17. August 2014 - St. Marien zu Anklam

17. August 2014 - Festgottesdienst zum 750jährigen Jubiläum der Hansestadt Anklam

17. August 2014 von Hans-Jürgen Abromeit

Predigt zu Jeremia 29, 7. 11-14 „Suchet der Stadt Bestes!“

Liebe Gemeinde,

„Suchet der Stadt Bestes!“ stellen wir als Überschrift über das 750jährige Jubiläum der Stadt Anklam, das wir am heutigen Tag und mit diesem Gottesdienst feiern wollen. Mitten im Festtrubel dieses Jahres ist es gelungen, auch ein neues Geläut für die St. Marienkirche, in der wir diesen Gottesdienst feiern, gießen zu lassen. Im Herbst soll es eingeweiht werden. Eine der Glocken hat die Inschrift: „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum Herrn.“ Dieses 2500 Jahre alte Bibelwort taugt wahrhaftig für ein Stadtjubiläum. Es stammt aus der Feder des alttestamentlichen Propheten Jeremia. Wir wollen uns in dieser Predigt von seinen Worten anleiten lassen, danach zu fragen, was denn „der Stadt Bestes“ ist und was wir zu bedenken haben, wenn wir für die Stadt und ihre Zukunft dieses Beste wollen. Mit dieser und den anderen Glocken ruft die Marienkirche in Anklam bald zum Gottesdienst und zum Gebet. So klingt es dann über die Stadt: Ihr Leute von Anklam, denkt nicht nur an euch und euer Auskommen! Denkt an das Gemeinwohl der Stadt! Setzt euch für die Gemeinschaft ein! Das könnt ihr nicht allein. Dafür braucht ihr die Unterstützung und das Geleit Gottes. Dafür braucht ihr die Orientierung durch das Wort Gottes und die Grundeinstellungen, die Werte, die der Glaube an Gott aus sich heraus setzt. Deswegen: „Setzt euch für die Stadt ein und betet für sie zu Gott!“

In den 750 Jahren ihres Bestehens hat die Stadt Anklam alles erlebt – Höhen und furchtbare Tiefen. Der Festumzug gleich wird diese Geschichte vergegenwärtigen. In der Frauenstraße kann man eine Zeitwanderung durch die Geschichte der Stadt machen. Die Stadt hat mit einem fulminanten Start begonnen. Relativ schnell nach der Stadtgründung kam sie zu einem gewissen Reichtum. Das sieht man nicht zuletzt an den großen Stadtkirchen St. Marien und St. Nikolai, die die Bürger sich bald geleistet haben, schon im 13. und 14. Jahrhundert. Von Handel und später Industrie konnte die Stadt profitieren. Aber sie ist auch mehrfach abgebrannt. Im 16. Jahrhundert wütete die Pest. Im 17. Jahrhundert litt sie sehr unter dem 30jährigen Krieg. Dann ist Anklam fast 100 Jahre eine zwischen Preußen im Süden und Schweden im Norden geteilte Stadt gewesen. Im Zweiten Weltkrieg, an dessen schreckliches Wüten in Anklam wir vor einem Jahr erinnert haben, wurden über 70 % der Stadt zerstört. Manchmal wollten ihr ihre Nachbarn nichts Gutes. Anklam musste sich gegen Raubritter und Seeräuber wehren. Darum hat die Stadt für lange Zeit gemeinsam mit Stralsund, Greifswald und Demmin ein Landfriedensbündnis geschlossen. Diese vier Städte gaben in Vorpommern den Ton an. Und gemeinsam konnten sie etwas bewegen.

Auch das Bibelwort, das dieser Predigt zugrunde liegt, ist in einer sehr schwierigen Zeit vom Propheten Jeremia aufgeschrieben worden. Vor mehr als 2600 Jahren waren einige Tausend Juden vom babylonischen König Nebukadnezar ins Exil nach Babylon verschleppt worden. Babylon liegt im heutigen Irak. Für die aus dem Lande Israel kommenden Menschen war das die absolute Fremde. Wie lange würden sie dort leben müssen? Es war für das Volk Israel nicht nur ein Leben im unbekannten Ausland, sondern auch ein Leben fern von Gott. Falsche Propheten versprachen ihnen die baldige Rückkehr in die Heimat. Es sei doch alles nicht so schlimm. Aber worauf konnte man sich wirklich verlassen? Sie „saßen an den Wassern zu Babel und weinten“ (Psalm137, 1). Da schreibt ihnen der Prophet Jeremia aus Jerusalem einen Brief. Er enthält eine erstaunliche Botschaft. Er fordert die Weggeführten im Namen Gottes auf, ihr Schicksal zu bejahen, sich in der Fremde einzurichten, Familien zu gründen und Häuser zu bauen. Das Leben der Verschleppten soll weitergehen. Deswegen sollen sie das Beste suchen für die Stadt, ja sogar für ihre Feinde, die sie so sehr fürchteten, sollen sie beten.

1. Der Stadt Bestes zu suchen setzt zunächst voraus, sie als den von Gott zugewiesenen Lebensort anzunehmen

Zunächst fühlten sich die verschleppten Juden in Babel überhaupt nicht wohl. Sie hatten den Eindruck, sie waren hier am falschen Platz. Sie hatten ihre Koffer noch nicht ausgepackt und warteten jeden Moment auf eine Gelegenheit, die Stadt wieder zu verlassen. Wer aber auf gepackten Koffern sitzt, kann sich nicht für das Gemeinwohl engagieren.

Leider hat die überregionale Berichterstattung in Deutschland in den letzten 10 Jahren Anklam in keinem guten Licht dastehen lassen. Bürgerinnen und Bürger von Anklam, ja sogar ihre Repräsentanten, wurden verdächtigt, hier eigentlich wegzuwollen. Wahr daran ist, dass viele junge Leute in den letzten 25 Jahren die Stadt verlassen haben. Aber gleichzeitig stelle ich fest, wie viel bürgerschaftliches Engagement und welch großes Zusammengehörigkeitsgefühl in dieser Stadt zu finden ist. Kaum eine andere Stadt gleicher Größe in unserem Bundesland hat zum Beispiel ein so reiches Vereinsleben, wie Anklam. Und genau hier liegt auch der Schlüssel zur Veränderung. Hier ist der Ansatzpunkt, der „Stadt Bestes zu suchen“. Wenn ich mich an einem Ort zu Hause fühle, dann beginne ich auch, diesen Ort positiv zu gestalten. Und was hat sich in Anklam in den letzten Jahren nicht alles gut entwickelt! Seit 13 Jahren bin ich nun Bischof in Pommern und stelle bei meinen Besuchen in Anklam eine stete Aufwärtsentwicklung fest.

Der Prophet Jeremia schreibt an seine Landsleute in Babel: „Meint doch nicht, ihr wäret durch einen Unfall der Weltgeschichte hierhin gekommen. Das ist der Ort, an den Gott euch leben lassen möchte. Packt die Koffer aus und setzt euch für das Gemeinwesen ein. Entdeckt doch das Schöne und Positive. Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides.“ (V. 11.). Wenn ihr aus den Kräften der Ewigkeit leben wollt, dann betet zu mir, ich will euch Zukunft und Hoffnung geben.

Wir haben diese Zusage, dass Gott auf seine Weise seinen Leuten Zuversicht gibt. Der Gott, dessen sanfte und geschichtsumwälzende Kraft sowohl damals in Babylon, wie auch 1989 hier in Deutschland in der friedlichen Revolution erfahren wurde, dieser Gott liebt es, Zukunft und Hoffnung zu schenken.

Dabei geht Gott ganz behutsam seine Wege. In der Regel greift er nicht auf übernatürliche Weise ein, sondern er verändert zuerst unsere Einstellung, damit wir diese Welt im Licht des anbrechenden Gottesreiches sehen können. Genau so hat er auch in Jesus Christus gehandelt. Man wartete auf einen Erlöser, auf einen Messias, der die Welt verändern sollte. Gott sollte die Welt durch diesen Retter wie durch ein Wunder umgestalten. Aber dann kam der Messias ganz anders. Er kam nicht herrlich und gewaltig, sondern als ein ganz normaler Mensch. Jesus Christus hat eine neue Gottesbeziehung und eine neue Menschenliebe verkündet und dadurch die Einstellung von der Zukunft des Gottesreiches her verändert. Dadurch werden wir fähig, Veränderungen zu bewirken und das Beste für unsere Stadt zu suchen.

Hier in Nordosten Deutschlands brauchen wir Mut zur Zukunft im besonderen Maße. Seit vielen Jahren ist unsere Region geprägt von einer höheren Arbeitslosigkeit als anderswo und einer zunehmenden Armut von Alleinstehenden und Familien. Da tut es gut, die Worte des Propheten Jeremia an die perspektivlose Gemeinde in Babylon zu hören: „Gott hat seine Menschen nicht vergessen. Er schenkt Zukunft und Hoffnung, wo wir nur resignieren. In Gottes Licht werden wir fähig, durch unser Tun einen Beitrag zum Aufbau des Landes zu leisten: Häuser zu bauen, Gärten zu pflanzen, Familien zu gründen.“ So werden Gottes Gedanken des Friedens und nicht zerstörerische Gedanken von Rechtsextremen zum Zuge kommen. Gott braucht Menschen, die sich von seiner Wirklichkeit bestimmen lassen, damit er die Wirklichkeit dieser Welt verwandeln kann.

2. Der Stadt Bestes zu suchen, heißt, für das Wohlergehen der Gemeinschaft zu sorgen

Wir leben in einer Welt des großen Irrtums. Man hatte uns ja einreden wollen, Wirtschaft und Wohlstand funktionieren nur so, dass jeder seinen eigenen Nutzen suche, dann hätten alle das, was sie brauchten. Man nennt diese Wirtschaftsform „Kapitalismus“, „die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, deren treibende Kraft das Gewinnstreben Einzelner ist“ (Fremdwörterduden). Aber das ist zutiefst unchristlich. Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe gehören nämlich mit in das Wirtschaftssystem hinein. Deswegen sollten wir bewusst wieder von einer sozialen Marktwirtschaft reden. Es ist besser, 3 % Rendite und viele Arbeitsplätze zu haben, als 25 % Rendite und wenig Arbeitsplätze. Die Logik ist falsch. Sie lautet nicht: „Wenn es mir wohl geht, dann geht es auch der Stadt wohl.“, sondern umgekehrt: „Wenn es der Stadt wohl geht, dann wird es auch euch wohl gehen“ (V. 9).

Darum möchte ich an dieser Stelle einmal die nennen, die genau dies tun und sich um die Nächsten kümmern und für die Stadt einsetzen: in Kindergärten und in Schulen, in sozialen Einrichtungen, in der Bürgerschaft und im Rathaus. Es ist wunderbar, dass in Anklam schon so viel geschieht, von den vielen engagierten Bürgerinnen und Bürgern, aber auch von den Vereinen und Initiativen, von den verschiedenen christlichen Gemeinden und den aktiven Gemeindegliedern. Alle diese rührigen Anklamer denken nicht in erster Linie an sich, sondern suchen an ihrer Stelle „der Stadt Bestes“. Und je mehr sich die Stadt entwickelt und es ihr „wohl ergeht, so wird es auch allen Bewohnern wohl gehen“.

Dazu kommt noch eine andere Dimension:

3. Für die Stadt das Beste zu suchen, bedeutet, für sie zu beten

Wir haben als Menschen die unglaubliche Möglichkeit, im Gebet und im Gottesdienst bei Gott für unsere Stadt, für Anklam einzutreten. Mit unseren Kräften allein ist es nicht getan. Gewiss, wir können wahrscheinlich mehr tun, als wir uns selber zutrauen. Wir können viel bewegen, wenn wir uns in Übereinstimmung mit dem Gotteswillen wissen, aber unsere Möglichkeiten kommen doch auch immer wieder an ihr Ende. Aber Gott schenkt uns noch ein weiter gehendes Mittel. Er gibt uns Anschluss an seine ewigen Kräfte. Wir dürfen das, was uns im Hinblick auf Anklam bewegt, in Worte fassen und die Nöte und Sorgen, die uns auf dem Herzen liegen, Gott selbst vortragen.

Im Gebet gewinnen wir Anschluss an die allumfassende Macht Gottes, die in dieser Welt wirkt. Wir stellen uns in den Einflussbereich Gottes. Er wird dann auch uns und unsere Einstellungen und Werte verändern.

Wenn in Zukunft diese Glocke mit der Inschrift: „Suchet der Stadt Bestes!“ in Anklam läutet, dann ruft sie ihnen zu: Hier in dieser Stadt ist euer Lebensort, hier ist Heimat. Hierhin hat Gott euch gestellt. Hier sollt ihr leben und glauben. Hier will er euch Zukunft und Hoffnung geben, weil ihr nicht euer Wohl, sondern das der Gemeinschaft an die erste Stelle setzt. Hier sollt ihr für diese Stadt und füreinander einstehen und beten. Dadurch will Gott euch und euer Miteinander verwandeln.

Amen.

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