19. Mai 2013 - Schlosskirche Schwerin

19. Mai 2013, Pfingstsonntag - Predigt anlässlich der Wiederingebrauchnahme der Schlosskirche Schwerin

19. Mai 2013 von Andreas von Maltzahn

4. Mose 11,11f.14-17.24f

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde!

 

Mit Dankbarkeit und Freude nehmen wir heute diese wunderbar restaurierte Schlosskirche wieder in gottesdienstlichen Gebrauch. So heil und schön wie heute ist sie vielleicht nie gewesen! Herzlichen Dank allen, die sich hier engagiert haben – dem Landtag, den Haupt- und Ehrenamtlichen der Schlosskirchengemeinde, den Spendern und Sponsoren, den Bauleute und Restauratoren!

 

Unter den vielen schönen Kirchen Mecklenburgs ist die Schlosskirche eine besondere: Als erste folgte sie einem protestantischen Raumprogramm. Konzentration auf das Wesentliche – auf das Hören von Gottes Wort –, das wurde schon 14 Jahre nach Einführung der Reformation architektonisch Gestalt. Die Kanzel erhielt ihren Ort an deutlich hervorgehobener Stelle. Dann aber auch das Bildprogramm des großen Umbaus Mitte des 19.Jahrhunderts unter Friedrich Franz II. und Theodor Kliefoth diente dieser Fokussierung. Auf drei Linien möchte ich aufmerksam machen:

 

Da sind zunächst die Fenster: Sie zeigen Bildmotive aus der Bibel – vom Sündenfall bis zur Auferstehung Jesu Christi. Die Wandbilder wurden unter der Vorgabe gemalt, „Werkzeuge Gottes zur weiteren Verbreitung und Stütze der christlichen Kirche“ abzubilden: Kirchenlehrer und historische Persönlichkeiten finden sich hier, z. B. auf der Nordseite der mecklenburgische Herzog Johann Albrecht I. als Stifter der Schlosskirche und – na klar! – Martin Luther. Der geschichtliche Bogen dieser Bildnisse reicht von der Zeit der Apostel über die griechische und römische Kirche bis zum Eintritt des Christentums in die germanische Welt, von dort über die Reformation hin zur kirchlichen Entwicklung Mecklenburgs, die ja seit 1549, seit dem Landtag an der Sagsdorfer Brücke, eine evangelisch-lutherische war.

 

Es ist wahr, in diesen Wandbildern findet auch die Allianz von Thron und Altar ihren Ausdruck. Immerhin waren die mecklenburgischen Großherzöge ja bis 1918 das Oberhaupt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs. Vertieft man sich jedoch in die Beweggründe Johann Albrechts I. und Friedrich Franz II., die Schlosskirche zu bauen bzw. sie um den Chorraum zu erweitern und die ganze Kirche umzugestalten, dann wird deutlich, wie sehr sie persönlich beteiligt waren und angesichts ihrer Verantwortung für das Land Halt im Glauben suchten.

 

Dafür steht eine dritte Reihe von Bildern – gar nicht herrschaftlich und staatstragend, eher elementar und radikal: die Bilder der Seligpreisungen. An den Bogenzwickeln der Empore verkünden acht Engel z. B.: „Glückselig sind die, die wissen, dass sie vor Gott arm sind… Glückselig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit… Glückselig, die Frieden stiften… Glückselig sind die, die verfolgt werden, weil sie tun, was Gott will…“ Eine wichtige Lebens-Orientierung für jeden Christenmenschen – egal ob einfacher Bürger oder in herausgehobener politischer Verantwortung!

 

Angesichts der Fülle von Bildern ist aber auch spannend, was nicht abgebildet wurde. Es fällt auf: Es wurde hier auf ein eigenes Pfingstbild verzichtet! Was mag dazu geführt haben? Angesichts des wohlüberlegten Bildprogramms ist es wohl kaum einfach vergessen worden. Drückt sich hier vielleicht die Zurückhaltung eines konservativen Lutheraners gegen die Unverfügbarkeit des Geistes aus? Immerhin lag zur Entstehungszeit der Bilder das revolutionäre Jahr 1848 erst kurze Zeit zurück. Die erste deutsche Nationalversammlung hatte in einer Kirche stattgefunden! Ein Zeichen der Hoffnung auf Mitbestimmung, auf gemeinsame Gestaltung der Gesellschaft war gesetzt, das nicht allen gefiel.

 

Vielleicht aber haben die Gestalter dieser Kirche auch ganz einfach darauf gesetzt, dass ‚Pfingsten‘ mit der Bibel in diesen Raum und zur Gemeinde kommt. Und genau so ist es heute mit dem vorgeschlagenen Predigttext. In der hebräischen Bibel, im 4.Buch Mose wird erzählt:

 

Es war, wie es manchmal ist – das Volk murrte. Eigentlich hatten sie, was man zum Leben braucht. Aber das Leben war irgendwie fade: War früher nicht vieles besser gewesen? Frei waren wir ja nicht, aber der Zusammenhalt – der war doch anders! Jeder hatte sein Tun, und genug zu essen gab es auch: Fleisch, Fische, Kürbisse, Melonen, Lauch und Zwiebeln. So sehnten sie sich zurück aus der unbequemen Freiheit in die Vergangenheit – nachts, wenn ihre Sehnsüchte beim Einschlafen spazieren gingen, und immer öfter auch am hellen Tag, wenn die Wüstensonne unerbittlich brannte.

 

Die Unzufriedenheit der Leute blieb Mose nicht verborgen. Auch ihm war die Wanderung lang geworden. Wenn er das gewusst hätte damals, als Gott ihn auf den Weg der Freiheit rief und in die Aufgabe, zu leiten und zu führen – wenn er das geahnt hätte, welche Last nun auf ihm lag. . . Er war an seine Grenzen gekommen. Er konnte nicht mehr. Und nun noch diese Weinerlichkeit der Leute!

 

Warum bekümmerst du mich so, Gott, brach es aus ihm heraus. Warum legst du die ganze Last dieser Gemeinschaft auf mich? Hab ich denn dieses Volk geboren, dass du von mir verlangen könntest: Trag es in deinen Armen, wie eine Amme ihr Kind trägt, hinein in das Land, das du, Gott, uns doch verheißen hast. Auch mir ist es schwer, immer nur von Verheißung zu leben. Der Weg entspricht so wenig unseren Hoffnungen. Immer nur den Mangel verwalten! Immer wieder aufbrechen, den Leuten Mut zusprechen. . . Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer. Manchmal möchte ich nur noch schlafen, nichts mehr spüren. Lieber tot sein, als so weiter machen…

 

Wie reagiert Gott?

 

Überraschend! Mose wird weder heruntergemacht, wie er so mit dem Allmächtigen sprechen könne, noch nimmt Gott den Niedergeschlagenen mütterlich in den Arm. Geradezu sachlich sagt Gott: Sammle mir siebzig Männer unter den Ältesten Israels, von denen du weißt, dass sie Älteste im Volk und seine Amtleute sind, und bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie dort vor dich, so will ich herniederkommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volkes tragen und du nicht allein tragen musst.

 

Und so geschah es: Pfingsten in der Wüste! Als Mose die Siebzig vor dem Heiligtum der Stiftshütte versammelt hatte, Israels wandernder ‚Schlosskirche‘ sozusagen, da schenkte Gott seine Gegenwart. Er redete mit Mose und nahm von dem Geist, der auf ihm war, und legte ihn auf die Siebzig. Und als der Geist Gottes auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung. Die lebenserfahrenen Männer begannen zu tanzen und zu jubeln, dass ihre Frauen sie nicht wiedererkannten. Alles, was sie bedrückt hatte – es war von ihnen abgefallen. Gott war in ihnen lebendig. Sie spürten, dass seine Kraft in ihnen war. Und sie wussten: Auch wenn der Weg noch weit sein mochte, auch wenn sie noch manche Strapaze zu bestehen haben sollten – auf Gottes Verheißung konnten sie bauen.

 

Ein Pfingstereignis mitten in der Wüste! Nicht Arbeit wird geteilt, sondern Geist! Es ist genug für alle da! Genug für Mose, genug für die Siebzig. Soviel du brauchst . . . Und sie gerieten in Verzückung und hörten nicht auf . . .

 

Nicht Arbeit – Geist wird geteilt: Ausgerechnet Geist von dem Mann, der sich selbst und Gott eingesteht, dass er nicht mehr kann, dass ihm die Last der Leitung allein zu schwer geworden ist. Nicht der Geist eines Enthusiasten, eines unentwegt Begeisterten wird vervielfältigt, sondern der Geist dessen, der seine abgrundtiefe Müdigkeit – nicht in sich hineinfrisst, sondern sie Gott klagt. Und Gott verwandelt sein Leben. Gott nimmt Menschen in Verantwortung, die mittragen werden. Aber erst einmal geraten sie außer sich, verzückt vom Geist, erfüllt von wirbelndem Glück in ihren Herzen . . .

 

Geist wird geteilt – nicht Arbeit. Mose und die Siebzig, als sie zur Stiftshütte gekommen waren, hielten keine Arbeitsbesprechung ab. Sie berieten nicht, wie sie dem murrenden Volk beschaffen könnten, wonach es verlangte. Sie krempelten nicht die Ärmel hoch und ersannen ein neues Projekt. Sie taten etwas ganz anderes: Sie überließen sich Gott! Sie vertrauten sich an und überließen sich dem, was er an ihnen tat. Und das veränderte alles: Ganz und gar hingegeben erlebten sie den, den sie erahnt hatten auf dem Grund ihrer Seele, nach dem sie sich in ihrem Innern gesehnt hatten – und so erlebten sie ein unverhofftes Glück.

 

Ob das auch unsere Geschichte ist?

 

Mecklenburg ist nicht die Wüste und keiner von uns Mose. Aber manches kennen wir:

 

Da sind auf der einen Seite verheißungsvolle Aufbrüche in unserem Bundesland, in unseren Kirchengemeinden. Erfahrungen, dass etwas losgeht, dass Menschen Ideen entwickeln und etwas tun für die Allgemeinheit!

 

Auf der anderen Seite kennen wir auch Müdigkeit und Enttäuschung: Dass trotz einladender Angebote anderes für die Leute wichtiger zu sein scheint als die Frage nach Gott! Dass uns der demografische Wandel in Kirche und Gesellschaft derart zu schaffen macht! Dass man für die junge Demokratie in unserem Land so kämpfen muss! Da kann man sich schon mal wie in einer Wüste fühlen. Da liegt es nahe, sich noch mehr ins Zeug zu legen, sich etwas auszudenken, damit das Interesse der Leute endlich erwacht.

 

Jedoch: Mose und die Siebzig reagierten nicht mit erhöhter Aktivität auf die Herausforderungen von Wüste und Enttäuschung: Sie überließen sich Gott. Sie vertrauten sich seinem Wirken an.

 

Was könnte das für uns heißen, uns Gott anzuvertrauen und dem Wirken des Heiligen Geistes?

 

Zum einen: Vertrauen wir gelassen darauf, dass der auferstandene Christus, dass Gott Herr des Geschehens ist – auch jetzt und hier in Mecklenburg, in unserer Kirche, in unserer Gesellschaft! Dass es sein Weg ist, den er uns durch manchmal dürre Zeiten hindurchführt – zu dem Ziel, das er bestimmt hat. Manchmal sind wir nicht mehr und nicht weniger als Platzhalter für die unerwachten Möglichkeiten Gottes, Menschen, die den Boden bereiten für das, was kommen soll. Und manchmal – wie in der friedlichen Revolution – dürfen wir auch erleben und daran mitwirken, dass die Verhältnisse nicht bleiben, wie sie sind.

 

Zum anderen bedeutet es, sich dem Geist anzuvertrauen, der uns geschenkt ist. Es muss ja nicht immer gleich Verzückung sein. Im 2.Timotheusbrief heißt es: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ (2.Tim 1, 7) Geist, der zum Zuge kommen und geteilt werden will! Und das geschieht ja:

- Dieser Geist ist lebendig, wenn wir anderen zeigen, was wir lieben, und darin viel Phantasie entwickeln. Sie in der Schlosskirchengemeinde z. B. haben ein bemerkenswertes Festprogramm entwickelt und lassen sich das etwas kosten: Nach der schönen Ausstellung im Museum erwartet uns nun ein reiches Konzert- und Veranstaltungsprogramm. Die Gruppe der Kirchenführer wartet darauf, endlich Besuchern die Schätze dieser Kirche erschließen.

- Menschen übernehmen Verantwortung für das Gemeinwesen. Ob im Landtag, in der Kommune oder der Kirchengemeinde – der eigenen Gaben wohl bewusst, leiten sie, nehmen im Geist der Kraft und der Besonnenheit Verantwortung wahr.

- Gottes Geist ist da, wo Menschen in einer wichtigen Angelegenheit zur rechten Zeit das richtige Wort zu sagen wissen – und auf einmal zeigt sich ein gangbarer Weg.

- Gottes Geist ist auch in Menschen, die ihn suchen und ihren Fragen und Zweifeln Raum geben. Ihr verstehen wird wachsen. Gott wird sich finden lassen.

 

Schwestern und Brüder, wir haben guten Grund, uns diesem Geist anzuvertrauen! Die Schlosskirche erzählt auf ihre Weise davon. Orientierung für unser Leben ist hier zu entdecken! Möge Gott mit seines Geistes Gegenwart bei Ihnen sein, die Sie im Landtag bzw. für den Landtag arbeiten oder schlicht als Gemeindeglieder sich hier zu Hause fühlen. Ihnen allen gilt: In Gottes Geist liegt verwandelnde Kraft.

 

Amen.

 

Und der Friede . . .

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