17. Februar 2013 - Sakramentsgottesdienst zu Invokavit
17. Februar 2013
Predigt zu Lukas 22, 31-34
Liebe Gemeinde!
Chocolat…Die Eingangsszene im Kinofilm „Chocolat“ hält, was der Titel verspricht: Man sieht eine feingliedrige Frauenhand, wie sie dunkle, samtig-glänzende Schokolade in einem Topf rührt, ganz behutsam und zartbitter. Langsam dann gießt sie die tiefbraune Pracht in Formen für kleine Pralinés. Hunderte davon sieht man dann in einem Schaufenster liegen – in köstlichen Variationen, das Wasser läuft einem im Mund zusammen.
Und dann kommt der erste Satz des Erzählers:
Es ist Passionszeit.
Aus der Traum.
Es ist Passionszeit. Seit dem Aschermittwoch ist´s nun ernst, liebe Gemeinde. Fasten, büßen, innehalten – und damit hinschauen. In das Schaufenster unserer Existenz. Dahin etwa, dass das süße Leben seinen Preis hat. Nicht nur pfundig ist, sondern andere zunehmend sauer macht. In der Nachbarschaft. Global. Wir erleben heutzutage so viel Spaltung, Zersplitterung. Zwischen denen, die „dolce vita“ satt, und denen, die das Nachsehen haben, in jeder Hinsicht. Als ob die Welt voll Teufel wär´…
Es ist Passionszeit und damit Zeit, etwas zu merken. Zum Beispiel wie Mächte und Gewalten uns beherrschen, die wir allzu oft glauben, selbst in der Hand zu haben. Bankmächte, Finanzmärkte. Aber auch „Zeitgeister“. So sehe ich mich auf einem der heutigen Berge der Versuchung stehen, der heißt: Berg der allwissenden, ständigen Erreichbarkeit. Und dort flüstert, wer eigentlich?, mir ein: Immer und überall präsent musst du sein. Online. Mit dem Handy am Ohr überall. Sieh, wer abwesend ist, kommt nicht vor. Der oder die weiß womöglich nicht gleich alles. Aus ohne Mouse. Ohne Email, Smartphone, ohne digitale Daseinsberechtigung.
36 Tage noch haben wir Gelegenheit abzuschalten, liebe Gemeinde. Wunderbar. Wir können uns, glücklicherweise gemeinsam, auf den Weg machen, wieder bei uns selbst anzukommen. Und dann, so Gott will, auch bei Gott. Wissend: Wir haben eben nicht nur eine Schokoladenseite. Es gibt so vieles, was einen sauer ankommt. Was einen schwach macht. Und irgendwie tumb. Angestrengt. Unklar. Ängstlich. Durcheinander.
Sollt´ doch die Welt voll Teufel sein? Die – diabolos ist das griechische Bedeutung dazu – uns durcheinander werfen und zertrennen?
Kein Wunder, dass wir es zu Beginn der Fastenzeit (in Invokavitpredigten) ständig mit dem Teufel zu tun bekommen. In den Liedern, im Evangelium eben und - ich lese den Predigttext bei Lukas 22, 31-34:
Simon, Simon, siehe der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder. Er aber sprach zu ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. Er aber sprach: Petrus, ich sage dir: der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst.
Der Satan ist mit im Spiel. Und also schwelt es – das Böse, Tückische, die Selbstverleugnung und die Verführung machen sich an den Menschen heran. Satan flüstert, lockt und gurrt und rührt an die geheimen Wünsche des Menschen nach Ruhm und Ehre und Liebe und Reichtum, danach etwas Besonderes, besonders positiv, gewürdigt, wohltätig zu sein, ach, wer hier unter uns kennt das nicht. Und ehe wir´s uns versehen, ahnen wir, dass in unserem Bedürfnis, wie ein Engel zu sein, der Teufel sitzt und sich in sein schwarzes Fäustchen lacht.
Petrus muss der Teufel geritten haben.
Ihn, den doch eher Bescheidenen. Den bodenständigen Realisten, einer mit Fehlern und Schwächen. Sympathischer Klassensprecher der Jüngerschar.
Ihn muss der Teufel geritten haben.
Nassforsch macht er sich zum Größten der Jünger. Er wird seinen Herrn und Bruder nie verlassen, ruft er, nie! Auch ins Gefängnis will er mit ihm gehen.
Wir wissen, wie die Geschichte ausgeht. Petrus verspricht viel mehr als er halten kann. Er nimmt den Mund zu voll beim letzten gemeinsamen Abendmahl. Vielleicht war es die Abschiedsstimmung an diesem Abend. Die Ahnung, dass dies die endgültige Trennung ist. Vielleicht war es die Feierlichkeit und zugleich der Schmerz des Augenblicks, vielleicht die Angst, in diesem so wichtigen Moment das Falsche zu sagen. Das alles mag ihn versucht haben sich zu überheben. Vielleicht aber hat Petrus vor allem einem Gefühl nachgegeben: seiner Liebe. Aus tiefstem Herzen doch hat er seinen Jesus geliebt. Und er rückt mir so nahe, dieser Petrus, der die Todesnähe seines Freundes nicht aushalten kann und alles tut, um sie zu leugnen. Deshalb: Er glaubt, was er sagt. Alles, alles will er ertragen wie Gottes Sohn. Er rechnet schlicht nicht mit seiner Angst. Seiner Schwäche.
Simon, Simon, der Satan begehrt dich.
Simon, Simon, Mensch wie du und ich.
Jesus weiß das. Auch er liebt. Diesen manchmal tumben, ängstlichen, herzlichen, großmäuligen Freund. Sie sind ziemlich beste Freunde. Eine Freundschaft, in der auch die Schwäche ihren Raum hat. So unterschiedlich sie sind.
Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre, sagt er deshalb. Denn – auch Ehrlichkeit erfordert die Freundschaft: „Du wirst dreimal leugnen, dass du mich kennst.“ - So ist das und nicht anders. Die Todesangst wird durchbrechen und der Schweiß wird Petrus den Rücken herunter rinnen, und er wird schwach werden angesichts der Folterknechte. Und er wird sich schämen über sein heroisches Gerede.
Jesus weiß das alles. Mensch ja auch wie du und ich. Er ahnt das Zittern. Den Judaskuss. Die Angst. Liebe, Tod und Teufel im Verbund. Und er weiß, gerade in dieser Melange, wie schwer es ist, anderen in ihren Heilserwartungen zu genügen.
Mir ist in den letzten Tagen oft der Rücktritt von Papst Benedict XVI. durch den Kopf gegangen. Was für ein Zusammentreffen, dass just unser Predigttext einer der 3 Kardinaltexte (wenn man das so sagen darf) ist, mit dem die römisch katholische Kirche ihr Petrusamt biblisch begründet.
Ob es dem Petri Nachfolger Papst Benedict, klug und umstritten zugleich, nicht vielleicht genau darum ging? Dass die Schwäche ihr Recht bekam und nicht das Dogma? Dass der Mensch in seiner ganzen Gebrochenheit sein darf und der Papst, der zuletzt getragen werden musste, dahinter zurücktritt? Bei all dem, was man an diesem Pontifikat an ökumenischer Enge beklagen konnte, hier hat sich für mich etwas geweitet – und auch vereint: Dass die Stärke unseres gemeinsamen Christentums darin liegt, der Schwäche eine Würde zu geben. Eine unheroische – aber dafür umso wirkkräftigere Macht. Gerade in einer Gesellschaft, die aussiebt, was ihr Angst macht. Oder was sie traurig macht. Oder sauer. Gerade in einer solchen Gemeinschaft braucht es Gesten der Freundschaft zur eigenen Schwäche: Zu Altersschwäche und Altersarmut – Gott, welch schwere Arbeit kann Altwerden sein! Gesten der Freundschaft aber auch zum eigenen Scheitern, zur Schuld und Überheblichkeit.
Viel zu oft sieben wir aus. Stellen uns dem in unserem Leben nicht, was man früher Sünde nannte. Also: Sund, Graben, der uns von Gott trennt. Und dies ja auch heute - geschieht es doch auch heute, dass wir einander verletzen und demütigen, dass wir krumme Dinger drehen und Dinge tun, die uns entfremden von uns selbst. Es geschieht, dass wir die Liebe ersticken, weil sie nicht atmen kann vor lauter Terminen, Stress und Geld. Und weil Menschen davon, von der Sund, nicht mehr reden, verstehen viele auch nicht mehr, warum und wovon Christus uns erlösen könnte.
Deshalb Fastenzeit. Innehalten. Hier in einem Raum mit lauter ziemlich besten Freunden. Einem Raum, der Schwäche zulässt. Und Bedürftigkeit. Bedürftig sind wir doch allzumal – nach Erlösung. Vergebung. Aussöhnung, nach Brot und Wein.
Deshalb darauf achten. Hinschauen. Bereuen – warum nicht? Klären. Anfangen. Damit sich löst, was – oft unerkannt – zur Last geworden ist.
Ein älterer Kollege erzählte jüngst, dass er als kleiner Knirps und Erstklässler noch die Lehrmittelverteilung miterlebt hat. Heißt: immer, wenn er ein Schreibheft heftigst vollgeschrieben hatte, ging er zur Lehrerin, die es ihm dann abnahm und verwahrte. Und dann bekam er ein neues. Ein wunderbares, unbeschriebenes neues Heft, noch ohne Tintenkleckse und Eselsohren, ganz rein. Und er nahm sich jedes Mal vor, jetzt aber ganz bestimmt, das ganze Heft hindurch sorgfältig und sauber zu schreiben - was er zunächst drei Seiten durchhielt, dann zehn – dann wurde er ein wenig ungenau… So oder so: Mit jedem Heft, das er abgab, gab er das Alte ab. Und er wusste: Was immer passiert, ich bekomme ein neues Heft.
Auch wir, liebe Gemeinde, bekommen ein neues. Etwa beim Abendmahl. So wie Simon Petrus damals. Jesus hat es ja gewusst, dass er es und dass wir es brauchen würden. Die neue Chance, wieder mit sich ins Reine zu kommen. Und spricht: Und wenn ihr euch dann bekehrt, so stärkt einander, Brüder und Schwestern. Und betet füreinander, dass euer Glaube nie aufhöre!
Und so ist in mir so viel Zuversicht: Christus ist schwach geworden vor lauter Liebe zu uns. Das ist unsere Stärke. Denn in seinem Licht können wir aushalten, was wir erkennen von uns selbst. Und dann können wir´s – wenigstens eine Zeitlang – schaffen ohne Tintenfleck und Eselsohr in unserem Buch des Lebens. Für uns gilt, allezeit, so auch die 36 Tage bis Ostern: Ich habe gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Amen