14. November 2014 - Ökumenische Andacht und Lichterprozession im Gedenken an die Lübecker Märtyrer
14. November 2014
Joh 14,1-6: Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn's nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin. Und wo ich hingehe, den Weg wisst ihr. Spricht zu ihm Thomas: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen? Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.
Liebe Schwestern und Brüder,
auch wir sind eben einen Weg gegangen. Durch die lärmende Stadt mit unserer Stille. Einen Weg durch die Dunkelheit, von dem Ort aus, an dem vor 71 Jahren Hermann Lange, Eduard Müller, Johannes Prassek und Karl Friedrich Stellbrink mit dem Fallbeil hingerichtet wurden. Vom nationalsozialistischen Volksgerichtshof im Juni 1943 verurteilt wegen „Wehrkraftzersetzung und Abhören von Feindsendern“. Wir sind diesen Weg gegangen, mit Lichtern, und wir sind ihn hierher gegangen, ins Licht. Von der Stätte des Todes zu dem Ort, an dem wir uns geborgen wissen. Geborgen in dem, der von sich sagt: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.
Lüge und Tod, das war demgegenüber Realität in Nazideutschland. Jahrelang schon hatte die Hitlerdiktatur Krieg und Elend über die Welt gebracht. Doch immer noch, 1943, jubeln so viele dem Diktator zu, der sich gottgleich inszeniert als Lichtgestalt. Im Schatten dessen die vielen anderen. Verhuscht. Beschämt. Verängstigt. Unerwünscht. Angefeindet. Und wer dann nicht gleich geschaltet hat und ins Ausland geflohen ist, durchleidet Gefangenschaft. KZ, Gestapo, Folterschrei und Friedhofstille. Und die anderen, sie jubeln darüber hinweg. Immer noch. Manche bis heute.
Wir wissen nur zu gut, dass auch etliche in unseren Kirchen sich haben verführen lassen. Von Macht. Einfluss. Der „neuen Zeit“. Wir wissen – heute! – dass wir Kirchen hätten mutiger widerstehen, klarer Widerworte sprechen und inständiger hätten beten müssen. Umso wichtiger ist es, dass wir heute die Erinnerung wachhalten an die wenigen, die Widerstand gewagt haben. Und dass wir es gemeinsam tun, im ökumenischen Geist – denn auch das ist ein Vermächtnis jener Vier aus Lübeck.
Sie waren sehr mutig. Unerschrocken. Das war eben bei den Briefen herauszuhören. Woher gründet sich solch ein Mut, diese Kraft zum Widerstand? Mag sein, durch genau jene Worte des Evangeliums: „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ Diese Worte Jesu sind wie ein Gegenprogramm gegen die Resignation des Schreckens. Denn dass der lähmt, erfahren wir doch täglich. Wie furchtbar ist der Schrecken, der Terror, der sich ausbreitet in Syrien, im Irak, in so vielen Ländern – die Zeugnisse der Märtyrer heute sind doch erschütternd! 100 Jahre nach Beginn des Ersten und 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges scheint die Welt kaum etwas gelernt zu haben aus diesen mörderischen Ereignissen. In blindem Hass und taub gegenüber jeder Initiative zum Frieden agieren Soldaten, Milizen, Terroristen – wer vermag noch genau zu unterscheiden, was Gut und Böse ist? Unsere Vernunft, unser rationales Begreifen versagt angesichts dieses Ausmaßes von Gewalt.
Dennoch: Ich will nicht einstimmen in den Chor derjenigen, die jetzt einen weltweiten Kulturkampf zwischen Christentum und Islam ausrufen. Und ich weiß, dass drei Finger auf uns zurückweisen, wenn wir die Grausamkeiten des so genannten Islamischen Staates pauschal „dem Islam“ anrechnen. Gerade in der Erinnerung an die Nazidiktatur. So war in der „Berliner Zeitung“ vor wenigen Wochen von einer älteren polnischen Dame zu lesen, die sich an den Beginn des Zweiten Weltkriegs erinnerte. Sie war damals gerade in die zweite Klasse gekommen. Sie liebte ihre Lehrer, die für alle im Ort Respektspersonen waren. Dann stürmten die Deutschen ihre Schule. Sie zerrten die Lehrer aus den Klassenräumen, ließen sie auf dem Schulhof in einer Reihe antreten. Dann erschoss die SS einen Lehrer nach dem anderen. Die Kinder mussten zusehen. SS-Männer, vermutlich alle getaufte Christen, konfirmiert oder gefirmt. Mörder sind sie geworden. Mörder sind sie heute, die IS-Männer in Syrien- NS - SS - IS – es sind immer diese martialischen, zischenden Abkürzungen. Es ist immer die Vernichtung. Und immer wieder der Schreck vor dem Schrecken.
Wir müssen und wir können diesem Terror etwas entgegensetzen, ganz und gar auch jenseits jeder Diskussion um Waffenlieferungen. Wir müssen und wir können dem eine Haltung entgegensetzen. Indem wir unerschütterlich auf dem Weg bleiben, den Jesus uns vorangegangen ist. Den Weg des Friedens, den Weg der Liebe. Und den Weg der Wahrheit – denn würden wir Menschen in Lieblosigkeit und Lüge verhaftet sein, gingen wir zugrunde.
Sie sagten die Wahrheit, die vier Lübecker Märtyrer. In der Seelsorge, auf den Kanzeln, in der Jugendarbeit. Unaufhörlich. Prägnant. Bewundernswert eindeutig. Und unerhört interkonfessionell. Und so wurde nicht nur die biblische Wahrheit selbst, sondern die Wahrhaftigkeit dieser Geistlichen ein ökumenischer Schatz. Mit jedem Jahr ihres Gedenkens würdigen wir auch dies. Und indem wir dies tun, bringt es uns doch auch voran! Lässt uns lernen, dass die Hoffnung uns braucht. Begeben wir uns also ökumenisch in unserer ganzen fulminanten Unterschiedlichkeit auf die Suche, liebe Schwestern und Brüder, auf die Suche nach der Wahrhaftigkeit und dem Verbindenden.
Wir werden heute gebraucht. Als Christen, die sich einig sind, dass unsere Lebenshoffnung ebenso in die Welt gehört wie unser Widerwort gegen die Gewalt. Es braucht Menschen, die sich einig sind, dass es keine humane Zukunft gibt ohne die Erinnerung und das ehrende Gedenken. Erinnerung an Menschen, die wahrhaftig den Weg des Lebens gegangen sind. Auch mit ihrem Tod.
Wir verneigen uns vor den vier Lübecker Märtyrern.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.