19. April 2013 – Statement zur Vorstellung der Handreichung „Gute Nachbarschaft leben – Informationen und Beispiele zur Förderung des christlich-islamischen Dialogs in der Nordkirche“
19. April 2013
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Es ist mir eine große Freude, Ihnen heute eine Schrift präsentieren zu können, die der Förderung des christlich-islamischen Dialogs in der Nordkirche dienen möchte. Im Konzert des interreligiösen Dialogs spielt der christlich-islamische Dialog in Stadt und Land eine besondere Rolle. Das hängt zum einen an der wachsenden Zahl der hier lebenden Menschen muslimischen Glaubens, zum anderen aber auch an weltpolitischen Konstellationen und Entwicklungen zwischen den beiden nach der Zahl ihrer Anhänger größten Weltreligionen Islam und Christentum. Ein friedliches Miteinander und ein funktionierender Dialog sind da unerlässlich. In Hamburg und vielen weiteren Orten der Nordkirche wird dieser Dialog seit vielen Jahren geübt und praktiziert. Das ist ein Segen.
Im Jahr 2006 hat sich die damals noch nordelbische Synode mit einer Erklärung geäußert, in der bereits wichtige Wegmarken für die christlich-islamische Begegnung gesetzt wurden. In guter Nachbarschaft lautete der Titel der Erklärung, der zugleich Programm war. Nachbarschaft, das wissen wir aus unzähligen Beispielen, kommt nicht ohne Spannungen und Konflikte daher, gute Nachbarschaft braucht deshalb immer wieder das Gespräch, den kontinuierlichen Kontakt und gewachsenes Vertrauen zwischen denen, die da Wand an Wand, Tür an Tür, Haus an Haus wohnen. Gute Nachbarschaft braucht den Dialog. So ist es auch zwischen Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit.
Dass sich diese Erkenntnis und die Bereitschaft zum interreligiösen Dialog mehr und mehr durchsetzt, ist ein gutes Zeichen – auch für die Zukunft. Denn interreligiöser Dialog ist nie am Ende, insofern die Bilder und Vorstellungen, die wir uns voneinander und vom Anderen machen, der steten Überprüfung, Korrektur und Aktualisierung bedürfen. Dialog ist eine Lebensaufgabe. Die vorliegende Handreichung nun beschreibt,
1) was in den zurückliegenden Jahren an guten Beispielen festgehalten werden kann,
2) was an Informationen für Menschen, die im Dialog stehen oder eintreten möchten, wichtig ist,
3) und sie zeigt, in wie vielen Feldern kirchlicher Arbeit die Begegnung mit Menschen muslimischen Glaubens mittlerweile Alltag geworden ist.
Zu 1): Das Gespräch zwischen den Religionen ist längst kein Nischenthema mehr – so ist beim kommenden Hamburger Kirchentag das Forum „Leben in religiöser und kultureller Vielfalt“ von einer Vielzahl kirchlich ehrenamtlich und hauptamtlich Tätiger zum Schwerpunkt erhoben worden. Heißt: Der Dialog ist nicht „verordnet“, sondern er geschieht. Vorzugsweise dort, wo Menschen sich ehrlich interessiert und ungezwungen aufeinander einlassen. Dafür finden wir in dieser Broschüre viele gute Beispiele: Gelungene Begegnungen, die zwar nicht kopiert, aber sehr wohl an unterschiedlichen Orten aufgegriffen und je nach Kontext variiert und verändert werden können. Lebendiger Dialog heißt ja genau dies: dass sich nicht alles im Voraus kontrollieren, vorhersagen und festlegen lässt. Wir brauchen gerade im Bereich des interreligiösen Miteinanders Mut und die Bereitschaft, sich auf unbekanntes Terrain zu wagen. Wir brauchen Experimentierfreude, Neugier und Menschenfreundlichkeit. Und wir brauchen die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen. Denn nicht alles gelingt auf Anhieb. Da ist man unsicher und manchmal ungeschickt und verletzt ungewollt Grenzen.
Deshalb 2): Um zu lernen, braucht es auch Informationen – wie sie in dieser Arbeitshilfe enthalten ist. Welche Moscheen und verbandlichen Zusammenschlüsse gibt es und wie unterscheiden sie sich? Der Islam ist eben in seiner real existierenden Form eine heterogene und plurale Religion mit unterschiedlichen Strömungen und Richtungen – dem Christentum nicht unähnlich. Und so begleiten uns nahezu die gesamte christlich-islamische Geschichte hindurch zentrale theologische Fragen. Glauben Christen und Muslime an denselben Gott, welche Rolle spielt Jesus Christus bei den Muslimen, wie stehen Bibel und Koran zueinander? All dies wird in der Broschüre aufgegriffen.
Hinzu kommen geschichtliche und politische Aspekten: Seit wann leben Muslime in Norddeutschland, welche Erfahrungen hat das Referat für christlich-islamischen Dialog gemacht, das inzwischen auf eine über 20-jährige Geschichte zurückblicken kann? Aber auch Brisantes, wie die Frage nach dem rechten Umgang mit muslimischen Extremismus auf der einen und gesellschaftlicher Islamfeindschaft auf der anderen Seite, werden in der vorliegenden Schrift behandelt.
Zu 3) Gute Nachbarschaft leben, lautet der Titel und er ist Programm. Es geht also um das gelebte Miteinander im Alltag, um den praktizierten Dialog. Das gefällt mir besonders. Dialog hat mit reden zu tun, ja. Aber Dialog hat eben auch die Ebene des Handelns und Tuns. So wie es etwa das interreligiöse Forum Hamburg, das sich seit über einem Jahrzehnt regelmäßig trifft, praktiziert. Da denkt und redet man über Unterschiede und Gemeinsamkeiten, aber man isst auch miteinander und organisiert Veranstaltungen und ist in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte präsent.
Apropos: Lassen Sie mich zum Schluss ein Wort über die Titelgestaltung verlieren: Sie blicken da in das Innere zweier Gebetsräume. Eine Moschee und eine Kirche. Auf den ersten Blick könnte es scheinen, als würden die beiden Räume einen gemeinsamen bilden. Moschee und Kirche ineinander? Und ich höre schon die Grenzwächter, die sorgenvoll Religionsvermischung und Beliebigkeit des religiösen Bekenntnisses zu entdecken meinen. Doch sie lassen sich beruhigen. Denn es sind bei genauerem Hinsehen zwei Räume, nebeneinander schiedlich und friedlich, und wenn es Ähnlichkeiten gibt, dann ist das auch kein Grund zur Sorge, sondern vielmehr Ausdruck dessen, dass sich Christentum und Islam nicht im luftleeren Raum entwickelt haben, sondern in ihrer Architektur und Ästhetik durchaus auch wechselseitig beeinflusst haben. Also: kein Grund für Berührungsängste. Es braucht gerade heutzutage das genaue Hinsehen, das Achten auf Feinheiten und Unterscheidungslinien, die nicht abgrenzen wollen, die aber doch unverwechselbare Identität erlauben. Das Titelbild ist deshalb für mich der Versuch, Moschee und Kirche so nebeneinander zu sehen, dass Gemeinsamkeiten zugelassen und Unterschiede nicht geleugnet werden. Ein schönes Sinnbild für die interreligiöse und speziell christlich-islamische Dialogarbeit insgesamt. Und als Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck freue ich mich natürlich besonders, dass das Motiv der Kirche einer Lübecker, der Marienkirche, entstammt.
Doch nun genug der Bildbetrachtung. Sinn der Arbeitshilfe ist, dass sie im Alltag der Gemeinden, in Einrichtungen und Kindergärten Anregungen und Hilfestellungen bietet. Denn es liegt in unser aller Verantwortung, dass der gute Weg des christlich-islamischen Dialogs in der Nordkirche fortgesetzt und vertieft werden kann.
Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben, allen Muslimen und Christen, die sich an vielen Orten in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern für die Verständigung einsetzen und so dazu beigetragen haben, dass wir heute ihre Begegnungserfahrungen anderen zur Verfügung stellen können. Dabei hat der Satz der Synodenerklärung von 2006, der auf dem Cover steht, heute noch Gültigkeit: „Das Gebot der Nächstenliebe und die kirchliche Verantwortung gegenüber der Gesellschaft rufen uns dazu auf, mit unseren muslimischen Nachbarinnen und Nachbarn in Frieden und auf der Grundlage gegenseitiger Achtung zusammenzuleben.“ Deshalb diese Arbeitshilfe. Denn es ist gut, zu guter Nachbarschaft aufzurufen, noch besser aber ist es, sie zu leben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.