16. Dezember 2012 - Predigt im Gottesdienst zum 3. Advent
16. Dezember 2012
Predigt zu Jesaja 40, 1-8
Predigttext:
1Tröstet, tröstet mein Volk! Spricht euer Gott. 2Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen für alle ihre Sünden.
3Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott. 4Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; 5denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des Herrn Mund hat’s geredet.
6Es spricht eine Stimme: Predige! Und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. 7Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des Herrn Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! 8Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich. (Jesaja 40,1-8)
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei in uns lebendig. Amen
Liebe Gemeinde!
Tröstet, tröstet mein Volk.
Trost ist heute das erste Wort.
Denn mit Ernst, o Menschenkinder, beginnt der dritte Advent. An ihm hören wir Worte wie Buße, Strafe, verdorrtes Gras, welkende Blum. Worte, die von der Dunkelheit des deportierten Volkes Israel im 6. Jahrhundert vor Christus zeugen. Die von seiner Entwurzelung erzählen, seiner Resignation. Von den ausgedörrten Seelen, die nach Gottes Nähe seufzen wie der Hirsch nach frischem Wasser.
„Tröstet, tröstet, mein Volk.“ – Gott antwortet auf dieses Sehnen. Mit starken Worten für tief traurige Menschen. Tröstet, tröstet mein Volk. Mir sind diese Worte immer schon ans Herz gegangen. Weil sie getragen sind von einem zärtlichen Ton, zugewandt und lebensnah. Sie erlauben, eigene Trostbedürftigkeit zuzulassen. Das anzuschauen, was wir in dieser tobenden Welt beklagen und einfach nicht verstehen. Was uns einsam macht, schuldig oder unversöhnlich. All das also, wo´s einem ernst ist, o Menschenkinder.
Dafür ist im Advent eben auch Raum. Gerade am 3. Advent. Ein Raum des Trostes, den Gott uns eröffnet, dass wir in ihn eintreten können. Mit restlos allem, was untröstlich ist in uns.
Meine Gedanken gehen in die USA; nach Connecticut, zu den Eltern der vom Amokläufer getöteten Kinder, zu den Angehörigen der Lehrerinnen – und zu denen des Täters. Eine ganze Nation, ja, die ganze Welt trauert. Aufgewühlt, schockiert, tränenüberströmt. Und ich sehe, wie die alt bekannte Schwester der Trauer aufwacht und sich an ihre Seite stellt. Diese Schwester heißt Wut. Sie klagt verzweifelt. Sie fragt, warum? Warum mussten sie alle sterben, mein Gott, die doch so klein waren und so schön oder so mütterlich und so liebevoll. Schwester Wut fragt, warum diesem nationalen Waffenwahn nicht längst Schranken gesetzt wurden. Sie bebt der Gewalt nach, und weiß, dass da, in den Klassenzimmern, nur noch Zerstörung sein sollte, so wie es heißt: da wuchs kein Gras mehr. Und wir stehen erschüttert neben Schwester Trauer und der Schwester Wut und fühlen diese Untröstlichkeit.
Und ich höre den Predigttext: Es spricht eine Stimme: Predige! Und ich sprach, was soll ich predigen? Das Gras ist verdorrt, die Blume verwelkt.
Genau wie dem Propheten ist mir. Es gibt Erschütterungen, die kann man nur mit aushalten. Mitfühlen. Doch, was soll ich predigen? Worte erfassen die Wirklichkeit der Trauer letztlich doch nur unvollkommen. Schon gar, wenn sie mit aller Gewalt gerade über Menschen hinein gebrochen ist.
Und ich erinnere mich an die Eltern, deren Tochter vor einigen Jahren getötet wurde. Sie erzählten, wie sehr es sie getröstet hat, dass Menschen wenigstens versucht haben, Worte zu finden. Oder Gesten. Wie sehr es sie angerührt hat, dass eine Nachbarin, sie wissen bis heute nicht wer, jeden Tag um die Mittagszeit eine warme Suppe vor ihre Tür gestellt hat. Wochenlang. Und sie erzählten auch, wie sehr es sie bedrückt hat, dass so viele sich nicht trauten, etwas zu sagen. Dass sie manchmal auf die andere Straßenseite gingen, um ihnen auszuweichen.
Dieses Schweigen, sagten sie, ist eben keines, das Freunde miteinander teilen. Dieses Schweigen auf der anderen Straßenseite lässt einen untröstlich zurück.
Und es sprach eine Stimme: Predige. Denn ja, das Gras ist verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unsers Gottes bleibt ewiglich.
Menschen brauchen unseren Trost. Unsere Seelsorge. Unsere Klarheit im Glauben. Sie brauchen Gesten und Worte, die etwas davon sagen, dass es hinter dem Horizont weitergeht. Dass hinter der Dunkelheit auch wieder das Leben wartet. Dass Gott da ist. Ewig. Unerkannt vielleicht. Als einer, den man anklagen kann – wo soll man sonst auch hin mit diesem Schmerz. Aber auch als einer, der dir antwortet.
Tröstet, tröstet – mein Volk.
Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht. Deshalb sollen wir predigen. Nicht nur Propheten, und Pastorinnen und Bischöfe. Gar von Kanzeln herunter. Nein, vielmehr wir hier, in die Herzen hinein. „Redet mit ihnen“, heißt es im Text „redet mit ihnen freundlich, dass es ins Herz geht.“ Trost ist die Sprache der Liebe. Und die vertröstet nicht und sagt, indem sie wegschaut, „das Leben geht weiter“. Sondern sie sucht die Traurigkeit. Um zu finden, was tröstet: Das Gebet, für dich gesprochen. Das Lied, das der Müdigkeit widersteht. Die Bitte um Verzeihung. Die Umarmung, die den Schmerz zu lindern sucht. All das ist Gottes Wort, das Menschen innerlich wieder Raum geben kann, nämlich - hebräisch bringt es der Begriff des Trostes wunderbar auf dem Punkt: Erbarmen zu empfinden und zugleich die Geborgenheit vom Mutterschoß.
Mir kommt in den Sinn, wie mich als Kind manchmal meine Mutter auf den Schoß nahm, hin und her wiegte, und sagte: alles wird gut. Und so war es dann auch gut. Wenn ich auch natürlich heute weiß, „alles“ wird nie gut – so kann doch der Satz ein weinendes Kind, kann er uns halten, vor allem, wenn jemand anders ihn zu uns spricht. Die Welt, in der einst alles gut war, das Paradies ist nicht mehr zugänglich – auch das weiß ich. Und dennoch werde ich mit Inbrunst am Heiligen Abend singen: Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis, Gott sei Lob, Ehr und Preis.
Denn die Nacht wird ein Ende haben. Gottes Trost und Gottes Liebe in Person kommen auf die Erde. Das ist Advent, dieses unaufhörliche Sehnen! Diese getroste Hoffnung, dass es anders wird, als es jetzt ist. Besser. Gerade angesichts der Schwester Trauer und der Schwester Wut, die an so vielen Orten der Erde weinen und verzweifelt sind, sollen wir uns ja eben nicht abfinden! In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, sagt unser Text. Und das heißt ja, dass beides wahr ist. Einmal, dass wir natürlich in einer Welt leben, über die sich beim besten Willen nicht sagen lässt, dass sie nur gut wäre. Jeder Schmerz, der durch uns hindurchgeht, beweist es. Aber auch das andere ist wahr: dass die Tür zum schönen Paradeis manchmal vor uns und für uns aufgeschlossen wird. Dass wir schauen, etwa hier im Dom, wie weit sich der Raum des Trostes und Lichtes tatsächlich vor uns öffnet. Wie vieles sich unverhofft zum Guten wendet, wie sich neue Wege als Lebensbahnen auftun und Liebe etwas zu verändern vermag, wie durch dieses Hoffen auf das ganz andere Menschen der Verführung zur Güte unterliegen.
Auch so, durch euch wird Gottes Wort Licht in der Nacht.
Viel mehr als ein Wort, unzählige Worte, wie Licht in der Nacht, haben sich in einem erschütternd liebevollen Briefwechsel zwei Menschen geschrieben oder besser: geschenkt. Sie sollen zum Schluss meiner Predigt zu Wort kommen. Denn sie trösten mit ihrer Hoffnung. Womöglich ein ganzes Volk. Im Angesicht von tiefem Ernst, o Menschenkinder.
In Berlin Tegel wartet 1944 der 37 Jahre alte Jurist und Widerstandskämpfer Helmuth James von Moltke auf seine Hinrichtung. Täglich wechseln er und seine Frau Freya Briefe, die der Pfarrer unter Einsatz seines Lebens an der Zensur vorbei schmuggelt. Von der politischen Lage, seiner Verurteilung, den Wanzen und der Folter im Gefängnis schreiben sie, vor allem aber von ihrer Liebe und ihrem Glauben. In ihrem ersten Abschiedsbrief heißt es: „Mein Jäm, …wie gut und voller Gnade das alles geht! …Ich werde leben müssen und das wird schwer sein, aber es wird gehen, denn ich werde dich weiter lieben dürfen. Ich werde dich in Gott lieben .... Die 15 Jahre, das war unser Leben, Jäm; 7 Jahre länger hast du mir versprochen, aber was tut schon Quantität. Wie gut, dass ich jede Minute mit dir bewusst als ein Geschenk empfunden habe, dass ich mich um jede gerissen habe“ (Helmuth James und Freya von Moltke, Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel, September 1944 – Januar 1945 – Herausgegeben von Helmuth Caspar von Moltke und Ulrike von Moltke, München 2011, S. 37). Und er antwortet: “Ja, mein Herz, unser Leben ist zu Ende….Für uns waren diese letzten 8 Monate nicht verloren. Wir sind wohl beide etwas andere Menschen geworden. Ich habe das Band zu dir in den tiefsten Tiefen und in den höchsten Höhen entdeckt, ich …habe danken gelernt und gelernt zu sagen, „Dein Wille geschehe“ (Ebd. S. 45/46).
Darauf sie: „Ja…Dein Wille geschehe. Gerade das ist es. Ach, mein Jäm, ich darf dir ja mit diesem Gebet beistehen, ich, eine solche Anfängerin im Beten. Wenn ich aber bitte, dass du auf Erden bleiben mögest, was doch für mich alles bedeutet, mein so geliebtes Herz, dann wird daraus doch immer: Dein Wille geschehe. ..Und so habe ich gar keine Zweifel, dass er dir seine Gnade schenken …und erhalten wird. Denn ich weiß genau, dass du geschaffen bist, eine Frau zu haben, und zwar, mein Jäm, gerade mich, die …dir mit ihrer großen Liebe das Leben wärmt, solange du es hast“ (Ebd. S. 47 u. 236).
Und so schreiben sie sich bis zu seiner Hinrichtung im Januar 1945. Trostbriefe, Liebesbriefe, Glaubensbriefe. Fast unerträglich zu lesen in ihrer Innigkeit. Voller Zuversicht. Zuversicht, das Richtige getan und gelassen zu haben. 65 Jahre hat Freya von Moltke ihren Jäm überlebt. Hat sein Andenken gepflegt und trat stets in beherzten Widerstand gegen alles, was Demokratie bedroht. Und ich schaue sie an und sage: Willkommen, Schwester Hoffnung. Und ich höre sie antworten:
Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht;
es hat Hoffnung und Zukunft gebracht.
Es gibt Trost, es gibt Halt in Bedrängnis, Not und Ängsten,
ist wie ein Stern in der Dunkelheit.
Geht getrost heute, in den 3. Advent, liebe Gemeinde. Denn der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen