1. Januar 2015 - Neujahrsgottesdienst 2015
01. Januar 2015
Predigt über die Jahreslosung aus Römer 15, 7
Einander annehmen, wie Christus uns angenommen hat
Liebe Gemeinde,
es ist gut, wenn wir den Beginn eines neuen Jahres besonders markieren. Als christliche Gemeinde besinnen wir uns zu Anfang des neuen Jahres auf das, was trägt. Wovon wollen wir uns im Jahr 2015 leiten lassen? Schaffen wir es, uns selbst Ziele zu setzen, oder werden wir verplant? Vieles greift von außen nach uns und will unserem Leben eine Richtung geben. Der Handel will zum Beispiel unser Geld. Durch Werbemaßnahmen werden wir so manipuliert, dass wir bereit werden, unser Geld für das auszugeben, was die Unternehmen anzubieten haben. Es werden Wünsche geweckt nach Gegenständen, die wir eigentlich gar nicht brauchen. Auch Politische Parteien, Bewegungen und Initiativen möchten unsere Zustimmung gewinnen. Darunter sind alte gewohnte wie neu aufkommende Strömungen. Viele wollen uns, unsere Überzeugungen und unser Geld.
Aber bevor andere uns die Themen setzen, sollten wir uns an der Schwelle eines neuen Jahres auf das besinnen, was von Gott her geboten ist. Darum legen die christlichen Kirchen gemeinsam für jedes Jahr eine Jahreslosung fest. Das ist eine Art Leitvers für das neue Jahr. Die Jahreslosung für das Jahr 2015 ist dem Römerbrief entnommen, Kapitel 15 Vers 7, und lautet: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob“. Die Bibel hat einen großen Wirklichkeitssinn und diesen hören wir auch aus diesem Wort. Die Jahreslosung erscheint wie ein biblischer Kommentar zur aktuellen Debatte um Flüchtlinge, Asylsuchende und die Pegida-Bewegung. Sie zielt aber noch viel weiter. Sie geht aus vom Zentrum des christlichen Glaubens und will uns sagen, was unserem Leben Sinn gibt. Wir wollen ihr in drei Gedankenschritten nachgehen:
1. Wir sollen einander annehmen.
2. Wir sollen dies tun, wie Christus uns angenommen hat und
3. Alles soll zu Gottes Lob geschehen.
1. Nehmt einander an!
„Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob“. Der Apostel Paulus hat diese Aufforderung zunächst vor knapp 2000 Jahren der jungen christlichen Gemeinde in Rom mit auf den Weg gegeben. In Rom stritten sich Christen mit jüdischem Hintergrund mit denen, die kein Verständnis für jüdische Traditionen und Bräuche hatten. Für Juden sind die Speisevorschriften sehr wichtig. Einige unter den nicht jüdischen Gemeindegliedern hielten Speisevorschriften für überflüssig und sich deswegen für besonders stark im Glauben. So schauten sie auf ihre jüdischen Geschwister als die Schwachen herunter. Die als schwach im Glauben Charakterisierten wiederum hatten den Eindruck, die sogenannten Starken würden den Glauben verraten.
Wenn wir von solchen Konfliktsituationen in der christlichen Gemeinde hören, dann denken wir: Lange her und doch so vertraut! Leider gehören Streit und Spaltung bis heute zur Tagesordnung auch in unseren christlichen Gemeinden und Kirchen. Unterschiedliche Meinungen über den richtigen christlichen Lebensstil führen dazu, dass sich verschiedene Gemeindeglieder gegenseitig verunsichern und sich ein schlechtes Gewissen machen. Ja, manchmal verachtet und verurteilt man sich gegeneinander. In Köpfen und Herzen entsteht eine Aufteilung in Starke und Schwache im Glauben und manchmal droht der Streit darüber die Gemeinde zu zerreißen. In den letzten Jahren hat uns als Kirche zum Beispiel die Diskussion um die Segnung homosexueller Lebenspartnerschaften gefordert. Auch ich habe dazu eine aufgrund der biblischen Texte geprägte Vorstellung und bin der Meinung, dass es ein Abstandsgebot zwischen einer christlichen Ehe und einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gibt und das wir als Kirche entsprechend handeln müssen. Aber diese ganze Debatte darf nicht dazu führen, dass wir einander den Glauben absprechen oder die Gemeinschaft verweigern. Der Apostel Paulus sagt: „Nehmt einander an!“
Streit und Spaltung gehören seit jeher aber auch zur politischen Tagesordnung. Bis zu einem gewissen Grad ist es sicher unverzichtbar, um den rechten Weg miteinander zu ringen. Zurzeit streitet man zum Beispiel heftig um die richtige Einordnung der unvermutet aufgetretenen Proteste vor allen Dingen in Dresden, aber auch in anderen Städten, die sich Pegida, „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ nennen. Diese stetig wachsende Bewegung, bei der letzten Demonstration am 22. Dezember haben immerhin 17 500 Menschen in Dresden an ihr teilgenommen, wird in der Öffentlichkeit als ausländerfeindlich und intolerant wahrgenommen. Zweifellos sind darunter viele Menschen, die von der Politik zutiefst enttäuscht sind und von der Presse und den Medien keine objektiven Darstellungen erwarten. Als Menschen mit diesen Erfahrungen sind sie erst einmal ernst zu nehmen. Der Ton freilich, der von den Pegida-Slogans ausgeht, ist nicht angemessen, wenn zum Beispiel skandiert wird: „Lügenpresse, halt die Fresse!“. Die Organisatoren der Demonstrationen haben den Ausschluss von Rechtsextremisten bisher nicht durchsetzen können. Aber was macht das Wesen von Pegida aus? Offensichtlich haben sehr viele Menschen in Deutschland, vor allen Dingen im Osten, aufgrund der stark zugenommenen Zuwanderung Angst, das was ihnen in Deutschland und Europa wichtig ist, würde in Zukunft verschwinden. Auf ihrer Suche nach Identität berufen sie sich auf „das christliche Abendland“, ohne zu wissen, was der christliche Glaube und auf ihm beruhende Werte wirklich sind. Mit dem Absingen einiger Weihnachtslieder ist es da nicht getan. Insofern stellt in der Tat Pegida die Frage nach der deutschen und der europäischen Identität.
Wie soll man also umgehen mit diesen Weihnachtslieder singenden Demonstranten? Die einen sagen: „Mit denen gibt es nichts zu bereden!“, die Anderen fordern dazu auf, den Dialog zu suchen. Für Christen, zumal auf dem Hintergrund unserer diesjährigen Jahreslosung, darf die klare Stellungnahme zu den Forderungen von Pegida und das Gespräch mit Menschen, die von Pegida angezogen werden, keine Alternative sein. Denn die Fragen, die Pegida bewegen, bewegen viele Menschen. Die Antwort kann nicht Ausgrenzung sein, sondern eine aktive Aufnahme der Themen, die Pegida auf ihre Tagesordnung gesetzt hat. Aber Pegida hat keine Antworten, sondern schürt Ängste.
Eine Antwort auf die von Pegida aufgeworfenen Fragen wird zum Teil in einer ganz anderen Richtung liegen, als es Pegida möchte. Der Umgang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden in Deutschland ist besorgniserregend. Es muss und darf nicht Jahre dauern, bis über das Schicksal von Menschen entschieden ist, bis geklärt ist, ob sie in Deutschland bleiben dürfen oder nicht. Es gibt einige sehr grundsätzliche Dinge zu verändern. Dazu gehört auch die Grundregel (man redet hier vom sogenannten Dublin-Übereinkommen), dass Flüchtlinge grundsätzlich ihr Verfahren zur Anerkennung ihres Bleiberechtes nur in dem Land betreiben können, in dem sie europäischen Boden betreten haben. Dieses Übereinkommen hält die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland klein. Da wir in Deutschland nur an weitere europäische Länder grenzen, kann es in Deutschland kaum Fälle geben, die hier zu betreiben wären. Aus humanitären Gründen muss die Kirche, müssen alle Wohlmeinenden, eine Veränderung dieser Dublin-II- oder III-Verordnung genannten Verträge der EU fordern. Wir brauchen schon längst in der Europäischen Union abgesprochenen Zuwanderungsregeln. Wir brauchen Quoten für die einzelnen europäischen Länder. Und der deutsche Arbeitsmarkt und die deutsche Gesellschaft brauchen Zuwanderer, damit der Arbeitsmarkt befriedigt und das deutsche Sozialsystem genügend junge Leute hat, um für die Zukunft gerüstet zu sein.
Leider finden wir bei Pegida eine Verzerrung des christlichen Kreuzes. Ich gestehe, wenn ich im Fernsehen die Bilder eines Kreuzes in den Farben der deutschen Fahne sehe, dann erschaudert es mich. Das Kreuz Jesu Christi ist nicht das Eigentum eines Volkes. Jesus Christus ist für alle gestorben und nicht nur für die Deutschen. Damit bin ich beim zweiten Teil.
2. Wie Christus euch angenommen hat
Der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann hat 1958, noch zu seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter, als der Kalte Krieg gerade auf dem Höhepunkt war und viele in Westdeutschland von starken antisowjetischen Ressentiments bestimmt waren, in einer Bundestagsdebatte ausgerufen: „Jesus Christus ist für alle Menschen gestorben – und nicht gegen Karl Marx!“. Der Apostel Paulus hat gerade in diesem Römerbrief, aus dem die Jahreslosung stammt, unmissverständlich festgestellt: „Alle Menschen sind Sünder und bedürfen des Erbarmens Gottes“. Wir sind alle aus der Gottesbeziehung herausgefallen. Gerade auch diejenigen, die sich bisher in ihrem Leben nicht um Gott gekümmert haben, finden das besondere Interesse Gottes. Es ist nicht entscheidend, ob wir in unserem Leben bisher Gott gesucht haben. Entscheidend ist, dass Er uns in seinem Sohn Jesus Christus gefunden hat. Und Gott macht da keine Unterschiede zwischen Deutschen und Syrern und Eriträern. Jesus ist eben für alle Menschen gestorben. Er vergibt uns unsere Schuld und ermöglicht neue Anfänge.
„Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“ Martin Luther hat in der Auslegung zu dieser Bibelstelle gefragt: „Was ist das für ein darum?“ „Darum nehmt einander an“ Martin Luther antwortet: „Daraus wir sehen, welch ein überschwänglicher, barmherziger Wille des Vaters über uns herrscht, so er seinen lieben, einigen Sohn auflegt, unsere Sünde und seine Schmach zu tragen, auf das er nicht uns darum verdammen müsste.“. Annahme durch Jesus Christus, das bedeutet Vergebung der Sünden und ein Neuanfang. Weil Gott bereit ist, mit uns immer wieder einen neuen Anfang zu machen, darum sollen auch wir bereit sein, miteinander immer wieder neu zu beginnen. Das gilt für alle Gemeinschaften. Das gilt für die kleinste Gemeinschaft der Familie genauso wie für die Kirche und für unsere ganze Gesellschaft. Für uns Christen geht es darum, das Geschenk, das uns Gott gemacht hat, indem er in Jesus Christus Mensch wurde und am Kreuz für uns starb, zu würdigen: Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, nehmt Rücksicht aufeinander.
In Westfalen – wo ich geboren bin – sagt man: „Jeder Mensch hat seine Macke.“. Wir Menschen geben einander zu tragen. Niemand ist perfekt, aber wenn wir aufeinander zugehen, sehen wir auch die bereichernden Seiten des oder der Anderen. Aus eigener Kraft ist es vielleicht häufig zu schwer, über seinen eigenen Schatten zu springen. Doch der Blick auf Jesus Christus rückt Auseinandersetzungen in die richtige Perspektive. Er ist eine Änderung in der Grundhaltung, die uns jedem Menschen unvoreingenommen gegenübertreten lässt. Weil Christus uns angenommen hat, können und sollen wir über unseren Schatten springen und diejenigen annehmen, die uns befremden und verunsichern: für manche mag das der Asylbewerber aus Eritrea sein, für andere der Nachbar, der montags für Pegida auf die Straße geht. Dabei meint Paulus mit annehmen weder ein bloßes Tolerieren, noch ein Kümmern, das gerne etwas Herablassendes haben kann. So „kümmern“ wir uns um Menschen mit Behinderung, oder wir „kümmern“ uns um Flüchtlinge. Als Christen wissen wir, dass Jesus Christus auch Flüchtlinge und Asylsuchende angenommen hat und sie Teil der einen Kirche Jesu Christi sind und darum auch Teil unserer Gemeinden werden können. Wir werden sie gern als Arbeitskollegen begrüßen und ihre Kinder in den Fußballverein oder den Kinderchor einladen.
3. Zu Gottes Lob
Karl Barth, der wohl bedeutendste Theologe des letzten Jahrhunderts, hat einmal in einer Predigt zu unserem Bibeltext gesagt: „Wenn das Lob Gottes Menschen zusammenführt, dann entsteht eine innige Gemeinschaft, die stärker ist als alle Arten von Beziehungen, die wir sonst kennen.“. Das Lob Gottes wird uns zusammenhalten, sagt er, „so zusammenhalten, wie keine Freundschaft, keine Gesinnungsgemeinschaft, keine Volksgemeinschaft, kein Staat Menschen zusammenhalten kann. So zusammenhalten, wie auf der ganzen Welt nur die Glieder am Leibe Christi durch ihn selbst, das Haupt zusammengehalten sind.“[1]
Wir haben mit unserer pommerschen Kirche diese durch Christus gestiftete Verbindung, die tiefer ist, als alle andere Gemeinschaft, immer wieder erfahren. Schon ganz am Anfang machte die Berührung mit dem christlichen Glauben, den deutsche Missionare und Siedler zu den slawischen Pomeranen brachten, Pommern erst zu dem Land, das es dann Jahrhunderte und bis heute geworden ist. Immer wieder strömten Zuwanderer, vor allem aus dem nördlichen Rheinland und aus Westfalen, nach Pommern und Mecklenburg. Nach dem letzten Weltkrieg auch aus Ostpreußen und den anderen vormals deutschen Ostgebieten. Die Botschaft von Jesus Christus kann dabei sehr hilfreich sein, um das gegenseitige Verständnis zu fördern.
Und auch in der Gegenwart könnten die Flüchtlinge und Asylbewerber unseren Kirchengemeinden Frische in unsere überalterten Kirchengemeinden hineinbringen. Nicht wenige der Flüchtlinge und Asylbewerber, die in unserem Land um Aufnahme bitten, sind Christen. Wir sollten sie bewusst in unsere Gemeinden einladen, auch wenn ihre Sprachen und ihre Sitten anders sind als unsere. Solche Gastfreundschaft erfordert allerdings die Bereitschaft, sich auf die Gäste wirklich einzulassen und gegebenenfalls sich auch von ihnen verändern zu lassen. Nur so werden sie auf Dauer zu ebenbürtigen Mitgliedern unserer Gemeinschaft. Das Anderssein des Anderen verunsichert mich dann nicht mehr, sondern zeigt mir den Reichtum der Liebe Gottes und die Vielfalt der Wege, die Gott mit seinen Menschen geht. An die Stelle von Angst treten Neugier und Interesse an den Spuren Gottes im Leben anderer. Der Blick auf Jesus Christus ist eine Änderung in der Grundhaltung, die uns jeden Menschen positiv gegenübertreten lässt.
So kann uns gerade angesichts der aktuellen Herausforderungen für das Jahr 2015 die Jahreslosung die Richtung weisen. Es geht um unsere christliche Identität. Nicht Geld oder Nationalismus können uns unsere Identität geben. Nur innengeleitet finden wir zu uns selbst. Nicht von außen, sondern aus der Mitte des christlichen Glaubens hören wir die Bitte: „Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“ Diese Bitte ist unsere Richtschnur für 2015.
Amen.