15. Dezember 2013 - St. Johannes-Kirche Neubrandenburg

15. Dezember 2013 - Gottesdienst am 3. Advent

15. Dezember 2013 von Andreas von Maltzahn

Predigt zum 10. Gebot

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

Eine Reihe von Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen zu den 10 Geboten hat Sie in Ihrer Gemeinde beschäftigt. Heute kommt diese Reihe mit dem 10.Gebot zum Abschluss. Nach dem Ehren von Vater und Mutter, dem Nicht-Töten, dem Nicht-Ehebrechen, Nicht-Stehlen, Nicht-Falsch-Zeugnis-Reden sind wir nun beim „Nicht-Begehren“. Wörtlich heißt es in 2.Mose 20, 17:

„Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was dein Nächster hat.“

Zwei Mal heißt es in ein und demselben Vers: „Du sollst nicht begehren“ – als müsste dies in besonderer Weise eingeschärft werden. Interessant ist auch der Unterschied, der sich bei diesem Gebot in den beiden biblischen Fassungen findet: In 2.Mose 20 ist es das Haus, das von den anderen Gütern des Nächsten sprachlich abgesetzt wird. Bei der Wiederholung des Dekalogs in 5.Mose 5, 21 ist es die Frau des Nächsten, die herausgehoben wird. Für uns heute ist natürlich besonders befremdlich, dass Ehefrauen, Knechte und Mägde als Besitz auftauchen – und doch schleichen sich auch heutzutage manchmal Verhaltensweisen ein, als gehöre ein Partner dem anderen.

„Du sollst nicht begehren“ – in welcher Perspektive verstehen wir dieses Gebot?

Man kann dies Gebot hören zum Beispiel in der Perspektive des Eigentums. „Das gehört mir. Das ist meins – Privateigentum eben. Nur ich darf darüber verfügen.“ So scheint es. Aber die Perspektive des Eigentums ist weniger selbstverständlich, als man meinen möchte. Schon das Wort ‚Privateigentum‘ erinnert daran: Das lateinische Wort ‚privare‘, von dem ‚Privateigentum‘ abgeleitet wird, heißt nichts anderes als ‚berauben‘. ‚Privateigentum‘ wäre wörtlich genommen ein Besitz, den man sich ‚geraubt‘ hat. Egal, wie legal man zu seinem Eigentum gekommen ist – sprachlich ist es alles andere als selbstverständlich, Besitzansprüche geltend zu machen. So war es für frühe Kulturen unvorstellbar, dass man ‚Mutter Erde‘ in Form von Grundstücken, Seen oder Wald privat besitzen konnte. Uns heute ist es kaum vorstellbar, dass sich Pharmakonzerne den Gencode seltener Pflanzen patentieren lassen. Aber vielleicht erleben es schon unsere Kinder, dass auch dieses Stück Natur ‚privatisiert‘ wird.

Die Perspektive des Eigentums ist also weniger selbstverständlich, als man meinen möchte. Sie kann mit guten Gründen hinterfragt werden. Man muss vielleicht nicht so weit gehen wie Mahatma Gandhi, der sagen konnte: „Wenn du einen Stuhl besitzt, den du nicht brauchst, dann ist das Diebstahl an dem Menschen, der keinen Stuhl hat.“ Aber auch unser Grundgesetz, das ja immerhin Eigentum unter Schutz stellt, relativiert Besitz mit den Worten:

„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“

Wie wichtig ist es, sich dieses Verständnis von Eigentum immer wieder zu vergegenwärtigen und sich zu fragen: Wie kann das, was uns gehört, auch anderen dienen?  Und nicht zu denken, das gelte nur für Millionäre!

Wie kann das, was uns gehört, auch anderen dienen? Dies ist eine ganz andere Blickrichtung als der begehrliche Blick auf das, was wir noch nicht haben.

Eine andere Perspektive, das Eigentum unserer Nächsten zu sehen, ist die falscher Moralität. Natürlich sind wir gerufen, verantwortlich, also nach ethischen Grundsätzen zu leben. Die heutige Brieflesung aus 1. Kor 4 spricht uns jedoch noch in anderer Hinsicht an: ‚Haushalter der Geheimnisse Gottes‘ sollen wir sein! Und – wir sollen auf das Richten verzichten! Das heißt in der Folge: Die 10 Gebote sind nicht die Munition, mit der ich andere moralisch unter Beschuss nehmen und  meine Urteile über sie fällen soll. Wer das tut, wird blind für den Anspruch Gottes auf sein eigenes Leben. Nicht umsonst sind die Gebote nicht allgemein formuliert: „Man soll nicht dies oder das tun oder unterlassen“. Nein, ganz persönlich sprechen sie mich an: „Du sollst nicht begehren . . .“. Ich selbst also bin die erste Adresse für das, was Gott erwartet und als Lebenshilfe anbietet.

Ein Zweites kommt hinzu, und das ist entscheidend: Die Gebote – auch das Gebot „Du sollst nicht begehren, was deinem Nächsten gehört“ – sie alle zielen auf deine Beziehung zu Gott. Sie beschreiben, was für das Verhältnis zwischen dir und Gott wichtig ist, was diese Beziehung trüben oder stärken könnte. Der Beginn des Dekalogs macht das deutlich. Mit den Worten „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus  . . . der Knechtschaft geführt hat“ – mit diesen Worten macht Gott deutlich, dass alles Folgende in den Geboten das Verhältnis zu ihm berührt und uns Menschen vor neuer Knechtschaft bewahren will.

In schöner Weise wird dies auch deutlich, als Jesus gefragt wird, was denn das höchste, das entscheidende Gebot sei. Er antwortet: „»Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt « (5.Mose 6,5). Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3.Mose 19,18). In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“

Schwestern und Brüder, für mich ist das der Schlüssel zum Verständnis der Gebote: Sie meinen immer die Beziehung zu Gott wie dem Nächsten! Und in beide Richtungen soll die Liebe der Schlüssel sein! Bernhard von Clairvaux, einer der großen Mystiker des Mittelalters, hat einmal zu Recht gesagt: „Gott wird so viel verstanden, als er geliebt wird.“ Das heißt: Gott zu verstehen – auch im Blick auf seinen Willen – ist eine Frage unserer Liebesfähigkeit!

Was bedeutet das für das 10.Gebot?

Nicht zu begehren, was meinem Nächsten gehört, meint nicht nur, fremdes Gut zu respektieren. Es bedeutet auch und vor allem, meinen Nächsten zu achten. Es bedeutet, sich klar zu machen: In meinen Begehrlichkeiten steht die Beziehung zu diesem Menschen auf dem Spiel – eine Beziehung, die ich zerstören oder achtsam oder gar liebevoll gestalten kann.

Nicht zu begehren, was meinem Nächsten gehört, berührt aber auch meine Beziehung zu Gott. Um es ganz schlicht zu sagen: Wenn mein Herz mit zweit- oder drittrangigen Dingen beschäftigt ist – wie kann es bei Gott sein?! Wenn mein Sinnen und Trachten sich um Lebensersatz dreht – wie kann ich gleichzeitig bei Gott, der Quelle aller Lebendigkeit sein?! Viel zu oft ereignet sich, was John Lennon mit den Worten beschreibt: „Das Leben geschieht, während du mit anderen Dingen beschäftigt bist.“ Das soll nicht sein.

Ein Gedicht von Eva Strittmatter kommt mir in den Sinn. „Werte“ heißt es:

„Die guten Dinge des Lebens

sind alle kostenlos:

die Luft, das Wasser, die Liebe.

Wie machen wir das bloß,

das Leben für teuer zu halten,

wenn die Hauptsachen kostenlos sind?

Das kommt vom frühen Erkalten.

Wir genossen nur damals als Kind

die Luft nach ihrem Werte

und Wasser als Lebensgewinn,

und Liebe, die unbegehrte,

nahmen wir herzleicht hin.

Nur selten noch atmen wir richtig

und atmen die Zeit mit ein,

wir leben eilig und wichtig

und trinken statt Wasser Wein.

Und aus der Liebe machen

wir eine Pflicht und Last.

 

Und das Leben kommt dem zu teuer,

der es zu billig auffasst.“

 

Das Leben zu billig auffassen, am Leben vorbeileben – das kann uns widerfahren, wenn wir blind sind für das, was wesentlich ist, wenn wir uns lähmen lassen durch des Alltags Vielerlei. Doch in der Beziehung zu Gott kann etwas sehr Schönes geschehen – nämlich das, was Jesus Johannes dem Täufer ausrichten lässt: „Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt.“ Im Vertrauen auf Gott werden wir frei von Begehrlichkeiten, die nicht erfüllen können. Im Vertrauen auf Gott werden wir frei für die Liebe – zu unserem Nächsten und zu Gott. Im Vertrauen werden wir frei für die Liebe zu uns selbst.

 

Ja, auch die Liebe zu uns selbst ist in dieser Freiheit möglich. Ich will es einmal mit Worten von Charlie Chaplin sagen:

 

„Als ich mich selbst zu lieben begann,

habe ich aufgehört, mich nach einem anderen Leben zu sehnen

und konnte sehen, dass alles um mich herum

eine Aufforderung zum Wachsen war.

Heute weiß ich: Das nennt man Reife.

 

Als ich mich selbst zu lieben begann,

habe ich mich von allem befreit,

was nicht gesund für mich war,

von Speisen, Menschen, Dingen, Situationen

und von allem, was mich immer wieder hinunterzog,

weg von mir selbst.

Anfangs nannte ich das ‚gesunden Egoismus‘,

aber heute weiß ich: Das ist Selbstliebe.“

Schwestern und Brüder, Gottes Gebote sind Angebote, ein Leben in Freiheit zu führen. Sie sind Einladungen, unser Leben nicht zu verfehlen, sondern durch das Vertrauen auf Gott neu und lebendig werden zu lassen. An uns ist es, dieses Angebot zu ergreifen. Mögen uns die Tage des Advent und der Weihnachtszeit darin stärken!

Amen.

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