10. November 2012 - Ökumenischer Gottesdienst anlässlich der Lübecker Märtyrer
10. November 2012
Predigt zu Lukas 12, 1-8
„Nicht grübeln! – glauben! –
So beginnt ein Gedicht von Friedrich Stellbrink, mit dem er seinen Söhnen Angst nehmen will. Es ist eins der wenigen, die von ihm erhalten sind:
„Nicht grübeln – glauben!
Hoch über Hadern und Hassen,
hoch über allem Geschehen,
Sonnenhoch über dem, was wir leben und sehen,
unsere Gedanken nicht fassen,
sonnensicher bleibt eines bestehen!
Gott ist gut!
Freund, das darf keiner uns rauben.“
Nicht grübeln. Nicht fürchten - glauben!, liebe Schwestern und Brüder. Stellbrinks Glaubenszeugnis ist wie eine Antwort auf das eben gehörte Evangelium. Ein Glaubenszeugnis, das deshalb so wahrhaftig wirkt, weil es das Leben einschließt: Die Sonne und den Todschatten, Traurigkeit und Friedenssehnsucht, die Krise und die Liebe, die die Krise überwindet. Fürchte dich nicht, sagen diese Worte. Gott ist gut. Die zugewandten Vaterworte werden Glaubenswort. Bekenntnis. Nicht zuletzt deshalb so kraftvoll in die Welt gesetzt, weil man dachte, am Ende zu sein.
Bei den vier Märtyrern, wir wissen es, war es so: gefangen in politischer Diktatur und verletzt durch leibliche Drangsal haben sie dennoch immer wieder aussprechen können, was sie trägt. Ja, die Nähe untereinander, das Verbindende des christlichen Glaubens schien sie mit jedem Tag ihrer Gefangenschaft stärker zu machen. Unabhängig. Brüderlich. Wahrheitsliebend. Allein einem Herrn dienend, Jesus Christus.
Ich sage aber euch, meine Freunde: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und danach nichts mehr tun können, antwortet ihnen dieser Christus. Darum, was ihr in der Finsternis sagt, das wird man im Licht hören; und was ihr ins Ohr flüstert in der Kammer, das wird man auf den Dächern predigen.
Wie wird man damals in Hitlerdeutschland dieses Evangelium gehört haben? 1943 schon ein zerrissenes Land. Die einen jubeln dem Diktator zu, der sich als gottgleiche Lichtgestalt inszeniert. Im Schatten dessen die vielen anderen. Verhuscht. Beschämt. Verängstigt. Unerwünscht. Angefeindet. Keine blauen Augen. Nicht gleich geschaltet. Und wer dann nicht gleich geschaltet hat und emigriert ist, durchleidet Gefangenschaft. KZ, Gestapo, Folterschrei und Friedhofstille. Und die anderen, sie jubeln darüber hinweg. Manche bis heute.
Wer sollte sich da nicht fürchten? Wir sind doch empfindsame Mitmenschen, sensible Seelen. Schon ein böser Blick kann irritieren. Eine obszöne Geste kann mich beleidigen. Und eine Beschimpfung lässt uns kaum in den Schlaf kommen.
Was hat also damals ein Bekenntnis zum Kyrios Christos, zum Herren aller Herren für Mut erfordert! So stehe ich immer wieder bewundernd vor den vier Märtyrern und ihren Familien, ja vor allen Vätern und Müttern im Glauben, die das Widerwort im Namen Christi geführt haben. Die deutlich gemacht haben: Widerwort ist Lebenswort. So wie es eindrücklich in der Barmer Theologischen Erklärung schon im Mai 1934 hieß:
„Jesus Christus, …, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche (…) außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“
Und ich höre Jesus antworten: Wer mich bekennt vor den Menschen, den wird auch der Menschensohn bekennen vor den Engeln Gottes.
Das ist das Evangelium. Hinein gesagt in den Streit, Kampf, in Unterdrückung und Gewaltherrschaft.
Ja, und wir sagen es deutlich: Hinein gesagt auch in alle Zerstrittenheit der Kirchen, in alle Kleinmütigkeit und in allen Irrglauben.
Also:
Fürchte dich nicht, bekenne dich zu mir.
Denn Gott bekennt sich doch längst zu dir.
Gott kennt dich mit Namen und ruft dich.
Heute -
Hermann LANGE
Eduard MÜLLER
Johannes PRASSEK
Karl Friedrich STELLBRINK
Wie bedeutsam der Name eines Menschen ist, merken wir heute besonders. Wenn wir diese Märtyrer ehren. Sie bei ihrem Namen rufen. Und mit diesen Namen auch ihre Geschichte aus der Vergangenheit heraustritt und in dieser Minute so unerhört präsent ist.
Eindrucksvoll ist dabei für mich, dass sie, das wir alle unseren Namen ja zumeist in der Taufe erhalten haben. Die Taufe ist das verbindende Band zwischen unseren Konfessionen. Bei allen Unterschieden, die wir in unserer christlichen Familie erleben, manchmal erdulden und oft genug bedauern – es hat etwas so Einigendes, wenn wir gemeinsam unsere Taufe er-innern können. Und wenn wir dies gleich tun werden in dem Taufgedächtnis, dann passiert ja wirklich etwas im Inneren. Denn wir werden ja wirklich berührt. Ganz sinnlich. Mit dem Licht, seiner Klarheit und Wärme in der Hand und im Herzen. Berührt bis hin zur eigenen Ursprünglichkeit. Tauferinnerung rührt an das, was wir einmal waren und sein wollten. An den ersten Atemzug und das Sehnen, bis zum letzten Moment behütet zu sein.
Und wenn wir dann die Lichter sehen, werden wir an die vier Namen denken. Und in ihrem Namen werden wir auch an all die denken, die heute getreten, gefoltert, hingerichtet werden, die getötet werden durch Größenwahn und Diktatur. Für jeden Menschen, für jeden Namen ein Licht. Hier in dieser Kirche und am großen Himmelszelt. Für jeden ein Sternlein. Und indem wir all die Sterne und Lichter aufleuchten sehen, sind doch diese Menschen selbst in einer solchen Intensität anwesend, dass es schmerzt. Denn ja: dieser Schmerz soll doch nicht vergessen sein. Ihre Namen zu nennen, heißt: wir gedenken ihrer geraubten Würde. Und das ist dann mehr noch als sie zu ehren. Sie geben uns doch auch auf zu lernen! Hinzuschauen. Klar und laut Nein! zu sagen zu Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz, und Rechtsextremismus. Gerade gestern erst haben Neonazis sämtliche Stolpersteine in Greifswald heraus gerissen. Und wir, wir werden sie wieder einsetzen! Es gilt gegen zu halten mit dem Gedenken, das uns ins Lernen bringt. Das uns dazu bringt zu fragen: Weißt du um die Märtyrer jener und dieser Tage? Was sie liebten, was sie glaubten, wofür sie lebten? Weißt du, wie viele heute leiden, weißt du, wie viel Sternlein dort wirklich stehen?
Gott, der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet, an der ganzen großen Zahl. - Vor Gott ist nicht einer von ihnen vergessen, so sagt Jesus es im Evangelium und lässt dem Schmerz und der Angst Trost folgen. „Auch die Haare auf eurem Haupt sind alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht“.
Nicht Grübeln. Nicht fürchten. Glauben!
Gehen wir gestärkt in die Welt, liebe Brüder und Schwestern, und lernen wir im Angesicht der vier Lübecker Märtyrer zu bekennen, was uns eint: Getauft, gesegnet, frei sind wir. Und immer verbunden im Gebet um den Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen