16. März 2014 - Ordinationsgottesdienst
16. März 2014
Hebräer 11, 1+8-10 (1) Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. (8) Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme. (9) Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung. (10) Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.
Viele Wege führen nach St. Gertrud, liebe Gemeinde. Heute insbesondere zu diesem Ordinationsgottesdienst. Für die eine begann der Weg hierhin ganz früh. Es waren Abendgebete mit der Mutter – das Herz war klein und rein und sie als Sternlein fühlte sich geborgen, weil von Gott gezählet. Für den anderen waren es die Erlebnisse bei den christlichen Pfadfindern – dieses Ineinander von frommer Geradlinigkeit und jugendlich-frischem Tatendrang. Die Dritte lässt sich als Jugendliche in der amerikanischen Gastfamilie auf deren evangelikale Lebensform ein – und geht trotzdem oder gerade deswegen theologisch fortan eigene Wege der freien Denkungsart. Die Vierte sucht die Theologie der Befreiung in deren brasilianischen Wurzeln und findet das Glück ihres Lebens. Die Fünfte war glücklich mit ihrer kirchlichen Jugendgruppe unterwegs – mit Zelt, Rucksack und existentiellen Fragen, damals schon so auch jetzt. Die sechste kommt vom Dorf und sucht fortan die Weite systemischer Gedankenwelten. Die siebente schließlich wuchs nahezu aus dem Pfarrhaus heraus ins Pfarrhaus hinein, wissend um die Schönheiten und Regularien kirchlicher Existenz …
Sieben Menschen mit total unterschiedlichen Glaubensgeschichten. Unterschiedliche Wege, die sie und uns alle in dieser Kirche heute zusammenführen. Danke übrigens, liebe Gemeinde zu St. Gertrud, für Ihre großzügige Gastfreundschaft und dass Sie so liebevoll diesen bedeutenden, ja tatsächlich einmaligen Augenblick der jungen PastorInnen teilen! Werden die doch mit der Ordination zu Gesegneten, die das Amt der Verkündigung übertragen bekommen. Und, aufs Leben und all die prägenden Momente zurückgeblickt, liebe OrdinandInnen: Hätten Sie je geglaubt, dass Sie einmal hier so stehen würden?
In feierlichen Momenten wie diesen, wenn entscheidende Lebensschwellen überschritten werden, fragt man sich das ja oft. Was gewesen wäre, wenn. Oder wenn nicht. Mit dieser Frage passiert etwas in uns. Ob bei einer Ordination, einem runden Geburtstag, einem Jahrestag – oft gibt es dieses Innehalten. Ein Er-innern, dass vieles so gut (gewesen) ist. Und dieses Erinnern entfaltet eine große Kraft. Denn es geht an die Wurzeln. Es bindet uns dabei immer wieder an die, die uns einst das Leben und die Freude daran gegeben haben. Die uns Trost waren und Schutz, Liebesnähe und Herausforderung zugleich. Eltern, Großeltern, Sandkastenfreundin, Professores, Studienfreunde, die Anleiterin. Viele sind heute hier, willkommen Ihnen.
Und mir wird bewusst: Ohne meine Erinnerungen wäre ich nicht dieselbe. Manchmal träume ich von dem Haus meiner Kindheit. Wie meine Mutter mittags den Tisch in der Diele deckt. Wie mein Vater mich Huckepack die gewundene Treppe hinauf trägt. Der riesige Birnbaum im Garten und die unzähligen Male, die es im Herbst Birnen, Bohnen und Speck gab. Immer mehr Bilder stellen sich ein – Erinnern ist reiches Ernten.
Es tut mir gut, mich zu erinnern. Alles ist so vertraut. Das Gefühl von Heimat, zu Hause sein, gibt einem Stabilität und Stärke. Auch die Stärke, den Fuß dann in neuen weiten Raum zu stellen. Was kann einem schon passieren?
Reminiszere. So ist der Name des heutigen Sonntags. Reminiszere. Gedenke. Erinnere dich, wie barmherzig Gott ist. Wie gut er es mit dir meint. Reminiszere – erinnere dich daran. Gerade jetzt am 2. Sonntag in der Passionszeit. In der wir auf das Kreuz Christi schauen und natürlich wissen, dass nicht alles gut ist. Dass Erinnerungen auch schmerzen können. Dass sie Fremdheit auslösen und Not. Dass sie voller Trauer sein können und Wut. Bei Menschen, die mit Unrecht kämpfen und Lebenshunger und Entwürdigung – an so vielen Orten der Welt. Gerade im Moment in Syrien. Vor den Grenzen Europas.
Und mag sein, gerade in diesem Moment nebenan.
Reminiszere: Im Angesicht von Verletzung, Not und Bitterkeit erinnern, wie Gott rettet und liebt. Was für eine Herausforderung! Ich finde, gerade im Pastorinnenberuf. Denn in dem Maße, wie wir sensibel sind für die Er-innerungen von Menschen, rühren wir auch an das Innerste. Und das ist so empfindsam. Braucht Ruhe und Behutsamkeit. Bitte nehmen Sie sich die Zeit dafür!
Reminiszere: dafür braucht es Zeit und Raum. Auch um Erinnerungen in den Menschen wieder zu wecken. Erinnerungen an das, was sie eigentlich sein sollen und wollten. Frei nach Ödön von Horvath: „Eigentlich bin ich ganz anders, ich komme nur so selten dazu.“ In Gesprächen mit Brautleuten, Taufeltern, Hinterbliebenen helfen wir den Menschen, ihre eigenen Erinnerungen wachzurufen und sich selbst auf die Spur zu kommen. Und in den Traupredigten und Beerdigungsansprachen haben wir, so Gott will, die große Chance, diese Erinnerungen in eine Sprache zu fassen, die versteht. Die segnet. Die etwas weiß von Angst und Schmerz. Und die sich gemeinsam mit den Menschen sehnt nach Traum und Glück.
Also! Unser Glaube lebt vom Reminiszere. Erinnern wir, und zwar die Rettung! Die Befreiungen Gottes. Wer die nämlich erinnert, kann glauben, dass die Welt eine andere wird. Dass es Aufbrüche gibt. Dass es mehr gibt, als man zu hoffen wagt. Wir sind übrigens längst beim Predigttext aus dem Hebräerbrief. Denn wie Glaube und Erinnerung einander bedingen, sagt er, sieht man doch ganz deutlich bei Abraham und Sara. Bei ihnen, die auch viel wissen von Angst und Schmerz. Die sich auch so sehnen nach Traum und Glück. Vergeblich zunächst. Denn niemals wollte das ersehnte Kind kommen.
„Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein.“ – Dieses Versprechen Gottes reißt sie, weiß der Himmel wie, heraus. – Aus ihrer Hoffnungsverlorenheit. Erinnert mich, sagt Gott. Und tatsächlich halten die beiden bald ihre Zukunft, das Neugeborene in Armen. Ein Neuer Anfang auf runzliger Haut. Zuvor aber mussten sie gehen. Aus sich heraus. Aus ihrer Traurigkeit. In die Fremde. Sie mussten sich riskieren. Wie aktuell ist heute ihre Geschichte! Sie wussten nicht, was kommt. Unsicher werden sie gewesen sein. Wer rechnet schon so ohne weiteres mit dem Leben! Am Schluss heißt es: Abraham und Sara starben alt und lebenssatt. Ihr Leben hatte sich erfüllt. Sie sind und waren Gesegnete.
Viel mehr erfahren wir über sie nicht. Auch nicht, warum sie so verrückt vor Hoffnung waren, dass sie aufbrachen – was sie gehemmt. Einfach losgehen, mit 70 Jahren. Irgendwie werden sie uns fremd bleiben, die beiden Alten. Aber vielleicht ist das auch gar nicht wichtig. Weil es in Wahrheit ja nicht um sie sondern um uns geht.
Denn wichtig ist allein: sie glaubten. Sie glaubten, obwohl so vieles gegen Gott zu sprechen schien. Sie glaubten, vielleicht genau so wie wir. Suchend. Vorwärts tastend. Voller Fragen. Aber sie glaubten. Mehr will uns der Hebräerbrief gar nicht vermitteln. Sie glaubten und konnten am Ende Gott geschehen lassen.
Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.
Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. So beschreibt es der Hebräerbrief.
Wir haben uns in der Ordinationsrüstzeit daran gerieben, liebe Gemeinde. Weil wir alle schon erlebt haben, dass es gerade im Ringen zwischen Glaube und Vernunft so viel Zweifel zu bedenken gibt – oft auch die Zweifel von anderen. Ob man nicht reichlich blauäugig die Welt anschaut. Zu sehr mit dem Himmel flirtet und dabei die Lieblosigkeiten auf der Erde vergisst. Gar Visionen hat, sind wir noch gesund? Wie man sich auf Wagnisse einlassen kann, wenn man gar nicht weiß wohin?
Unsere Quintessenz: Wer glaubt, ist hoch vernünftig. Und ziemlich gesund. Dem Leben sehr nahe. Weil der Zweifel ja gerade erlaubt ist! Weil es heutzutage eine Kunst ist, einer Vision zu trauen. Denn sie weist doch gerade über uns selbst hinaus! Wie erleichternd ist das im Blick auf die ständige Selbst(über)forderung, alles im Griff haben zu müssen. Allein aus eigener Kraft. Jedes Glück und jeder Schmerz, der uns durchfährt, zeigt doch, wie wenig das der Realität entspricht! Nein, wir vertrauen dieser Kraft, die außerhalb von uns selbst wirkt. Eine eigene Wirklichkeit in der Wirklichkeit. Und die macht eines: Reminszere. Sie erinnert sich in unser Leben. Der Predigttext zeigt es an Abraham: weil er an die Verheißung erinnert wird, glaubt er, dass es gut ausgehen wird. Und so geht er gehorsam.
Gehorsam. Wieder so ein Wort, das uns zunächst beunruhigt hat. Gehorsam hat keinen guten Klang heutzutage. Gehorsam widerstrebt der Vorstellung von einem mündigen Menschen. Wer gehorcht schon gern, Sie etwa? Zu viel Risiko schwingt mit. Gehorsam hinterfragt nicht. Führt aus, was befohlen wird. Ob man will oder nicht.
Abrahams Gehorsam im Glauben meint nun etwas total anderes als dies. Erst recht und fundamental unterscheidet er sich von dem Gehorsam, den Menschen einfordern, um zu unterwerfen. Nein, Gehorsam gegenüber einem Gott, der in jeder einzelnen Geste, mit jedem Sternlein, mit Licht und Segenswort den Menschen würdigt, heißt nicht zu gehorchen. Sondern zu horchen. Auf die vielen kleinen Geschichten der Gottesnähe. Der Liebe. Der Hingabe. Und das heißt immer auch, in sich hinein zu horchen. Auf der Suche nach unserer Art zu lieben und uns hinzugeben. Nach der Unverwechselbarkeit, der Originalität in uns – ihr gilt es doch, die Treue zu halten. „Gott gehorsam“ meint, den Lebensweg so zu gehen, dass dabei unser eigenes Wesen deutlich wird, die Art, wie wir sind und geworden sind. Ja, wie wir von Gott geliebt und geschaffen sind.
Und der uns deshalb ruft. Mag sein, heraus ruft. Gerade mit einer Ordination, die einen geradezu nach vorn wirft. Man wird ja entsendet, nicht hingesetzt. Diese Dynamik war Ihnen allen abzuspüren, liebe OrdinandInnen. Wunderbar ist das. Diese Freude in Ihnen, als gesegnete nun zum Segen werden zu wollen. Sie möchten mittun daran, dass Menschen sich im Glauben zu Hause fühlen. Dass ihnen die alten Verheißungen ein Dach über den oft so geplagten Kopf geben. Dass sie mit dem Leben rechnen. Sie möchten Gedanken ins Kreisen und Verhältnisse zum Tanzen bringen. Gebe Gott, dass Ihnen – und uns! – diese Dynamik erhalten bleibt, liebe Gemeinde! Dass wir horchen auf die Sehnsucht nach dem ganz anderen, um entfremdetes in erfülltes Lebens zu verwandeln.
Es gibt so viel zu tun – und Sie, liebe OrdinandInnen werden mit Freuden erwartet. Gehen Sie getrost – und sehen Sie zu, dass Sie wie einst Abraham und Sara Land gewinnen. Denn dieses Land, liebe Gemeinde, ist für uns alle hell und weit.
Und der Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt dort unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen