20. April 2014 - Hamburger Hauptkirche St. Michaelis

20. April 2014 - Ostersonntag

20. April 2014 von Kirsten Fehrs

Predigt zu 1. Kor. 15, 1-11

Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt. Amen

 

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche

Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,

im Tale grünet Hoffnungsglück;

der alte Winter in seiner Schwäche

zog sich in raue Berge zurück…

 

Sicher haben sie ihn erkannt, liebe Festgemeinde: den Anfang des Osterspaziergangs aus Goethes Faust. Und auch wenn wir hier eher maritim sonnenblitzendes Wasser und als höchste Erhebungen in der Landschaft Deiche kennen: Frühlingserwachen ja auch hier, wohin man sieht. Gelbe Blüten, zartes Grün, bunte Ostersträuße, blühende Gefühle. Unübersehbar erwacht die Natur zu neuem Leben. Und der Mensch auch. Höchste Zeit, Ostern zu feiern. Ostern, ja bitte. Ein paar Tage frei, wunderbar. Es sei allen von Herzen gegönnt. Zumal eine Umfrage ergab, dass trotz des oft beklagten Traditionsabbruches tatsächlich 85% der Bundesbürger sagen konnten, was wir Ostern feiern: Eben nicht irgendein Frühlingsfest. Sondern die Auferstehung Jesu Christi. Mich hat das positiv überrascht. Könnte es sein, dass dieses Bild der Auferstehung einprägsamer ist, als wir denken? Dass also Menschen, auch wenn sie das Geschehen selbst als unglaubwürdig ablehnen, dennoch eine Vorstellung davon haben, was Auferstehung sein könnte? Oder gar eine Sehnsucht danach verspüren, auch wenn die Alltagsvernunft sich dagegen stemmt?

Denn mit eben dieser Alltagsvernunft sieht man ja das genaue Gegenteil. So viel Gewalt. In Russland und in der Ukraine. Was dort passiert, ist für die meisten doch undurchschaubar und auf dumpfe Art bedrohlich, gar beängstigend. Oder in Nordnigeria, hundert Schülerinnen von Terroristen entführt, wer weiß wohin. In Syrien, so lange schon Diktatur und Verfolgung, auch vieler Christen! Die Aufzählung ließe sich leider fortsetzen, gerade jüngst mit dem Jammer der Eltern in Südkorea, die hilflos ihre Kinder haben ertrinken sehen. Und ist einem angesichts dieser verletzten und trauernden Menschen nicht demütig zumute, wie kostbar Leben ist? Und wie zerbrechlich?

Und ist es also an diesem Osterfest nicht unerhört naheliegend, dass wir Christenmenschen wach und aufmerksam mit dafür sorgen, dass die Würde eines Menschen unantastbar bleibt. Im Leben wie im Sterben? Ob er schwarz, farbig, weiß oder grau ist? Der Mensch ist immer ein Mensch. Nie einfach nur ein Ausländer. Oder ein Problem. Oder ein Opfer. Oder ein illegaler Flüchtling. Oder gar ein Feind. Nein, gerade in dieser Stadt müssen wir mutig bleiben und Frieden wagen. Wir müssen dabei bleiben, Gastfreundschaft zu leben und gerade angesichts von neuen Flüchtlingsunterkünften mit den Menschen reden, dass sie freundlich bleiben. Mit deutlichen Worten. Mit humanitärer Hilfe. Mit weitherziger Offenheit für eine tolerante Gesellschaft. Mit friedliebenden Ostermärschen, auch hier in Hamburg, auch gegen Rüstungsexporte über unseren Hafen. Deshalb Ostern, ja bitte. Ostern ist doch richtig und gut, um aufzustehen gegen Gewalt und Kriegstreiberei. Ja, Aufstehen – für die Bedrückten.

Aber Auferstehung? Eher kein Thema, oder? Auferstehung der Toten gar? Unvorstellbar. Unglaublich. Nie gesehen.

Aber ja doch, sagt Paulus in unserem Predigttext. Sie haben den Auferstandenen sehr wohl gesehen. Kephas. Dann die Zwölf. Danach fünfhundert Brüder auf einmal, dann Jakobus, schließlich er, Paulus, selbst – und etliche der Augenzeugen leben ja noch! Zugegeben, die vielen Schwestern, Maria Magdalena, Mutter Maria und Salome und Johanna, ohne die es wahrscheinlich keiner von den genannten Brüdern gesehen hätte, vergisst Paulus ein bisschen. Sehen wir es ihm nach, hatte er es ja nicht so mit den Frauen. …

Sie alle haben den auferstandenen Jesus gesehen. Also: er ist wahrhaftig auferstanden. Fast klingt es in dem Predigttext wie eine Beweiskette, sehr nüchtern und rational. So, als würde Paulus bewusst jede Euphorie vermeiden, um seine Glaubwürdigkeit, ja den Glauben an den Auferstandenen selbst nicht zu gefährden. Keine Siegesfanfaren also, kein Gloria Victoria! Sondern im Tenor eher Tenor und Solovioline. Zurückhaltend. Präzise. Klar. Wie die schöne Kantate eben. Zart, bis zum Schluss, ist in ihr das Osterlob. Mit Freudentränen, die den Schmerz aller Gewalt noch genau erinnern. Und in unnachahmlicher Poesie blüht der Trost im Herzen, was spielt es für eine Rolle, ob mit Noten von Bach oder Telemann?

So strahlend ins Herz gesungen, so deutlich ist die Aussage: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt! Kein Zweifel hat hier aufzukommen, liebe Gemeinde: Ostern, ja! Gern auch erst einmal mit Freuden zart. Doch es bleibt dabei: Christ ist wahrhaftig auferstanden. Nichts weniger als das. Da komme, wer wolle. Denn: Die Apostel  haben es gesehen. Mit ihren eigenen Augen.

Doch zunächst nützt ihnen das nichts. Denn auch im damaligen Korinth wurde um die Auferstehung gestritten. Schon immer, nicht nur heute, halten es eben viele für ein intellektuelles Risiko, das wahrhaftige Lebendigwerden des Gekreuzigten zu bekennen. Und alles, was recht ist, liebe Gemeinde. Auferstehung – wie könnte man das auch verstehen im Sinne eines intellektuell durchdrungenen Nachweises? Wie sollte man solch ein Wunder verstehen? Ich kann es nicht. Ich verstehe ebenso wenig, wie aus dem Samen eine gelbe Blume werden kann und was alles in einem Wassertropfen flimmert, ich kann es ja nicht sehen! So gesehen verstehe ich auch nicht, wie ein Kind im Mutterleib wächst und auf einmal auf der Welt ist mit so unsagbar zarten, kleinen Fingern und Zehen und Wimpern. Ich verstehe nicht, wie die Liebe zwischen zweien entsteht, wie aus dem Nichts. So als hätte man sich ein Leben lang gesucht und ungeahnt aufeinander gewartet. Ich verstehe nicht, wohin das Leben geht, wenn es den Leib verlässt. Und wie genau ist es dort hineingekommen?

Meine Gedanken können das Wunder des Lebens umkreisen, aber sie durchdringen es nicht. Und ich merke an Tagen wie diesen, an denen die Lust und Freude des Lebens sich geradezu aufdrängen und an denen die Tränen der Untröstlichen dennoch nicht vergessen sind - ich merke, ich möchte gar nicht wissen, warum das alles ist.

Aber ich glaube, dass es ist. Dass Gott ist, höher als alle Vernunft. Dass das Leben nach dem Tode weitergeht, wer weiß schon wie, das glaube ich. Dass wir getragen werden von der einen zur anderen Welt, schließlich ganz leicht wie eine Feder, das glaube ich. Dass jedes Leben einen unendlichen Wert und Würdigkeit besitzt, das glaube ich. Und dass wir hier auf der Erde sind, um eines wirklich zu verstehen: nämlich, was Gott will, dass wir es hier und jetzt und in dieser Welt tun. Im Namen des Auferstandenen österlich leben, und also das kostbare Leben schützen, aufrichten, trösten - hingebungsvoll und aufmerksam, friedliebend und energisch. Eben: vom Leben gezeichnet!

Wir sollten uns viel mehr trauen. Sollten uns trauen zu sagen: Ostern, ja! Mit samt der Auferstehung. Jetzt zum Beispiel. Einfach mal ungestüm, herzensnah zeigen, dass man glaubt, was man glaubt. Ohne Literaturnachweis. Gottesbeweis. Quellenstudium. Einfach einmal jemandem, den man nicht kennt, sagen: Der Herr ist auferstanden. Und hören: Er ist wahrhaftig auferstanden. – Probieren wir es doch einmal, liebe Gemeinde, jetzt. Natürlich nur, wenn Sie mögen. Einfach einmal mit jemanden, den Sie nicht kennen, die Osterwahrheit bekräftigen. (Die Gemeinde Ostern 2014 traut sich tatsächlich, sehr munter!)

Geht doch schon ganz gut. So viele von Ihnen lächeln! Was für eine Bewegung der Herzen aufeinander zu. Darum geht es. Und darum, dass wir uns neu sehen. Mit dem inneren, dritten Auge dazu. In einem neuen, österlichen Licht, allzumal in unserem lichten Michel. Mit einem veränderten Blick in die Welt. So wie ja auch die Apostel damals, nachdem sie ihn gesehen hatten, nicht mehr dieselben waren. Nein, wer den Auferstandenen gesehen hat, lebt friedenssehnsüchtiger, liebt leidenschaftlicher, redet eindeutiger, ist ein vertrauensvoller, lebensfroher Mensch. Wer ihn gesehen hat, dem sieht man es an. Dieses: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!

Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.

Am Karfreitag durfte ich es sehen. Im Messias – getanzt von der Ballett-Compagnie von John Neumeier. Im Programmheft übrigens mit einem Begleitwort von Günther Jena versehen – tiefe Theologie der Anschaulichkeit. Und so habe ich wirklich schon Karfreitag Ostern neu sehen dürfen: Lauter junge Tänzerinnen und Tänzer, voller Leichtigkeit und unglaublicher Hingabe, anrührend in ihrer Zartheit, aufrichtend durch ihre „Power“, gute Güte, was für eine Kraft kostet so eine Aufführung.

Auch seelisch. Dieses Zusammengehen von Zerrissenheit und Anmut, von Nicht-Verstehen und Klarheit, dieses Zusammenfinden von Tod und Liebe, die niemals aufhört – man hat es den jungen Tänzern angesehen, dass sie glaubten, was sie tanzten: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!

Und wir, liebe Gemeinde? Jede und jeder für sich, wenn man uns fragt, was wir sehen? Auch in uns? Könnten wir etwas sagen von Freiheit und Erlösung und Erleichterung und Zuversicht? Könnten wir uns bittschön vorstellen, wie wir der manchmal übermäßigen Sorge eine Grenze setzen? Dass wir mit dem sterbenskranken Freund nicht nur das Verlorene beweinen, sondern auch einmal scheinbar pietätlos über ihn und mit ihm scherzen? Dass wir laut zeigen, ganz furchtbar emotional, wie sehr wir jemanden lieben und mögen. Auch dass wir unseren Zorn nicht verstecken, wenn er sich Luft machen muss. Könnten wir uns bitte vorstellen, dass wir nicht immer dem Vergeblichen nachtrauern, sondern das Möglichste tun. In Jesu Namen: Um den Frieden beten, tanzen muss gar nicht sein. Um die Gerechtigkeit kämpfen, streiten muss gar nicht sein. Den Heimatlosen Obdach geben im Herzen, im eigenen Hause soll es ja gar nicht sein.

Das Möglichste tun in Jesu Namen – und Mensch werden.

Oder, liebe Gemeinde, nun gern auch mit Goethe gesprochen:

Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein!

So endet sein Osterspaziergang.

Aber für uns beginnt der Weg immer wieder neu, voller Hoffnung über die Grenzen allen Lebens hinaus. Darum noch einmal:

Der Herr ist auferstanden!

Er ist wahrhaftig auferstanden! (Gemeinde)

Ich wünsche Ihnen ein frohes, gesegnetes Osterfest!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, den wahrhaftig Auferstandenen. Amen

Datum
20.04.2014
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Kirsten Fehrs
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