St. Aegidien in Lübeck

2. November 2012 - Ökumenischer Gottesdienst zum Taufgedächtnis

02. November 2012 von Kirsten Fehrs

5. Tagung der 11. Generalsynode der VELKD Predigt zu Jes 43,1 ff

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei in uns lebendig! Amen

Der Predigttext, liebe Brüder und Schwestern, gehört unverzichtbar zum Kanon einer Tauftheologie. Ich lese aus dem Buch des Jesaja, 43. Kapitel:

Und nun, spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen… weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe.

Und nun, liebe Schwestern und Brüder. Nun aber!

Der Predigttext setzt ein mit einem Widerwort Gottes. Ein Widerwort gegen die Angst. Was könnte reformatorischer sein? Gott spricht sein Widerwort an den Wassern Babels, unweit vom heutigen Bagdad, wo einst die Israeliten im Exil saßen und weinten. Gefangen gehalten nicht allein von Siegern, sondern auch von den Bildern ihrer eigenen Niederlagen. Trostlos die Szenerie, tonlos die Kehlen, ausgedörrt die Seelen.

Und nun! Fürchte dich nicht!, spricht Gott. Ich erlöse dich von der Knechtschaft der Herzen aus Stein. Und sage: du bist mein. Gehörst zu mir. Immer schon.

Deshalb: löse dich. Nun aber!

Gottes Wort ist Lebenswort.

Er ist das Du, das mich ins Leben ruft.

Und ich?

„Ohne Gott bin ich ein Fisch am Strand,

ohne Gott ein Tropfen in der Glut,

Ohne Gott bin ich ein Gras im Sand

Und ein Vogel, dessen Schwingen ruht.

Wenn mich Gott bei meinem Namen ruft,

bin ich Wasser, Feuer, Erde, Luft.“

So poetisch antwortet Jochen Klepper auf Gottes Lebenswort. Glaubenszeugnis, das so authentisch, so wahrhaftig ist, weil es das Leben einschließt – wie die hiesigen Bernsteine die Schnecke und den Seestern. Glaubwürdig, weil Glück und Sinnlichkeit, Schwere und Friedenssehnsucht darin aufgenommen sind. Wort wird Glaubenswort und entspringt der Hülle, wenn es die Krise kennt und die Liebe, die sie überwindet. Und so werden Glaubenszeugnisse geboren, nicht zuletzt wenn man dachte, am Ende zu sein.

Bei Jochen Klepper, wir wissen es, war es so: Er war ein schwermütiger Mensch in politischer Drangsal, der sich dennoch immer wieder zu erinnern vermochte, was ihn trägt. Und so steht dies eben zitierte Gedicht von ihm neben vielen anderen in der agendarischen Handreichung zum Taufgedächtnis -  dem Liturgischen Ausschuss der VELKD sei für diese –auch ökumenisch – feinsinnige Zusammenstellung Dank.

Mich haben viele Worte, viele Texte berührt. Und mir bewusst gemacht, wie unbewusst wir mit unserer Taufe leben. Dabei ist rational schon viel präsent: Natürlich wissen wir, dass jeder trinitarische Beginn eines Gottesdienstes uns daran erinnert, dass wir auf den Namen des dreieinen Gottes getauft sind. Und wir werden mit Dankbarkeit gewahr, welch einigendes, verbindendes Band die Taufe unter uns so fulminant verschiedenen Christen darstellt. Gleichzeitig ist die Taufe in ihrer Einmaligkeit auch höchst persönlich: mit der Bindung an Christus ist für jede und jeden ganz individuell – irgendwann im Leben - ein neues Kapitel in unserem Lebensbuch aufgeschlagen worden. Unverbrüchlich. Grundgütig. Gültig.

Das wissen wir, oder besser: glauben es, doch erfahren wir es auch?

Allemal mehr, wenn wir die Taufe vergegenwärtigen, ja sie erinnern. Denn ich merke, dass da tatsächlich etwas im Inneren geschieht. Weil wir wirklich berührt werden. Mit dem Kreuz des Wassers an Stirn, Hand und Herzhaut. Berührt bis hin zur eigenen Ursprünglichkeit. Diese Körpersprache unseres Glaubens, - danke, lieber Bruder Junge für diesen Gedanken! - , überwindet behutsam auch unsere Unberührbarkeit. Sie rührt an das, was wir einmal waren und sein wollten. An den ersten Atemzug und das Sehnen, bis zum letzten Moment behütet zu sein; diese Furcht, ob wir auch den Dunkelheiten stand zu halten vermögen und zugleich diese Zuversicht, dass es Einen gibt, der uns inmitten der tobenden Welt im Innersten zusammenhält.

Tauferinnerung berührt, und das meint mehr als Rührung. Weil einen die Einmaligkeit – auch die der eigenen Existenz – so plötzlich und so positiv erschüttern kann. Kein Zufall, glaube ich, dass sich in vielen Menschen sichtbar etwas löst, wenn sie das Kreuz auf ihrer Haut fühlen. Dass Tränen kommen, wenn der Zuspruch Gottes das weich gewordene Herz erreicht. Der Zuspruch etwa, dass sie wunderbar gemacht sind. Kind Gottes eben. Oder wie der Predigttext sagt: du bist in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich und ich habe dich lieb. Solch eine üppige, hemmungslose, verschwenderische Zuwendung! Was für eine Liebeserklärung Gottes an jede/n hier im Raum! Flammend und unverfroren. Denn wen liebte man vorbehaltloser, leidenschaftlicher oder gar kämpferischer als das eigene Kind?

Diese Liebe sollten wir täglich zu uns nehmen. Fand auch Luther. Ich bin getauft, so schrieb er´s in Kreide vor sich hin. Auf den Schreibtisch. An die Wand. Wir alle hier wissen davon: von Luthers Stunden der Anfechtung, diese Zeiten, in denen er mit Selbstgerechtigkeit oder Selbstzweifel rang, in denen er mit der Sünde, vor allem mit Gott rang, der so beharrlich der deus absconditus bleiben konnte. Ich bin getauft! Als würde der sichtbare Schriftzug Gott wieder ins Leben holen. Einen binden, wenn man fliehen möchte vor der Verzweiflung und es in einem zittert. Braucht es dann nicht auch für uns theologisch so nachdenkliche Geschwister eine erfahrbare Vergewisserung, dass Gott dabei bleibt und sagt: du bist so wunderbar gemacht? Du, der du angefeindet bist und klein gemacht, zweifelnd und traurig, gefangen in deiner Wartburg und den Bildern deiner schwermütigen Gedanken, für sich und andere so schwer aushaltbar. Ich bin getauft. Gesegnet. Kind Gottes. Geliebt. Und nun!

Tauferinnerung ist Lebenswort. Baptizatus sum. Vor einiger Zeit traf ich Jonathan, einen baptistischen Prediger aus Südafrika. Er erzählte, dass er während der Zeit der Apartheid einmal fast ums Leben gekommen wäre. Wie es damals eben war; die Verfolger waren überall. So willkürlich. Brutal. Nichts war mehr heilig. Schließlich flüchtete Jonathan sich in seine Kirche. Die Verfolger traten die Tür ein. Kurz bevor sie die Kirche stürmten, sah Jonathan das große Taufbecken, in das er einst ganz und gar eingetaucht worden war, sprang kurzerhand hinein und zog den Taufdeckel über sich. Und: wurde nicht entdeckt!

Halleluja, ich bin getauft, sagt Jonathan.

Seitdem er damals im wahrsten Sinne des lutherischen Wortes aus der Taufe „gekrochen ist“, lebt er anders. Diesmal wirklich wie neu geboren, sagt er. Unendlich dankbar, auf dieser Welt zu sein – und angefüllt mit einer Friedenssehnsucht, dass es schmerzte. Angesichts der Welt, die er täglich sah. Angesichts dieser elenden Armut, der dauernden Gefährdung, der Kälte und angesichts all der Menschen, die die Erniedrigung schon fast als Teil ihrer selbst übernommen hatten, deren Widerstandsgeist fast schon gebrochen war.

Und nun, spricht der Herr, der dich geschaffen hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!

Nun aber, liebe Geschwister! Widerwort ist Lebenswort. Damals in Babylon, anders in Südafrika, immer noch gegen Rechtsradikalismus (gerade angesichts der gestrigen Neonazi-Schmierereien in Mölln!), Widerwort ist Lebenswort, immer wieder laut für die Erniedrigten und Getretenen in Syrien.

Nun! Gott redet gegen den Strom. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein. Das ist ein eindeutiges und parteiisches Wort, das unverwechselbar dich sucht, wo immer du bist - Unverwechselbar du. Gerufen beim eigenen Namen, der - wie Walter Benjamin sagt -  „Wort Gottes ist in menschlichen Lauten“. Heilig eben. Unantastbar. Grenzenlos würdevoll.

Wie bedeutsam der Name eines Menschen ist, merken wir ganz persönlich dann, wenn er in besonderen Momenten falsch ausgesprochen wird. Bei der Taufe. Der Trauung. Der Beerdigung. Oder, global gesehen, diese Erschütterung, wenn ein Name untergeht. Buchstäblich. Wenn es nur heißt: Tausende. Tausende von Flüchtlingen gehen in ihren Booten vor den hochmunitionierten Zäunen Europas unter, die finanziert sind auch von unseren Steuergeldern. Namenlos, weil unerkannt. Weggeschaut. Unerhört.

Wie eindrücklich sind genau deshalb die Räume des Gedenkens in Jad Vashem. Die Nennung all der Namen, mit denen man die 1,5 Millionen ermordeter Kinder erinnert, jeder Name ein Sternchen. Die Dunkelheit, die Lichtpunkte – und die Stimme der Namen. Mit ihren Namen sind die Kinder in einer solchen Intensität anwesend, dass es schmerzt. Dieser Schmerz soll ja auch nicht vergessen sein. Die Namen zu erinnern heißt der Menschenwürde ein Gedenken geben. Und die Frage zuzulassen: Weißt du, wie viel Sternlein dort stehen?

Gott, der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet, an der ganzen großen Zahl, an der ganzen großen Zahl. Denn: Du bist mein! Jesaja lässt dem Schmerz Trost folgen. Indem er ein Bild in uns entstehen lässt, als knüpfe Gott selbst zu jedem Menschen eine einmalige Beziehung. Eine Beziehung, in der vieles geheimnisvoll, unsagbar, sicherlich auch unverständlich bleibt. Aber nun! Indem wir gerufen werden durch unseren Namen, unverwechselbar und ihm eigen, erinnert sich etwas in uns, dass wir nicht herausfallen können aus Gottes gnädiger Gegenwart.

Und nun! , liebe Geschwister, die wir mitten auf dem Weg sind, von weit kommen und noch weit gehen. Die wir eingebunden sind in die Gemeinschaft der Getauften, ökumenisch so überaus lebendig, lieber Kardinal Koch! Christen aller Couleur, getauft – und das ganz und gar „eigentlich“.  Nehmen wir die Worte in uns auf wie einen kostbaren Schatz! Wie frisches Wasser, das uns die Lebenskräfte weckt. Und werden wir uns gewahr: ich bin getauft. Auf den Namen dessen, der uns alle hier trägt. Über konfessionelle Grenzen hinweg. Und: wir sind getauft mit einem Namen, den man rufen kann. Der den Dialog sucht. Und den Namen des anderen. Und mit dem Namen ihre Religiosität sucht oder seine Konfession, unseren Unterschied. Eben: Die Lebendigkeit in der Begegnung. Nur durch das Du kann ich Ich sagen. Wir sind angewiesen– vom ersten Moment unseres Lebens an. Aufeinander und auf ihn. Wir sind angewiesen, um zu leben. Erlöst. Vergnügt. Mit der Freiheit eines Christenmenschen, sei dieser groß oder ganz klein. Wie gut schließlich , dass es auf unserer Agenda steht, auch für Kinder eine Sprache der Berührung zu finden. Deshalb  mögen leicht-lebige Worte eines zeitgenössischen Poeten als weitere – und hier nun letzte – Antwort auf Gottes Lebenswort dienen:  

Alles, was ich sag, sag ich einem andern,

und alles, was ich weiß, weiß ich von einem andern,

alles, was ich hab, ist ein Name nur,

und den hab ich von einem andern.

Die Hand, die ich geb´, geb´ich einem andern,

und die Tränen, die ich lass´,

wein ich um einen andern.

Den Sinn, den ich hab´, hab´ich in einer andern,

und die Liebe, die ich fühl, ist für einen andern.

Nur meine Gänsehaut ist von mir selbst -.

Und nun! Fürchte dich nicht. Es ist einer da, der dich davon erlöst hat, allein zu sein. Kinder Gottes sind wir, in einer – zugegeben ein bisschen „unvollkommenen“  - Gemeinschaft der Getauften. Immer aber verbunden im Gebet um den Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Datum
02.11.2012
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
Zum Anfang der Seite