gegenüber. Wir tragen sie auch gegenüber den Menschen, zu denen wir in Beziehung stehen, und vor Gott, dem wir das Leben als Gabe und Aufgabe verdanken.“ Damit stellte der Wiener Professor sich klar gegen die Fokussierung auf die Selbstbestimmung des Menschen, wie sie das Bundesverfassungsgericht vor rund einem Jahr vorgenommen hat.

Schuldgeschichte der Kirche

Verantwortung zu benennen bedeute allerdings nicht, zu verurteilen. Dazu brachte Körtner den biblischen Begriff der Barmherzigkeit ins Spiel: „In der Bibel heißt es: Richtet nicht, verdammt nicht! Richtet nicht über die, die ihrem Leben ein Ende setzen. Richtet nicht pauschal über die, die ihnen geholfen haben. Da gibt es auch eine Schuldgeschichte der Kirche, etwa wenn Suizidanten nicht kirchlich bestattet wurden und man die Hinterbliebenen ächtete.“

In der anschließenden Diskussion hielt der Hallenser Verfassungsrechtler Michael Germann ein Plädoyer, als Kirche auf den gerade anlaufenden Gesetzgebungsprozess Einfluss zu nehmen: „Seit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil gibt es in Deutschland überhaupt keine Beschränkungen für die geschäftsmäßige Suizidhilfe. Deswegen stellt sich die Frage, was in den Einrichtungen geschieht, sehr aktuell. Ich ermutige dazu, die Klärung der Rechtsfragen und die Gesetzgebung nicht nur als etwas zu betrachten, was man einfach abwarten muss. Die Kirche darf Position beziehen, ihre Sichtweisen in die öffentliche Diskussion einbringen und von ihrer Freiheit Gebrauch machen, selbst danach zu handeln.“

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