14. September 2013 - Beflügelt - Geistliches Wort als Überleitung zum Segen
14. September 2013
Als Schülerin habe ich gern unliebsame Textaufgaben zu Fliegern gefaltet – wie wahrscheinlich die meisten hier. Einfach dieses unauflösbare Wortungetüm, das auch nach mehrmaligem Lesen nicht verständlich wird, beherzt in die Luft werfen! Was für eine Erleichterung. Der Algorithmus ist ja gar nicht so schwer – er schwebt…Vergnügt, erlöst, befreit war ich – wenigstens für einen kleinen Moment. Bis zur nächsten Textaufgabe. Dafür sorgte schon mein Mathematiklehrer.
Wenn ich mich daran erinnere, ist´s immer wie ein bisschen Wind unter den Flügeln. Weil es einem mit einem blitzenden Lächeln nachweist, dass man der Schwere des Lebens auch beikommen kann. Dass es erleichternde Momente gibt, die einem Mut machen und Lebenslust. Allzumal wenn andere mitmachen. Wie vorgestern 100 Achtklässler in der Petrikirche. So viel Farbe, Frische, Verliebtheit ins Leben – und ineinander….
Und wenn es etwas gibt, was uns das Evangelium ins Herz schreiben will, ist es genau dies: Frei sollen wir sein. Frei von Be-Schwer-de. Von Abwertung. Von Blindheit. Gegenseitiger Verletzung. Aufatmen mögen wir doch bitte, und uns ein wenig hoch nehmen lassen von Gottes Geist, so dass wir aufrecht stehen. Denn so wird das Herz weit – auch für das Leben und die Würde der anderen.
Zur Freiheit gehört, dass wir etwas merken. Dass wir nicht wegschauen, wo Menschen in Unfreiheit leben und Not. Gerade jetzt in diesem Moment in Syrien. Was für ein Elend, all die Flüchtlinge! Die Hamburger heißen sie willkommen, ich danke Ihnen dafür von ganzem Herzen. Es ist ein Zeichen von Mitgefühl, das trägt. Als wären da jede Menge Engelflügel. Es ist ein Zeichen, dass viele in dieser Stadt etwas merken. Vielleicht weil viele, auch viele hier, selbst von sich wissen, wie viel Angst oder Traurigkeit manchmal eine Seele verarbeiten muss. Dass es manch schwere Textaufgabe gibt, die uns ins Buch des Lebens geschrieben ist und die wir einfach nicht verstehen.
Vor einem Jahr haben wir in ökumenischer Verbundenheit hier Segensbänder verteilt. Gedacht war, dass wir (wie gleich auch) mal kurz durch die Menge gehen und ein bisschen plaudern und Segensworte mit auf den Weg geben. Über zwei Stunden hat das dann gedauert. Und keine Minute davon möchte ich missen. Die Menschen waren so offen. Kirchentagsherzlich. Und sie zeigten ihre Fragen. Und ihre Sehnsucht. Ein, zwei Sätze nur und es war deutlich, was das Herz bewegte. Die Mutter, die große Angst hatte um ihr krankes Kind. Das Liebespaar, das sich gerade wieder gefunden hatte nach 40 Jahren und es gar nicht fassen konnte. Die ältere Dame mit einem wunderschönen roten Hut. Es war manchmal nur ein wissender Augen-Blick. Eine Berührung. Ein ganz individuelles Segenswort. Oder eine hilfreiche Adresse.
Es sind eben nicht immer die großen Taten, oft sind sie so gravitätisch. Nein, die kleinen Gesten der Gegenseitigkeit haben oft viel mehr die Kraft zu beflügeln. Weil sie so konkret sind. Weil sie zeigen: Ich habe verstanden. Was für ein Schatz bist du. Ob Freundin. Partner. Mutter. Großvater. Sie zeigen: da ist immer jemand, der hält die Hand und steht dir bei. Und dann geht man irgendwie beschwingter weiter, offener, mit einem neuen Gedanken, neugierig, was kommen mag.
Vielleicht ja auch in dieser 10. Nacht der Kirchen, liebe Schwestern und Brüder. Lassen Sie sich beflügeln - durch die Musik, das zauberhafte Licht, die Besinnlichkeit. Wagen Sie die Unbekannte in der Gleichung kennen zu lernen. Lassen wir alle uns beflügeln durch den, der uns begegnen will. Mag sein, wie ein Engel. Mag sein, er oder sie steht schon direkt neben Ihnen. Denn Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen und dass sie dich auf Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.
Gehen wir getrost und in Frieden. Beflügelt durch die Kraft, die uns schützt. Allezeit. Auch im Regen.
Denn Christus spricht: Ich bin bei euch alle Tage bis die Erde endet.
Amen.