1. Dezember 2013 - Hauptkirche St. Michaelis

1. Dezember 2013 - Gottesdienst zur Eröffnung der 55. Aktion „Brot für die Welt“

01. Dezember 2013 von Kirsten Fehrs

Jeremia 23,5-8 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: Der Herr ist unsere Gerechtigkeit. Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der Herr, dass man nicht mehr sagen wird: „So wahr der Herr lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat.“ Sondern: „So wahr der Herr lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel herausgeführt und hergebracht hat aus dem Lan-de des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.“ Und so sollen sie in ihrem Lande wohnen.

Friede und Gnade von dem, der da ist, der da war und der da kommt!

 

Es ist erster Advent, liebe Gemeinde! Einer der schönsten Tage im Jahr. Wir dürfen uns freuen! Mit fester Freude, so besingt Hanns-Dieter Hüsch die Stimmung:

Mit fester Freude

lauf ich durch die Gegend,

 (…) Jesus kommt

Ich grüße freundlich

Möchte alle Welt berühren

(…) Mein Herz schlägt ungemein

Macht Sprünge

Mein Auge lacht und färbt sich voll

Mit Glück

Jesus kommt

Alles wird gut.

Alles wird gut. Denn der König der Gerechtigkeit hält Einzug, die Liebe in Person. Macht hoch die Tür. Und öffnet das Herz. Nicht für Glorie und Pracht. Für die Sanftmut. Die Sanftmut dieses Weltenherrschers sprengt alles bisher Dagewesene. Hoffnung soll aufkeimen – bei den Menschen damals in Jerusalem, und bei uns heute. Hoffnung darauf, dass diese Welt eine andere wird. Dass irgendetwas vielleicht auch in meinem Leben anders wird. Neu. Lebendig. Befriedet. Satt. Es erwartet uns noch so viel im Leben. Nur was, das wissen wir nicht. Das können wir nur hoffen.

 

Hoffnung ist die Grundmelodie des Advents. Es ist ein Lied in Dur. Alles wird gut. Und es wird gesungen, hier und damals in Jerusalem, weil natürlich nicht alles gut ist. Jeder Schmerz, der uns durchfährt, beweist es. Natürlich ist nicht alles gut in Angola. Bangldesch. In Kuba. In all den Ländern, in denen die Menschen täglich mit Armut kämpfen, mit Hunger, mit Kriegsgewalt – aber auch mit geraubter Menschenwürde und ungerechter Verteilung von Land. Dahinein wird das Lied in Dur gesungen als Kontrapunkt, damit es die Menschen am Leben hält und an die Liebe glauben lässt. Es wird gesungen, um den Frieden nicht aufzugeben und der Gerechtigkeit aufzuhelfen aus ihrer Gebrochenheit. Es wird gesungen in unseren traditionellen Adventsliedern, und es wird gesungen in kubanischen Rhythmen wie dem Son oder dem Mambo – um wach zu bleiben für all das, was nicht gut ist. Es wird gesungen mit der heutigen Melodie: Land zum Leben – Grund zur Hoffnung.

 

Das Lied in Dur ist geeignet, uns den Blick zu weiten. Von mir weg hin zu den Hoffnungssuchenden. Es macht empfindsam für ihren Schmerz, ihre Freudentänze, ihre Gefühle auch von Vergeblichkeit. Der lateinamerikanische Schriftsteller Eduardo Galeano hat das trefflich formuliert: „Ich hoffe, dass wir den Mut haben, alleine zu sein, und die Tapferkeit, uns in Gesellschaft zu begeben, weil ein Zahn außerhalb des Mundes so nutzlos ist wie ein Finger ohne seine Hand.“ Das Hoffnungslied des Advents öffnet Tür und Tor für die anderen. Damit sie einziehen in das Land meiner Gedanken.

 

Es ist übrigens uralt, dieses Lied. Weit vor der Zeit, als Jesus geboren wurde, haben es unsere jüdischen Geschwister gehört und gesungen. Und gewissermaßen eine Strophe davon haben wir eben vom Propheten Jeremia als Predigttext gehört: Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl(tuend) regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Israel sicher wohnen.

Jeremia spricht diese Worte in einer Zeit, als das Volk Israel am Boden zerstört ist. Nirgends können sie sicher wohnen. Das Land ist verdorrt, Jerusalem ist vernichtet, das Exil ein Ort der Verzweiflung. Jeremia hat dies alles miterlebt. Immer wieder hat er das Unheil prophezeit, hat gewarnt vor Machtpoker und kaltem Krieg, davor, sich den Schuldenberg in die Tasche zu lügen. Die Aktualität hat, wie wir merken, auch über Jahrtausende nicht nachgelassen. Allein: was gilt der Prophet im eigenen Lande? 

 

Das Desaster war vorhersehbar. Doch das sagt Jeremia hier nicht. Der Kummer ist zu groß. Das steht irgendwann in einem anderen Kapitel und richtet sich an eine andere Adresse. Nein, die Gebrochenen sollen dies hören: Es kommt die Zeit, da wird es uns wieder gut gehen. Was zerrissen ist, wird geheilt. Was zerstört ist, wird wieder aufgebaut. So spricht´s der Prophet und seine Worte halten die Israeliten tatsächlich aufrecht. Angst und Chaos lösen sich, sie schöpfen Hoffnung, auf ein Neues. Und sie kehren – die Geschichte geht gut aus! – tatsächlich heim aus der Gefangenschaft, wie der Predigttext es verheißt: Zu seiner Zeit wird Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen.

 

So weit, so gut. Doch was, liebe Gemeinde, brachte die Wende? Was ist da in den Menschen passiert, dass die Verzweiflung der Hoffnung wich? Der Text spart diesen Teil der Geschichte aus. Nicht um uns ratlos zurückzulassen. Sondern um uns einzubeziehen. Mit unseren eigenen Gefangenschaften, Ängsten, Zerrissenheiten, mit unserer je eigenen Geschichte. Und mit dem, was wir glauben.

 

Wenn wir heute die 55. Aktion „Brot für die Welt“ eröffnen, dann geht sie zurück auf eine Zeit, in der dieses, unser Land zerstört war und am Boden lag. Nach zwölf Jahren der NS-Diktatur und nach sechs Kriegsjahren mit Millionen Toten war Deutschland auf fremde Hilfe angewiesen. Es waren Kirchen aus den USA und aus anderen europäischen Ländern, die sich barmherzig zeigten. Hilfe kam aus Ländern, die zum Teil unter deutscher Besatzung gelitten hatten. Die Menschen dort schickten Brot und Milchpulver in unsere zerbombten Städte, von denen kurz zuvor noch Terror und Schrecken ausgegangen war. Sicherlich sitzt mancher hier, dessen Eltern nur deswegen die Hungerjahre überlebt haben, weil andere mit ihnen teilten. Und als im Dezember 1959  diese ganz neue und noch kleine Kampagne „Brot für die Welt“ mit einer Kollekte in der Berliner Deutschlandhalle begann, da wurde das Geld in Milchpulvertonnen eingesammelt. Was für ein Symbol! Es zeigte: Wir waren selbst Flüchtlinge und Obdachlose. Was wir jetzt tun, ist einfach dieses: Danken und Zurückgeben, was wir empfangen haben.

 

Und das gilt bis heute. Wir haben für vieles zu danken. Für Frieden. Demokratie. Brot. Für Land. Und deshalb haben wir viel zu geben. Geld, das ist sicher das eine. Gerade hier in Hamburg darf man das am Ergebnis sehen. Doch es geht auch um Immaterielles. Um Anteilnahme. Um Klarheit. Um Nachdenklichkeit. Und dahinein entfalten die alten Worte enorme Kraft: „Es wird die Zeit kommen“. Angesichts bitterer Realität setzt Jeremia die andere Wirklichkeit dagegen. Sieh da hin. Obwohl die einen voller Angst um die Ernte sind, obwohl die anderen tief besorgt in die Zukunft schauen, obwohl die Machtstrukturen in der Welt so fest zementiert scheinen, obwohl so vieles gar nicht gut ist – siehe, es kommt eine andere Zeit! Sieh hin, es wird irgendwann gerecht werden, ohne Leid und Tränen. Es sind dies für mich die mit tröstendsten Worte in der Bibel, die mich immer wieder berühren: Und Gott wird abwischen alle Tränen und da wird kein Leid mehr sein und kein Schmerz. Ein Land des Lebens ist uns verheißen. Das ist die Hoffnung. Es gibt einen Höheren, der jedes Leid ebenso achtet, wie er jedes Leben mit großer Liebe auf Händen trägt. Und sei dieses Leben noch so versehrt und noch so verzagt.

 

Denn ist es nicht so, liebe Gemeinde, dass die eigenen Vorstellungen, dass das, was wir aus uns heraus denken und wünschen, letztlich keine Hoffnung gebiert? Ich kann meine Unsicherheit vor der Zukunft nicht durch mich selbst beschwichtigen. Hoffnung beginnt dort, wo mein Horizont überboten wird. Es wird eine Zeit kommen, in der der wahre König mit seiner Sanftmut die Welt zusammen hält. Diese Zusage sprengt alles Dagewesene. Sie ist höher als alle Vernunft. Und deshalb gibt sie mir Zuversicht, ohne zu wissen, was kommen wird.

 

Das Lied, Gottes Melodie in Dur – es verstummt nicht und bleibt weltweit hörbar. Auch in Kuba, das uns so selten in den Blick gerät. Dabei ist Kuba ja dereinst das Land der Hoffnung für unendlich viele Menschen weltweit  gewesen. „Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche“ – wer war damals nicht begeistert von diesen und anderen Zitaten Che Guevaras? Und für wie viele ist Kuba dann das Land der enttäuschten Hoffnungen geworden, der Enttäuschung darüber, dass am Ende aus jungen Revolutionären doch wieder nur alte Diktatoren geworden sind. „Cuba duele“, sagt der schon zitierte Eduardo Galeano – Kuba tut weh. Aber das Hoffnungslied des Advent verstummt deswegen nicht, gerade auf Kuba nicht. Denn hier haben sich so viele wieder aufgerichtet, haben um Bildung und Land gerungen  – wir haben es gehört. Sie brauchen unsere Unterstützung, damit es gut ausgeht. Für sie selbst. Für ihr Land. Für unsere ganze, ökologisch so gekränkte Erde.

Sie brauchen uns, damit es weiter gesungen wird, das Lied der Hoffnung. Und wir brauchen sie, die Kubaner, um dabei das Tanzen zu lernen. Gleich wie alt man ist, muss man doch mit mit diesem Rhythmus? In dieser Gemeinsamkeit liegt große Kraft. Die Kraft des geliebten Liebens. Die Kraft Christi, nichts und niemanden aufzugeben, und sei er oder sie noch so versehrt, noch so verzagt, noch so verletzt. Oder noch so ungerecht. Noch so hungrig. Nach Brot, Gerechtigkeit und Leben.

Wir geben nicht auf, liebe Schwestern und Brüder. Sehen wir doch neues Land!

Siehe,

Unser Auge lacht und färbt sich voll

Mit Glück

Jesus kommt.

Das lässt hoffen!

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Datum
01.12.2013
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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