2. Februar 2014 - Predigt zu Genesis 8, 1-12
02. Februar 2014
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
es ist wie in einem düsteren Traum: Das Meer ist grau. Regen peitscht. Die Bilder sind unruhig und schlecht ausgeleuchtet, wie bei einem Film von Lars von Trier. Wasser, immer nur Wasser. Wasser von oben wie aus Kübeln, wogende Wasser unten. Kein Ufer, kein Horizont. Als ob alles überschwemmt wäre. Kein Mensch, nicht einmal eine Möwe ist zu sehen. Nur irgendein dunkler Kasten treibt in der Ferne schlingernd auf den Wellen. Es schüttet und schüttet, als hörte es nie wieder auf.
Schnitt.
Eine andere Traumsequenz schiebt sich dazwischen – das Gesicht eines Mannes, gezeichnet. Sein Blick geht ins Leere. Man sieht es: Das Kämpfen liegt hinter ihm. Er hat sich ergeben. Das Ringen, die Verzweiflung – er ist hindurch. Es war zu stark für ihn. Seine Widerstandskraft ist aufgebraucht. Er hat sich ergeben – komme, was da wolle.
Zurück im ersten Traum: Der Regen hat aufgehört. Das Meer hat sich beruhigt. Endlos breitet es sich aus. Verloren treibt der dunkle, fensterlose Kasten in den endlosen Weiten dieser Wasserwelt. Kein Mensch ist zu sehen, nicht einmal eine Möwe. Nichts ereignet sich.
Schnitt.
Unvermittelt ein drittes Traumbild: Ein mittelalterlich gekleideter Mann arbeitet in seiner Studierstube. Ein Neues Testament liegt vor ihm. Mit einem Gänsekiel schreibt er seine Auslegung:
„Nicht obwohl Jesus im Schiff ist, geht es dennoch in den Sturm . . . es gilt sogar: weil Christus im Schiff ist, geht es in den Sturm! Diese Historie lasst uns ja wohl merken und ein Sprichwort daraus machen, dass wir sagen: So geht’s, kommt Christus in das Schiff, so wird’s nicht lange still bleiben. Es wird ein Wetter und Ungestüm kommen.“
Der Mann liest noch einmal, was er geschrieben hat, und nickt. Ein verschmitztes Lächeln huscht ihm über das Gesicht. ‚Ja, da werden sie wieder was zu kauen und zu grübeln haben: WEIL CHRISTUS IM SCHIFF IST, GEHT ES IN DEN STURM!‘
Zurück im ersten Traum: Mit einem fürchterlichen Krachen setzt der dunkle Kasten auf. Keine Klippe ist zu sehen, schon gar kein Land. Aber es ist klar: Der Kasten sitzt fest. Ist das Wasser gefallen? Nirgends ein Anhaltspunkt, an dem das abzulesen wäre. Da öffnet sich mit knarrendem Geräusch eine Luke. Ein Rabe flattert heraus. Als müsste er das Fliegen erst wieder lernen, flattert er hierhin und dorthin. Irgendwann kehrt er müde zurück. Der dunkle Kasten nimmt ihn auf.
Warten, dass etwas geschieht. Der Kasten sitzt fest. Warten. Erst Tage später steigt eine Taube aus dem Kasten. Sie fliegt umher, ist lange weg. Aber sie findet keinen Landeplatz. So kehrt sie zurück. Das Warten geht weiter.
Die zweite Taube, die Tage später aufsteigt aus der Luke, ist lange unterwegs. Auch sie findet nichts Trockenes. Als sie jedoch am Abend zurückkommt, trägt sie im Schnabel einen Ölzweig. Das Warten geht weiter. Warten, dass etwas geschieht. Ringsum immer noch – nur Wasser.
Da endlich, nach weiteren Tagen steigt eine dritte Taube auf. Sie fliegt umher und in die Weite – und kehrt nicht zurück. Offenbar hat sie eine Bleibe gefunden. Das Wasser muss gefallen sein. Damit bricht auch diese Sequenz ab.
Was bedeutet diese Überschwemmungsgeschichte, die so tief im Gedächtnis der Menschheit verankert ist?
Nicht nur in 1.Mose 8 wird die Geschichte von der Sintflut erzählt. Auch im Gilgamesch-Epos ist das der Fall, ganz ähnlich bei den Sumerern, bei Apollodoros und Ovid und über 250 weitere Male auf der ganzen Welt. Haben furchtbare Tsunamis sie ausgelöst? Oder sind sie schlicht der Archetyp der Menschheitskatastrophe?
Wie dem auch sei – die Fluterzählungen der Menschheit, und der heutige Predigttext von Noahs Warten in der Arche gehört dazu, diese Fluterzählungen machen eines deutlich: DAS LEBEN IST BEDROHT – UND GEHALTEN ZUGLEICH.
Wir erfahren jeden Tag, dass das Leben bedroht ist: Da muss man nicht einmal nach Syrien schauen. Krankheiten sind da, die alles infrage stellen. Menschen verzagen am Leben wie einst Paulus – wir haben in der Epistel heute davon gehört. Und es ist überhaupt nicht ausgemacht, dass diese verzweifelten Menschen die Kraft zum Leben neu finden. Wie quälend langsam finden manche aus einer schweren Depression zurück – so langsam und unmerklich nur, wie die Wasser im heutigen Predigttext gefallen sind. So zerbrechlich, so bedroht ist unser Leben, dass man Thomas Hobbes verstehen kann, der meinte:
„Meine Mutter hat Zwillinge geboren, mich und meine Angst.“
Ja, bedroht zu sein, gehört zu den prägenden Erfahrungen des Lebens. Manchmal kann man sich auch als Gemeinde oder als Kirche bedroht fühlen – zum Beispiel, wenn unsere bisherige Art und Weise, Gemeinde zu sein, in Frage gestellt wird. Oder wenn wir als Kirche spüren, ob in Bayern, in Mecklenburg oder Schleswig-Holstein: Bei allem was wir gut machen – viele Menschen erreichen wir nicht. Traditionen brechen immer mehr ab. Konfessionslosigkeit vererbt sich heute schon über Generationen hinweg als Normalität. Das kann uns nicht ruhen lassen.
Die Botschaft des heutigen Sonntags jedoch ist: In aller Bedrohtheit – DAS LEBEN IST GEHALTEN. Gott ist da – rechne mit ihm! Drei Rettungsgeschichten sind uns ja heute ans Herz gelegt worden: Paulus, der am Leben verzagt, dieser Kämpfer, der einmal allen Mut verloren hatte, findet in der tiefsten Krise seines Lebens Halt im Vertrauen zu Gott. Rückblickend deutet er:
„Das geschah aber, damit wir unser Vertrauen nicht auf uns selbst setzten, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt.“ (2.Kor 1,9)
Es ist immer eine heikle Angelegenheit, Krisen und Leiden zu deuten. Eigentlich muss solche Deutung von den Betroffenen selbst kommen. Sonst wirkt sie schnell wie Vertröstung. Und doch kann es helfen, sich mit der Lebenserfahrung anderer auseinanderzusetzen, die ebenfalls Schweres durchlitten haben. Es kann helfen, den Kopf über Wasser zu heben und einen anderen Blick auf die eigene Situation zu gewinnen. Ein solches Angebot macht ein alter Liedvers, der in unserem aktuellen Gesangbuch gar nicht mehr zu finden ist. Da heißt es:
„Leiden sammelt unsre Sinne,
dass die Seele nicht zerrinne
in den Bildern dieser Welt –
ist wie eine Engelswache,
die im innersten Gemache
des Gemütes Ordnung hält."
Eine ungewohnte Perspektive – Leiden richte uns seelisch auf das Entscheidende aus. Leiden sei eine ‚Engelswache‘ – ein ungewöhnlicher Gedanke! Und doch haben Menschen, dies so erfahren. Sie haben erlebt: ‚In aller Bedrohtheit bleibe ich gehalten durch Gott. In der Beziehung zu ihm finde ich die Kraft, nicht aufzugeben.‘
Im heutigen Abschnitt der Sintflut-Erzählung weiß sich auch Noah gehalten von Gott, von seinen Verheißungen: Er gebot ihm, diese Arche zu bauen. Gott hat ihm und denen, die mit ihm waren, einen neuen Anfang verheißen. Er würde Noah und die Seinen nicht vergessen. Und so heißt es wörtlich:
„Da gedachte Gott an Noah und an alles wilde Getier und an alles Vieh, das mit ihm in der Arche war, und ließ Wind auf Erden kommen und die Wasser fielen.“ (Gen 8,1)
Noah in seinem endlosen Warten findet Halt in den Verheißungen Gottes. Er kann nicht sehen, was draußen vor sich geht. Aber die Augen der Vögel werden zu seinen Augen.
Und auch in der dritten Rettungsgeschichte, der des heutigen Evangeliums, geht es um Vertrauen. Die Jünger im sturmumtosten Boot sehen in Jesus ihre letzte Hoffnung und wecken den Schlafenden. Der bändigt den Sturm – und auch der Sturm der Angst in ihren Herzen kann sich legen.
Vertrauen zu Gott ist die Basis. Darin sind wir getragen und gehalten. Und so sind die Zwillinge, von denen Thomas Hobbes sprach, durch Christus in Wahrheit Drillinge geworden: Ich, meine Angst, aber auch mein Vertrauen zu Gott. Ich bin froh über diesen Bruder. Gottvertrauen ist meine Zuflucht in schwierigen Lebenslagen. Ich arbeite daran, mein ganzes Leben von ihm bestimmen zu lassen.
Vertrauen zu Gott ist das Entscheidende. Das gibt meiner Seele Frieden. Auf das Vertrauen zu Gott kommt es entscheidend an – auch für uns als Gemeinde, auch für uns als Kirche. Und so können wir darauf hoffen, dass auch wir – wenn wir unsere Schwierigkeiten durchgestanden haben – rückblickend sagen:
„Das geschah aber, damit wir unser Vertrauen nicht auf uns selbst setzten, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt.“ (2.Kor 1,9)
Dieses Vertrauen gibt uns jedoch auch den Mut, falsche Sicherheit, trügerische Ruhe aufzugeben und die Auseinandersetzungen zu führen, die um der Sache Jesu willen notwendig sind – so wie Martin Luther es schrieb:
„Nicht obwohl Jesus im Schiff ist, geht es dennoch in den Sturm . . . es gilt sogar: weil Christus im Schiff ist, geht es in den Sturm! Diese Historie lasst uns ja wohl merken und ein Sprichwort daraus machen, dass wir sagen: So geht’s, kommt Christus in das Schiff, so wird’s nicht lange still bleiben. Es wird ein Wetter und Ungestüm kommen.“
Das ist so, auch wenn es manchen nicht gefällt: Wenn Christus in den Blick und in unser Herz kommt, dann können wir uns nicht abfinden mit dem, was ist. Dann dürfen wir die Unruhe, den Sturm der Auseinandersetzung nicht fürchten. Dann müssen wir uns einsetzen für Gerechtigkeit bei uns und anderswo. Dann können wir die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union nicht länger hinnehmen. Dann müssen wir die Energiewende mit aller Intensität umsetzen, auch wenn es uns etwas kostet. Dann müssen wir die Art unseres Wirtschaftens und Lebens ändern, damit Leben für alle möglich ist. Wenn Christus mit im Boot ist, dann können wir nicht bleiben, wie wir sind. „Kommt Christus in das Schiff, so wird’s nicht lange still bleiben.“
Wenn Christus mit ins Boot kommt, dann werden wir die Herausforderung annehmen, offener und intensiver auf Menschen zuzugehen, die Gott für sich noch nicht entdeckt haben. Dann lassen wir uns ehrlichen Herzens auf sie ein, auch wenn uns das schmerzhafte Veränderungen abverlangt. Billiger ist die Gemeinschaft mit unserem Herrn nicht zu haben.
Doch wir können das. Wir sind so frei, solche Wege zu gehen. Denn wir wissen: Das Leben ist so kostbar wie bedroht. Zugleich ist es gehalten. Halten wir uns an das, was Gott von uns erwartet. Halten wir uns vor allem auch an das, was er uns schenkt – seine Zuneigung.
Amen.
Und der Friede . . .