
Staatsleistungen
Definition und Ursprung
Staatsleistungen sind (1.) vermögenswerte Rechtspositionen, die (2.) auf Dauer angelegt sind und (3.) sachlich einen historischen Bezug zu säkularisationsbedingten Vermögensverlusten der Religionsgemeinschaften haben. Die großen Säkularisationswellen fanden im Zuge der Reformation, des Westfälischen Friedens und des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 statt. Letzterer wird häufig als maßgeblicher Grund für Staatsleistungen genannt, ist aber ganz überwiegend nur für die römisch-katholische Kirche relevant. Die Staatsleistungen für die evangelischen Kirchen beruhen zumeist auf Eigentumsübergängen im Zuge der Reformation.
In den 50er Jahren wurden in den westlichen Bundesländern mit den evangelischen Landeskirchen und in den östlichen Bundesländern in den 90er Jahren Staatskirchenverträge geschlossen, die das Verhältnis von Staat und Kirche in den jeweiligen Territorien regeln. Dabei sind die auf einer Vielzahl von alten Gesetzen, Verträgen etc. beruhenden Staatsleistungen kapitalisiert, pauschaliert und mit einer Dynamisierungsklausel versehen worden.
FAQ Staatsleistungen – Antworten auf Fragen
Was sind Staatsleistungen?
Der Staat hat den Kirchen im Zuge der geschichtlichen Entwicklung (vor allem während der Reformation und 1803 durch den sogenannten Reichsdeputationshauptschluss) viele Vermögenswerte entzogen, aus deren Erträgen sie sich zuvor finanzieren konnten. Dafür erhalten die Kirchen Ersatzleistungen für die umfangreichen und nachwirkenden Verluste, die historisch begründet sind. Dabei geht es nicht um „Privilegien“.
Staatsleistungen im Sinne des Grundgesetzes sind demnach alle staatlichen Zuwendungen von vermögenswerten Vorteilen, die zum Stichtag des 14. August 1919 (= Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung) bestanden, auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhen und als Ausgleichsleistungen für erlittene, staatlich veranlasste Vermögensverluste anzusehen sind. Staatsleistungen sind wiederkehrende Leistungspflichten und nicht Einmalzahlungen.
Was sind keine Staatsleistungen?
Der Staat ist zu vielen Aufgaben der Daseinsvorsorge verpflichtet. Dazu zählen z. B. Kindertageseinrichtungen, Krankenhäuser, Alten- und Pflegeeinrichtungen, Behinderteneinrichtungen und Beratungsstellen.
Im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips überträgt der Staat seine Aufgaben aber in Teilen an andere Träger, darunter auch an Kirchen und kirchliche Verbände. Dafür übernimmt der Staat einen Teil der Kosten. Die Träger, also auch die Kirchen, finanzieren einen wesentlichen Anteil an den Kosten aus eigenen Mitteln und subventionieren so den Staat, der anderenfalls die kompletten Kosten tragen müsste. Der Eigenbeitrag der Kirche zum Betrieb solcher Einrichtungen stellt eine erhebliche Entlastung der öffentlichen Haushalte und eine Leistung der Kirchenmitglieder an die Allgemeinheit dar.
Unabhängig von den Staatsleistungen im Sinne des Grundgesetzes und von Refinanzierungen im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips unterstützt der Staat die Arbeit aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzen.
Dazu zählen neben der evangelischen und der katholischen Kirche auch die jüdischen Religionsgemeinschaften und humanistische Verbände. Als Beispiele für diese unmittelbaren Fördermaßnahmen können etwa die finanziellen Unterstützungen für das Reformationsjubiläum und die Kirchentage genannt werden.
Wie hoch sind die Staatsleistungen?
Staatskirchenverträge zwischen den Bundesländern und den Kirchen regeln die jeweilige Höhe der Staatsleistungen. Im Jahr 2021 (aktuellere Zahlen sind noch nicht verfügbar) machten die Staatsleistungen bei einem Haushaltsvolumen von insgesamt ca. 14,5 Mrd. Euro rund 320 Mio. Euro aus. Das waren somit auf den ganzen Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bezogen etwa 2,2 Prozent.
Allerdings macht in manchen Landeskirchen der Anteil der Staatsleistungen am jeweiligen Haushalt mehr als 10 Prozent, in Einzelfällen sogar mehr als 20 Prozent, aus. Ein Wegfall dieser Einnahmen, der nicht entschädigt wird, würde einzelne Regionen also empfindlich treffen, weil den kirchlichen Haushalten Mittel entzogen werden, die sonst für die Arbeit der Kirchen in der Gesellschaft eingesetzt werden.
Was macht die Kirche eigentlich mit den Staatsleistungen?
Die Staatsleistungen fließen in die Gesamthaushalte der Kirchen ein. Dadurch werden einerseits die Kosten, besonders auch die Personalkosten, für kirchliche Angebote wie z.B. Gottesdienste, Taufen, Beerdigungen oder Trauungen finanziert.
Andererseits fließen diese Mittel in Einrichtungen und Dienste der evangelischen Kirche, die Angebote für alle Bürger machen – unabhängig davon, ob sie der Kirche angehören oder nicht. Das gilt insbesondere in den Bereichen Soziales, Gesundheit, Seelsorge, Jugendarbeit, Bildung und Kultur. Diese Angebote werden oftmals über Subventionen durch den Staat mitfinanziert (s.o.).
Warum soll in Zukunft Schluss sein mit den Staatsleistungen?
Im Grundgesetz (Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung) wird der Staat beauftragt, die laufenden Staatsleistungen abzulösen, sie also gegen eine Entschädigung aufzuheben.
Die evangelische Kirche begrüßt diese geplante Ablösung der Staatsleistungen und beteiligt sich an den Überlegungen des Bundes, der zur Vorbereitung dieses Vorhabens ein Grundsätzegesetz erlassen muss.
Wie ist das Verfahren auf dem Weg zur Ablösung?
Das Grundgesetz verlangt, dass die Bundesregierung Grundsätze für die Ablösung der Staatsleistungen formuliert und damit den rechtlichen Rahmen setzt. Deshalb hat die Koalition in die Koalitionsvereinbarung das Vorhaben aufgenommen, „in einem Grundsätzegesetz im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen“ zu schaffen.
Dazu werden aktuell intensive und vertrauensvolle Gespräche des federführenden Bundesinnenministeriums mit den Ländern und den Kirchen geführt. Die konkreten Vereinbarungen sind dann zwischen den Bundesländern und den Landeskirchen bzw. Diözesen zu treffen.
Welches Ziel verfolgt die evangelische Kirche bei der Ablösung?
Die Kirchen möchten auch künftig ihre Aufgaben erfüllen, die sie bisher mit Hilfe der Staatsleistungen finanzieren. Dazu zählen zum Beispiel ihre seelsorglichen, sozialen und gesellschaftlichen Leistungen. Daher halten sie einen Wertersatz nach dem Äquivalenzprinzip für richtig.
Äquivalenz meint, dass die Ablösung so hoch sein muss, dass eine dauerhafte finanzielle Deckung der kirchlichen Arbeit gesichert ist, die bisher durch die Staatsleistungen ermöglicht wurde. Denn das ursprünglich enteignete Vermögen steht als Ertragsbasis für diese Aufgaben eben nicht mehr zur Verfügung.
Was sind aus Sicht der Kirche akzeptable Möglichkeiten, die Staatsleistungen zu beenden?
Entscheidend ist, dass die Kirchen weiterhin ihre seelsorglichen und ihre sozialen und gesellschaftlichen Leistungen erbringen können.
In diesem Sinne setzen sie auf eine Ablösung, die es auch künftig ermöglicht, diese Aufgaben weiterhin zu erfüllen. Deshalb treten sie für eine Ablösung nach dem Äquivalenzprinzip ein, also für eine Entschädigung durch vollen Wertersatz. Um dies sicherzustellen und dabei darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Haushalte der Länder nicht überfordert werden, sind unterschiedliche Finanzierungsmöglichkeiten vorstellbar.
Das vom Bund jetzt zu erlassende Gesetz muss dafür einen Rahmen setzen, der den unterschiedlichen Situationen in den Ländern Rechnung trägt. Die Vornahme einer nach einem Faktor errechneten Einmalzahlung ist dabei eine zwar denkbare, aber weder von Ländern noch von den Kirchen bevorzugte Lösung.
Weniger als die Hälfte der Deutschen ist noch Mitglied in einer der beiden großen Kirchen. Sind Staatsleistungen überhaupt noch berechtigt?
Im Vergleich zu anderen Interessengruppen in der Gesellschaft sind die Kirchen immer noch sehr groß und stechen zahlenmäßig deutlich heraus.
Dennoch: Ausschlaggebend für die Staatsleistungen ist nicht die Zahl der Mitglieder, sondern die Tatsache, dass der Staat den Kirchen im Zuge der geschichtlichen Entwicklung (vor allem während der Reformation und 1803 durch den sogenannten Reichsdeputationshauptschluss) viele Vermögenswerte entzogen hat, aus deren Erträgen sie sich vorher finanzieren konnten. Bislang dienen die - übrigens bereits pauschalierten - Staatsleistungen dazu, diesen Verlust der regelmäßigen Erträge auszugleichen.
Hinzu kommt, dass die Kirchen ihren Auftrag für die gesamte Gesellschaft wahrnehmen und damit eben nicht nur für ihre Mitglieder. Auch hierfür werden diese Gelder – wie auch das weitere Vermögen der Kirchen – eingesetzt. Bei sinkenden Mitgliederzahlen sind die Kirchen folglich umso mehr auf die Erfüllung der Staatsleistungsverpflichtungen angewiesen.
Wie kann eine Kirchenfinanzierung ohne Staatsleistungen aussehen?
Wenn es gelingt, bei der Ablösung der Staatsleistungen einen Wertersatz nach dem Äquivalenzprinzip zu erzielen, ist eine dauerhafte finanzielle Deckung der kirchlichen Arbeit gesichert, die bisher durch die Staatsleistungen ermöglicht wurde.
Warum benötigt die Kirche Staatsleistungen? Sie ist doch reich.
Richtig ist: Die Kirche ist steinreich, also reich an Gebäuden, zu denen in besonderer Weise Kirchen und Gemeindehäuser gehören. Sie lassen sich jedoch nur sehr selten veräußern und steigern deshalb nicht die Liquidität der Kirche.
Im Gegenteil: die Unterhaltung der kirchlichen Gebäude ist häufig ein finanzieller Kraftakt, der die Kirchen in besonderer Weise fordert.
Warum muss ich über die Staatsleistungen die Kirche mitfinanzieren, auch wenn ich aus der Kirche ausgetreten bin?
Staatsleistungen sind im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland verankert. Der Staat ist dazu verpflichtet, den Kirchen Staatsleistungen zu zahlen. Und zwar so lange, bis sie abgelöst sind.
Rechtsgrundlage für die Staatsleistung ist altes Recht, das bis zur (endgültigen) Ablösung der Staatsleistungen durch Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung gewährleistet wird. Da es also um Schulden des Staates geht, finanziert jeder Steuerzahler/jede Steuerzahlerin auf diesem Weg die Kirchen mit, auch wenn die Person selbst aus der Kirche ausgetreten ist.
Die Kirchen haben lange genug Geld vom Staat bekommen. Warum fordern sie jetzt – im Kontext der Ablösung - noch mehr Geld ein? Ist es nicht endlich mal genug?
Würden die Staatsleistungen jetzt eingestellt, ohne dass es eine Entschädigung ohne vollen Wertersatz gibt, wären zahlreiche Angebote der Kirchen fortan nicht mehr finanzierbar. Auch solche nicht, die der Allgemeinheit zugutekommen.
Zwar werden Krankenhäuser, Kindertageseinrichtungen, Beratungsstellen sowie Alten- und Pflegeeinrichtungen in hohem Maße durch den Staat refinanziert. Dennoch ist es sehr wahrscheinlich, dass kirchliche Träger dann den Eigenanteil zum Betrieb dieser Einrichtungen und Angebote nicht mehr aufbringen können.
Im Übrigen: auch wenn man viele Jahre Miete für eine Wohnung bezahlt hat, gehört sie einem dennoch nicht. Der Vermieter hingegen ist weiterhin auf Miete angewiesen, zum Beispiel, um den Bestand des Gebäudes zu sichern.
Quellen und Links
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD).
Mehr Informationen finden Sie hier
ekd.de/staatsleistungen-antworten-auf-die-wichtigsten-fragen
Staatskirchenverträge und Verfahren der Ablösung im Gebiet der Nordkirche
Wie die meisten anderen Landeskirchen auch erhält die Nordkirche solche staatlichen Mittel. Mit rund 26 Millionen Euro stellen sie einen Anteil am Gesamthaushalt von etwa sechs Prozent (Stand 2013). Diese sind nicht etwa Subventionen, sondern historisch bedingte und vertraglich eindeutig geregelte Rechtsansprüche der Kirche gegen den Staat – hier insbesondere gegen die Bundesländer Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.
Diese so genannten Staatsleistungen
sind zumeist eine Entschädigung für erlittene Vermögensverluste der Kirchen oder ein Ausgleich für frühere Verpflichtungen. So hatte sich der Staat im Zuge der Säkularisation verpflichtet, Aufgaben der Kirche zu finanzieren. Allein der Staat Preußen hat zwischen 1919 und 1943 umgerechnet rund 3,5 Milliarden Euro an die evangelische Kirche geleistet. Das Land Schleswig-Holstein hat später diese Rechtsverpflichtung aufgegriffen und im Staatskirchenvertrag festgelegt. In Mecklenburg-Vorpommern hat sich das Land nach dem Mauerfall ähnlich verhalten.
Im Grundgesetz (Art. 140) ist geregelt,
dass eine Ablösung solcher Leistungen erfolgen soll. Ablösung bedeutet Aufhebung gegen Entschädigung. Dies ist natürlich auch für die Nordkirche denkbar. Voraussetzung ist, dass das im Grundgesetz vorgeschriebene Verfahren eingehalten wird. Danach haben die Länder entsprechende Gesetze zu erlassen, die ihrerseits auf einer Grundsatzgesetzgebung des Bundes beruhen müssen. Das bedeutet auch: ohne Grundsatzgesetz des Bundes gibt es keine Ablösung durch die Länder!
Während es früher
eine große Anzahl einzelner Verpflichtungen des Staates – beispielsweise gegenüber Gemeinden – gab, bündeln heute Staatsverträge die historischen Ansprüche derKirchen. Sie haben ihren Ursprung u.a. in Enteignungen und früheren vertraglich geregelten Zusagen des Staates. Im Staatskirchenvertrag des Landes Schleswig-Holstein mit der evangelischen Kirche von 1957 sind insbesondere Zuwendungen für so genannte kirchenregimentliche Zwecke (Leitung bzw. Selbstverwaltung) sowie für Pfarrbesoldung und -versorgung geregelt. Heute liegen die Zahlungen des Landes Schleswig-Holstein bei rund zwölf Millionen Euro.
In Mecklenburg-Vorpommern
regelt der so genannte Güstrower Vertrag seit 1994 die Beziehungen zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der evangelischen Kirche. Die früher gewährten Dotationen für Kirchenleitungen, Pfarrbesoldung und -versorgung und kirchenregimentliche Zwecke des Landes sind in den vertraglich beschriebenen Staatsleistungen zusammengefasst worden, die jeweils als Gesamtzuschuss gezahlt werden. Zudem traten an die Stelle der bisherigen Ansprüche aus den staatlichen Baupatronaten und Baulasten pauschalierte Zahlungen. Diese Staatsleistungen gehen zunächst als Einnahme an Landeskirche, die diese über die Schlüsselzuweisungen an die Kirchenkreise Mecklenburg und Pommern weiterreicht.
Von der Freien und Hansestadt Hamburg
erhält die Nordkirche keine Staatsleistungen, frühere Verpflichtungen sind in den 1960er und 1970er Jahren abgelöst worden. Der Kirchenkreis Hamburg-Ost erhält allerdings noch eine Zuweisung als Folge der Enteignung eines Klosters im Jahr 1875.