14. Dezember 2014 - Gottesdienst zur Verleihung der Bugenhagenmedaille
14. Dezember 2014
1 Kor 4,1-5
Liebe Festgemeinde!
Sie war wie ein kleiner Posaunenengel dort im Altarraum bei dem Adventskonzert vorletzte Woche. Rote Locken, rote Wangen und ihr „Blech“, wie es so schön heißt; ihr Instrument war ziemlich ungefähr genau so groß wie sie selbst. Faszinierend zuzuschauen, wie glücklich sie war. Mit großem Ernst damit beschäftigt, mit all den anderen zusammen wohltönend Gott zu loben. Und dann geschieht etwas ganz Anrührendes: Ihre Schwester, offenkundig auch schwer begeistert und ebenso rotgelockt, fährt sich und ihren Rollstuhl mit schnellen Schwüngen – zielstrebig und für alle sichtbar – durch den Mittelgang nach vorn, bleibt vor den Jungbläsern stehen und fängt an zu dirigieren, höchst vergnügt. So voller Lebensfreude, dass es manchen die Tränen in die Augen getrieben hat. Der Posaunenwart hat ihr charmant das Dirigat überlassen. Wissend, dass nichts so wichtig ist wie die Würde auch der kleinen Christenmenschen.
Ich erlebe ganz viele solcher Momente, in denen auf fast geheimnisvolle Weise Christus mitten unter uns ist. Das muss – und kann! – man gar nicht erklären. Es sind Momente voller Geistesnähe und Segenskraft. In jeder Hinsicht inklusiv. Entstanden in einem Raum, in dem die Musik des Glaubens ihre Melodie spielt. Ein Raum auch, der entsteht, ja geschaffen wird von Chefengeln, die sich auf ganz unterschiedliche Weise auf das Dirigieren verstehen – Und das sind in unserer Kirche ganz entscheidend Ehrenamtliche. Die kleinen gelockten und die großen … Erfahrenen. … Sie merken, liebe Gemeinde, ich nähere mich zielbewusst dem Anlass.
Es gibt soviel zu singen und zu sagen über all die treuen, langjährigen, Mut machenden, fröhlich-nüchternen Haushalter Gottes, lieber Herr Liebmann und Herr Stülcken, Paulus singt dieses Lied in seinem Brief an die Korinther ja auch. Und recht hat er: Was wären wir als Kirche ohne Menschen wie Sie beide, gute Haushalter durch und durch. Ob als Konzertmeister oder als Hüter der Noten, respektive Banknoten, dass sie auch ja recht gezählet seien. Ohne Menschen wie Sie wäre Kirche deutlich unmusikalischer und hätte kein Auskommen mit dem, was uns als Erbe anvertraut ist. Nein, Paulus hat Recht: Wir alle, Ehrenamtliche und Hauptamtliche in dieser Gemeinschaft Jesu, wir sollen „Diener Christi sein – und Haushalter über Gottes Geheimnisse.“
Denn das ist die Schlüsselqualifikation, sagt Paulus in unserem Predigttext. Und mir geht durch den Kopf, wie sich wohl eine Stellenbeschreibung dazu anhören würde: „Engagierte Gemeinde sucht Haushalter über Gottes Geheimnisse.“
Sicherlich würde ich Sie beide in das Auswahlgremium der Bewerberinnen nehmen. Haben Sie doch jahrzehntelange Erfahrung als Haushalter manch geheimnisvoll wirkender Zahlenkolonnen, lieber Herr Stülcken, oder als Haushalter nicht nur des richtigen, sondern des rechten Tons, lieber Herr Liebmann. Und haben Sie doch in unzähligen Gremien und Chören mitgewirkt und sich enorm für unsere Kirche verdient gemacht, nicht umsonst würdigen wir Sie heute mit der höchsten Auszeichnung unserer Nordkirche. Vor allem aber ist es Ihr großes Herz für Ihre (ja manchmal auch anstrengende) Kirche und Ihre Liebe zu unserem Gott, dem das alles zum Lobe geschieht. Ich danke Ihnen von Herzen dafür. Und, da folge ich Paulus gern, ich danke dem Herrgott, ihm, der das Trachten des Herzens erkennt, ich danke dem Herrgott, dass es Sie gibt.
Nun will ich der Laudatorin nicht allzu sehr vorgreifen, frage nur noch dies weiter: Ist es nicht letztlich auch ein Geheimnis, was Menschen in den Dienst Christi bringt? Wissen wir eigentlich so genau, was es ist, was uns anrührt, zur Liebe treibt und in Christi Nachfolge ruft?
„Ich habe keine Ahnung von Kirche“, sagte mir kürzlich eine der ehrenamtlichen Helferinnen in dem Flüchtlingsheim nebenan, „Aber ich habe einfach mitgemacht, weil Kirche sich gekümmert hat. Ich habe vorher nicht gewusst, dass ich den Flüchtlingskindern wirklich etwas geben kann. Heute bin ich so dankbar. Die letzten Wochen waren mit Sicherheit die anstrengendsten, aber auch sinnhaftesten meines Lebens.“
Sie hat es vorher nicht gewusst. Wie auch. Und der Predigttext deutet dies für heutige Ohren auf provozierende Weise: sie ist ein Glück, sinnhaft, diese Ungewissheit. Nicht das Wissen, sondern die Ungewissheit ist es, die innerlich den Raum öffnet, wieder etwas erwarten zu können. Auch von sich selbst. Und mir wird deutlich, wie sehr wir in einer Gesellschaft leben, die das kaum noch kennt, ja aushält. Die überhungrig ist nach Gewissheiten. Zahlen, Daten, Fakten, jeglicher Ungewissheit muss beigekommen werden. Damit man genau kalkulieren und beurteilen kann, was und vor allem: wer gut, schlecht, gesund, krank, korrekt, inkorrekt ist. Und weil man heutzutage tatsächlich unerhört viel wissen kann, will man es auch. Auch über den anderen. Der Mensch ist gläsern geworden, erkennbar, zu durchleuchten, kein Geheimnis, so scheint´s, das bleibt.
Seid Haushalter-innen der Geheimnisse Gottes – Paulus schreibt dies nicht umsonst uns und den Korinthern hinter die Ohren. Denn zu gewiss kamen auch die ihm damals daher. Wussten genau, wer als gottgefällig zu beurteilen war und wer nicht. Und beurteilten, verurteilten, demütigten einander, kanzelten und werteten einander ab.
Richtet nicht, hält Paulus gegen. Allein Gott, der sieht, wonach des Herz trachtet, kann dies. Und bis er kommt, haben wir Gott die Treue zuhalten. Heißt: Mit unserem Herzen Christusnah eine Haltung zu zeigen, die ausnahmslos jeden Menschen mit Liebe und Achtung anschaut. Auch die, die uns Mühe machen mit ihrer Wut. Ihrer Schuld. Ihren Lieblosigkeiten.
Haushalter der Geheimnisse Gottes sollen wir sein – die Ungewissheit, sagt Paulus damit, betrifft doch jeden Menschen! Wer weiß schon, was noch in ihm oder ihr wachsen will und werden. Und also gilt es, die Ungewissheit nicht nur auszuhalten, sondern zu schützen. Um der Würde des Menschen willen, der sich immer verändern kann. Wehrt euch gegen die die vielen zerstörerischen, vermeintlichen Gewissheiten zwischen uns Menschen. Gegen die Kategorien und Schubladen in den Köpfen, aus denen die einmal Hineinsortierten so schwer wieder heraus kommen. Wann immer man uns glauben machen will: „So und nicht anders tickt die Welt“, dann sollten wir als treue Haushalter Gottes Einspruch erheben und den Spalt des Ungewissen offenhalten.
Und ich schaue auf die Kriege und Terror im Nahen Osten und der Ukraine, schaue in das von Krankheit und Hunger gebeutelte Westafrika, sehe, wie wir alle, dass die Welt weiter vom Frieden entfernt ist denn je – und ich frage mich: was wird nur werden? Ungewiss, was mit all den Flüchtlingen wird und mit denen, die um Leib und Leben bangen. Da ist doch kein Zweifel daran, dass dies gewiss ein furchtbares Grauen ist in all dieser gottlosen Gewalt?!
Und ich gestehe, liebe Gemeinde, da hinzuschauen, in diese furchtbare Ungewissheit, macht mich mitunter auch verzagt. Ohnmächtig. Vielen, glaube ich, geht es so. Und dann hat mich ein Satz der Theologin und Klartexterin Dorothee Sölle total aufgewühlt und aufgerüttelt: „Da kann man nichts machen“ – Achselzucken – das ist ein gottloser Satz.“
Und es ist mir durch und durch gegangen: Auch all die Schreckensbilder dürfen es nicht schaffen, liebe Gemeinde, die geheimnisvolle Kraft des Friedefürsten zu brechen! Diese Kraft des kleinen, unbeirrbar liebenswürdigen, alle Gewissheiten sprengenden Gotteskindes. Es ist und bleibt das Geheimnis des Glaubens, wie wir es beim Abendmahl sprechen. Gegenwart einer anderen Macht, die über unser Leben hinausweist und unsere Welt bereits überwunden hat. Es ist das Geheimnis des Glaubens, dass immer wieder, auch in der dunkelsten Realität, das Leben und die Hoffnung aufbrechen.
Das Geheimnis des Glaubens ist das Geheimnis des Lebens. Eben: Gottes Geheimnis. Der Mensch weiß nicht, wie. Und Paulus sagt`s wie es ist: Der Mensch wird es auch nicht wissen. Er weiß heutzutage viel mehr als damals von Evolution, Photosynthese und Wachstumsprozessen. Doch er weiß nichts vom Geheimnis des Lebendigen. Dass aus menschlichen Keimzellen ein neuer Mensch wird, eine eigene Persönlichkeit, bleibt doch geheimnisvoll und wunderbar?! Es entzieht sich unserem Wissen, was wir nicht sehen können. Und gerade dies berührt uns oft am tiefsten.
Denn was ein Geheimnis zu einem Geheimnis macht, ist die Erfahrung, dass es bei näherem Hinsehen ein Geheimnis bleibt. Alles Forschen und Rätseln macht es eher noch faszinierender, größer, schöner. Ein Geheimnis lässt mich nicht los, so wie mich ein geliebter Mensch auch nach vielen gemeinsamen Jahren nicht los lässt, sondern immer interessanter wird. Facettenreicher. Liebenswerter.
Und so, liebe Gemeinde, lässt Gott uns nicht los.
Gerade jetzt im Advent nicht. Er kommt uns näher, nahe wie selten. Und der Mensch muss nicht wissen, wie. Verborgen, verschlüsselt, mag sein, es ist nur ein Wort. Ein Wort, das dir gehört. Und das auch mich aufweckt aus dem Schlaf. Das mich aufrüttelt zum unbeirrbaren Friedensgebet. Oder es ist der alte Choral, der mich tröstet. Oder die Aufgabe, die mir Sinn gibt. Der Mensch, der mich braucht. Das Kind, das sich in die Arme schmiegt. Die Sterbenden, die friedlich gehen, weil sie gern gelebt.
Oder Gott kommt uns nah, mitten unter uns, durch einen kleinen Engel mit Posaune. Oder durch zwei große Engel mit Dirigentenstab und Haushaltsplan.
Es ist Gottes Geheimnis, wie. Gut so. Und um dieses Geheimnis des Lebens zu schützen, sind wir da, liebe Gemeinde. Als Christen in dieser Welt, die niemals sagen müssen: „Da kann man nichts machen.“
Denn eines, das ist gewiss: der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, jetzt und allezeit. Amen