2. Mai 2013 - Grußwort zur Einweihung des Zeltes Abrahams
02. Mai 2013
Sehr geehrte Frau Ünver, sehr geehrter Herr Seibert,
lieber Herr Poels, lieber Propst Dr. Horst Gorski,
liebe Schwestern und Brüder!
Was für ein stimmiges Symbol der Gemeinschaft ist dieser Ort. Ein Zelt, das Gastfreundschaft gewährt. Auch in den Gedanken. Kommt herein, spricht es, esst und trinkt, ruht euch aus oder, heute am Morgen, kommt erst einmal zu euch und erzählt, was euer Herz bewegt.
So haben es vor Urzeiten auch Abraham und Sara gehalten. Als drei Männer auf sie zukommen – sie wissen gar nicht, wer das ist – laden sie sie wie selbstverständlich in ihr Zelt ein. Eine folgenreiche Begegnung, wie wir wissen. Denn die Fremden werden langsam erkennbar als Engel. Engel, die wie so oft im hebräischen Testament und auch im Koran die Geburt von etwas ganz Neuem ankündigen. Und – ebenfalls wie so oft – sagen sie als Erstes: Fürchtet euch nicht! Fürchtet euch doch nicht vor dem, was da neu in die Welt kommen will. Und als Sara sich nicht mehr fürchtete, fing sie an wunderschön zu lachen…
Das Zelt mit ihren Engeln – sie sind deshalb ein so tiefsinniges Hoffnungssymbol, weil sie nicht leugnen, dass es Furcht gibt. Dass Menschen Angst haben vor dem Fremden. Vor Gesten, Riten, Worten, Kultur, die man nicht versteht. Davor, sich tumb zu benehmen, sich zu blamieren. Oder auch Grenzen zu verletzen oder selbst verletzt zu werden. Die Angst hat viele Seiten. Sie kennt den zögernden Schritt, der aber schließlich doch nach vorn geht, und sie kennt die aggressive, abwehrende Geste der Intoleranz. Und weil es davon heutzutage viel zu viel gibt, was wir absolut nicht brauchen!, ist es so wichtig, den Schritt nach vorn zu machen. Den Schritt hier hinein, ins Zelt! Mit dem, was uns ausmacht – und unterscheidet. Mit unseren Geschichten, Traditionen, Kulturen, Religionen, mit all dem sind wir ins Zelt unserer gemeinsamen Erzeltern eingeladen. Damit wir etwas voneinander erfahren. Etwa, was den jeweils anderen Licht ist auf dem Wege, was ihnen Trost ist und Hoffnung, was sie schmerzt und was sie lachen lässt.
Wie passend ist dieses Zelt Abrahams für diesen Kirchentag in Hamburg, auf dem die interreligiöse Begegnung einen eindeutigen und regionalen Themenschwerpunkt hat. Schon längst nämlich hat in unseren Gemeinden das Gespräch und die Begegnung mit den Nachbarreligionen einen guten und eingespielten Platz. Gleichzeitig ist wahrzunehmen: Interreligiöser Dialog ist nicht zu verordnen, sondern er lebt aus Begegnung und guter Erfahrung. Deshalb freue ich mich so über dieses Zelt mit seinem englischen „Fürchte dich nicht!“ und dem so sinnigen Hoffnungszeichen „Engel der Kulturen“. Er ist aus Symbolen der drei abrahamitischen Religionen geformt und steht – natürlich – im Zelt.
Der Begriff abrahamitisch sagt es schon: Auf den Erzvater Abraham berufen sich bekanntlich unsere drei Religionen (Anm.: Judentum, Christentum und Islam). Denn Abraham ist Vorbild. Er schenkt Gottes Verheißung unbedingten Glauben und macht sich auf in eine unbekannte Zukunft. Abraham geht also nicht, weil er es genauso will. Sondern weil Gott ihn berührt. Nicht er selbst, Gottes Wort bricht auf, was bannt. All das Gewohnte, vielleicht auch das Traurige, all die Ansichten und Urteile, Gedankenbarrieren und Berührungsängste, die sich in einem Leben angesammelt haben mögen, bricht er auf. Geh da heraus, sagt Gott. Und nimm in dich hinein: Du bist gesegnet. Als Kind Gottes und als Kind der Familie Abrahams, Milliarden sind es auf der Welt. Gesegnet, damit sie aufbrechen und ein Segen für andere werden.
Unsere Erzeltern haben sich mit Sack und Pack aufgemacht und zugesehen, dass sie „Land gewinnen“. Und so geben sie doch jeder Religion, die sich auf sie beruft, etwas grundsätzlich Dynamisches, Offenes, Zukunft Weisendes. Wer glaubt wie Abraham und Sara, bleibt in Bewegung. Was könnte anitfundamentalistischer sein?
Und was könnte angesichts heutiger Gewalt, die scheinbar religiös motiviert sind, was könnte angesichts bebender Intoleranz in Internetforen, was könnte angesichts der weltweit erschreckenden Fähigkeit des Menschen, andere zu entwerten, zu erniedrigen oder zu zerstören, was könnte näher liegen als das Projekt Weltethos? Ein Projekt, das mit diesem Zelt eng verbunden und in dieser Kirchengemeinde eine lebensnahe Tradition geworden ist. Das Projekt Weltethos hat hier die Menschen angesteckt mit ihrer Vision von einem globalen Bewusstseinswandel, der von den Weltreligionen ausgeht. Die religiösen und ethischen Überzeugungen der Menschheit sind dabei in zweierlei verbunden: das Prinzip der Humanität und Würde, die unantastbar ist. Und die Goldenen Regel: Handle so wie du selbst behandelt werden willst. In diesen beiden Überzeugungen steckt der Kern zu einer friedensfähigen Welt. Und diese Vision hat Kraft, überall da nämlich, wo Respekt gezeigt, Gerechtigkeit ersehnt, Wahrhaftigkeit anerkannt und das Leben geliebt wird.
Und so ist dieses Zelt auch ein Signal an die Furcht und die Wut:
Fürchtet euch nicht. Religionen sind mitnichten zuallererst Brutstätten eines Fundamentalismus oder glühender Jenseitsliebe, sondern sie sind die moralischen Weltagenturen schlechthin. Und zwar jetzt und hier. Im Präsenz. In einer hoffnungslos pluralisierten Welt könnten sie nämlich neue Klammern der Einheit schmieden.
Damit in diesem Sinne interreligiöse Begegnung lebt und etwas an Veränderung erreicht, muss sie sich ereignen, ja alltagstauglich werden. – Das erlebe ich als die größte gesellschaftliche Herausforderung unserer Zeit. Und dazu gehört auch, dass man die mitunter schwere Aufgabe hat, im eigenen Haus aufzuräumen, heißt: den fundamentalistischen Ausartungen aller Couleur und dem gewaltverherrlichenden Religionsmissbrauch entschieden entgegen zu treten. Und dazu braucht es viel. Guten Religionsunterricht etwa. Oder Schulen unterm Kirchturm, in dem schon das Kind die Herzenssprache übt und lernt, was dem anderen heilig ist. Und am liebsten auch eine Sprachschule der Humanität für Erwachsene….
Dafür ist ein wunderbares Bild für mich leitend geworden: Kürzlich sah ich, wie eine vierte Schulklasse eine evangelische Kirche besuchte. In der Klasse waren etwa die Hälfte muslimische Kinder – und was taten sie? Sie zogen wie selbstverständlich ihre Schuhe aus. Vor der Tür zum Kirchenschiff 20 Paar kleine Schuhe. Ausgezogen aus Respekt vor dem heiligen Raum – was für ein Bild für einen ungezwungenen, natürlichen Weg, der Dialog heißt und Anerkennung.
Denn uns verbindet doch in dieser Stadt und in diesem Land mit derart vielen Sprachen, Kulturen, Religionen, Konfessionen vor allem eines: Dass der Friede Gottes die Herzen erreiche. Und so braucht es doch gerade jetzt die Gemeinschaft unserer Religionen – für den Frieden und gegen Gottvergessenheit.
Ich danke Ihnen.