20. Juli 2014 - Dom zu Lübeck

20. Juli 2014 - Gottesdienst am 5. Sonntag nach Trinitatis und 70. Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944

20. Juli 2014 von Kirsten Fehrs

2. Thessalonicher 3, 1-5

Liebe Gemeinde!

Es sind nun wirklich keine Helden, auf die Christus seine Kirche baut – jedenfalls nicht die lauten und glamourösen. Die strahlend auf der Bühne des Lebens stehen und mit großen Taten imponieren. Keine großen Helden – so ging es mir eben beim Evangelium (dies bezieht sich auf das Evangelium des 5. Sonntags nach Trinitatis: Lukas 5, 1-11 – der Fischzug des Petrus) durch den Kopf. Durchaus mit Erleichterung, stelle ich fest.

Ich sehe Simon Petrus vor mir. Den ersten Menschenfischer. Mit schwieligen Händen, meist gesundem Menschenverstand. Und deshalb mit lauter Fragen im Kopf und einer unsäglichen Sehnsucht im Herzen. Wie jeder Mensch begabt hier und dort. Und wie jeder Mensch schwach. Vor Angst. Vor Zweifel. Oder weil es ihm mit der allgegenwärtigen Gewalt so unheimlich ist – damals schon in Jerusalem! Könnte man doch bloß irgendetwas tun gegen die Despoten im Land!

 

Und er sieht die vollen Netze. Fühlt diese Kraft, die von Jesus ausgeht. Und dann wagt er es tatsächlich. Folgt einfach seinem sehnsüchtigen Herzen. Voller Hingabe ist er. Jahrelang, wir wissen es. Und wir wissen auch: Als es darauf ankommt, verleugnet er den, den er liebt. Verzweifelt über sich, brüchig und ängstlich – so ist der Fels, auf den Christus seine Kirche baut.

 

Ganz gewiss keine Helden sind auch die Christen in Thessaloniki. Sie sind im Jahre 50 n. Chr. die zweite Christengemeinde in der Welt, aber auch nicht gerade ein Quell der Siegerpose. Im Gegenteil: Sie sind verzweifelt. Auch am Glauben verzweifelt. Denn – anders als Paulus es ihnen verkündigt hatte - Jesus ist nicht wiedergekommen. So lange Jahre nicht. Mutlos lassen sie die Arme hängen, mit denen sie Kirche eigentlich weiter bauen sollten. Verwahrlost liegen sie auf dem Sofa der Sinnlosigkeit. Arbeiten nicht mehr. Wofür auch! Diesen Christusgott bekommt man doch keinem erklärt. „Was für eine Torheit! spotten alle um sie herum. „Gekreuzigt euer Christus wie ein Verbrecher!“ Sie schimpfen Christus einen Esel. „Denn wäre er wahrlich Gott gewesen“, so sagen sie, „wieso ist er nicht hinabgestiegen vom Kreuz?!“ (Dies bezieht sich auf die Epistel des 5. Sonntags nach Trinitatis: 1. Kor 1, 18-25 – insbesondere auf V. 22f: „Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit….“) Ach, denken die Thessalonicher da in ihrer kleinen Gemeinde, könnten sie es diesen Ignoranten doch mal so richtig zeigen. Denn auferstanden ist er doch! Und sie merken, dass so sie gern auftrumpfen würden. So gern aufstehen, zu ihm stehen, widerstehen…. Achja…

Wie stets bei solchen Anfechtungen in seinen Gemeinden schreibt Paulus (oder respektive seine Schüler). Trostbriefe. Glaubensbriefe. Ich lese den Predigttext aus dem 2. Thessalonicherbrief, 3. Kapitel:

 

Weiter, liebe Brüder, betet für uns, dass das Wort des Herrn laufe und gepriesen werde wie bei euch und dass wir erlöst werden von den falschen und bösen Menschen; denn der Glaube ist nicht jedermanns Ding. Aber der Herr ist treu; der wird euch stärken und bewahren vor dem Bösen. Wir haben aber das Vertrauen zu euch in dem Herrn, dass ihr tut und tun werdet, was wir gebieten. Der Herr aber richte eure Herzenaus auf die Liebe Gottes und auf die Geduld Christi.

 

Weiter, liebe Geschwister. Richtet euer Herz aus auf die Liebe. Wagt es wie Petrus!

Weiter, liebe Geschwister, denkt nach vorn!

Weiter, dass das Wort des Herrn laufe!

Das finde ich ein wunderbares Bild: Ich sehe diesen Ball laufen, wie in den ganzen letzten Wochen. Wie er von Pass zu Pass geschickt nach vorn gespielt wird. Leichtfüßig. Aufs Tor zu. Da braucht man viele, die mitdenken. Die den richtigen Kick geben. Und Zuschauer, die sich begeistern lassen. Die sagen: Das ist mein Ding! Da gebe ich Kraft hinein. Da brennt mein Herz.

Und sie gewinnen, tatsächlich.

Auch sie sind keine Helden, nein. Sondern eine Gemeinschaft. Das betonen die Spieler immer wieder. Die Gemeinschaft ist es, die das Ding am Laufen hält.

 

Allein: das Ding bei Paulus ist das manchmal Eckige: Das Wort Gottes. Und der Glaube. Und der ist bekanntlich nicht jedermanns Ding. Modern klingen diese alten Worte von Paulus. Fast ein wenig lapidar. So wie man es heute sagt: Mit Kirche habe ich nichts am Hut. That´s not my cup of tea. Kirche genauso wenig wie etwa Kreuzfahrten im Sommer, Handarbeiten im Winter, Ballett am Abend, Fußball für die Welt.

Weit gefehlt, liebe Gemeinde, würden wir es dabei belassen. Nach dem Motto: Lass jeden nach seiner Façon selig werden. Der Glaube ist halt nicht jedermanns Ding.

 

Nein, es geht um viel mehr.

Es geht um die Liebe zum Leben. Und darum, dass böse Leute es bedrohen. Es geht darum, dass manches zu böse ist, um es gut sein zu lassen. Denn das Böse zerstört – auch die Achtung vor sich selbst, wenn man es nicht sehen und ihm nicht widerstehen will.

Also: Weiter, liebe Geschwister. Es ist so viel Böses zu überwinden.

Und dies als Weltengemeinschaft! Als Kirche, die sich verantwortlich fühlt für das, was nicht stimmt in dieser derzeit so tobenden und brennenden Welt. Mit lauter internationalen Mitspielern, die das Ding am Laufen halten: das Wort Gottes nämlich vom Frieden in der Welt. Von der Würde der Verwundeten und Trauernden! Kurz: die das vom Wort Gottes vom Kreuz am Laufen halten. Denn das ist die entscheidende Kraft, Widerstand zu wagen! Ist doch Christus gerade nicht von Kreuz herunter gestiegen!

 

Das ist unser Ding, liebe Gemeinde, als Christen. Christus ist das Gegenprogramm zu jedem Heldenepos. Denn er blieb, der er war und der er sein sollte: Gottes Sohn, der sich der Tiefe menschlichen Schmerzes aussetzt. Eben kein Held, der sich oben auf der Bühne im Applaus sonnt. Und im eigenen Spotlight die nicht sehen kann, die im Schatten sind.

 

Und ich denke an die fast 300 Menschen, die in dem malaysischen Flugzeug über der Ukraine abgeschossen wurden. Diese Todesangst! So viele sterben, Familien, AIDS-Forscher aus Holland, die auf dem Weg waren, Not zu lindern. Unfassbar diese verstörende Gewalt, dieses Unrecht, erschütternd die Trauer der Angehörigen. Wie könnte da ein Gott trösten, der den Schmerz nicht kennt? Der einfach aus dem Leiden aussteigen kann?

Sie können es nicht mehr.

 

Und ich denke an die jugendlichen Israelis und Palästinenser in Gaza, Kinder am Strand, die erschossen werden und verfolgt und gefoltert in diesem gegenseitigen mörderischen Wahn. Wie könnte da ein Gott stärken gegenzuhalten, immer wieder, der längst geflohen ist, wenn es um Leben und Tod geht?

 

Und ich denke schließlich an uns, die wir manchmal so verletzt sind, dass wir nicht vergeben können. Was täten wir ohne sein „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun?“ Immer würden wir allein bleiben mit unserer eigenen Unerträglichkeit, Schuld. Der Trauer.

 

Aber Christus ist nicht vom Kreuz herab gestiegen. Er hat es ausgehalten. Für uns.

Und mit uns.

Den Nichthelden. Die wir kämpfen mit dem Gefühl von Schwäche, Sehnsucht, Ungenügen, alles zugleich. Die wir gern Widerstand wagen und das Gute glauben möchten. So wie Petrus, Paulus und die Thessalonicher: Menschen mit Brüchen, inneren Konflikten. Schwielen. Mut. Unmut. Angst.

Aber auch der Hingabe, die die Angst überliebt.

 

So dass Widerstand gegen Gewalt Wirklichkeit wird.

 

Heute vor 70 Jahren, am 20. Juli 1944 geschah das Bombenattentat auf Hitler – es scheiterte. Graf Schenk von Stauffenberg und etliche andere bezahlten dies mit ihrem Leben. Wir gedenken ihres Mutes. Und dem ihrer Familien. Wir bringen in Trauer vor Gott, dass so viele ihr Leben lassen mussten im nationalsozialistischen Terrorregime. In der Würdigung liegt auch Verehrung zu ihnen, die dies taten – jedoch, als Helden?

 

Mag sein, leise Helden. Denn es waren Menschen, die im inneren Gewissenskonflikt zu klaren Entscheidungen gekommen sind. Aber sie haben auch gestritten, wie man seinem Gewissen, ja Gottes Wort folgt. Unterschiedlich geprägt von streitenden Prinzipien wie dem Fahneneid oder „liebet eure Feinde“. Man rang miteinander im „Kreisauer Kreis“, in dem sich die Widerstandskämpfer des Nationalsozialismus zusammen fanden. Einer der Gründer, Helmuth James von Moltke, steht dem Attentat kritisch gegenüber und wird dennoch gerade dafür hingerichtet. Und ich spüre, wie schwer es ist, ein Bild zu zeichnen, das allen gerecht wird. Die Geschichte hat eben wirklich viele Schichten. Lassen wir also von Moltke selbst zu Wort kommen. Er schreibt Freya, seiner geliebten Reyali, und seinen beiden kleinen Söhne aus seiner Haft in Berlin Tegel im Oktober 1944:

 

„Lieber Caspar, lieber Konrad,

..….Die Sache, wegen derer ich umgebracht werde, wird in die Geschichte eingehen, und kein Mensch weiß wie. Euch will ich aber folgendes sagen: ich habe mein Leben lang … gegen einen Geist der Enge und der Gewalt, der Überheblichkeit und der mangelnden Ehrfurcht vor Anderen, der Intoleranz und des Absoluten … angekämpft, der in den Deutschen steckt … Ich habe mich auch dafür eingesetzt, dass dieser Geist mit seinen schlimmen Folgeerscheinungen wie Nationalismus im Exzess, Rassenverfolgung Glaubenslosigkeit … überwunden werde. Insofern werde ich vom nationalsozialistischen Standpunkt zu Recht umgebracht. Ich habe aber nie Gewaltakte wie den des 20. Juli gewollt oder gefördert,… vor allem, weil ich glaubte, dass dadurch das geistige Grundübel gerade nicht beseitigt würde. Insofern werde ich zu Unrecht umgebracht.“ (Aus: Helmuth James und Freya von Moltke, Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel, September 1944 – Januar 1945, München 2011 – S. 64)

 

Gefangen in einer Zelle ist Helmut James von Moltke zugleich unerhört frei. Denn er ist seinem Herzen gefolgt. Seiner Liebe. Ist sich selbst treu geblieben - und Gott. Mit einer Hingabe, die auch zulässt zu beschreiben, was ihn so schmerzt. All das klingt, als würde er mit unserem Predigttext sagen: Weiter, meine Söhne, haltet das Wort Gottes am Laufen. Vom Frieden. Der Versöhnung. Der Hoffnung. Und vom größten, der Liebe. Mit ihr beginnt er sein Testament seines Lebens:

„Mit dem wichtigsten will ich anfangen…Habt euch und Reyali immer und ganz unverrückbar lieb. Vergesst das nie, … ihr müsst sie für mich mit lieb haben. Ich will euch sagen, dass ich in der Gewissheit sterbe, … dass wir vier in Christi Liebe immer vereint sein werden….Ich sage dies nicht, damit ihr es glauben sollt: …Ich sage es euch, … damit ihr vor diesem Glauben, auch wenn ihr Ihn nicht teilt, Ehrfurcht habt.“ (Ebd. S. 63 )

 

Helmuth James von Moltke schreibt noch etliche Briefe bis zu seiner Hinrichtung. Trostbriefe. Glaubensbriefe. Bis zum Schluss lieben Freya und er sich in Worten, Seite um Seite. Manchmal unerträglich schön. Und bei aller Anfechtung und geschichtlichen Schwere erreicht mich diese fast leichte Innigkeit zweier Menschen, die jede Minute um ihre Liebe gekämpft.

Nein, sie waren keine lauten Helden.

Allenfalls leise. Weil sie zart und genau blieben. Zärtlich Liebende in einer tobenden Welt.

Gott treu, der die Treue hält.

Sie waren Mensch. Wie Gott auch.

 

Und er, der treu ist, wird auch uns stärken im Bösen. Er wird unsere Herzen ausrichten auf die Liebe und die Geduld Christi. Und sein Friede, höher als alle Vernunft, bewahrt so unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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