13. Juli 2014 - 4. Sonntag nach Trinitatis
13. Juli 2014
Gottesdienst mit Abendmahl Predigt zu Römer 12,17-21
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
Für viele Menschen ist heute ein spannender, freudiger Tag: Deutschland steht endlich wieder einmal im Finale. Auch ich werde heute mitfiebern bei der schönsten Nebensache der Welt. Und doch gibt es auch andere Dinge, die unsere Aufmerksamkeit verdienen. Überdeckt von der Fußball-WM werden zwei Debatten geführt, in denen es um nicht weniger als um Krieg und Frieden für unser Land geht: Unser Bundespräsident hat angeregt, Deutschland solle zukünftig früher und entschlossener Militäreinsätze im Rahmen der UNO übernehmen. Die Verteidigungsministerin sprach sich zudem dafür aus, auch Deutschland solle sich Drohnen beschaffen, mit denen man nicht nur beobachten, sondern auch kämpfen und töten kann. Das Echo auf diese Vorschläge reicht von Ablehnung bis Zustimmung.
Hat der christliche Glaube zu diesen Debatten etwas Orientierendes zu sagen?
Im heutigen Predigttext in Röm 12 heißt es:
„Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.
Ist's möglich, soviel an euch liegt, sohabt mit allen Menschen Frieden.
Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«
Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25,21-22).
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“
Eine Grundorientierung ist damit gegeben: Vergeltung ist unfruchtbar. Es bringt nichts, Böses mit Bösem zu vergelten. Zur Genüge kennen wir die Kreisläufe von Gewalt und Gegengewalt – bspw. zwischen Israelis und Palästinensern. Verhüte Gott, dass die Kampfhandlungen weiter eskalieren! Zur Genüge kennen wir auch die Kreisläufe unfruchtbarer Streitigkeiten – bspw. in Schulklassen oder Familien, wo eine Verletzung die nächste nach sich zieht, und man weiß genau, wie ein Wort das andere gibt und in welchem Schlamassel all das endet.
Es sind Teufelskreise der Aggression, Teufelskreise der Vergeltung, aus denen es scheinbar kein Entrinnen gibt – es sei denn, man ändert die Spielregeln; es sei denn, man bricht aus aus diesem Kreislauf; es sei denn, man durchbricht das unheilvolle Muster, jede Kränkung mit einer Gegenkränkung zu beantworten. Wo das Gesetz der Vergeltung nicht mehr befolgt wird, da kann sich etwas verwandeln.
Und wie auch sollte aus Bösem Gutes entstehen?! Manche sagen: „Der Zweck heiligt die Mittel.“ Aber dieser Satz ist ethisch höchst fragwürdig – nicht nur, weil er dazu gebraucht wird, um auch die größte Schweinerei noch zu rechtfertigen. Etwas anderes kommt hinzu: Die Mittel, die wir anwenden, beeinflussen das, was wir erreichen wollen. Sie färben gewissermaßen ab. Sie bestimmen das Ergebnis mit. Mahatma Gandhi meinte daher:
„Du wirst keine Rose bekommen, wenn du ein Unkraut pflanzt. Du erntest, was du säst.“
In diesem Sinne war Paulus überzeugt:
„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“
Das erste, was uns an dieser Lebensregel auffallen kann, ist eine Kleinigkeit mit großen Folgen. Es heißt ‚das‘ Böse – nicht ‚der‘ Böse. Ein Zufall? Mitnichten! Eine wesentliche Unterscheidung klingt hier an, die Jesus sehr wichtig war – die Unterscheidung von Person und Verhalten, der Person auf der einen Seite und dem, was sie tut, auf der anderen: Gegen die Sünde ging Jesus an, dem Sünder als Person wandte er sich zu. Der korrupte Zöllner, die Ehebrecherin – ihr Verhalten sollten sie ändern, aber den Menschen selbst begegnete Jesus mit Verständnis und Liebe.
So auch wir: Überwinden wir das Böse mit Gutem! Unterscheiden wir zwischen den Personen und dem, was sie tun. Wie viele Streitigkeiten sind so zerstörerisch, weil sie die Sache, um die es geht, nicht von der Person unterscheiden. Gerade, wenn ein Problem auf eine Person zugespitzt und an ihr festgemacht wird, hat das Unrecht leichtes Spiel: Da wird im Halbfinale Fred, der brasilianische Mittelstürmer mit Schmähgesängen überhäuft, aber versagt hat eigentlich die ganze Mannschaft. Da meint man, wenn man einen bestimmten Politiker entfernte, würde alles besser. Aber man übersieht dabei, dass der Fehler im System liegt. Nicht ‚der‘, sondern ‚das‘ Böse muss überwunden werden. Verwandelte Verhältnisse gibt es nur mit dem Konfliktpartner – nicht durch seine Niederlage.
„Wenn ihr aufhören könntet zu siegen“,
lässt Christa Wolf Kassandra sagen,
wenn ihr aufhören könntet zu siegen,
so würdet ihr leben."
Es ist gut, dem Zwang zum Siegen zu entkommen. „Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“ Es ist gut, das Böse mit Gutem zu überwinden. Diese Grundorientierung gilt.
Gilt sie für alle Bereiche?
Schaut man auf die Theologie Martin Luthers, so unterscheidet er zweierlei: Für sich selbst kann und soll man gewaltlos sein. Für die eigene Person soll man um des Friedens willen lieber Leiden auf sich nehmen, als anderen Leiden zuzufügen. Aber zum Schutz anderer Menschen können und sollen die dafür Zuständigen – Polizisten und Soldaten – Gewalt ausüben und sogar töten, wenn es kein anderes Mittel mehr gibt, die Bedrohten zu schützen.
Diese Unterscheidung Luthers bleibt wichtig, denn sie erinnert uns daran: Es ist ein Unterschied, ob mein Verhalten nur Konsequenzen allein für mich selbst oder auch für andere hat. In Grenzfällen kann es erlaubt, ja, vielleicht sogar geboten sein, andere und auch sich selbst unter Einsatz von Gewalt zu verteidigen. Aber eben nur in absoluten Grenzfällen!
Die Friedensethik hat sich weiter entwickelt, so wie sich auch die Waffentechnik ungeheuer gewandelt hat. Wo früher der Satz galt: „Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.“, gilt heute der Satz: „Wenn du den Frieden willst, bereite den Frieden vor.“ Wo früher die Lehre vom ‚gerechten Krieg‘ entwickelt wurde, um Eroberungskriege zu ächten, reden wir heute vom ‚gerechten Frieden‘, den es zu entwickeln gilt. Es ist gerade der Einsatz für Gerechtigkeit, der in der Welt friedensstiftend wirkt. Denn die heutigen Kriege werden zumeist um knappe Rohstoffe und Wasser geführt.
Was bedeutet das für die Debatte um Militäreinsätze der Bundeswehr?
Es gibt nicht die eine christliche Position dazu. Menschen mit politischer Verantwortung können sich aus Gewissensgründen für einen Einsatz der Bundeswehr im Rahmen einer UN-Mission entscheiden, bspw. um einen Völkermord wie in Ruanda zu verhindern. Aber zweierlei finde ich an der gegenwärtigen Debatte schwierig:
- Das Eine: Manche stellen die Zurückhaltung von uns Deutschen gegenüber Militäreinsätzen als überholt dar. Dagegen sage ich: Es ist die bleibend aktuelle Erfahrung unseres Volkes, dass der Griff zu den Waffen Unheil mit sich bringt! Zwei Weltkriege haben uns das gelehrt. Eine Grundskepsis gegenüber militärischen Lösungen wünsche ich mir auch für die Zukunft in unserem Land. Es stimmt: Deutschland hat international ein größeres Gewicht. Darum lasst uns diese gewachsene Verantwortung wahrnehmen als Vorreiter in Sachen Ökologie und Gerechtigkeit! Ich wünsche mir auch, dass Deutschland Friedensdienste viel stärker fördert. Denn manche Streitigkeiten lassen sich befrieden, bevor sie auf der Ebene der Gewalt angekommen sind, wenn rechtzeitig für einen Ausgleich der Interessen und für Gerechtigkeit gesorgt wird. Darum, lassen wir uns unsere Zurückhaltung gegenüber Militäreinsätzen nicht ausreden! Das sind wir auch den Soldatinnen und Soldaten schuldig.
- Ein Zweites ist mir wichtig: Die Gründe für mögliche Militäreinsätze gehen in der Debatte bunt durcheinander. Neben der Verhinderung von Völkermord wird auch die ‚Sicherung deutscher Interessen‘ genannt. Das sind Gründe unterschiedlichen Ranges: Es macht einen Unterschied, ob ich massenhaften Mord verhindere oder den Zugang zu Rohstoffquellen sichere. Darum, schauen wir genau hin, was die Gründe sind! Befragen wir unser Gewissen, ob es in der jeweiligen Situation unumgänglich ist, unsere Soldatinnen und Soldaten in Marsch zu setzen! Befragen wir die politisch Verantwortlichen auch, ob es Kampfdrohnen in der Bundeswehr tatsächlich braucht. Da reicht es nicht zu sagen: „Der Schutz der Soldaten macht es nötig“. Andere ernstzunehmende Sicherheitspolitiker sagen: „Für den Schutz unserer Truppen haben wir Kampfhubschrauber und bestimmte Flugzeuge. Es gibt keine Sicherheitslücke.“ Der Missbrauch von Kampfdrohnen zur gezielten Tötung durch die US-Armee sollte uns sehr kritisch fragen lassen.
Schwestern und Brüder, es gehört zu unserer Verantwortung als Christen und als Bürger die politisch Verantwortlichen mit diesen Fragen nicht allein zu lassen. Machen wir uns kundig und diskutieren wir mit! Unsere Abgeordneten sind darauf angewiesen. All dies gehört zu dem, was die Schrift von uns erwartet:
„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“
Amen.