14. September 2014 - Schwerin

14. September 2014 - Ökumenischer Stadtgottesdienst

11. September 2014 von Andreas von Maltzahn

Predigt zu Lukas 10, 1-9

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder!

Erinnern Sie sich noch an die Ernteeinsätze früherer Zeiten? Als Schüler oder Studenten mussten wir mit in die Ernte ausrücken. Schon damals waren Erntehelfer Mangelware. Als mein Studienjahr dran war, verschlug es mich nicht etwa zum Kartoffelsammeln, sondern überraschenderweise zum Sägegatter der LPG. So manchen Baumstamm haben wir dort – mit Respekt vor den rasenden Sägeblättern – in Bohlen und Bretter zersägt. Ernte – anders als erwartet!

Von Erntehelfern haben wir auch im heutigen Evangelium gehört. 72 weitere Jünger sendet Jesus aus. Sie sollen zu den Leuten gehen, ihnen Frieden wünschen, Kranke heilen, und vor allem sollen sie ihnen ausrichten:

„Das Reich Gottes ist euch nahe.“

 Was mich dabei überrascht – Jesus nennt das nicht ‚Mission‘ oder ‚Gemeindeaufbau‘, sondern ‚Ernte‘:

„Die Ernte ist groß, der Arbeiter aber sind wenige. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter aussende in seine Ernte.“

Was mag das bedeuten, dass Jesus von ‚Ernte‘ redet?

Als Gemeindepastor hatte ich eher das Gefühl, meine Arbeit sei es, den Samen des Evangeliums auszusäen. In der Praktischen Theologie reden wir doch auch von ‚Gemeindeaufbau‘ und nicht von ‚Ernte-Kunde‘. Waren die Leute damals – vielleicht anders als heute – einfach ‚reif‘ für das Reich Gottes? Musste in der Gegenwart Jesu einfach nur eingebracht werden, wo wir heute eher pflanzen und säen? Ich vermute, das wäre zu einfach.

Wenn ich das Bild der Ernte für uns heute ernst nehme, kommt mir in den Sinn: Es will uns einfach daran erinnern: Gott wirkt! Gott ist am Werk! Er ist der Sämann, der Glauben weckt – unsere Aufgabe ist es, das Reifen zu begleiten und zu fördern. Auch wenn es weltfremd klingen mag: Nicht wir müssen Gemeinden aufbauen – Gott tut es.

Ich weiß, es gibt landauf, landab auch bittere Erfahrungen von Vergeblichkeit. Zu erleben, dass gerade da, wo unser Herz schlägt, andere Menschen desinteressiert sind, das lässt manche müde werden. Und doch gibt es auch Erfahrungen, dass Glaube geweckt wird – ohne unser Zutun! Es geschieht mitten unter uns:

·        Da ist der Schüler kurz vor dem Abitur. Keiner aus seiner Familie ist Christ. Aber im Philosophieunterricht erwachen die Fragen nach Gott. Auf einen Zeitungsartikel hin kommt er in unseren Kurs „Glaube zum Kennenlernen“. Am Ende entscheidet er sich für die Taufe.

·        Da ist der 50jährige Biker, der nur mal gucken will beim MoGo. Aber im Anschluss gibt es Gespräche, die in die Tiefe gehen. Er kommt zum Glauben und wird kirchlich getraut.

·        Da ist die Enkelin eines Imam in Kasachstan. Sie spürt, dass sie beginnt, ihre Beziehung zu Gott zu verlieren. Sie erzählt es ihrem Großvater. Der Imam schenkt ihr ein Neues Testament, und sie lässt sich taufen.

Gott wirkt. Ich bin überzeugt: Es ist schon viel gewonnen, wenn wir darauf trauen, dass Gott am Werk ist und es daher zunächst einmal darauf ankommt, sein Wirken zum Zuge kommen zu lassen. Jesus hat das Reich Gottes ja nicht von ungefähr als Saat beschrieben, die von selbst wächst. Darum, Schluss mit der kleinmütigen Angst um die Zukunft unserer Gemeinden und Kirchen! Vertrauen wir uns Gott an! Denn aus dem Vertrauen erwächst das, was zu Gott führt. 

Dafür braucht es Menschen, die nicht verbergen, wovon sie leben. Dafür braucht es Menschen, die zeigen, was sie lieben. Dafür braucht es uns alle. Fragt sich: Wie geht das?

Ich finde nach wie vor bemerkenswert, was die Herrnhuter im 18. Jahrhundert ihren Missionaren an Orientierungen mit auf den Weg gegeben haben:

„Denkt nur nicht, ihr brächtet Christus irgendwo hin,

macht vielmehr die Augen auf und schaut, wo er bereits am Werk ist.

Und als zweite Empfehlung:

Mund halten. Sprache lernen.

Und drittens:

Verhaltet euch so, dass sie notwendigerweise fragen:

Warum seid ihr so?

Und viertens: Wenn die Leute zu fragen anfangen,

dann erzählt, was euch im Herzen ist,

erzählt, was Jesus Christus euch persönlich

und für euren Gesprächspartner bedeutet.“

Schwestern und Brüder, vieles davon hat seine Aktualität behalten:

-         wahrnehmen, wo Christus schon am Wirken ist,

-         die Sprache der Leute lernen, damit wir verstanden werden,

-         so leben, dass Menschen aufmerken und ins Fragen kommen,

-         und schließlich, wenn wir gefragt sind, mit dem Wesentlichen, mit Christus nicht hinter dem Berg halten.

Bleiben wir einen Moment beim Sprach-Problem: Wir müssen ja nicht eine Fremdsprache lernen wie Missionare in einem fernen Land. Aber manchmal sind die Worte unserer eigenen Sprache fremd und unverständlich: Als ich in meiner ersten Gemeinde Christenlehre hielt, brachte ein Mädchen ihre Freundin mit. Sie hatte von Kirche und Glauben keinen Schimmer. Eigentlich hatte sie gedacht, in der Christenlehre könne man reiten lernen. Irgendwann kam das Gespräch auf Gott. Ich fragte sie, ob sie sich unter ‚Gott‘ etwas vorstellen könne. Nach einigem Nachdenken antwortete sie: „Vielleicht ein Film?“

Ja, wie reden wir von dem, was für viele Menschen unvorstellbar ist, wozu ihnen jede Beziehung fehlt? Wie viele Vorurteile sind  da immer noch lebendig und behindern das Verstehen – z. B. das Vorurteil, Glaube und Naturwissenschaft schlössen sich aus. Hartnäckig hält sich, was das sozialistische Bildungssystem gehirnwäscheartig behauptet hatte. Dabei widersprechen sich Glaube und Naturwissenschaft überhaupt nicht. Viele Wissenschaftler von Rang und Namen sind Christen. Selbstverständlich haben auch die Erkenntnisse der Wissenschaft in einem christlichen Weltbild Platz. Doch die Aufgabe bleibt: Wach zu sein für das, was anderen den Zugang zum Glauben erschwert, eine verständliche Sprache zu finden.  

Der dritte Rat der Herrnhuter hatte gelautet: So leben, dass Menschen aufmerken und ins Fragen kommen! Ja, wie gut ist es, wenn die Leute auch in Schwerin an unseren Gemeinden merken können:

Hier lebt eine Gemeinschaft.

Da ist ein guter Geist am Werk.

Wie die da miteinander umgehen – das wünscht man sich eigentlich auch.

Es sind Menschen, die lassen sich berühren von Not und Leid anderer Leute.

Sie schauen nicht weg, flüchten nicht in Betäubung.

Da werden die wichtigen Fragen gestellt – nach dem Sinn des Lebens, was die Liebe gelingen lässt, und was sein wird, wenn anscheinend alles aus ist.

Ihre Hoffnung hat langen Atem und ist stark.

Und ihr Glaube macht, dass man sein kann, wie man ist.

Wie gut, wenn davon etwas zu merken ist!

Jesus hatte seine Jüngerinnen und Jünger direkt zu den Leuten gesandt. Für uns in Schwerin könnte das heißen:

-         Da zu sein für Kinder, denen es an Zuwendung fehlt! Die jemanden brauchen, der mal richtig zuhört oder ihnen etwas Warmes kocht oder ihnen hilft, die Schule zu schaffen.

-         Es könnte für uns heißen, bei Menschen zu sein, die aufgegeben haben. Gefühle der Entmutigung und Überforderung sind weiter verbreitet, als man denkt. Helfen wir mit, dass Menschen wieder entdecken, wie kostbar und wertvoll sie sind! Stehen wir ihnen bei, dass sie wieder Hoffnung für ihr Leben entwickeln! Ich finde es großartig, was einige Gemeinden, aber auch Evangelische Jugend, Caritas und Diakonie in dieser Hinsicht versuchen. Es sind Aufgaben, die den Einsatz von uns allen lohnen. 

-         Jesu Sendung zu folgen, könnte für Jugendliche und andere Kundige heißen, bewusst als Christen in den neuen sozialen Netzwerken aktiv sein zu sein. Es ist doch verrückt: In den Chatrooms und Gesprächsportalen bilden sich regelrechte Netz-Gemeinden(!), in denen teilweise tiefgehende Fragen erörtert werden und Lebenshilfe geleistet wird – und wir sind nicht dabei! Auch an diesem Ort, der für viele wirklicher ist als die reale Welt, braucht es Christenmenschen, die aufmerksam zuhören und für die Sorgen anderer da sind.

Für all das braucht es Menschen, die nicht verbergen, wovon sie leben. Dafür braucht es Menschen, die zeigen, was sie lieben. Dafür braucht es uns alle.

Als Jesus die die 72 aussandte, hatten sie eine knappe Botschaft auszurichten:

„Das Reich Gottes ist euch nahe.“

Für mich heißt das heute: Gottes Wirklichkeit kommt uns nahe – seine Wirklichkeit, in der Gerechtigkeit und Friede einander küssen, in der es ein Ende hat mit der Herrschaft der Tyrannen und den Opfern endlich Gerechtigkeit widerfährt!  Reich Gottes – das ist die Wirklichkeit, in der wir einander Bruder und Schwester sind. Die Wirklichkeit, in der wir vor Gott schmerzlich erkennen, wie unser Leben hätte sein können – und dennoch wird uns vergeben, und die Wunden unseres Lebens werden geheilt! Die Wirklichkeit, in der wir erfahren: Nichts, aber auch gar nichts, kann uns trennen von der Liebe Gottes – nicht einmal der Tod!

Diese Realität ist untrennbar verbunden mit Jesus, dem Christus. In der Beziehung zu ihm gewinnt unser Leben Leichtigkeit und Tiefgang. An seiner Hingabe können wir sehen, wie sehr wir geliebt sind. Das Fest des Lebens ist bereitet – heute und Ewigkeit. Gott selber lädt uns ein.

Amen.

Und der Friede Gottes . . .

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