1. Januar 2013 - Neujahr
01. Januar 2013
Predigt zur Jahreslosung Hebräer 13,14
Willkommen im neuen Jahr des Herrn 2013, liebe Gemeinde! Willkommen mit der wunderbar dargebrachten Musik des fünften Evangelisten Johann Sebastian Bach, der uns ins Herz schreibt: Jesus, Jesus richte mein Beginnen.
In Jesu Namen - an diesem Neujahrstag beginnen wir gemeinsam das Beginnen. Wir lassen uns hinein nehmen ins Neujahrskonzert Gottes, in sein Lied der Hoffnung. Heute nämlich beginnt das Morgen. Wie ein weißes Blatt Papier liegt es vor uns, das neue Jahr. Unschuldig und zunächst unbelastet vom Gestrigen ist es bereit, beschrieben zu werden – mit Plänen, mit Träumen, guten Vorsätzen. Gesünder zu leben zum Beispiel, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, mehr Bach zu hören, und vielleicht einfach mal wieder Lessing zu lesen (statt Sarazin), manches mehr mit Humor zu nehmen – voilà, es liegt so vieles vor einem!
Und so macht es Freude, dieses leere Blatt zu füllen. Nach und nach bekommt man Überblick, was ansteht. Man richtet sich innerlich aus. Nach Glück, Ausgeglichenheit. Nach der Liebe des Lebens. Nach Frieden, nicht zuletzt mit sich selbst.
Die andere Seite des Blattes – sie nimmt die andere Seite unserer Seele auf. Sorgen und Nöte, die uns im Blick aufs Neue Jahr auch bedrängen. Wie viele wachen in dieser Zeit globalen Herzrasens nachts auf und können keine Ruhe mehr finden. Oder – auch das steht auf dieser Seite des Blattes – wie viele empfinden Verzweiflung darüber, dass etwas bricht und zu Ende geht und dass sie nichts dagegen tun können. Kein noch so guter Vorsatz der Welt, keine noch so gute Tat kann das schwerkranke Enkelkind gesund oder kann die Pflege der dementen Mutter leicht machen, kann den gestorbenen geliebten Menschen wieder ins Leben holen. Keine noch so vitale Wut verscheucht die quälende Krankheit, oder beendet Tristesse und Einsamkeit. So viele Menschen sind voller Sehnsucht nach einem Liebeswort und Lebenssinn, nach einem Menschen, der sie begleitet, nach einem Kind. Und es ist dieses Sehnen, dieses manchmal wunderliche Sehnen inmitten bitterer Realität, das unüberhörbar die Stille des Neujahrsabends durchbricht. Eine unzerbrechliche Hoffnung auf guten Ausgang am Eingang des Jahres. Und sie umfasst viel mehr als hoffnungsfrohe Wirtschaftsprognosen. So erleichternd dies wahrlich (!) ist, - die christliche Hoffnung reicht tiefer. Sie sagt: Ein neues Kapitel wird aufgeschlagen, und es wird gesegnet sein! In jedem Fall. Das ist die Botschaft heute. Allein dreimal hörten wir es eben bei Josua: Ich, Gott, habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist, denn dein Gott ist mit dir in allem, was du tun wirst. Gesegnet bist du vom ersten Atemzug deines Lebens bis zu deinem letzten. Mit deinem Begehren und deiner Last, wenn du feierst, wenn du nachdenklich sitzt, in guten wie in schlechten Zeiten, wenn du es gut meinst oder schrecklich Böses denkst: Du bist gesegnet.
Diese fraglose Akzeptanz, diese in allen Schattenseiten unseres Seins hineinreichende Freundlichkeit Gottes hat ein Ziel: dass wir echte, tiefe Lebensfreude gewinnen sollen. Fröhlich soll dein Herze springen! Denn: Gott ist mit dir in allem, was du tun wirst. Solche Sätze sollten wir täglich morgens und abends einnehmen, liebe Gemeinde. Zur Not auch noch mittags – sie sind wahre Vorsätze fürs Leben. Sie geben Kraft, getrost nach vorn zu gehen.
So auch die Jahreslosung 2013 aus dem Hebräerbrief: Wir haben keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
Hier geht alles nach vorn. Auch hier ist dieses Sehnen und Ziehen danach, dass sich etwas verändert. Ja, unser Glaube, sagt der gesamte Hebräerbrief, unser Glaube kann sich nicht zur Ruhe setzen. Denn es gibt noch so viel zu tun. Es gibt eine zukünftige Stadt, die wir zwar nicht sehen, die uns aber eine Sehnsucht ins Herz pflanzt, eine Sehnsucht nach einem Ort, in dem Gerechtigkeit und Friede sich küssen.
Gestern zu Mitternacht haben mein Mann und ich in alter Verbundenheit zu St. Jacobi auf ihrem 84 m hohen Turm Silvester gefeiert. Mit Berlinern, Kaffee, Sekt und warmen Mützen haben wir ihn froh gelaunt kurz vor zwölf bestiegen, um dem imposanten Feuerwerk zuzuschauen. Was für ein Anblick dieser wunderschönen Stadt: die Alster, Hafencity, Stadtpark und die Schwesterkirchen, den Michel natürlich – und ich dachte an die zukünftige Stadt. Dachte an den Kirchentag im Mai und die blühende Internationale Gartenschau mit einem fulminanten Garten der Weltreligionen – es steht so vieles an! Und dann höre ich die Losung und die Mahnung darin. Wir haben keine bleibende Stadt. Alles, was uns umgibt, ist vergänglich wie wir selbst. Und mir gehen die Bilder von 1943 durch den Sinn. Eine bis auf die Grundfeste zerstörte Stadt. Zum 70-ten Mal jährt sich dieses Jahr das Schreckensereignis, das mit dem Namen Gomorrha ein tief sitzendes Trauma wachruft. Gomorrha – das heißt: Erinnerung an tiefe Trauer. An hitzige Trümmer dort, wo Häuser, Geschäfte und Kirchen standen, manchen unter uns steht es womöglich sehr nah vor Augen-
Kaum etwas zeigt die Vergänglichkeit unseres Daseins, unsere Zerbrechlichkeit so sehr wie eine zerstörte Stadt. Durch Bombenhagel, jetzt in Syrien in Homs, in Afghanistan und Kabul. Aber auch durch Tsunami und Erdbeben. Nicht umsonst finden wir unsere Jahreslosung eher in der Trauerzeit am Ende des Kirchenjahres. Und in einem Deutschen Requiem von Johannes Brahms.
Dennoch – das meint der zweite Teil der Losung, wir trauern nicht wie die, die keine Hoffnung haben! Denn die künftige Stadt suchen wir. Eine Stadt, die ganz anders gebaut ist. Nach ihr sollen wir uns sehnen. Denn wer sich sehnt, bleibt nicht stehen. Sondern sucht. Lässt nicht locker. Hofft unbeirrt.
Ich habe den Traum von einer Stadt, in der arme Menschen nicht mehr so beschämt vor einer Tafel anstehen müssten (was sind das heute für Schlangen, liebe Gemeinde!), in der trotz Schuldensperre bitte nicht auch soziales Erbarmen eingespart wird, in der jeder Mensch Obdach hat, weil er es bezahlen kann. Und die Bibel sekundiert: Die künftige Stadt zu suchen heißt einen Ort zu erhoffen, in der Menschen in Würde leben können. IN der Tränen abgewischt werden und der Lieblosigkeit die Tür verboten, in der Kinder nicht mehr ungestillt nach Brot schreien, in der Hass und Gewalt, die doch Täter und Opfer zu Leibe rücken, endlich überwunden wird, eine Stadt, in der die Menschen die Größe haben sich zu versöhnen. Denn – so heißt es in allen heiligen Schriften - Wer den Bruder oder die Schwester hasst, wer in Feindseligkeit verharrt, kann Gott nicht lieben. Und ich suche diese Stadt und schaue nach Jerusalem, die ja so wunderbar und so gefährdet zugleich ist. Dort haben kürzlich die Eltern eines palästinensischen Jungen, der auf der Straße von einem Juden erschossen worden war, seine Organe zur Spende freigegeben. Ausdrücklich, sagten sie, auch für jüdische Kinder. Damit sie alle leben, um den Frieden zu lernen.
Suchen wir also, liebe Gemeinde. Geben wir uns nicht zufrieden mit dem, was ist. In Jesu Namen. Und wir schauen das Krippenkind, die Liebe in Person, das in diese unsere Welt mit ihren Realitäten geboren wurde. Und wissen: ja wir suchen dich. Wir suchen mit dem Schmerz des noch nicht Erfüllten. Wir suchen mit der Kraft der Hoffnung, des Glaubens und der Liebe. Liebe voller Unvernunft, die uns fähig macht zum Guten. Denn, das steht doch vor allem Beginnen, wir, wie wir hier sind, sind gesegnet. Gestärkt. Von guten Mächten wunderbar geborgen. Alle sind wir das. Was immer kommen mag.
Was mag kommen? – fragen wir zum Neuen Jahr und werden es nicht wissen. Bleibt also, uns dem anzuvertrauen, der uns liebt. Am liebsten mit der heiteren Gelassenheit eines Erich Kästner, der zum Neuen Jahr einst auf sein leeres Blatt ein Gedicht schrieb:
„Wird´s besser? Wird´s schlimmer?“
Fragt man alljährlich.
Seien wir ehrlich:
Leben ist immer
Lebensgefährlich.
Voilà, es liegt vor uns, das Leben! Freuen wir uns daran getrost, mit allen Fasern unseres Seins! Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes, erfülltes Neues Jahr 2013, liebe Gemeinde! Denn wir können gewiss sein: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.