12. Mai 2013 - Dom zu Lübeck

12. Mai 2013 - Sonntag Exaudi

12. Mai 2013 von Kirsten Fehrs

Joh 14, 15-19 Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. Es ist noch eine kleine Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen. Denn ich lebe und ihr sollt auch leben!

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt. Amen

 

Liebe Gemeinde!

Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten sitzen wir nun. An diesem Sonntag mit Namen Exaudi. Erhöre uns, heißt das. Hören möge uns der Gnädige oben und hören sollen wir hier unten. Hier an diesem Sonntag, der ein eigentümliches Dazwischen ist. Schwebend geradezu. Zwischen Verlustschmerz und Begeisterung, Abschied und Aufbruch, zwischen Sehnsuchtsstille und Liebessturm. Noch sieht man dem Geliebten nach, wie er da gen Himmel gefahren ist, und ahnt zugleich, dass dies nicht das Ende ist. Doch keiner weiß Genaueres. Keiner weiß, was kommt. Bleibt nur, sich dem Schweben hinzugeben und zu hören, was die Stille uns sagt.

Dem Schweben hingeben – kann ich mich derzeit gut nach einem wunderbaren, erlebnisreichen Kirchentag. So viel Lebendigkeit, liebe Gemeinde! So viele fröhliche, zuvorkommende, junge Menschen! Inklusiv, sensitiv, kreativ -  rockend gegen rechts, betend per „link“, singend für die Gerechtigkeit in der Welt. Soviel du brauchst eben. Das Schild „wegen Überfüllung geschlossen“ stand vor etlichen Kirchen und Enttäuschte wurden von Busfahrern mit Alternativtipps getröstet. Eindrücklich auch das  Bild von den sieben  Religionsführenden in der Stadt, die sich – ehrlich gerührt - unter bebendem Applaus einander die Hand auf die Schulter legen. Kinder, die von der Bischöfin einen wirklichen (!) Kinderpastor fordern und sich schwere Sorgen machen um die Schöpfung, die Oma und den HSV. Stundenlang ließen sich Bilder aneinanderreihen von diesem Fest des Glaubens, bei dem sich außerdem Petrus von seiner protestantischen Seite gezeigt hat. Und es lässt mich sicherlich wie viele wie in einem Schweben zurück: Man schaut den Geliebten nach und weiß, das ist nicht das Ende. Doch was kommen wird, steht noch aus.

Und so höre ich, was die Stille uns sagt.

 

Und Jesus spricht: Ich lebe und ihr sollt auch leben. Und in mir schwingt nach: Leben, Mut, Segen. Ich höre: Er ist mit uns, wohin immer wir gehen.

Doch die Jünger – sie hören etwas völlig anderes. Sie hören Sterben. Not. Das letzte Mal. Groß ist ihre Angst, ihn zu verlieren! Kaum getrauen sie sich, zu Ende zu denken, was Jesus ihnen die ganze lange Abschiedsrede hindurch schon zu sagen versucht: Dass er gehen wird und sie sich trennen müssen. Dass er bald nicht mehr da ist, um zu trösten und zu segnen und zu heilen und zu lieben, wie nur er es konnte. Sie zittern – um ihn. Und um sich. Wie soll das nur werden! Ein Leben ohne ihn. Und schon jetzt schmerzt sie ihre Traurigkeit. Schon jetzt umklammert die Einsamkeit ihr Herz. Und schon jetzt schreit es in ihnen: Er fehlt. Mir. Guter Gott!

 

Gott fehlt. Mir.

Ich glaube, liebe Gemeinde, diese Worte kennen sehr, sehr viele Menschen auch in unserer Zeit. Mag sein, sie beziehen sich nicht immer auf Gott, doch allemal auf das Gefühl, einsam zu sein und irgendwie verloren gegangen. Manchmal gibt es Wüstenzeiten im Leben, in denen man sich so elend fühlt und angeschlagen und ungesehen. Da zieht jemand aus dem gemeinsamen Haus aus und sagt: Ich liebe dich nicht mehr. Oder der geliebte Mensch stirbt aus meinem Leben und lässt überall einen leeren Platz zurück. Da hält eine andere die ständigen Schläge ihres Mannes nicht aus und ist gar dankbar, dass er ihr am Muttertag erlaubt, einen Ausflug zu machen. Da ist schließlich das zutiefst verletzte Kind, das niemandem mehr trauen mag. Die Düsternis in einem Leben hat viele Namen, auch hier unter uns. Und mir geht es immer furchtbar nahe, wenn die Gedemütigten, wenn die Kleingemachten mit dennoch oft so großem Herzen sich in solchen Zeiten nicht nur von der Welt, sondern auch von Gott verlassen fühlen.

Ich verstehe das. Manchmal kommt Gott einem so unverständlich vor. So fern. So abgehoben von der Realität. Gen Himmel gefahren und nie wieder aufgetaucht. Unbekannt verzogen. Keine Ahnung, wo er wohnt, sagen die Verlassenen. Wie er heißt. Was er tut. Was er will. Und so genießen sie am Himmelfahrt Vatertag. Es sei ihnen gegönnt.

 

Aber auch das andere gibt es. Wo ist, wer ist Gott? fragen inzwischen immer mehr Menschen und riskieren den Blick in den Himmel. Oder gehen auf den Kirchentag. Sie ahnen, dass es gut ist, irgendwann entschiedener von sich und der eigenen Misere abzusehen und den Horizont auszumessen. Sie suchen. Wir suchen. Etwas, das einem den Sinn erklärt. Etliches davon nämlich wissen wir noch. Wir tragen zumindest Bruchstücke erfahrener Gottesnähe in uns. Worte, Gesten, Bilder, Menschen, die einem sagen: Du sollst leben! Ein Bild von der Taufe des Kindes etwa. Ungewohnte Worte wie Barmherzigkeit. Jesus. Und – ist es nicht so? – so ein Lied wie: „Der Mond ist aufgegangen“ hält einen doch sofort in Armen! Da ist eine Sehnsucht tief in uns Menschen, ich bin sicher. Eine Sehnsucht, diese Bruchstücke unseres Lebens wieder zusammen zu fügen zu einem guten Ganzen. Gerade wenn ein Abschied naht. Eine Sehnsucht deshalb auch, Gott mitsamt seiner Güte, die so weit reicht wie der Himmel, in mein kleines Leben herunter zu holen. Damit es aufhört, dies Gefühl, da sei kein Sinn dahinter. Damit es nicht mehr so einsam ist in schwerer Zeit. Damit man nicht mehr sagen muss: Gott fehlt. Mir.

 

Still. Exaudi, heißt es doch heute. Hör doch.

Gott hat verstanden. Und Jesus spricht: Ich will euch nicht als Waisen zurück lassen.

Mutterseelenallein. Nein, es wird ein anderer kommen. Er heißt Tröster. Versöhner. Hinhörer. Anwalt des Lebens. Wo er ist, weht ein anderer Geist. Da ist nicht mehr Feindschaft. Hass. Gier.

 

Diese Abschiedsrede Jesu, liebe Gemeinde, ist eine einzige Komposition des Lebens im Angesicht von Not. Denn die Christengemeinde, die Johannes vor sich sieht, ist gebrochen. Auch in ihrer Moral. Die Trümmer des jüngst wieder vernichteten jüdischen Tempels vor Augen, werden sie von eben jenen Juden verachtet, zu denen sie einst gehörten. Der Schmerz macht sie so wütend. Das Gebot der Feindesliebe trägt sie nicht mehr. Sie haben sich anstecken lassen von Hass und Verachtung und verzweifeln an sich selbst. Und an Gott. Wollen sozusagen sofort aus der Kirche austreten. Deshalb redet Johannes so oft vom Bleiben. Natürlich nicht im Sinne einer institutionellen, sondern einer inneren Bindung. Bleibt in der Liebe. In der Wahrheit, sagt der Text auch heute. Denn wahre Liebe ist das Einzige, was sich vermehrt, je mehr man sie teilt. Nichts doch macht einen Menschen schöner und aufrechter als die Zärtlichkeit eines anderen. Und vor allem: Seht euch um, was passiert, wenn man die Liebe verlässt. Damals wie heute. Wenn man Waffen schmiedet statt Pflugscharen. Wenn dann Felder brachliegen und es kein Brot mehr gibt, das gerecht zu teilen wäre. Und dann haben Menschen kein Auskommen mehr mit ihrem Einkommen. Zuviel Waffen und kein Mindestlohn. Statt blühender Landschaften darbende Menschen. Damals wie heute. Darbend nach Brot. Gerechtigkeit. Nach wahrem Wort.

Nach Gott.

 

Still, liebe Gemeinde. Damit wir ihn hören können.

Und ich höre auf dem Kirchentag die Geschichte von der israelischen Familie Shahak. Sie ist in tiefer Trauer um ihre Tochter, die durch ein Selbstmordattentat ums Leben gekommen ist. Dennoch isst, arbeitet, lebt sie mit Palästinensern zusammen, zeigt Anteilnahme und teilt auch deren Trauer. Zum Beispiel die vom palästinensischen Bauern Daoud Nasser. Gegen jüdische Siedler, die ihn und seine Familie zum Verlassen seines Landbesitzes zwingen wollen, wehrt er sich völlig gewaltlos, allein durch juristische Mittel und mit einem handgeschriebenen Plakat: „Wir weigern uns, Feinde zu sein.“

Wir weigern uns, Feinde zu sein. Was für eine Kraft steckt in diesem Widerstand. Denn Gottes Verheißungen von Frieden, Liebe und Leben kommen aus der Tiefe und nicht aus der Höhe, liebe Gemeinde. Deshalb muss Gott seinen Ort auch nicht in einem Tempel haben. Er wohnt, nah unserem Herzen, bei uns. Ich lebe, spricht Christus, Gottes Sohn, und ihr sollt auch leben. Und diese Lebendigkeit kann nicht in Lettern verfasst, in Dogmen zementiert, von Lehrern eingetrimmt, mühsam auswendig gelernt werden. Der Glaube an den Lebendigen ist keine Gehorsamsleistung. Nein – Gott will, dass du lebst, wie nur du es kannst. In aller Freiheit. Denn weil er dich liebt, lässt er dich los. So wie Väter und Mütter ihre Kinder auch loslassen müssen. Hoffend, dass die Losgelassenen Freiheit, Liebe und Erkenntnis in sich vereinen.

 

Du sollst leben! Zärtlich liebt sich Gott in dein Herz hinein, damit du in die Welt hinausgehen kannst. Als hörender Mensch, der verstehen will. Als Mensch, der sich weigert jemandes Feind zu sein. Damit nicht nur du und ich, sondern alle leben, wer sie sind. Aufrecht, frei, mit Perspektive und Horizont. Und so möge doch kein Mensch mehr sagen: Gott fehlt. Mir. In dieser Stadt. In diesem Land. Sondern, im Gegenteil, das Herz möge erkennen: Gott wohnt hier. Mitten unter uns. Mitten unter uns Losgelassenen.

Und so können wir ankommen.

Von Süden, Osten, Westen, Norden her ankommen im Leben. Leben, das eine Richtung hat. Weil es die Liebe kennt, Licht und Sinn. Weil uns Trost erreicht hat inmitten mancher Untröstlichkeit. Und nun, angekommen, brechen wir das Brot. Verbunden mit allen, die da hungern und dürsten nach Gerechtigkeit…

so inklusiv, sensitiv, kreativ,

beten wir und singen

… und siehe, Gott, wir leben!

Und  der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Datum
12.05.2013
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
Zum Anfang der Seite